SatBur14: Geflüchteten-Gehelfere (1): Syrische Waffenfreunde weisen ein

SATIRE
KEINE Satire sind die durch Kursivdruck, Grünfärbung und #Raute-Klammerung# kenntlich gemachten AUTHENTISCHEN Äußerungen Verantwortlicher. Sie haben die vorliegende Satire erst induziert.

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Mein Land braucht mich jetzt!
Diesen Bedarf  – vermutlich der Dringlichkeitsstufe „Fisch braucht Fahrrad“ – leite ich aus Angela Merkels „Wir schaffen das!“ ab. Nicht dass ich einen Vertrag mit oder gar Sympathien für unsere Bundeskanzlerin hätte. Aber das „wir“ im Schaffen (wo sonst in Zeiten des Neoliberalismus?) gaukelt mir eine Gemeinschaft vor, die es natürlich gar nicht gibt. Lasst uns gemeinsam die Praxis mit der Ideologie würgen! Es wird auch Zeit, denn allmählich verliere ich im Herbst 2015 meine politische Identität. Sicher ist: Ich war (fast) immer links. Jetzt droht der Praxistest.

Vielleicht finde ich mit dem still zu denkenden „Mein Land braucht mich jetzt!“  wieder Anschluss an die linksnationale Mainstream-Identität. Dort ist es in geschriebener und gesprochener Unwahrheit auch nicht mein Land, das mich braucht. Es sind die Geflüchteten. Die Geflüchteten – sofern sie sich in diesem meinem Land befinden. Wenn es anders wäre, hätte man ja schon früher etwas „schaffen“ können. Zum Beispiel Fluchtursachen fort. Schlimmer noch: Ohne die Aufenthaltsbestimmung „mein Land“ gäbe es die Geflüchteten eventuell oder zumindest in diesen Zahlen nicht.

Besser ich halte mich vage.

Außerdem muss ich unbedingt etwas für meinen ethischen Fußabdruck tun. Beim ökologischen war und bin ich schon säumig genug. Und ohne Pistolenschussantwort auf die Frage „Und was tust DU für die Flüchtlinge?“ ist die Deutsche mit Geschichtsbewusstsein und moralischem Anspruch – zumindest bei Humanisten, Linken und Intellektuellen – gar nicht mehr diskussionsteilnahmeberechtigt. System- und Politikkritik vor oder zurück: Schier aus humanitären Gründen habe ich per Ehrenamt meinen Beitrag zur Kompensation des Staatsversagens zu leisten! Die Gnade der späten Geburt hat es letztes Mal verhindert. Aber bei dieser historischen Chance für unser Land möchte ich ab 5:45 Uhr am Schlagbaum stehen; und es ist jetzt schon fünf nach zwölf! Mist!

Den mir von allen Medien berichteten Fluten, Wellen, Wogen, Massen, Mengen möchte ich ein menschliches Antlitz geben. Den Tropfen erkennen und ihm auf Augenhöhe die Hand reichen. An der ethischen Vorzüglichkeit der anderen Welle, nämlich der der Hilfsbereitschaft, möchte ich mir ein Beispiel nehmen. Teil sein. Teilhaben. Das überhebt mich dann auch der Reflexionen zu dem aus der Physik bekannten Naturgesetz, dass beim Aufeinanderprallen zweier gegenläufiger Wellen sich diese gegenseitig auslöschen können. Aber nicht müssen. Die Alternative besteht zwischen destruktiver und konstruktiver Interferenz. Schauen wir mal. Frau Merkel ist Physikerin. Vielleicht kann ich sie deshalb nicht leiden?

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clearlens-images / pixelio.de

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Ich will auch ehrlich sein und gestehen, dass ich persönlich einen ziemlich weiten Weg bis zur Flut habe. In meinem, nämlich Gottes vergessenem Landkreis in Nord-Süd-Ost-Westdeutschland bereitet sich unser Städtchen im Herbst 2015 gerade erst vor. Von den derzeit geschätzten eine Million Geflüchteten sollen für uns – seit Monaten avisiert – mit Müh und Not 60 plus minus abgezweigt werden. Das scheint mir überschaubar. Einladend fast. Tropfenkonform.

