SaSe28: Rezension Martina Hill: „Was mach ich hier eigentlich?“ – Das Leichtlesebuch für Knallerfrau-Fans

Die Chinesen lieben die Komikerin und „Knallerfrau“ Martina Hill. Was die Geliebte lange Zeit nicht wusste. Dann wird sie nach Peking eingeladen, um in einer chinesischen Comedy-Serie mitzuspielen. Über diesen China-Trip haben Martina Hill und Marco Musienko „so `ne Art Chinareiseroadmoviebildertagebuch“ geschrieben.  Und der Rowohlt-Verlag hat es verlegt. 


Massen von Fotos von Massen von …
Das mit dem „Bilder-Tagebuch“ sollte der interessierte Leser und/oder geneigte Käufer ernstnehmen: kaum eine Doppelseite ohne, manche Foto-Doppelseiten ohne Text. Da füllen sich die über 200 Seiten des Taschenbuchs rasch. Nicht gerichtsfest gezählt, aber gefühlt die meisten Fotos zeigen (auch) Martina Hill, wenige Landeseindrücke kommen ohne die Hauptperson aus. Viele zeigen Massen: von Menschen, von "interessanten" Speisen, von Spielzeug, (Massen) von Menschen, (Massen) von Flaschen, vom Team (Menschen), (Massen) von Häusern, Sitzgelegenheiten, Nikoläusen. Unausgesprochen und eindrücklich, unklar ob absichtlich, wird damit auch Chinas Bevölkerungsproblem dokumentiert. Die leserseits empfundene Hetze von Massen und Exotik kommt nur ein Mal im zweiten Buchdrittel mit dem Foto eines verlorenen Spatzes auf grenzenloser Pflasterfläche zur Ruhe. Die emotionale Bindung Hills an diesen tapferen Überlebenden eines beispiellosen chinesischen Spatzen-Genozids (wird erklärt)  ist absolut glaubwürdig. Sympathieplus!

Besonnen dosiert „Privates“ über die Autorin geben Bilder und Fotos aus ihrer Kindheit, von allergischen Gesichtsreaktionen (komikfrei!), von komödiantischer Nahrungsaufnahme, einer Zumutungs-Abart und ihren Schuhen preis. Die letzte Doppelseite enthält eine Collage von unendlichen Selfies von Hill plus Chinese/In/n/Innen mit durchgehend albernen Fingergesten; meistens das Victory-Zeichen. Landestypik oder Zukunftsdrohung?


Ein federleichter Bericht über ein bleischweres Land
Wer schreibt? Wer spricht? Das lassen das Autorenduo Hill-Musienko und der Inhalt offen. Wer meint, über dieses Buch mehr über den Mensch Martina Hill zu erfahren, täuscht sich. Oder täuschen die Autoren die Rezensentin? Es spricht-schreibt: ein Profi! Oder zwei. Und zwar ein Komik-Profi. Schreibe und Inhalt sind immer federleicht, sehen ALLES aus humoriger Perspektive mit phasenweise nahezu zwanghafter Witzigkeit, die nicht selten albern wird. Die „Landeskunde“ ist – und muss es in diesem Format wohl auch bleiben – kursorisch: überraschend viel Grün in Peking-City; chinesische Pressekonferenzen verlaufen wie Pop-Konzerte; ihren Bauch präsentieren Männer auf öffentlichen Plätzen; Seniorentänze ebendort; die „Verbotene Stadt“ in zwei Anläufen, der Beihai-Park mit der Weißen Pagode, die Stadt Wuhan (Goethe-Institut ebendort), die Chinesische Mauer.

Die erwähnte Albernheit nervt insbesondere bei den zu häufigen phonetischen Transkriptionen des chinesisch verkrüppelten Englisch: „Äähnkschn“ (i. e. „action“), „ssssri – thuu – wuann“ (i. e. „three – two – one“), „is not tolai“ (i. e. „it is not to late“) etc.

Dagegen führt der Reisebericht nachfühlbar dort an die Grenze deutscher Sprachkompetenz, wo er den von der Gast-Comedian geforderten chinesischen Originalsatz transkribiert: „Uou chijenn tsä tshinn tsä tsizze tschitsche chio chips …“ Hill scheitert. Verständlich. Und dann geht es mit dem Alternativsatz „Hau ba ueh lai le“ auch.


Beeindruckende Professionalität und körperliche Fitness
Der Besuch in China war kurz. Doch Hill nutzt ihn in extenso – und in bewundernswerter Missachtung der eigenen körperlichen und seelischen Befindlichkeiten. Das beginnt schon mit der Überwindung ihrer Flugangst und setzt sich in der Ignoranz gegenüber dem Jetlag fort! Ein Termin jagt den nächsten und zwischendurch macht sie Sightseeing. Der fremden Kultur und den unberechenbaren, mehrheitlich aber extrem freundlichen Menschen (also: außerhalb von Zentralkomitee, Gerichten und Gefängnissen) in China begegnet Hill immer offen, unbefangen, freundlich und wertungsfrei. Cholerisch Anfälle im Straßenverkehr werden berichtet, aber nicht bewertet. Sie sprechen für sich. Hills unterstelltes Credo: lächeln und liefern. Kritik erlauben sich die Autoren höchstens einmal bei der im Beihai-Park verunzierten Vegetation: „Aber auch so ein heiliger Ort schreckte anscheinend nicht die Dorfjugend ab, die sich hier in vandalenhafter Manier mit ihren Tags in den Bambushalmen verewig hat. Alles vollgekrickelt. Sauerei so was. Naturkulturbanausen. Echt jetzt mal.“ (S. 135/136).


