TS63/16: Furioses Comeback von Jan Böhmermann mit #verafake

+++ Jan Böhmermann bleibt unberechenbar
Das muss man ihm lassen, dem Böhmi: Nach den Wochen auf der Stillen Treppe (die hinter dem Ziegenstall) meldet sich der Satiriker furios zurück. Sein #verafake, bei dem das Neo Magazin Royale (NMR) in der Sendung vom 12. Mai 2016 einen gefakten Kandidaten in die Vera Int-Veen-Sendung Schwiegertochter gesucht eingeschleust hatte, ist furios – und mit sozialer Dimension. Und auch die en passant von Böhmermann gesetzten „zarten“ Anspielungen auf die Erdogan-Affäre sind gelungen! Dabei nimmt er sich auch selbst auf die Schippe mit dem „Scherzanwalt Dr. Christian Witz“ – eine Anspielung auf seinen Anwalt in der Erdogan-Affäre Dr. Christian Schertz. Meedia erklärt die Details des jüngsten NMR-Coups.

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Vor fünf Jahren waren Vera Int-Veen und RTL mit ihrem rücksichtslosen Umgang mit Menschen schon einmal in die Schlagzeilen geraten. Damals ging es um die RLT-Sendung Mietprellern auf der Spur.

Im Übrigen bleibt Meedia dran an der Story (z. B. die Twitter-Reaktionen) und berichtete, dass das Schwiegertochter-gesucht-Fake-Video bei RTL zunächst auch nach der Ausstrahlung von NMR immer noch online gewesen sei. Der Artikel wurde dann aktualisiert – inzwischen hatte RTL reagiert und das Video entfernt.

Und mehr noch. Jan Böhmermann hat tatsächlich etwas bewegt, denn einen Tag später vermeldet – u. a. wieder Meedia -, RTL habe das Produktionsteam ausgetauscht. Und noch einen oben drauf: Jetzt beschäftigt sich die Landesmedienanstalt mit der Sendung!

Der Journalist und „Satiriker“, der RTL seit Jahren für seinen Umgang mit Menschen in den einschlägigen Reality-Soaps kritisiert und dafür auch nervenaufreibende und sehr teure Presserechtsprozesse in Kauf nimmt, ist Holger Kreymeier mit seinem Fernsehkritik.TV.
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+++ Detlef Seif verliest Böhmermanns Schmähgedicht im Bundestag
Im Zuge der Diskussion im Bundestag darüber, ob der Majestätsbeleidigungsparagraf 103 des Strafgesetzbuches sofort abgeschafft werden soll, hat der CDU-Bundestagsabgeordnete Detlef Seif das Böhmermann-Schmähgedicht noch einmal in Gänze verlesen (Meedia):

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Jan Böhmermann hat den Vorgang digital kommentiert: „Ich weiß nicht, was ich als Wähler schlimmer finde: Wenn ein MdB Crystal Meth nimmt oder das Schandgedicht öffentlich im Parlament vorträgt!“

Der Erdogan-Anwalt Ralf Höcker hat gegen diese weitere Verbreitung des Gedichts nichts einzuwenden (Originalquelle). Das ist erstaunlich und deshalb mancher Zeitung eine Meldung wert.
Um die interdependenten Dynamiken in den jeweiligen Rechtsvertreterlagern zu verstehen, sollte man dazu  auch wissen, dass Bild schon Blut geschmeckt hatte und das Dreamteam Höcker-Erdogan mithin brav übers Springer-Stöckchen gesprungen wäre, zeigte es sich nicht unerwartet „großzügig“ angesichts dieser weiteren Verbreitung der angeblichen Schmähung. Der Bild-Anwalt wird das zu verwerten wissen?

Im Übrigen entschied der Bundesrat gegen die sofortige Abschaffung des „Böhmermann-Paragrafen“.
Inzwischen gehen Erdogan und Ralf Höcker im Fall einstweilige Verfügung gegen den Springer-CEO Mathias Döpfner in die zweite Instanz.