Im Frühsommer 2015 werden für Witzwinkel etwa 60 Flüchtlinge bis Ende September angekündigt. Der Landkreis hat dafür eine maximal ungeeignete, schon lange leer stehende Immobilie gefunden und angemietet. Sie gehört einem Aborigine. Der lebt auf der attraktiveren Seite der Schere. Die mehr als dürftige Zeitungsberichterstattung zu Thema, Aufgabe und Herausforderung der Flüchtlingsunterbringung geht auf den offen- oder gar absichtlichen (?) Standortmangel nicht ein: mitten im Ort. Kaum Ausweichflächen für zur Beschäftigungslosigkeit verdammte, möglicherweise traumatisierte Menschen, die sich nicht den ganzen Tag auf weniger Fläche Lebensraum aufhalten möchten, als Deutschland jedem Hund zugesteht: 4,5 Quadratmeter pro Person (bis 2016 inklusive). Diese Zahl zumindest wurde in einer Informationsveranstaltung zur Geheimwissen-Vermittlung an durch Opferbereitschaft Auserwählte vom zuständigen Mitarbeiter des Landratsamts verkündet.

Hunde, selbst aus Syrien, sind da in Deutschland besser dran. Nach Paragraf 6 der Tierschutz-Hundeverordnung sind es bei diesen deutlich privilegierteren Mitgeschöpfen mit einer Widerristhöhe ab 65 Zentimeter mindestens (!) zehn Quadratmeter Bodenfläche. Offensichtlich Geheimwissen. Denn bisher sind keine Fälle bekannt, in denen Geflüchtete die Unterbringung in einem deutschen Tierheim begehrt hätten. Das dann riefe vermutlich gleich wieder die Moralkeulenweitwerfer auf den Plan, die vor unangemessener Verhundlichung vernehmlich warnen?

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E. Kopp / pixelio.de

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Zurück in unser Städtchen Witzwinkel, eine Art Hengasch für Leichenabstinente, bloß nicht so lustig.

Strömungstechnisch steht zu erwarten, dass es diese Art von fremden Menschen mit dem geringeren Lebensraumanspruch als Hunde aus ihrer Unterkunft herausdrücken wird. Herausdrücken auf die einzige und direkte Zufahrtsstraße zu den großen Einkaufsmärkten des Ortes. Denn ein Gassigängersystem, wie es in jedem ordentlichen deutschen Tierheim gibt, ist für diese neue Version Schutzbefohlener (Menschen) bisher nicht angedacht. Die Geflüchteten werden also vermutlich …. streunen? Ärger und Konflikte mit der nicht gerade weltoffenen Bevölkerung von Witzwinkel sind so strukturell sicher angelegt?

Doch darauf allein möchten sich die Verantwortlichen in Witzwinkel nicht verlassen. Deshalb wird die Bevölkerung so dürftig wie irgend möglich mit Fakten versorgt. Internet – was ist das? Wer sich dort über „Refugees“ in Witzwinkel informieren möchte, findet im Herbst 2015 außer einer halben und eigentlich nur der Akquise von ehrenamtlichen Flüchtlingshelfern gewidmeten Textseite auf der Homepage der Kommunalverwaltung allenfalls einige dürre Artikel der beiden Tageszeitungen vor Ort, die noch dazu hinter einer Bezahlschranke liegen. Das ist extrem klug von den Verantwortlichen – Landkreis, Kommunen und Carikonie. Denn der Informations- und Vernetzungsvorsprung der „Gegner“, also der „besorgten Bürger“, „Asylkritiker“, Neurechten und Wahnwichtel, ist ohnehin kaum noch aufzuholen. Die machen allein für unseren Landkreis auf Facebook und Co. jeden zweiten Tag eine neue Seite auf. Dort kann sich jeder Witzwinkler über alle (mehrheitlich verdächtigen) Bewegungen in den diversen Aufnahmeeinrichtungen des Landkreises schon einmal abschreckend vorab informieren. Gern auch bevor sie erfolgt sind oder ohne dass sie je erfolgen würden. Die Bewegungen.

Die Nichtinformation der Bevölkerung zum Beispiel durch die Stadt ist ein weiterer zentraler Baustein in der vorausschauenden Infrastruktur der Nichtakzeptanz. Wie später noch zu lernen sein wird, erfolgt diese Informationsdiät für die Bürger bewusst, planvoll und bekennend.  Hier wird nichts dem Zufall überlassen.

