TS10/16: Sacksatire + Satireclowns + Nazi-Satire + Satireerfolg + Schweiger-Parodie

+++ Das satirische Potenzial des umgefallenen Sack Reis
Seine Hoheit Stefan Niggemeier hat sein neues medienkritisches Projekt gestartet: ueberMedien.de. Der Branchendiest Meedia hebt hervor: Es handele sich um eine Webseite, KEINEN Blog!
Für die Satire-Sparte fällt auch gleich zu Anfang ein Glanzstück ab: Medienalltag: Sack Reis umgefallen. Sehr gelungen wendet die folgende Bilderstrecke dann die bekannte „Nachricht“ auf die Charakteristika der Berichterstattung von SPON, Bild, Focus, HuffPo, Zeit etc. an.


+++ Strafanzeige gegen DIE PARTEI – Satiriker verweigern Dialog
Wie die Frankfurter Rundschau berichtet, haben Mitglieder der rechtslastigen Bürger für Frankfurt (BFF) Strafanzeige gegen die Satirepartei DIE PARTEI gestellt. Grund dafür ist ein Protestplakat der Satiriker, das parallel zu einer BFF-Wahlkampfveranstaltung am 6. Januar zu einer „Nazi-Safari“ aufgerufen habe. Bezeichnend (stützt die SaSe-Kritik an DIE PARTEI): Dabei seien BFF-Politikern Hitler-Bärtchen und Vampirzähne angemalt worden. Die Lokalpolitiker empfinden das als Grenzüberschreitung des Genres.
Allerdings zeigen sie sich gesprächsbereit: Sie hätten eine Arbeitsgruppe „Satire und Ironie im Wahlkampf“ eingerichtet und bitten die Satiriker unabhängig von der Strafanzeige zum Gespräch. Die jedoch lehnen dieses Gesprächsangebot ab! DIE PARTEI hat mittlerweile in einer Pressemitteilung auf die Strafanzeige reagiert.

Senf: Zum einen erneut auffallend an den Akteuren bei DIE PARTEI sind die clownesken Methoden und beschämend infantilen Mittel: Das Verunzieren von Porträts mit Hitlerbärtchen und Vampirzähnen ist Kindergartenniveau und der Brisanz des Themas nicht angemessen. Zum anderen bestätigt die dazugehörige Pressemitteilung von DIE PARTEI ein viel wichtigeres Phänomen: die Gesprächsverweigerung der Satiriker. Begründet wird die im Text mit einem früheren Vorgang, bei denen den Vertretern der Partei der Zugang zu einer BFF-Veranstaltung verweigert worden sein soll.
Nebenbefund: Immer wieder auffallend bei Journalisten ist, dass sie offenbar nicht zwischen zivil- und strafrechtlichen Verfahren unterscheiden können. Der FR-Artikel titelt „Bürger für Frankfurt“ verklagen Satire-Partei. Das ist sachlich falsch – zumindest gibt das der Bericht nicht her! „Verklagen“ wäre eine zivilrechtliche Klage – zum Beispiel auf Unterlassung. Eine Strafanzeige ist keine Klage! Der Unterschied ist nicht ganz unwichtig, denn die Strafanzeige kostet nichts und repräsentiert weit weniger Engagement und Risiko als eine Klage, die fundiert sein müsste.


+++ Das Wesen der Satire: „Nazis sind nie witzig“
Bleiben wir beim Thema: Satire und Nazis. In der „Bewegungskolumne“ (hä?) von Neues Deutschland erklärt Horst Schöppner, warum rechte Satire nicht funktioniere. Als Vorlage verwendet er Akif Pirinçci und den rechten YouTuber Dr. Alfons Pröbstl. In seiner Argumentation stützt Schöppner sich unter anderem auf das soeben erschienene Buch des Kabarettisten Henning Venske Satire ist nur ein Affe im Hirn und zitiert:

»Im Gegensatz zur realen Politik sind für die Satire die Reichen, die Mächtigen und die Hierarchen Ziel und Opfer. Geschriebene und gespielte Satiren richten sich von ›unten links‹ gegen ›oben rechts‹.« Womit er [i. e. Venske] meint: gegen Regierung, Machtapparate, Freiheitsbeschränkungen. Deswegen habe es noch nie »ein funktionierendes ›rechtes‹ Kabarett gegeben«: Das findet nämlich in der breiten Bevölkerung kein Publikum. Auch ein »Regierungskabarett« hält er für undenkbar… Funktionierende Satire müsste also immer in der aufklärerischen Tradition von Dieter Hildebrandt und Co. stehen.
(Horst Schöppner Neues Deutschland 12.01.2016: „Nazis sind nie witzig! Warum rechte Satire nicht funktionieren kann)

