TS3/15: Eine weit aus dem Rahmen fallende Theaterkritik zu Claus von Wagner

Jetzt wollen wir uns mal nicht die Augen reiben: Was der Leser mit Minimalansprüchen an journalistischen Output im Druckzeilen-Dschungel eines „Kreisanzeigers“ zu erwarten hat, dürfte unstrittig sein. Deshalb fällt die Theaterkritik „Dem Ersticken nahe und überraschend frei“ vom 25. Februar 2015 im Kreisanzeiger über einen Auftritt des Kabarettisten Claus von Wagner in Ortenberg (Baden-Württemberg, Ortenaukreis) weit und verführerisch duftend aus dem erwarteten Rahmen: inhaltlich, sprachlich, metaphorisch und überhaupt! 

Die sprachliche Wellness beginnt schon mit der Antipoden-Überschrift: „Dem Ersticken nahe und überraschend frei“. So schreiben keine durchschnittlichen „Freien“ von Kreisanzeigern! Völlig wertfrei angemerkt, stellen Freie in der Regel auch keinen Bezug zu Vorlagen wie Thorstein Veblens Theorie der feinen Leute von 1899 her, die dem Solo-Auftritt des Ausnahmekabarettisten Claus von Wagner zugrunde liege.

In der Lesegenuss-Theaterkritik drängt sich dann ein gefeiltes Diktum ans nächste: ein Zwei-Stunden-Solostück, das „den Zuschauer zwingt, die übliche Definition von <politischem Kabarett> umzuschreiben“; „Atemnot, die sich im zweiten Teil des Abends nahezu physisch mitteilt“. Von Wagner zeichne bei seiner Finanzwissen-ist-Herrschaftswissen-Analyse Gewinnpyramiden, „welche zu Grabkammern werden“. Das Publikum in Ortenberg habe ein „Ausnahme-Kabarettabend mit frenetischem Beifall“ honoriert.

Der Leser im Web honoriert diese Theaterkritik mit gezogenem Hut. Denn wer sie liest, der war dabei!

Ähnlich empfindet wohl auch der Künstler selbst.  Denn auf seinem Facebook-Account erwähnt von Wagner diese Besprechung ausdrücklich, dankt und adelt sie – verdient – mit dem Label „Literatur“.

 

Ausschnitt aus Bildzitat Screenshot Facebook-Account Claus von Wagner

 

Literatur als Zweitjob
Wer spricht? Wer schreibt? SaSe hat kurz nachgefragt: Es ist tatsächlich kein „üblicher“ Freier  eines Kreisanzeigers, der dieses Stück Literatur verfasst hat. Die Autorin, Ingeborg Müller,  ist viel mehr Repräsentantin genau der Bevölkerungsgruppe, welcher Claus von Wagner und Max Uthoff mit ihrer Gesellschafts- und Kapitalismuskritik soo viel Erleichterung verschaffen. Hauptberuflich als Redakteurin einer Fachzeitschrift tätig, „ermuntern“ sie die Einkommensverhältnisse 2015 (auch) für Journalisten, nebenher noch als „Freie“ für eine Tageszeitung tätig zu sein. Und das mit knapp 60 Jahren! Nach abgeschlossenem Germanistikstudium.  Ihr Ressort und Themenschwerpunkt: Kultur. Volltreffer! Gratulation an die Kultur im Wetteraukreis! Die Frage, warum Müller ihre Theaterkritiken für den Kreis-Anzeiger und nicht für die bekannten „Leitmedien“ schreibt, hat SaSe aus Taktgefühl nicht zu stellen gewagt.

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