Erstaunlich und erfreulich ist die Tatsache, dass der Weg zwischen tätiger Selbstlosigkeit und Belohnung so kurz ist. Denn nur durch den Eintrag meines Namens auf die Liste der Deppen, die auch in Witzwinkel dem Staat die Arbeit abzunehmen bereit sind, komme ich an Informationen über das Gesamtgeschehen. Zu diesem Behufe werde ich eingeladen. Denn „Informationsveranstaltungen“ zu den Flüchtlingen in Witzwinkel richten sich exklusiv nur an Geladene.

Die erste, von mir leider verpasste Veranstaltung dieser Art sparte wohl auch nicht mit Pointen. So entschuldigt sich unser Bürgermeister eingangs des zweiten Treffens dafür, dass der kommunale Veranstalter  es leider beim letzten Event verabsäumt habe, den Ge- und Verladenen die Möglichkeit einzuräumen, Fragen zu stellen. Wir schreiben das Jahr 2015. Und Demokratie in diesem Land gibt es erst seit 70 Jahren. Physiker gibt es schon länger.

Dieses, nun endlich auch von mir teilgenommene Treffen ist fest in kommunaler Hand – mit einer fast tollkühnen Duldung gegenüber dem Ehrenamt sowohl in seiner organisierten (Carikonie) wie unorganisierten (Bürger) Form.  Grußwort Bürgermeisters (BüM). Danach hält der Leiter der Aufnahmebehörden beim Landkreis ein zahlenstrotzendes Referat über Flüchtlingszahlen insgesamt, der Anteil daran für unser Bundesland, unseren Landkreis, unseren Winkel, die diversen Kategorien von Aufnahmeeinrichtungen – und über die Leistungsansprüche der Geflüchteten. Letztgenannte gibt der Landratsamtbeamtete gelegentlich auch in der Maßeinheit „Stück“ an, woran ihn offenbar die auffällig vielen Pro-Asyl-Aufkleber auf seinem Ringordner nicht hindern.

Wenn ich Physik nicht so früh abgewählt hätte, wüsste ich wahrscheinlich, wie das Gesetz heißt, das die herrliche Verpressung von Kommunalverwaltung,  dienstleistenden Wohltätigkeitsverbänden und Ehrenamt beschreibt. Das Outsourcing von Kompetenzen passt exakt ins neoliberale Konzept.

Den Damen der Carikonie tut das Upgrading von Hauptamtlichen im  Ehrenamt zum direkt  vom Staat beauftragten Performern (kernstaatlicher Aufgaben) sichtlich gut. Die Wichtigkeit hebt und schmückt ganz ungemein. Jetzt brauchen beide einander. Und beide brauchen: uns!

Der baumlange BüM liegt mehr als er sitzt über einem seiner Körperlänge nicht angemessenen Stühlchen neben dem Vortragstisch und betrachtet wohlgefällig die knapp 50 Köpfe zählende Helferherde. Es sind mehrheitlich Frauen. Frauen, die hauchen. Das wird ein easy Job!

Wer von den Besuchern der Informationsveranstaltung und sich am Helfen interessiert Gebenden outet sich früh und rechtzeitig als auf der richtigen Seite stehend? Jeder Neuankömmling zum exklusiven Informationsfest schiebt diese unausgesprochene Frage von der Tür aus in den kleinen Saal und stochert damit nach bekannten Gesichtern. Viele kennen sich. Jubel, affektive Freude, inszenierter Affentanz. Sie umarmen sich, sie küssen sich und hauchen. Hauch-Hallo, Hauch-Du-auch?, Hauch-Wie-geht’s? Dabei gehen sie demütig leicht in die Knie, machen sich klein, noch kleiner. Sie lächeln sich gegenseitig von unten nach oben an, tätscheln und beklopfen sich. Einvernehmen. Hier sind die Guten. Es ist Witzwinkel.

