TS16/15: ZDF Die Anstalt: Griechenland-Clip wird zum Viralhit

Die ZDF-Sendung Die Anstalt ist zweifellos das Beste an politischem Kabarett, was Deutschland derzeit hervorzubringen in der Lage ist.  Und zwar vorzüglich, seit die beiden Spitzensatiriker Claus von Wagner und Max Uthoff das Regime von Urban Priol und Frank-Markus Barwasser im Februar 2014 übernommen haben. Seitdem jagt eine Höhepunkt-Sendung die nächste (Liste der Sendungen mit Themen und Gäste hier). Zu Anfang kam die mediale Aufmerksamkeit nicht zuletzt auch dadurch zustande, dass sich die Journalistenelite dieses Landes nicht entblödete, per einstweiliger Verfügung auf dem Gerichtswege gegen das ZDF und die Kabarettisten vorgehen (hier). 

Investigatives Kabarett
Von Wagner, Uthoff und ihre Gäste sind nicht einfach nur gut. Es ist eine neue Form dieses anspruchsvollen Genres:  „investigatives Kabarett“ (hier in der Interpretation von HG Butzko). Mit der kommen zunächst nicht alle Kritiker zurecht. Stefan Winterbauer, Meedia schreibt  im Sommer 2014: „das gute, linke, einseitige Gewissen des ZDF“. Die Süddeutsche.de empfindet das neue Betriebspersonal nach dem Generationswechsel zu Anfang noch als „irritierend angepasst“.  Der Gastauftritt von Matthias Egersdörfer wird gar als „der Gernot Hassknecht der Anstalt“ etikettiert.

Gewohnt harsch Richard Weber in Der Tagesspiegel, der im Oktober 2014 festgestellt haben wollte: „Die Anstalt“ – eine Fernsehkritik. So geht Satire nicht. Im November kartet er dann in Eine Achterbahnfahrt über Gag-Berge und Gaudi-Täler noch einmal nach mit: „Die Anstalt nur eine kabarettistische Nummernrevue?“ und rang mit seinem journalistischen Selbstverständnis angesichts der allgemeinen Euphorie über diese Sendung.


Grimme-Akademie geht nicht mit Tagesspiegel d'accord
Die Jury der Grimme-Akademie jedoch bewertete ausgerechnet diese Die Anstalt-Sendung vom 18. November 2014 und dort den Auftritt des Flüchtlingschors ganz anders und belohnte sowohl Claus von Wagner wie Max Uthoff und deren Co-Autor Dietrich Krauß mit dem Grimme-Preis! (hier).

Die Begründung der Akademie in Auszügen :

Seit dem 4. Februar 2014  ist etwas anders in der Anstalt ZDF. „Die Anstalt“ hat geschafft, was anderen Sendungen nach dem Abgang berühmter Protagonisten verwehrt blieb: Sie hat ein kleines Erdbeben ausgelöst und sich auf einem künstlerischen Niveau etabliert, das weit über dem ohnehin schon recht respektablem der Vorgängersendung „Neues aus der Anstalt“ liegt. Max Uthoff und Claus von Wagner haben mit Hilfe ihres Ko-Autors Dietrich Krauß zu einer Form gefunden, die dem politischen Kabarett in Deutschland gut zu Gesicht steht.
[…]
Sie schreiben für jede Sendung fast ein komplettes Theaterstück. Andere würden das als Grundlage für drei Jahre Tournee nutzen, nicht so die drei von „Die Anstalt“. Die führen das auf und gehen dann über zur nächsten Sendung. Auch eine Form von Haltung.

Die riesigen Fußstapfen der Vorgänger haben die drei nur kurz durchquert und in Windeseile ihren eigen Claim abgesteckt. Sie haben damit nicht nur die Achtung des Publikums errungen, sie haben sich auch die höchste Auszeichnung für Kabarettsendungen erworben: Verflucht von kenntlich gemachten Politikern und verklagt von beleidigten Journalisten.
„Die Anstalt“ hat den zugehörigen Prozess übrigens gewonnen und nicht nur das. Sie hat sich damit die Freiheit erkämpft, auch in Zukunft mit Fakten zu jonglieren, hier und da auch mal ein bisschen derb zuzuspitzen, vor allem aber, die richtigen zu treffen. Dass es dem Team um etwas geht, spürt jeder, der schauen und hören kann. Hier sind welche am Werk, die sich nicht zufriedengeben mit dem aus dem Mainstream sprudelnden Meinungsgemisch. Sie möchten sich die entscheidenden Details herausfischen und diese dann ihrem Publikum präsentieren.
Die Freiheit, die die drei sich nehmen, zeigte sich exemplarisch in der Sendung vom 18. November 2014. Da behandelten Uthoff und von Wagner auf der Bühne den Umgang mit Flüchtlingen.

