SaSe92: Rezension Horst Evers „Alles außer irdisch“: Kompakte Bergtour für Küstenfreunde

Wer sich für ein Buch von Horst Evers entscheidet, tut das wahrscheinlich, weil er den Kabarettisten aus dem Fernsehen kennt und / oder schon andere satirische Bücher dieses fleißigen Autors gelesen und genossen hat. Des Buchkonsumenten Entscheidung befördern mag die Tatsache, dass Evers Charme umwerfend, sein Esprit herausstechend ist. Seine Fähigkeit, den Irrsinn des Alltags unterhaltsam und zur ergebnisorientierten Wahrnehmung parat aus dem Nebel täglicher Routine herauszuzerren, imponiert. Dabei ist seine Ironie, seine Satire nie verletzend und inkludiert den Emittenten. Evers lässt seine Adressaten nicht allein. Beide  stehen traulich vereint und gleichauf überrascht auf der Erkenntnisseite und tätscheln sich gegenseitig tröstend den Rücken angesichts des Irrsinns dieser Welt.

So könnte es sein.

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SaSe92RezensionHorstEversCoverbild


Bedeutungsschwangerer Prolog
Und dann kommt: Alles außer irdisch. Der innerhalb seines weiträumigen Genres auf dem Cover nicht näher definierte „Roman“ beginnt bedeutungsschwanger und klassisch mit einem Prolog. Darinnen:

Juri befand: So wie ein Autor nur Geschichten schreiben sollte, die niemand anderer zu erzählen vermag, so sollte auch er die ihm anvertraute Lebenszeit in einer Weise nutzen, wie es niemand sonst könnte.
(Horst Evers: „Alles außer irdisch“, Prolog S. 9)

Schon stockt der Leser und fühlt sich in seine Schulzeit zurückkatapultiert (Zeitreise?): Was will uns der Dichter sagen?

Juri ist einer der Protagonisten in Alles außer irdisch. Innerhalb des wuseligen Ensembles rund um den Helden Goiko Schulz, einem 36 Jahre alten Langzeitstudenten,  gehört er zu den Exoten. Denn er ist –  in der Sprache des Genres –  humanoid. Doch das weiß der Leser hier noch nicht. Spricht Juri für den Autor? Ist das mit Bleigewichten daher trappende Zitat selbstreferentiell? Dem satiregeübten Leser stoßen die dazu passenden Fragen auf: Woher weiß ein Autor, dass niemand anderer seine Geschichte zu erzählen vermag? Kann er das googeln? Woran erkennt ein solcher, dass er mit dem Geschreibe seine Lebenszeit so nutzt, wie es niemand sonst könnte? Tapfere Autosuggestion? Wird dieses Zitat womöglich im Verlaufe der 365 Seiten satirisch aufgelöst?
Nein, wird es nicht! Wild spekulierend ließen sich allenfalls noch Assoziationen zu dem später im Roman ebenfalls auftretenden, für seine Hybris bekannte Friedrich Nietzsche aufschäumen? Wir lassen das!


Atem verbrauchender Plot
Das Tempo der Handlung von Alles außer irdisch ist rasant. Das ganze Buch hindurch gibt es keine kritikwerten erzählerischen Längen;  stattdessen zahlreiche Vor- und Rückblenden sowie Zeitreisen.  Der Verlag hat den roten Faden herausgelegt:

Der Flughafen BER wird eröffnet. Ein großer Tag für Berlin und Brandenburg. Genau 7,34 Sekunden lang läuft er wunderbar. Dann allerdings stürzt quasi aus dem Nichts ein wirklich großes Raumschiff auf alle drei Startbahnen. Dies ist der Auftakt zu einer Geschichte, die alles, was wir über außerirdisches Leben zu wissen meinten, über den Haufen wirft. Es treten auf: hochentwickelte Zivilisationen, denen lange Weltraumflüge längst viel zu mühsam sind und die andere Welten einfach online erobern; hyperintelligentes, sprechendes Plastik; Chamäleonsoldaten, die automatisch die Form annehmen, die ihnen gerade den größten Vorteil verschafft – und Goiko Schulz, 36 Jahre alt und eigentlich nur für seine Mutter etwas Besonderes. Gemeinsam mit einer schlechtgelaunten Fahrradkurierin und einem alten russischen Zeitreiseforscher wird er zur letzten Hoffnung der Menschheit. Ziel der kleinen Gruppe ist der interplanetare Verbrauchergerichtshof. Doch äußerst mächtige Feinde tun alles, damit sie diesen niemals erreichen  …
(Rowohlt: Horst Evers „Alles außer irdisch“)