BüM und der Landratsamtsfuzzi beobachten die Schäflein genau und sehen: Widerstände, Eigeninitiative oder gar kritische Fragen wird es hier nicht geben. Die Damen sind führungsgewohnt und –willig. Heute Abend haben sie sich freigenommen. Frei bekommen. Ein kommunales Räuspern stillt den Raum. Keine wird es wagen, den völlig aus dem Ruder laufenden Zahlenvortrag des Landratsamtsbeamten zu stoppen oder wenigstens zu unterbrechen. Und die Damen von der Carikonie verharren demütig in der Warteschleife. Sie wärmt die Gewissheit: Ihre Stunde wird kommen.

Und tatsächlich. Denn schließlich gehen dem Landratsamt die Zahlen aus. Auftritt Carikonie, pur sozialpädagogisch. Vortrag. Das Organisationskonzept ist ausgefeilt und durchdacht. Soweit man es verstehen kann vor lauter Haucherei. Heuchelei hat keinen Einfluss auf die akustische Vernehmbarkeit. Aber die Sprechlautstärke der Vortragenden ist bis zur Unhörbarkeit gedimmt von all ihrer überbordenden Sozialkompetenz, die hinter dem fast fratzenhaften Dauerlächeln zu vermuten steht. Oder an dieses angenäht ist.

So strukturlos Flüchtlingshilfe auf staatlicher Seite sein mag, so sozialpädagogisch durchorganisiert ist sie dort, wo das Ehrenamt in Anspruch genommen wird. Bäng, bäng, bäng: eine Arbeitsgruppe für Begleitung (der Geflüchteten etwa bei Behördengängen und zum Arzt), Arbeitsgruppe Begegnungscafé, Arbeitsgruppen Mobilität, Spracherwerb, Tagesstruktur (für die Flüchtlinge) und als organisatorische Klammer eine Gruppe, die all das koordiniert. „Bitte tragen Sie sich in die Listen ein!“

Die hauchenden Damen mit Helferambitionen strömen mehrheitlich der Gruppe Spracherwerb zu. Ihre an den enthusiasmierten Gesichtern ablesbare völlig realitätsfernen Vorstellungen von Sprachvermittlung an teilweise noch nicht einmal ausreichend alphabetisierte, in ihren individuellen und lerntechnischen Voraussetzungen maximal heterogen zusammengesetzte Gruppen von Geflüchteten schweben wie bunte Riesenluftballons über ihren Köpfen. Die nahe Zukunft wird Bild: Sie werden sich wohltätig hinabbeugen zu den Bedürftigen, mit dem Finger auf das Ding deuten und hauchen: „Tisch! Das ist ein Tisch!“ Empathisches Lächeln voller begrüßender Herzlichkeit und Geduld: „Nein: T-I-SCH!“
Und man hört sie mit stolzgeschwellter Brust beim Abendbrot dem hauseigenen Geldverdiener ihren Triumph vor die Füße schleudern: „Meiner hat heute schon Tisch gesagt.“

Aber noch ist es nicht so weit. Mitsamt ihren Plänen, ihrer Gruppenzugehörigkeit und ihren Luftballons gehen sie erst einmal wieder nach Hause.
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Mit Waffenhändlern beten
Advent im Oktober. Die Zeit der Erwartung. Die Bundeskanzlerin nährt in einem Exklusivinterview bei Anne Will dieselbe. Und auch Witzwinkel bietet fortbildenden Zeitvertreib. Solange die Geflüchteten noch nicht da sind. Das örtliche Volksbildungsinstitut lädt zu einem Informationsabend über Flüchtlinge ein. Denen soll gegeben werden: ein Gesicht. So künden es die Veranstalter an. Sogar eine original syrische Flüchtlingsfamilie zum Angucken, Anfassen und Streicheln wird versprochen. Attraktivität nahe der Struppi-Show beim Tag der Offenen Tür des örtlichen Tierheims. Das Veranstaltungskonzept beansprucht vorbereitenden Charakter für die inzwischen in immer weitere Ferne rückende Bescherung. Informationen sollen zur Verfügung gestellt werden, um die Neuankömmlinge verstehen zu lernen.

