TS34/20: Kommunale Intransparenz-Pandemie: Thema in Ochsenhausen und Schramberg

Es tut sich – endlich – was: Das Thema (zu viel) Nichtöffentlichkeit von Gemeinderatssitzungen rückt mit Trippelschritten mehr dorthin, wo es die Machthaber in den Rathäusern genau nicht haben wollen: in die Öffentlichkeit. Hochinteressant ist dabei auch, wie zwei ganz verschiedene Zeitungen – SchwäZ und NRWZ – das Thema in den beiden vorliegenden Fällen stark unterschiedlich bearbeiten.

Beginnen wir mit dem Negativ-Beispiel SchwäZ, Redaktion Biberach. Dort berichtet am 5. März 2020 Tobias Rehm aus dem Gemeinderat der Stadt Ochsenhausen: „Vieweger kritisiert fehlende Transparenz“. Gemeint ist der Gemeinderat Armin Vieweger der „Rebellen-Räte“ von Pro-Ox .

Die Bezeichnung „Rebellen-Räte“ / „Rebellen-Fraktion“ stammt von mir und ist in keiner Weise abwertend gemeint. Ganz im Gegenteil: Wie in Überlingen die BÜB+ (Bürger für Überlingen) firmiert auch Pro Ox als ein Gemeinderäte-Gespann, das sich engagiert und überzeugend für mehr Transparenz und Bürgernähe einsetzt.

Der SchwäZ-Redakteur Tobias Rehm widmet der Kritik Viewegers in der Gemeinderatssitzung der vergangenen Woche allerdings nur wenige Zeilen:

Gemeinderat Armin Vieweger (Pro-Ox) hat sich in der Sitzung des Ochsenhauser Gemeinderats diese Woche beschwert, dass zu viele Themen nichtöffentlich behandelt werden. Die Öffentlichkeit werde „bewusst ausgesperrt“, die Gemeinderäte erhielten darüber hinaus einen „Maulkorb“.
(Schwäbische Zeitung 05.03.2020: „Vieweger kritisiert fehlende Transparenz“)

Nach den mir vorliegenden Informationen von Teilnehmern der Sitzung war die Kritik des Pro-Ox-Gemeinderats sehr viel umfassender und detaillierter. Doch der SchwäZ-Leser erhält nur rudimentäre Kenntnis vom Vorgang:

„Der Bürger erfährt nie, was diskutiert wird.“ Der Großteil der Diskussion finde hinter verschlossenen Türen statt. Dies stimme nicht, sagte Bürgermeister Denzel. Es gebe in den öffentlichen Sitzungen sehr wohl noch eine Auseinandersetzung mit den einzelnen Themen.
(ibid.)

Ein für die Demokratie so wichtiges Thema wird von der SchwäZ  mit lächerlichen ca. 25 Zeilen abgehandelt.  Deren Leser erfahren weder, welche Regelungen etwa die Gemeindeordnung Baden-Württemberg als definierte Kriterien für nichtöffentliche Sitzungen vorsehen noch wie sich das Verhältnis von öffentlichen zu nichtöffentlichen Sitzungen in Ochsenhausen konkret und in Zahlen gestaltet.

Wie hier schon lamentiert: Die SchwäZ behauptet, ihre Leser informieren zu wollen. Der obige Artikel von Tobias Rehm ist keine hilfreiche Information. Der Leser erfährt etwas über die Kritik Viewegers, erhält aber keine Kriterien an die Hand, die Fundiertheit dieser Kritik überprüfen zu können.

Wer bezahlt für so etwas Geld?
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Dasselbe Thema – andere Bearbeitung
Wie man dasselbe Thema etwas professioneller bearbeiten kann, zeigt die NRWZ – die Neue Rottweiler Zeitung in ihrem Artikel vom 6. März 2020 „Was ist im Rat nichtöffentlich? – Stadt nimmt Stellung zu Leserbriefbehauptung  – Ein Faktencheck“. Anlass: Mangelnde Transparenz ist derzeit auch Thema im Gemeinderat von Schramberg. Angestoßen wird die Diskussion dort durch einen Leserbrief von Jürgen Reuter, Fraktionssprecher Aktive Bürger im Schwarzwälder Bote.
Reuter hat in Schramberg mit dem 2016 erfolgten Ausschluss aus der CDU-Stadtratsfraktion eine eigene politische Geschichte.

Die NRWZ greift den Leserbrief bei der Konkurrenz auf und verkündet einen „Faktencheck“, der dann leider keiner ist beziehungsweise nicht von neutraler Stelle durchgeführt wird. „Faktencheck“ klingt wie Faktencheck – tatsächlich aber delegiert die NRWZ diese Aufgabe an jemanden, der nicht als objektiv gelten kann: einen Angestellten der Stadt Schramberg.

Die Überschrift des Leserbriefs lautete: „Ein Drittel wichtiger Themen nichtöffentlich“. Darüber hinaus habe der Leserbrief den Vorwurf an die Oberbürgermeisterin Dorothee Eisenlohr enthalten, dazu aufgerufen zu haben, Leserbriefe zu unterlassen.

