TS13/17: Digitales Gesundheitskonto: Schwäbische Zeitung erfindet Gesundheitsministerium

Unser Thema heute (und in den nächsten Wochen?): Einführung eines digitalen Gesundheitskontos im strukturschwachen Landkreis Sigmaringen. Mit einer finanziellen Unterstützung von sagenhaften 150.000 Euro des Ministeriums für den Ländlichen Raum will das Ärztenetz Gesundheitsnetz Süd (GNS eG) in Kooperation mit der Firma Vitabook aus Jesterburg in unserem Landkreis als Pilotprojekt ein sogenanntes digitales Gesundheitskonto einführen. Dort sollen dann unter der ausschließlichen Direktive des Patienten alle relevanten Gesundheitsdaten für Ärzte, Apotheken und andere medizinische Dienstleister abrufbar sein.

Die Option als solche ist auch unter der Bezeichnung „Patient digital“ bekannt. Die Bertelsmann Stiftung forscht zu den vielfältigen Fragestellungen, die sich damit verbinden.  Diese Fragestellungen jedoch bestehen nicht für die beiden Protagonisten in unserem Landkreis, die einfach schon einmal loslegen bzw. loslegen wollen.

Die Berichterstattung in der Regionalpresse à la Südkurier und Schwäbische Zeitung zu diesem gesundheitspolitisch sehr brisanten Projekt hält sich noch in verdammt engen Grenzen. Als ein Thema, das kritische Berichterstattung und ausführliche Recherche verdient, kommt es beim Südkurier bisher überhaupt nicht vor.

Aber die Schwäbische wagt sich an das heiße Eisen. Und platscht gleich mit Bravour ins Fettnäpfchen. Publizistik kann aber auch schwer sein, sobald man sich aus den bequemen Bahnen der puren Terminberichterstattung und des Verlautbarungsjournalismus hinausbegibt …

Am 8. November 2017 berichtet die SZ-Redakteurin Anna-Lena Buchmaier unter der fußlahmen Überschrift „Die Kreisbevölkerung entscheidet nun über den Erfolg des Gesundheitskontos“. Darin findet sich auch der Tatsachen behauptende Satz:

Für „Patient digital“[], das vom Ministerium für den ländlichen Raum mit 150 000 Euro bezuschusst wird, hat nun die dreijährige kostenlose Testphase begonnen, innerhalb der Patienten sämtliche Gesundheitsinformationen von Apotheken, Ärzten, Kliniken und Pflegeeinrichtungen sowie Labore auf einem digitalen Konto sammeln können.
(Schwäbische Zeitung 08.11.2017: „Die Kreisbevölkerung entscheidet nun über den Erfolg des Gesundheitskontos“; Hervorhebg. SaSe; der Link ist nur zeitlich begrenzt verfügbar, da die SZ die Artikel nach einiger Zeit hinter eine Bezahlschranke legt.)

Aah, das Projekt hat schon begonnen! Oder wird sich Frau Buchmaier das vielleicht noch einmal anders überlegen?

Scheitert „Patient Digital“ schon vor der Realisierung? Zumindest gibt es noch datenschutzrechtliche Bedenken, die den Erfolg des Projekts gefährden, bevor es in der Praxis erprobt werden kann.
(Schwäbische Zeitung 23.11.2017: „Digitales Gesundheitskonto: Datenschützuer [sic!] hat noch Bedenken“; Hervorhebg. SaSe; zur Verfügbarkeit des Links gilt das oben Gesagte.)

Bedenken hat auch der geneigte Leser bei solchen ganz offensichtlichen Tippfehlern, die aber immerhin belegen, mit welcher Sorgfalt bei der Schwäbischen Zeitung gearbeitet wird. Anders als bei der still und einsam vor sich hin publizierenden Bloggerin stehen bei einem großen Verlag ein paar Augen mehr zur Verfügung, die solche Tippfehler, die selbstverständlich jedem passieren, zu des zahlenden Lesers ungestörten Rezeptionsgenusses eliminieren könnten; es wäre der Schwäbischen Zeitung denn wichtig.