Gelernt habe ich an diesem Abend vor allem eins: Wirklich skandalöse Veranstaltungen findet man in der Provinz. Es ist schwer vorstellbar, dass ein Happening dieser Art unter diesem Label in einer größeren oder gar Großstadt bei mündigem kritischem Publikum möglich gewesen wäre. Es geht auch nicht, wie sich erst im Verlaufe des schrägen Abends herausstellt,  um Flüchtlinge im Allgemeinen, sondern um besondere Flüchtlinge: um syrische. Und zwar nur und exklusiv: um syrische Christen. Also um ein Prozent (1 %) des syrischen Gesamtvolumens Geflüchteter. Auf die Anguck-Familie müssen die unter falschen Angaben zur Veranstaltung Gelockten auch verzichten. Keine Struppi-Show!

Stattdessen: Gebet mit Teilnahme- und Aufstehzwang für die rund 50 Veranstaltungsbesucher – eines Volksbildungsinstituts. Und nicht der Kirche. Das Vaterunser. In der Sprache Jesu: Aramäisch. Folgsam stehen diejenigen auf, denen es Gott ermöglicht hat. Der ziemlich alttestamentarisch aus seinem schwarzen Kleidchen düsternde Pfarrer der syrisch-orthodoxen Glaubensgemeinde aus einem Nachbarwinkel singt, begleitet von kaum fröhlicher dreinblickenden Stammesgenossen, das Vaterunser. Am Anfang der Veranstaltung und noch einmal am Ende.

In Ermangelung von eigenen Flüchtlingen in Witzwinkel und in Kompensation der ebenfalls abwesenden Beispielfamilie nutzt ein Funktionär mit Migrationshintergrund die Gunst der Stunde und textet die mit völlig anderer Erwartungshaltung in diese Veranstaltung gekommenen Besucher über eine Stunde lang mit der freilich erschütternden Leidensgeschichte der seit mehr als zwei Jahrtausenden von Moslems verfolgten Aramäer zu. Und das ist keine Improvisation, wie der perfekte Powerpoint-Vortrag mit Schaubildern, die weit bis in vorchristliche Zeit hinein reichen, beweist. An Leid hat dieses Volk ohne Raum tatsächlich über Jahrhunderte hinweg Enormes zu bieten, Genozid inklusive. Für denjenigen, der sich bewusst dafür interessiert. Als Hinterrücksvortrag mit dezidiert antimuslimischer Botschaft kann man das auch befremdlich finden? Anknüpfend an die Jetztzeit weiß der Vortragende zu berichten, dass Moslems auf der Flucht über das Mittelmeer die syrischen Christen immer mal wieder gern über Bord werfen. Diese „Information“ kulminiert in der rhetorischen Aufforderung an das Publikum: #„Sie sollten sich überlegen, ob Sie solche Menschen hier haben wollen.“#

„Solche Menschen“ bezeichnet Moslems. Ich überlege. Ich überlege vor allem, wen meine Überlegungen interessieren könnten. Dann überlege ich auch noch, dass das doch eine extrem subtile Form von Stimmungsmache gegen Moslems ist, die hier den Witzwinklern quasi subkutan verabreicht wird. Während ich noch überlege, ob jetzt endlich vielleicht einmal jemand in dieser düsteren Veranstaltung die Klappe zum Veto öffnen wird, steht der betende Finsterblick auf, wendet sich dem Publikum zu. Er warnt mit der gesamten Würde seines christlichen Amtes: #„Islam und Demokratie, das geht nie zusammen!“# Auch das noch!

Bei dieser Hasspredigt irrt mein Blick hilfesuchend zu einem im Publikum ebenfalls anwesenden Kirchengemeinderat. Er ist alt genug, sich erinnern zu können. An andere Zeiten, in denen die Kirche ebenfalls schwieg. Und ich sehe: Es hat sich nichts geändert. In Witzwinkel wird Tradition großgeschrieben.

Auch zu Fassbomben-Assad, der so viele Bürger seines eigenen Landes umgebracht hat, dass die Vereinten Nationen im Januar 2014 mit dem Zählen aufhören mussten, erhalten ich und wir endlich einmal Informationen aus erster Hand. Baschar Hafiz al-Assad nämlich gehört zu den Guten. Er habe nichts falsch gemacht und den Krieg auch nicht angefangen. Immer noch im Überlegen-Modus merke ich mir für zu Hause vor, die Bundesregierung, EU und UNO entsprechend zu informieren. Natürlich wirft dieser Hinweis aus erster Hand auch ein ganz neues Licht auf die gerade eben gestartete militärische Unterstützung Russlands für den Bündnispartner Assad.