Zusätzliches Tempo erhält das Ganze durch verschiedene Rückblenden und erzählerische Verschränkungen sowie am Schluss – verwirrend & anstregend – viele Zeitreisen, die jede für sich neue Handlungsoptionen und Erklärmodelle für das skurrile Geschehen bietet. Eine den Sci-Fi-Fans zuschreibende Rezensentin würde diese Schiene jetzt weiterverfolgen. Doch dem Satirefreund ist das alles nur Rahmen und Beiwerk. Aber wir sind dem Pudelkern auf der Spur:  Genrewechsel? Ja, Evers sagt es in der Eigenwerbung für das Buch selbst.

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Über die Länge hinweg schwächelnde Pointentextur
Wer sich permanent mit Satire und Kabarett auseinandersetzt, dem wuchert zwangsläufig Hornhaut auf dem Zwerchfell. Deshalb braucht es bei mir schon etwas mehr als die durchschnittliche Dosis an Witz und Hinterrücks-Pointe. Das disqualifiziert mich als Maßstab für den „gemeinen“ Leser auch leider wieder etwas. Sei’s wie’s will – Evers sorgt zumindest im ersten Drittel des Romans für eine unterhaltsam hohe Pointendichte. Mit Anschlussverwendung im Alltag.

Wem träumte nicht schon eine schlagfertige Replik für die penetranten Belehrer, die sich brüsten, die besseren Argumente zu haben? Goiko Schulz‘ Abenteuergefährtin Kira hat da etwas im Streit über den von ihr okkupierten Fensterplatz im Flugzeug zu bieten:

[…] Dann hast du eben die besseren Argumente, und ich habe den Fensterplatz. So hat jeder was. Das ist gerecht.“
(Horst Evers: „Alles außer irdisch“, S. 13)

Alltagstauglichkeit weil realsatirisches Potenzial hat das Telefonat von Goiko mit seiner Mutter aus dem – nie startenden – Flugzeug heraus. Die befragt ihn empört, ob er etwa nicht wisse, dass man im Flugzeug nicht telefonieren darf. Sie hatte ihn angerufen.

Andere Pointen nähren sich vom irren Plot, etwa wenn Goiko seinen Mitreisenden beweisen will, dass sein Handy wirklich ausgeschaltet ist. Das tut er wortreich, demonstrativ und glaubwürdig verzweifelt. Der Absatz endet mit: „Dann klingelte das Handy“ (S. 18). Kein Wunder, wenn sich Goikos Schutzengel, der eine ausgelebte Leidenschaft für Verbalinjurien hat,  in der Handyschutzhülle materialisiert hat.

Manche Pointe formuliert einfach nur ganz alltägliche Schwierigkeiten wie etwa die „gezielt ganz egal wohin zu gucken“ (S. 129). DAS ist Evers, wie ich ihn mag. Über die L-ä-n-g-e des Buches hinweg erscheinen diese Lachgelegenheiten mit fallender Tendenz.

Eine Herrlichkeit an sich ist auch die berlinernde Stimme der „Signora“, dem ausrangierten Nahverkehrsraumschiff, das sich die agierenden „Artenschützer“ gerade noch leisten konnten. Wenn auch nur für Goikos Ohren und mithin für den Leser berlinert Signora exzessiv und hört sich an wie ein übellauniger Busfahrer der Berliner Verkehrsbetriebe. Zusammen mit dem Mängelprotokoll des Raumschiffs – dem fehlt „Frank“, um wieder starten zu können – ergibt das eine amüsante und weit tragende Mélange. Ohne „Frank“ schließt die hintere Tür des Raumschiffs nicht. Ohne geschlossene Tür kein Start. Ohne Start keine Mission und die lautet: intergalaktischer Verbraucherschutzgerichtshof. Grundstoff für „Frank“ ist das, was im Gewürzgurkenglas übrigbleibt, wenn man die Gewürzgurken rausnimmt (S. 103) … wenn dieser Grundstoff regelmäßig mit norditalienischer Kieselerde bestrahlt wird (S. 131).

Staubtrocken wird der Humor an den wenigen Stellen, wo Evers  die gesellschaftskritischen Themen zur Pointe schmiedet. Als „Florenz“ (eine Existenz vom Planeten Tuujnja 43) Goiko über ihre kriminelle Vergangenheit als Dealerin mit religiösen Psychosen aufklärt, beklagt sie die Mühen, von ihrem Gottkomplex wieder runterzukommen. Dazu Goiko anteilnehmend: „Der Entzug muss hart gewesen sein“ (S. 77).