+++ Oliver Kalkofe vertont Reichsbürger-Stimme-des-Volkes neu
Die Reichsdeppenrundschau hat im Moment wirklich viel zu tun: Ein Gerichtsverfahren gegen Reichsbürger jagt das andere und bei YouTube steppt der Hass-Bär: Steffis Irrenhaus. Assistenz wächst den wackeren Chronologen des Reichsbürger-Watchblogs jetzt durch Oliver Kalkofe zu, der sich einer der besonderen satirefähigen Protagonistinnen der Szene – Stephanie Schulz – besonders liebevoll angenommen hat:

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+++ Bedingt offtopic: Die Ralf-Höcker-Fans bei NDR „ZAPP“
Wenn jemand einen annähernd gleichwertigen Überblick über die Heldentaten des Anwaltsgroßwesirs Ralf Höcker hat wie die Herausgeberin dieses Blogs (Bescheidenheit ist eine Zier, doch …), dann ist es das NDR-Medienmagazin ZAPP. Seit Jahren erfreuen wir uns gemeinsam an den medienwirksamen Kaspereien des in der Außenfassade zunehmend der Verwitterung preisgegebenen Jurisprudenz-Welten-Erklärers, der sich (früher?) auch gern an wehrlosen Bloggerinnen austobte. Die Tatsache, dass Ralf Höcker jetzt auch noch als Rechtsanwalt des der Despotie verdächtigen türkischen Staatspräsidenten Erdogan auftritt, veranlasste die Zapp-Kollegen in der Sendung vom 11. Mai 2015 (Mediathek; 2. Beitrag in der Rubrik „Durchgezappt“) zu einem kleinen netten Filmchen, dessen hämischen Unterton ich mir hoffentlich nicht einbilde?

Bei dem jüngsten Rechtsstreit, in dem das Landgericht Köln Schlaubatz Höcker zunächst einmal abgewiesen hat, geht es bekanntlich gegen den Springer-CEO Mathias Döpfner, der aber auch nicht kleinbeigibt. Bei Meedia erklärt der Springer-Chef mit Rückgrat, zu jedem Wort und jedem Komma zu stehen, das er in seinem offenen Brief an Jan Böhmermann geschrieben  …  i. e. in SaSe-Diktion dem demutvergessenen Medienanwalt zur Kapitalisierung dargeboten habe.


+++ Über (1) Martin Walser über (2) Ironie und Komik in der Literatur

Thema der MDR-Kultur-spezial-Sendung am 10. Mai 2016: Was ist so komisch daran? Ironie und Satire in der Literatur. Inspiriert ist die Sendung durch  „ungeheuer kluge“ Buch von Martin Walser aus den Vorlesungen  über Ironie als Verhältnis zur Geschichte. Der Fall Böhmermann wird als Aufhänger genannt, in der Sendung geht es allerdings um Satire und Ironie in der Literatur. Besprochene Autoren: Franz Kafka, Thomas Mann und andere, politische Satire bei Heine und Tucholsky und politische Satire in der amerikanischen Literatur.


+++ „Stuttgarter Zeitung“ über die Gefahren der Satire
Liest sich gut: Thomas Klingenmaier reflektiert in der Stuttgarter Zeitung anlässlich eines Vortrags von Martin Doll (Studie: Fälschung und Fake : Zur diskurskritischen Dimension des Täuschens) die unterschiedlichen Strömungen in der Satire-Szene und der ihrer Rezipienten entlang des eigenartigen Böhmermann-Rückzugs auf Zuschauer-Gags, wie er für die Neo-Magazin-Royale-Sendung am 12. Mai 2016 angekündigt (- und das Publikum und die Kommentatoren erwartungsgemäß auf die falsch Fährte lockte, wie jetzt nach #verafake deutlich wird). Man könne diesen Rückzug auch traurig oder gruselig finden, meint Klingenmaier (etwas voreilig):

Die Satire, der eine echte Reaktion folgt, zieht sich tiefer zurück ins Verspielte, in den Fake. Kann die deutsche Satirewelt mit ihrem Ernstgenommenwerden gar nicht mehr umgehen?
(Thomas Klingenmaier Stuttgarter Zeitung 10.05.2016: „Medienstreit: Die Gefahren der Satire – Die Grauzone zwischen Echt und Falsch“)

Doll hat in seiner oben genannten Studie Fälle untersucht, in denen Journalisten arglistig gefälscht haben.
Senf: Ein aktuelles Beispiel, das aus offensichtlichen Gründen bei Doll nicht vorkommt, wäre dazu wohl die Diekmann-Fälschung des Böhmermann-Interviews, die eben nicht als Satire gekennzeichnet war.


+++ „extra3“ stürmt die Facebook-Medien-Charts
Die Erdogan-Affäre habe dem Satiremagazin extra3 einen völlig neuen Schub verpasst, konstatiert Meedia das Offensichtliche, auch wenn Böhmermann die NDR-Satiriker anschließend in den Schatten gestellt habe. Der Schub wirke sich sowohl im Fernsehen wie auf Facebook aus, wo das Magazin innerhalb eines Monats über 50.000 Likes hinzugewann und dort jetzt zu den 100 populärsten Seiten gehört (Platz 90).

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