Abgesehen von derlei Petitessen weiß der SZ-Leser aber nun immer noch nicht, ob die Tatsachenbehauptung aus dem SZ-Artikel Nr. 1 oder die Tatsachenbehauptung aus dem SZ-Artikel Nr. 2 über den Start des Projektes <Gesundheitskonto im Landkreis Sigmaringen> stimmen soll.

Ich rate übrigens dringend davon ab, Frau Buchmaier mit derlei Fragen via Telefon zu behelligen. Auf relevante Recherchehinweise etwa reagiert diese „Journalistin“ verstörend unjournalistisch und mit einer imposanten Arroganz.


Die Erfindung eines baden-württembergischen Gesundheitsministeriums
Ob Datenschützer oder „Datenschützuer“, ob das Projekt „Patient d/Digital“ nun gestartet ist oder noch nicht, all diese Verstöße gegen journalistische Sorgfaltspflichten stinken schmählich ab gegen Anna-Lena Buchmaiers Erfindung eines baden-württembergischen Gesundheitsministeriums.

Im jüngeren Artikel zitiert Frau Wichtig Autoritäten und widerspricht sich dabei gleich im nächsten Satz:

Scheitert „Patient Digital“ schon vor der Realisierung? Zumindest gibt es noch datenschutzrechtliche Bedenken, die den Erfolg des Projekts gefährden, bevor es in der Praxis erprobt werden kann.
Das bestätigt Gabriele Heiss-Kaiser, Referatsleiterin im Gesundheitsministerium. Die baden-württembergische Datenschutzbehörde wurde vorab nicht über „Patient Digital“ informiert und äußert Bedenken. „Wir haben über die Presse im Mai diesen Jahres erfahren, dass das Landwirtschaftsministerium (MLR) das Projekt mit 150 000 Euro unterstützt“, sagt Heiss-Kaiser. Dabei sei das Vorhaben vom Land nicht auf mögliche datenschutzrechtliche Lücken geprüft worden.
(ibid.)

Bildzitat Screenshot Schwäbische Zeitung 23.11.2017: "Digitales Gesundheitskonto: Datenschützuer hat noch Bedenken"

Bildzitat Screenshot Schwäbische Zeitung 23.11.2017: „Digitales Gesundheitskonto: Datenschützuer [sic!] hat noch Bedenken“

So, so, Gabriele Heiss-Kaiser ist „Referatsleiterin im Gesundheitsministerium“. Das ist eine für ganz Baden-Württemberg überraschende Tatsachenbehauptung der Schwäbischen Zeitung. Bisher waren alle davon ausgegangen, dass es ein baden-württembergisches „Gesundheitsministerium“ gar nicht gibt! Dagegen ist das Thema Gesundheit dem Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württemberg, verkürzt als Sozialministerium benannt, zugeordnet.

Dort jedoch werden wir die von Anna-Lena Buchmaier zitierte Frau Gabriele Heiss-Kaiser leider immer noch nicht finden, denn die hat mit Ministerien vielleicht beruflich zu tun, sitzt aber de facto im Referat 3 des Landesdatenschutzbeauftragten. Dort sitzt sie nicht nur, sie sitzt auch vor und firmiert als Referatsleiterin.