Nun wissen wir – zumindest in Witzwinkel – ja alle Bescheid! Die nicht-journalistischen Schreiberlinge der beiden konkurrierenden Tageszeitungen sind anwesend und kritzeln mit. Sie werden „es“ schon berichten. Was werden sie berichten? Den Export der syrischen Konflikte nach Witzwinkel unter Federführung der lokalen Volksbildner?

Übrigens tun sie schlussendlich nichts von allem. In den Zeitungsberichten über diese Veranstaltung fehlt alles, was sie zum Skandal macht. Es hat sich tatsächlich nichts geändert.

Im weiteren Verlauf der „Diskussion“ geht es dann folgerichtig und nur noch um die vom Vortragenden eingeforderte Werteverteidigung (der Deutschen). Sowohl dieser wie der Veranstalter heben in wechselnder Rede darauf ab, dass wir Deutsche unsere Werte, die mit denen der syrischen Christen koinzidieren, verteidigen müssen. Gegen wen, das ist klar: gegen die Moslems. Und remember: Islam und Demokratie, das geht nie zusammen!

Wer etwas verteidigen muss, der befindet sich im Krieg. Doch, ich denke, diese Veranstaltung in den Räumen und organisiert von der katholischen Kirche in Witzwinkel bereitet mich optimal auf die Flüchtlinge vor! Mir geht ja jetzt schon das Messer im Sack gegen die Moslems auf.

Doch nicht nur auf mich hat dieser Vortrag großen Eindruck gemacht.  Eine Veranstaltungsbesucherin, die mir schon bei der Helferkreis-Informationsveranstaltung aufgefallen war, meldet sich. Sie sei ja nun sehr blond. (Ich kann das bestätigen.) Und eine Frau. (Sieht zumindest so aus.) Wegen der Werte und so.  Sie habe Angst …  Die Berechtigung dieser Angst wird ihr von den Veranstaltern abstrichfrei bestätigt. Ne, ist ja auch klar: Wer syrische Christen im Mittelmeer über Bord wirft, der wird ein paar Kilometer weiter blonde Frauen in Deutschland  …

Jetzt sind wir schon mindestens zwei, die auf die Flüchtlinge in Witzwinkel gut vorbereitet sind. Meine  politische und moralische Verwirrung steigt. An diesem Abend verstehe ich nicht mehr, warum die Guten und die Linken immer nur vor AfD, Pegida & Co. warnen.

Erst eine namentlich nicht weiter zu bewerbende Suchmaschine im Internet klärt mich dann über das befremdliche Einverständnis zwischen diesen ganz besonderen syrischen Christen und dem Chef des Volksbildungsinstituts Witzwinkel auf. Denn beide teilen eine Leidenschaft: Waffen! Der eine sammelt und verkauft sie. Hauptberuflich. Die syrischen Christen in Deutschland aus dem Nachbarwinkel sammeln auch, und zwar Geld. Das Geld brauchen sie dann dazu, um Waffen zu kaufen. Für ihre christlichen Glaubensbrüder in Syrien. Diese Umtriebe waren dem ARD-Politmagazin report München im Mai 2015 einen eigenen Beitrag wert.

Wären die etwas wacheren Kollegen der professionellen Tagespresse anstelle der beiden lokalredaktionell beauftragten Schnarchzapfen an diesem Abend im Saal gewesen, so hätten sie den Klingelbeutel fotografieren können, der am Ende der „Informationsveranstaltung zu Flüchtlingen“ in Witzwinkel aufgestellt wurde. Dabei machten die Sammler zum Verwendungszweck des Gelds keine Angaben. Das hatte ja schon „report“ getan. Es ist ja nicht so, dass Information gar nicht verfügbar wäre.

Als mich meine Freundin am nächsten Tag fragt, was ich am Vorabend gemacht habe, antworte ich ihr: „Ich habe mit Waffenhändlern gebetet.“ Und bisher bereue ich es keinen Meter, mich in der Flüchtlingshilfe zu engagieren. Denn sonst wäre mir dieses Highlight womöglich entgangen?

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Peter Smola / pixelio.de

Peter Smola / pixelio.de

<Fortsetzung folgt>

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