Da staunen wir (zwei vermeinsamten) kommentierende Beobachter der Ostracher Gemeindepolitik: Dissens im Gemeinderat! Seit wann gibt es denn so etwas in dieser Harmoniegemeinde, in der die überwiegende Mehrheit der von mir zur Kenntnis genommenen Anträge einstimmig oder höchstens mit einer Gegenstimme abgesegnet wird. Der SPD-Gemeinderat Jörg Schmitt wird sich doch nicht womöglich mit dem nitratbelasteten Ostracher Trinkwasser kontaminiert haben?
Denn er war es, der in der Gemeinderatssitzung am vergangenen Montag einen nahezu ungeheuerlichen Antrag stellte: Druckausübung! Und zwar auf das Unternehmen Boxtango, das mit seinen Bauplänen eines Container-Terminals auf dem Gelände des früheren Holzhofes der Gemeinde am Fabrikweg nicht in die Puschen kommt. Der Gemeinderat war von diesem unbekannten Phänomen nicht kuschelkursigen Vorgehens gegen ein Unternehmen derart überfordert, dass es zu einem sensationellen Abstimmungsergebnis kam, will man der Berichterstattung der Schwäbischen Zeitung glauben. Das nicht zu tun gibt es keinen Anlass. Denn dieses Ergebnis lautet:
Von den 18 stimmberechtigten Anwesenden war jeweils die Hälfte dafür beziehungsweise dagegen. Bei Stimmengleichheit gilt ein Antrag als abgelehnt.
(Schwäbische Zeitung 18.04.2018: „Beim Thema Boxtango schwindet die Geduld“)
Das ist ja nachgerade ein Demokratie-Ausbruch!
Abweichend von dem von mir kritisierten Verlautbarungsjournalismus der Schwäbischen Zeitung glänzt der Artikel dort auch mit folgendem Satz, der den Ostracher Bürgern und Wählern eine wichtige Information liefert:
Die Fraktion der Freien Wähler hatte aus Zeitgründen keine Rede oder Anträge vorbereitet.
(ibid.)
Keine Zeit für Gemeinderatsarbeit? Das macht aber einen brutal schlanken Fuß? Diese Information ist für Ostracher Wähler auch deshalb so kostbar, weil die Gemeinde selbst, wie hier fortlaufend thematisiert und kritisiert wird, keine Verlaufsprotokolle der Gemeinderatssitzungen veröffentlicht, sondern lediglich die Ergebnisprotokolle. Und die sind – siehe oben und Stichwort Harmonie – quasi identisch mit den jeweiligen Beschlussvorlagen. Wenn sich dann noch die regionale Presse in Form der beiden Tageszeitungen Schwäbische und Südkurier mit einem anämischen Verlautbarungsjournalismus begnügt, haben Wähler überhaupt keine Möglichkeit mehr, sich von der Arbeit einzelner Gemeinderäte und Fraktionen ein Bild zu machen. Und dass eine Fraktion keine Zeit gefunden hat, Anträge und Reden für eine Gemeinderatssitzung vorzubereiten, das ist doch eine veritable Info.
Da steht die SPD-Fraktion im Ostracher Gemeinderat mit ihren zwei Anträgen zu den beiden Themen „Boxtango“ und „Umbau der Hauptstraße“ erheblich näher am Bürger und an der – wenn in manchen Augen vielleicht auch nicht so schillernden – mittelständischen Wirtschaft vor Ort in seiner unspektakulären Daseinsform des Einzelhandels. Denn gerade erst hatte sich der Vorstand des Handels- und Gewerbevereins Ostrach zu so etwas wie Aufmüpfigkeit und Kritik an Bürgermeister Christoph Schulz ermannt; beides Phänomene der Willensbildung, die in Ostrach bisher eher selten gesehen wurden.