TS6/15: Zensur? Französischer Komiker M’bala M’bala Dieudonné vor Gericht

Hierhin – und zum Beispiel in den Fall Dieudonné – eigentlich gehört die ansonsten obermühsame Diskussion über die „Grenzen der Satire“: Wo genau verläuft die Grenze zwischen der offensichtlich instabilen Text- und Sprechgattung und anderen Formen, welche dieses Etikett lediglich und für unverhüllt demonstrierte politische Zwecke missbrauchen? Ein solcher Grenzfall ist vielleicht der französische Humorist und Komiker M'bala M'bala Dieudonné. Über den berichtet die Berliner Zeitung am 17.03.15 unter der schwierigen Fragestellung: „Weniger Meinungsfreiheit als Charlie Hebdo? Schluss mit lustig für Dieudonné“.  

Berichterstattungsanlass ist die kurzfristige Verhaftung Dieudonnés aufgrund eines Tweets zum Zeitpunkt des Überfalls des Attentäters Ahmedy Coulibaly im Januar 2015 auf einen jüdischen Supermarkt: „Je suis Charlie Coulibaly“. Der französische Staat bewertete diesen Tweet als „Terrorverherrlichung“ und nahm den Humoristen fest. Das Urteil im Verfahren soll heute fallen; Juristen rechnen mit einer Geld- oder gar Haftstrafe.

Der Autor Stefan Brändle weicht in seinem Porträt des umstrittenen Franzosen von der Kategorisierung der Enzyklopädie Wikipedia ab, die den Künstler als „prominenten Vertreter des Rechtsextremismus“ gelten lässt. Dafür gibt Wiki auch konkrete Anhaltspunkte, welche die Bewertung stützen, Dieudonné nicht pur der Satiriker-Fraktion zuzuschlagen:

Er wurde mehrfach gerichtlich für judenfeindliche Äußerungen verurteilt. M’bala M’bala tritt seit 1997 regelmäßig an der Spitze von Rand- oder Splitterparteien bei Parlaments- und Europawahlen an und hat sich 2002 und 2007 zweimal erfolglos als Präsidentschaftskandidat versucht.
(Wikipedia: Dieudonné).

Wer selbst politisch aktiv wird und sich zum Zugpferd von Parteien und Politikern macht, verwirkt – SaSe-Meinung – das Satire-Privileg.


Unstatthafter Vergleich mit Charlie-Hebdo-Karikaturisten?
Aus dieser Perspektive betrachtet wanken die von Brändle gezogenen Vergleiche mit den Karikaturisten von Charlie Hebdo auf unerlaubtem Terrain. Etwa wenn er die Charlie-Satire als ebenso unzimperlich bewertet wie die von Dieudonné. Darüber hinaus zieht die Berliner Zeitung die Ursprünge der 1970 gegründeten Satire-Zeitschrift heran, die aus dem Magazin Hara-Kiri hervorgegangen sei. Im Hara-Kiri seinerzeit seien, heute fast unvorstellbar, Behinderte, Kinder und Vergewaltigungsopfer verspottet worden, während es Päderasten, Folterer und Machos glorifiziert habe.

Immerhin macht auch die Berliner Zeitung einen entscheidenden Unterschied zwischen Dieudonné und (reinen) Satirikern/Karikaturisten aus: Charlie Hebdo sei nie islamophob. Und Dieudonné gehe es auch nicht um Meinungsfreiheit: „Sein Steckenpferd ist die <Opferkonkurrenz> von Holocaust und Sklaverei“ (Quelle). Bei diesem Thema vergaloppiert sich Dieudonné dann im Auschwitz-Kontext sogar zu so einem Diktum wie „Gedenk-Pornografie“.

Für Großbritannien hat Dieudonné ein Einreiseverbot.


Missbrauch des Satire-Privilegs?
Dann wäre der Fall an dieser Stelle geklärt?

Nicht ganz: Denn offensichtlich findet Dieudonné seine Anhänger. Er mobilisiert weniger als er polarisiert. Obwohl der beinharte Komiker – siehe Feststellung oben – gar nicht in die lupenreine Satiriker-Kategorie fällt, wollen seine Anhänger für ihn deren Privilegien in Anspruch nehmen:

Mit solchen Vergleichen [„Gedenk-Pornografie“ – Anmerkg. d. SaSe-Red.] nährt er billige Neidreflexe und treibt einen Keil in die französische Gesellschaft. Der Riss verläuft entlang der Debatte um den Sinn oder Unsinn der Mohammed-Karikaturen: Diese beruhten auf „westlichem“ Denken und missachteten die Gefühle der Muslime, behaupten Dieudo-Anhänger. Für die Facebookseite „Je suis toujours Charlie“ gibt es in Frankreich 197.000 hoch gehaltene Daumen, für „Je ne suis pas Charlie“ 47.000. Auch darin äußert sich die urbanistische und soziale Kluft zwischen den Banlieue-Ghettos und dem übrigen Frankreich. Dieudonné schaufelt fleißig Erde aus dem Graben. Und die Regierung schaufelt mit, indem sie ihm Mund- und Saalverbote erteilt und dafür sorgt, dass er für sein Bonmot „Charlie Coulibaly“ bestraft wird.
(ibid.; Hervorhebg. von SaSe)

 

Hinweis:
Schwierige Grenzziehung! Die SaSe-Redaktion experimentiert momentan noch mit ihren Kriterien. Aber die tatsächliche politische Aktivität (siehe dazu die lange Liste im Wiki-Porträt) scheint ihr ein solches zu sein.  Wenn SaSe-Leser dem etwas entgegenzusetzen haben, freut sich dieser Blog über entsprechende Zuschriften!


[Aktualisierung vom 21.03.15:]
2 Jahre Haft auf Bewährung
Am Schluss waren es zwei drastische Strafen für Dieudonné. Wie die Neue Zürcher Zeitung berichtet wurde der französische Anführungszeichen-Satiriker wegen Verteidigung des Terrorismus zu zwei Monaten Gefängnis auf Bewährung sowie wegen Aufhetzung zum Rassenhass mit einer Geldstrafe von satten 22.500 Euro verurteilt. Der österreichische Standard verknüpft die Meldung über das Urteil auch mit der Zensur-Frage: "Hat er weniger Redefreiheit verdient als die Satiriker von Charlie Hebdo?" DIE WELT etikettiert den Verurteilten recht trefflich als "Hasskomiker" und weist darauf hin, dass Dieudonné Opfer und Täter gleichsetze.
 

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