Redundante Nervelemente
Die kulturbegegnende Tiefe der Titelfrage „Was mach ich hier eigentlich?“ wird nicht ausgeleuchtet. Der Leser erhält keinen substanziellen Hinweis darauf, warum ausgerechnet eine deutsche Komikerin so viel Popularität in dem kapitalistischen Land mit dem kommunistischen Repressionsregime erreicht. Dabei drängen sich Antworten dazu nachgerade auf, die an dieser Stelle auch nur anzudeuten den Job einer Rezension verletzen würden. Schade (die Nicht-Ausleuchtung, nicht die Rezensentinnendisziplin). Mehr dazu andeutungsweise in der Die-Welt-Kritik (siehe Links unten).

Solche seherischen Superlative wie „steht sie vor dem größten Abenteuer ihres Lebens“ (Buchrückentext) turnen eher ab, wirken reißerisch, sind de facto aber marginal. Martina Hill ist jung und hat den größeren Teil ihres Lebens (hoffentlich) noch vor sich. Die Rezensentin wünscht ihr herrliche Abenteuer, die dann doch noch etwas mehr Tiefe haben und sich nicht auf wenige „äähnkschn“-reiche Tage zwischen Flugangst, Jetlag, Pflichtterminen und die körperliche Erschöpfung verhöhnende Sehenswürdigkeitentouren – zumeist auch noch per pedes – begrenzen. Oder wachsen Bewertungen aus der Präsupposition der Autoren, dass eine solche China-Reise per se erstrebens-, begehrens- und beneidenswert ist? Eine Leserin konstatiert: nicht geschenkt, zumindest nicht unter den erzählten Rahmenbedingungen.

Streifen wir noch rasch die Klimax der Bitterkeit: Nun wird – siehe oben – die Titelfrage weder aus- noch angeleuchtet oder gar beantwortet, nein, da muss sie auch noch bei jeder Kapitelüberschrift wiederholt werden:
+ Was mach ich hier eigentlich? So ´ne Art von Vorwort.
+ Was mach ich hier eigentlich? Jetzt das eigentliche Vorwort.
+ Was mach ich hier eigentlich? Ich erwache im Nirwana.
[Es folgen 21 weitere Wiederholungen von „Was mach ich hier eigentlich?“ plus, die dann wie folgt auslaufen:]
+ Was mache ich hier eigentlich? Heute erobere ich die Chinesische Mauer.
+ Was mach ich hier eigentlich? Mich schweren Herzens auf den Rückweg.

Entweder hatte der Lektor/die Lektorin auch einen Jetlag oder das Buch ist lieblos gemacht. Solche Wiederholungen nerven einfach nur.


Fazit, Rezensionensynopse und noch ein Fazit
Abgesehen von den eher marginalen Nörgeleien dieser Buchkritik ist Martina Hills „Chinareiseroadmoviebildertagebuch“ ein amüsantes Leichtlesebuch für die Fans der Knallerfrau, die sie nachträglich auf ihrem China-Trip begleiten wollen. Die Rezensionen auf Amazon (sechs Stück mit 5 Sternen) stellen die Defizite des Buchs, wie oben beschrieben, nicht fest und sind durchgehend begeistert. Die Leser kamen angeblich „aus dem Lachen nicht mehr heraus“, das Buch gebe „Witz und Charme“ der Autorin wieder, „kurzweilig und lesenswert“. Alle Jubel-Rezensionen betonen die Identität von Komikerin und Buch (SaSe-Rede – siehe oben!). Ein Kunde habe sogar „Neues erfahren“ (beneidenswert!).

Der Stern habe die Reisebeschreibung „fein absurd“ empfunden, beteuert der Verlag. Die Stuttgarter Zeitung behaupte doch glatt, das Kokettieren mit dem Verlust des roten Fadens mache den Witz des Buches aus, was diesseits den Verdacht nährt, dass man bei der Stuttgarter Zeitung selbiges ganz bestimmt nicht gelesen hat. Wie Die Welt dazu kommt zu behaupten, dass dieses Buch jungen Chinesen Lust mache, deutsche Vokabeln zu pauken, wird diese Rezensentin in diesem Leben wohl auch nicht mehr ergründen können. Ob mit oder ohne China-Reise.

Links:
+ Das Buch ist auch als Hörbuch verfügbar.
+ stern-Interview mit Martina Hill zum Buch
+ Rowohlt-Verlag Infos zum Buch
+ Die Welt 11.06.2015: Martina Hill ist plötzlich in China berühmt  (Der Artikel geht auch ein wenig dem Erfolgsgeheimnis einer deutschen Komikerin in China auf den Grund!)
+ NDR Buchbesprechung: Martin Hill im Land des Lächelns

Eine sehr kluge  Rezension leisten Hanna und  Ingrid Eßer auf ihrem Blog Zweisichten auf Bücher, die in folgende beneidenswert diplomatische Schlussempfehlung mündet: „Wer den ganz speziellen Humor von Martina teilt, der auch schon mal über die Stränge schlägt, der ist hier genau richtig und wird enormen Spaß mit diesem Buch haben.“ (Quelle).

Dem sensiblen Schlusswort der Kolleginnen ist nichts hinzuzufügen!

Martina Hill und Marco Musienko:
Was mach ich hier eigentlich? So `ne Art Chinareiseraodmoviebildertagebuch
Rowohlt Verlag.
Erscheinungsdatum: 30.05.2015


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