SaSe69: „Landesvater, cool down!“ – Christian Springer versilbert seine Kritik an Seehofer

Manchen graust es aber auch vor gar nichts mehr! Und unseren Kabarettisten offensichtlich immer weniger. Der Merkur berichtet über einen „kritischen Brief“ des Kabarettisten Christian Springer an den CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer zum Thema Flüchtlingspolitik. Diesen Brief habe der Humor- (und Vermarktungs-) Experte auch physisch in der Staatskanzlei abgegeben.


Ein „offener Brief“, der keiner ist
In der marketingstarken Medienberichterstattung über diese Geschäftsidee des bayerischen Kabarettisten mit den seltsamen Freunden wird natürlich nicht zufällig ein „offener“ Brief mit dem de facto (und nur im Merkur korrekt bezeichneten) „kritischen“ Brief „verwechselt“.

Was diesen „kritischen Brief“ von einem „offenen“ unterscheidet (gezielt fehletikettiert in der Münchner Abendzeitung), sind vor allem die Gewinnerzielungsabsichten Springers, der durchaus etwas vom Geldsammeln versteht. Denn diese – gesellschaftspolitisch wichtige – Kabarettisten-Kritik in Briefform, und das ist hier der entscheidende Punkt, ist nicht etwa für jedermann zugänglich, was nachgerade Voraussetzung für einen „offenen Brief“ ist, sondern muss in der Buchhandlung für sieben Euro erworben werden.

Die Ansprüche sind natürlich wieder vollkommen edel, hilfreich, gut und hehr:

Es ist kein witzelndes Buch, sondern ein Schreiben, in dem Springer Seehofer dessen eigenen Worte entgegen hält und auch Franz Josef Strauß zu Wort kommen lässt. Und in dem er unbekannte Fakten der bayerische Kultur auftischt. Springer will damit die emotional aufgeheizte Debatte in sachliche Bahnen lenken.
(Merkur 02.12.15: „Kabarettist Springer rechnet mit Seehofers CSU ab“; Hervorhebg. SaSe)

Diese Einordnung hilft weiter: Es ist „kein witzelndes Buch“. Also fällt es nicht in die Rubrik standesgemäßer publizistischer Verlautbarungen von Satirikern und Kabarettisten, mit denen sie schließlich auch Geld verdienen müssen. Aber das war ja schon an der lautstark ausgerufenen Briefform erkennbar. Es handelt sich also um einen aktuellen (Briefform!) Beitrag zu dem derzeit wichtigsten politischen Thema, für den sich der Leser nur deshalb interessieren wird, weil er von einem bekannten Kabarettisten verfasst wurde. Oder andersherum: Springer nutzt seine Popularität als Kabarettist, um unkabarettistisch an der Flüchtlingsdebatte zu verdienen. Meine Meinung!

Der Merkur zitiert Springer, er wolle (damit) „Debatte“? Quatsch mit Soße: Springer will mit dem Verkauf von schlappen 31 Briefseiten (Angabe im Merkur-Artikel), die aus irgendeinem Grunde käuflich dann zu 80 Buchseiten anschwellen (Angabe im Münchner Abendblatt) für sieben Euro Kasse machen! Ja, geht’s eigentlich noch? Davon, dass diese sieben Euro dann wenigstens dem Springer-Verein Orienthelfer e. V. zu gute kommen, ist in den verkaufsfördernden Artikeln bundesweit allerdings nicht die Rede.

Der Merkur-Artikel errichtet die Spannungskurve auf die Frage, wie Horst Seehofer auf den Brief reagieren werde. Wenn der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende unseren geschäftstüchtigen Kabarettisten auch nur annähernd das Wasser reichen möchte, muss er seine Antwort ebenfalls kostenpflichtig machen. Immerhin sperrt man damit schon mal einen millionenstarken Teil der Bevölkerung von der wichtigen Diskussion aus!

Das kann Seehofer als Politiker natürlich nicht tun. Daraus folgt: Selbst wenn der CSU-Vorsitzende ernsthaft oder satirisch auf den Springer-Text und dessen Argumente antworten wollen würde, ihm ist jede Reaktion darauf verwehrt, weil die Vorlage nicht öffentlich zugänglich ist. Auch wenn sich Springer das wünscht, Seehofer wird sich schwerlich zum Verkaufsassistenten seines Büchleins abstellen lassen. Und weil das schreiend offensichtlich so ist, enthüllt sich Springers behaupteter Debattenwunsch als nicht zu Ende gedacht. Die Architektur der Gesamtaktion schließt eine solche von vornherein aus.


Vermarktung läuft trotz Verkaufslügen
prima
Springers Vermarktung seines nicht-offenen Briefes läuft auf jeden Fall auf Hochtouren. Auch Deutschlandradio Kultur beteiligt sich an der Promotion, wo Springers Geschäftsidee ebenfalls wahrheitswidrig als „offener Brief“ bezeichnet wird. Dito der Südkurier.

Hier dann noch das Verkaufsvideo, in dem Springer kackfrech behauptet, seine/die Diskussion gehöre in die Öffentlichkeit. Klammer auf: Diejenige Öffentlichkeit, die bereit und dazu in der Lage ist, die sieben Euro hinzublättern. Klammer zu.
Übrigens firmiert er bei München.TV als „Kaberettist“, was den Niedergang des deutschen Kabaretts auch treffend illuminiert: „e“ wie Euro statt „a“ wie Anstand.

Herr Springer möge bitte nicht von einer nötigen öffentlichen Diskussion schwafeln, wenn er seine Kritik in Form eines angeblich „öffentlichen“ Briefes kostenpflichtig macht. Im Übrigen darf er sich in die lange Reihe der Profiteure der Flüchtlingskrise einreihen! Kabarettisten gerieren sich ja mit Leidenschaft und Extase als Anwalt des Prekariats und der Hartz-IV-Bezieher. Drauf g’schissen ist! Was auch für Fall Christian Springer zu beweisen war!

 

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