[…]
Doch Uthoff, von Wagner und Krauß beließen es nicht bei der Lehrstunde, sie nahmen sich die Freiheit, mit den Konventionen des Kabaretts zu brechen. Sie verließen die sichere Position des aus der Distanz mäkelnden Spötters. Sie holten betroffene Menschen auf die Bühne und traten selbst aus dem Scheinwerferlicht. Ein Chor von syrischen Flüchtlingen stand plötzlich vorn auf der Bühne, und auf einmal wurde deutlich, dass all das vorher so lustig Präsentierte bierernst gemeint war. Als dann der Chor ein bewegendes Lied anstimmte, hatten nicht wenige Zuschauer Tränen in den Augen. Das war echt. Das war ernst gemeint. Das hat sich bis dahin niemand getraut. Ein großer Moment für das deutsche Fernsehen.
(Grimme-Akademie, Spezial: Die Anstalt (18.11.14), Begründung)

Nein, Richard Weber vom Tagesspiegel ist nicht Mitglied der Jury …


Was so ein Grimme-Preis bei Kritikern ausmacht!
Und plötzlich wandelt sich das Kritiker-Klima? Denn die Besprechungen der aktuellen Sendung (aufgezeichnet am 24.03.15; wegen der Germanwings-Katastrophe erst am 31. März 2014 ausgestrahlt, aber vorab schon in der ZDF-Mediathek verfügbar) fallen durchgehend begeistert aus. In Der Freitag lobt ein „Nutzerbeitrag“ vom 29.03.15 das Thema der Sendung mit: Griechenland für Fortgeschrittene. Neues Deutschland erfasst vorab korrekt den Höhepunkt der Griechenland-Episode mit dem abschließenden Auftritt des Griechen Argyris Sfountouris, Überlebender eines Massakers der Wehrmacht. Da sei das Lachen vorbei:

Da die richtige Balance zu finden, ist das Verdienst von Uthoff und von Wagner. In den knapp 14 Monaten ihres TV-Einsatzes haben sie es in einer ganz eigenen Mischung aus Empathie und Zynismus geschafft, ihre zusehends brachialen Vorgänger Priol/Pelzig vergessen zu lassen. Ja mehr noch: Uthoffs theatralisch prononcierte, aber stets sachlich kühle Fallanalyse, gepaart mit Wagners aufrichtig emotionaler, aber nie anbiedernder Betrachtungsweise hat eine ganz neue Klangfarbe im Fernsehkabarett geschaffen. Gerät ihre Gesellschaftsuntersuchung allzu formalistisch, wird sie durch Mitgefühl und offene Empörung geerdet, droht das ganze in Anteilnahme zu verseifen, springt irgendwer mit genüsslich sezierten Zahlenkolonnen zur Seite, die das Weltgeschehen manchmal besser verständlich machen als alle »Tagesthemen« und somit gelegentlich Jon Stewards »The Daily Show« erreichen, mit der sich junge, aufgeklärte Amerikaner längst lieber informieren als in den tendenziösen Nachrichten und Magazinen.
Griechenland zum Beispiel.
(Neues Deutschland 30.03.15: "Die Anstalt": Und plötzlich ist der Spaß vorbei)

Und sogar Sebastian Christ, der sich gerade erst an dem zum Anstaltspersonal sicherlich seelenverwandten Kabarettisten Volker Pispers so dermaßen gerieben hatte, dass er einen offenen Brief an ihn in der Huffington Post veröffentlichen musste (vgl. auch TS4/15), ist in nämlicher Zeitung voll des Lobes für die aktuelle Die Anstalt-Sendung: „Sternstunde der Satire“ heißt es da (plötzlich), die Kabarettisten entlarvten beliebte Selbstverständlichkeiten in der Diskussion über die Griechenland-Krise, charakterisierten die Lage des griechischen Gesundheitssystems und thematisierten die verdrängte Kriegsschuld. Christs Laudatio kulminiert in dem Wunsch, Angela Merkel möge am Dienstagabend das ZDF an- (besser: ein-)schalten.


Griechenland-Clip wird zum Viralhit
Schon vor der Ausstrahlung der Sendung, die aber wie gesagt seit Samstag in der Mediathek verfügbar ist, meldet Meedia am 31.03.15 um 17.12 Uhr: Hunderttausende Klicks: „Anstalt“-Clip über Griechenland wird zum Viralhit. Das ZDF hatte einen 15-minütigen Zusammenschnitt verschiedener Szenen (z. B. „Weinlokal“ mit Serdan Somuncu; "Auswärtiges Amt"; Auftritt Argyris Sfountouris) mit der Botschaft „Solidarische Grüße an unsere Freunde in Griechenland“ und mit griechischen Untertiteln bei YouTube hochgeladen. Dieser Clip wurde bisher [Stand 01.04.15 / 9.00 Uhr] 376.263 mal geklickt!

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