Keine Folter in der Zukunft
Abseits der Beschaffungsprobleme von „Frank“ thematisiert Evers jede Menge irdischer Probleme: Welthunger, Kindersterblichkeit, Atomenergie, Folter, Kapitalismus, Fanatismus, die Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Internetverträgen u. v. a. m. Eine in vielen Rezensionen auftauchende Stelle ist diejenige, als Goiko gegenüber dem  auf Gelegenheiten spezialisierten Handlungsreisenden Roooooz moralisch rechtfertigen muss, warum man ihm nicht 30.000 Kinder überlassen könne, obwohl genau so viele Menschen täglich auf der Erde verhungern.

Andere Themen spinnt Evers weiter aus. Beispiel: Die Antispionage-Taktik der Teezetiden etwa basiert darauf, dass Verhörte Informationen nur bei hochgradigem Wohlbefinden weiterzugeben in der Lage sind. Das bedeutete in der Geschichte des Universums das Ende der traditionellen Folter. Ein verführerischer Traum.

Allerdings: „Die großen und ewigen Fragen der Menschheitsgeschichte“, mit den Evers selbst für sein Buch wirbt, tragen die Handlung weder noch rahmen sie diese. Stattdessen verkommen sie zur Maginale unter den Wucherungen des zweifelsohne phantasievoll auftoupierten Plots.


Ein Lesegenuss – für die richtige Zielgruppe!
Deshalb erscheinen mir Satire und Gesellschaftskritik  in Aai zweitrangig. Kein Wunder also, dass Evers jüngster Roman in der Science-Fiction-Szene als gelungener Debütroman  gefeiert wird. Eine besonders lesenswerte Rezension liefert Sonja Stöhr im Magazin die Zukunft – Die Welt von morgen in Science & Fiction

Allein: Ein fernsehbekannter Kabarettist und Humorarbeiter schreibt ein Buch. Ich erwarte Satire und Humor. In erster Linie. Aber nicht Science-Fiction … in erster Linie. Andernfalls möchte ich als potenzieller Käufer und Leser vorher darüber informiert werden. Ohne vorher alle Videos zum Buch ansehen zu müssen?

Information an potenzielle Käufer und Leser von Alles außer irdisch: Horst Evers jüngster Roman ist ein Parforceflug explodierender Kreativität, intelligenzgeschleimt im flotten Plot mit kurz getakteten Pointen – für Fans von Science-Fiction-Romanen. Aber er fällt – für mich – nicht mehr in die Kategorie Satire; auch wenn eingeräumt sei, dass Evers Alternativgenre sehr häufig mit satirischen Mitteln arbeitet. Ohne die Sci-Fi-Beigeisterung gehe ich spätestens im letzten Drittel des Buches verloren, als die Handlung immer noch skurrilere Wendungen nimmt, ohne dass sich für diese einen Zusammenhang mit den „großen Fragen der Menschheitsgeschichte“  konstruieren ließe.

Übrigens bekennt sich Horst Evers auch selbst zu seiner Sci-Fi-Leidenschaft – im ebenfalls klassischen „Dank“ (S. 366):

Wer einer ähnlichen Sucht verfallen ist wie ich und sie die Mühe macht, der wird vielleicht die vielen Zitate und Anspielungen auf Science-Fiction-Klassiker bemerken, ob Literatur, Film, Comic oder Fernsehserien. Den Autoren dieser Werke gilt meine größte Zuneigung. Zum Teil kenne ich nicht einmal ihre Namen, aber ohne sie wäre meine Welt unerträglich viel kleiner.
(ibid. S. 367; Hervorhebg. SaSe)

Für das nächste Buch von Evers auferlege ich mir vor Lektüre oder Rezension die eingehende Prüfung, um welches Genre es sich handelt. Die Kategorisierung Science-Fiction mindert den Unterhaltungswert des Romans in keiner Weise; mancher Leser nur möchte es möglicherweise vorher wissen!

Horst Evers: Alles außer irdisch
Rowohlt Berlin 2016
Hardcover, 367 Seiten; € 19,95
ISBN 978 3 87134 815 0

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Leseprobe


Rezensionen und Berichte

+ rbb Stilbruch
+ Deutschlandradio Kultur 25.01.2016

+ Buchbesprechung Focus 25.01.16 (bereitgestellt von Spoton):
+ Homepage Horst Evers
+ Alle Bücher von Horst Evers

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