Ausschnitt aus Bildzitat Screenshot Organigramm des Landesbeauftragten für den Datenschutz und Informationsfreiheit Baden-Württemberg; Stand: 01.11.2017; rote Rahmen von SaSe

Ausschnitt aus Bildzitat Screenshot Organigramm des Landesbeauftragten für den Datenschutz und Informationsfreiheit Baden-Württemberg; Stand: 01.11.2017; rote Rahmen von SaSe

„Eigentlich“ (?) hätte dieser nächste Fehler von Frau Schlau aus der SZ-Redaktion jeder Kollegin oder jedem Kollegen, die/der bei der weiteren Bearbeitung den verhunzten Artikel wenigstens querliest, auffallen müssen. Denn die SZ-Redakteurin widerspricht ihrer eigenen Angabe schon im folgenden Satz mit der Referenz auf dieses herbeiphantasierte Gesundheitsministerium als „Datenschutzbehörde“: „Die baden-württembergische Datenschutzbehörde wurde vorab nicht über <Patient Digital> informiert und äußert Bedenken.“

Bevor Sie nun Ihr Abo der Schwäbischen endgültig kündigen, sei zur Ehrenrettung von Frau Buchmaier darauf verwiesen, dass der baden-württembergische Landesdatenschutzbeauftragte seine Bedenken gegen „Patient d/Digital“ auch in einer Presseauskunft gegenüber dieser Redaktion vom 14. November 2017 kundgetan hat. Dazu soll noch ein separater SaSe-Artikel erscheinen. Nur weil ich gründlicher arbeiten muss und mir als Bloggerin solche Schnitzer wie die SZ nicht erlauben kann (Blogger müssen ihre Artikel selbst verantworten; so eine falsche Tatsachenbehauptung wie die obige ist kostenpflichtig anwaltlich abmahnfähig), dauert so etwas eben ein bisschen länger.

Aber die Recherche zu diesem von beeindruckendem Dilettantismus der Akteure begleiteten Pilotprojekt, das schon mit der falschen Großschreibung des Attributs „digital“ auf seine Professionalität aufmerksam macht, lohnt sich SEHR! Mit Sorgfalt haben die Akteure dort es nämlich auch nicht so arg, wenn man sich zum Beispiel diese Pressemitteilung von Gesundheitsnetz Süd zu Gemüte führt. Obwohl es sich beim GNS um eine Zusammenrottung von Akademikern handelt, strotzt die PM vor Rechtschreibfehlern, die unter dem Niveau eines Absolventen der Mittleren Reife liegen.

Symptomatisch? Schaunmamal [sic!].


SaSe freut sich auf die SZ-Fehlerkorrektur
Ein zu erwartendes Highlight liegt jedoch noch vor der Informationsveranstaltung von GNS in der Stadthalle in Sigmaringen am 7. Dezember 2017. Denn für die Fehlerkorrektur der Schwäbischen Zeitung zum fiktionalen baden-württembergischen Gesundheitsministerium  stehen drei bisher bekannte Optionen zur Verfügung, auch wenn der Pressekodex nur eine kennt: die für Leser transparent gemachte Korrektur der falschen Tatsachenbehauptung.

Wie beim Südkurier in diesem Fall schon zu lernen war, scheut die Regionalpresse den plumpen Verstoß gegen den Pressekodex nicht und korrigiert einen kapitalen, weil sinnverkehrenden Fehler ohne jede Anmerkung.
Die andere, mutmaßlich noch wahrscheinlichere Variante ist: Es erfolgt gar keine Korrektur. Das baden-württembergische Gesundheitsministerium persistiert! Möglichweise wird der Artikel auch einfach hinter die Bezahlschranke gezogen, womit dem vorher angesprochenen Leserkreis ganz die Möglichkeit genommen wird, diese Falschbehauptung als Falschbehauptung erklärt zu bekommen. Alles schon erlebt! Alles Munition für die ewigen Lügenpresse-Parolen!

Wenn SaSe alle Referatsleiter ihrer korrekten Dienststelle zugeordnet und alle Beteiligten um Stellungnahme zu dem Abenteuer „Patient d/Digital“ im Landkreis Sigmaringen gebeten hat, dann komme ich auch noch mit einem – natürlich wieder sehr langen – Artikel zum Thema um die Ecke. Solange bleiben Sie zurückgeworfen auf die halbgaren Rechercheergebnisse der SZ!

 

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