Auch der Berliner Kulturwissenschaftler Klaus Cäsar Zährer, der mit Die Dialektik der Satire dissertiert hat, bestätige diese grundsätzliche Stoßrichtung von Satire. Die Aufgabe von Satire sei „befreiende Aufklärung“, ihre Wirkung sei vom Weltbild abhängig:

Satire ist befreiende Aufklärung
Klaus Cäsar Zehrer stellt in seiner Dissertation fest, dass Satire funktioniert, wenn die Botschaft den Empfänger mental erreicht. Das funktioniert in den genannten Fällen nur, weil das Weltbild passt. Nur wer denkt wie Dr. Pröbstl, versteht ihn, kann ihn überhaupt verstehen. Alle anderen dürften über sein Herumpöbeln kaum lachen können, ihnen erschließt sich der vermeintliche Humor erst gar nicht.
Rechte Satire lebt von der Bestätigung von Vorteilen, nicht von befreiender Aufklärung.
(ibid. Hervorhebg. SaSe)

Und Satire benötige den Tabubruch, ein weiterer Grund, warum „rechte“ Satire nicht funktioniere.

Senf: Der Artikel ist ein wichtiger Beitrag zur Diskussion des Wesens der Satire. Problematisch wird es m. M. n. bei so Begriffen wie „Vorurteile“, „Aufklärung“ und „befreiend“, die von Weltbildern und Definitionen abhängig sind – wie zurecht hervorgehoben. Wer definiert die „richtigen“ (Weltbilder)? Rechte empfinden Nazi-Satire offensichtlich sehr wohl als befreiend – sonst hätte sie (dort) nicht so viel Erfolg. Außerdem fällt die Abgrenzung zur Comedy unter den Tisch, die, so die These von Christine Prayon, sich davon nährt, Vorurteile zu bestätigen. Der „Lacher“ (plus eventuell auch der „Macher“) jedoch weiß eventuell das eine nicht vom anderen zu unterscheiden und wähnt sich mit seinem Amüsement im Satiresektor?
Es besteht weiterer Klärungsbedarf.


+++ „Charlie Hebdo“ provoziert erfolgreich
Die Zeichner der Satire-Zeitschrift Charlie Hebdo sind wieder mitten drin in der gesellschaftspolitischen Diskussion. Mit einer aktuellen Karikatur des fiktiv erwachsen gewordenen Flüchtlingskinds Aylan, das im letzten Jahr beim Fluchtversuch ertrunken und am Strand von Bodrum angespült worden war, pointieren sie Rassismus auf ihre ganz besondere und sehr erfolgreiche Art. Die Karikatur stellt die Frage: „Was wäre der kleine Aylan geworden, wenn er groß geworden wäre?“ und beantwortet sie mit „Arsch-Grabscher in Köln“. Meedia berichtet über die verärgerten Reaktionen. Wie diese Empörung und Diskussion ausgerechnet anlässlich einer Karikatur von Charlie Hebdo zu bewerten ist, dem Satiremagazin, mit dem sich vor genau einem Jahr alle solidarisch erklärten, beleuchtet Futurezone. Weitere Diskussionen: Spiegel + Watson + Berliner Zeitung + Die Presse etc.


+++ Jan Böhmermanns Schweiger-Parodie
Die diesjährige Verleihung des Deutschen Fernsehpreises wurde erstmals nicht im Fernsehen übertragen. Die gesamte Veranstaltung ist schon in den letzten Jahren in Misskredit geraten. Wie die Preisträger selbst, zu denen auch die Anstalt-Macher Max Uthoff und Claus von Wagner gehören (Beste Comedy/Kabarett), berichtet Meedia.
Dem Branchendienst war die Dankesrede von Jan Böhmermann (Fernsehpreis für beste Unterhaltung Late Night mit Neo Magazin Royale) einen weiteren Artikel wert, der sich darin über das Fernsehen als Medium der Neider verlautbarte:

So lustig hat sich lange keiner mehr über eine Auszeichnung gefreut und gleichzeitig noch Til Schweiger, Joko & Klaas sowie Stefan Raab einen mitgegeben. Seine Begeisterung über den Fernsehpreis verpackt Böhmermann in einer furiosen Parodie auf ein typisches Til Schweiger Facebook-Posting.
(Meedia 14.01.16: „‘Fernsehen bleibt das Medium der Neider‘: die Dankesrede von Jan Böhmermann im Til-Schweiger-Style„)

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