Anders als die SchwäZ-Leser erhalten die der NRWZ aber immerhin die wichtige Information der geltenden gesetzlichen Vorgaben, wie sie in der Gemeindeordnung Baden-Württemberg definiert sind:

35 Öffentlichkeit der Sitzungen
(1) Die Sitzungen des Gemeinderats sind öffentlich. Nichtöffentlich darf nur verhandelt werden, wenn es das öffentliche Wohl oder berechtigte Interessen Einzelner erfordern; über Gegenstände, bei denen diese Voraussetzungen vorliegen, muss nichtöffentlich verhandelt werden. Über Anträge aus der Mitte des Gemeinderats, einen Verhandlungsgegenstand entgegen der Tagesordnung in öffentlicher oder nichtöffentlicher Sitzung zu behandeln, wird in nichtöffentlicher Sitzung beraten und entschieden. In nichtöffentlicher Sitzung nach Satz 2 gefasste Beschlüsse sind nach Wiederherstellung der Öffentlichkeit oder, wenn dies ungeeignet ist, in der nächsten öffentlichen Sitzung im Wortlaut bekannt zu geben, soweit nicht das öffentliche Wohl oder berechtigte Interessen Einzelner entgegenstehen.

(2) Die Gemeinderäte sind zur Verschwiegenheit über alle in nichtöffentlicher Sitzung behandelten Angelegenheiten so lange verpflichtet, bis sie der Bürgermeister von der Schweigepflicht entbindet; dies gilt nicht für Beschlüsse, soweit sie nach Absatz 1 Satz 4 bekannt gegeben worden sind.
(Gemeindeordnung Baden-Württemberg, Paragraf 35; Hervorhebg. K. B.)

Im NRWZ-Artikel folgen weitere Informationen zu den speziellen Regelungen in Schramberg. Zu denen etwa gehört es, dass alle Ausschusssitzungen grundsätzlich öffentlich sind, sofern oben genannte Einschränkungen nicht zutreffen. Dafür etwa mussten die Überlinger jetzt gerade erst hart kämpfen.

Anschließend kommt bei der NRWZ ein sogenannter Fachmann zu Wort. Leider ist das dann einer der der Stadt Schramberg selbst: Uwe Weisser, Fachbereichsleiter Zentrale Verwaltung und Finanzen. Wie wohl wird der „Faktencheck“ eines Beschäftigten der Stadt Schramberg ausfallen?

Ab hier wird es journalistisch dann doch wieder ziemlich dünn und windig. Was soll ein Leser von Zahlen halten, die von der Stadt selbst, die hier der Kritik ausgesetzt ist, vorgelegt werden?

Weisser wertet angeblich die Gesamtzahl der öffentlichen und nichtöffentlichen Tagesordnungspunkte der Gemeinderatssitzungen der vergangenen drei Jahre aus. Und er kommt zu diesem Ergebnis:

„In den Jahren 2017 bis 2019 wurden in den Sitzungen des Gemeinderats (GR), des Verwaltungsausschusses (VA)und des Ausschusses für Umwelt und Technik (AUT) insgesamt 630 Tagesordnungspunkte (TOP) öffentlich und 158 TOP nicht-öffentlich beraten. Von den 158 in nicht-öffentlichen Sitzungen beratenen TOP mussten 92 TOP zwingend nicht-öffentlich beraten werden, da es sich um Personalentscheidungen oder Sachverhalte gehandelt hat, die das berechtigte Interesse Einzelner tangiert haben. Auch beim verbleibenden Rest von 66 TOP gab es Gründe (zum Beispiel das öffentliche Wohl) für deren nichtöffentliche Behandlung. Eine Analyse dieser Gründe wäre aber zu aufwändig.“
(Neue Rottweiler Zeitung 06.03.2020: „Was ist im Rat nichtöffentlich? – Stadt nimmt Stellung zu Leserbriefbehauptungen – Ein Faktencheck“)

Diese von der Stadt bereitgestellten  Zahlen werden dem Leser dann in einer einkopierten Grafik vorgelegt.

Wichtiger Hinweis: Solche Kategorisierungen wie „Sachverhalte, die das berechtigte Interesse Einzelner tangiert haben“ sind an Schwammigkeit nicht zu überbieten. Diese Schwammigkeit ist dann nicht selten das Einfallstor für den Vorwand der nichtöffentlichen Beratung. Ein Faktencheck, der diese Bezeichnung verdient, müsste also mindestens eine exakte Definition dieser Kategorie leisten sowie die Anzahl der dieser Kategorie zugeschlagenen Tagesordnungspunkte exakt beziffern.

Aber welcher Leser prüft das nach? Stimmen diese Zahlen? Hat die NRWZ das überprüft? Keine Anhaltspunkte dafür.

Da ist sie dann auch schon wieder zu Ende, die journalistische Herrlichkeit! Unter dem Strich ist es der blanke Hohn, wenn Kritik an der Stadtverwaltung von einem Angestellten der Stadtverwaltung ausgeräumt wird.

Wenig überraschend kommt die Auswertung der Stadt Schramberg zu einem ganz anderen Zahlenverhältnis als der Leserbrief des kritischen Gemeinderats.

Der Vorgang initiiert nun weitere Verlautbarungen – immer ein Hochfest für eine Zeitung. Ein CDU-Stadtrat (ausgerechnet!) dost Reuter unter Verwendung der Narrative von Spaltung und Stadtwohl sorgfältig ein. Inhaltlich überzeugen diese persönlichen Attacken wenig.

Zum Thema Glaubwürdigkeit von Medien allerdings halte ich es für einen gravierenden Punkteabzug, wenn eine Tageszeitung einen “Faktencheck“ behauptet und betitelt, den sie sich dann aber von der kritisierten Seite liefern lässt. Da hätte ich von der NRWZ mehr erwartet? Wenn Journalisten jetzt auch noch den „Faktencheck“ diskreditieren, dann rutscht die Glaubwürdigkeit bald komplett über die Wupper!

Im Übrigen verweise ich zum Thema Nichtöffentlichkeit an sich doch gern und wieder und noch einmal und sicherlich nicht zum letzten Mal auf den Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen in der Causa Ummendorf – ein Faktencheck zu nichtöffentlichen Gemeinderatssitzungen, der tatsächlich und vollständig überzeugt …

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