TS43/16: Die neuen Böhmermann-Fans: Angela Merkel und die Staatsanwaltschaft Mainz

+++ Jan Böhmermann drohen juristische Konsequenzen
Zu dem Hype um Jan Böhmermann, seine Erdogan-Schmähkritik und die Löschung dieses Beitrags der Sendung Neo Magazin Royale letzte Woche durch das ZDF beginnen wir mit der neuesten Schlagzeile: Jan Böhmermann drohen juristische Konsequenzen meldet am 6. April 2016 Meedia.

Mit seinem Schmähgedicht über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan während seiner Late-Night-Show „Neo Magazin Royale“ hat sich Jan Böhmermann höchstwahrscheinlich strafbar gemacht. Zu diesem Schluss kommt das Auswärtige Amt (AA) in einer internen juristischen Prüfung. Dem Satiriker könnte sogar eine Gefängnisstrafe drohen.
(Meedia 06.04.16: „Schmähkritik an Erdogan: Jan Böhmermann drohen juristische Konsequenzen)

Meedia bezieht sich dabei auf einen Artikel des Tagesspiegel, in dem von staatsanwaltlichen Ermittlungen gegen den Entertainer auf der Grundlage von 20 eingegangen Strafanzeigen berichtet wird. Die Bundesministerien der Justiz und des Verbraucherschutzes seien informiert worden, um auf diesem Wege zu klären, ob seitens der Türkei ein Strafverlangen gestellt worden sei. Die Bundesregierung gehe nach einer internen juristischen Prüfung des Auswärtigen Amts von einem höchstwahrscheinlich strafbaren Vergehen aus.

Der Tagesspiegel berichtet darüber hinaus von heftigen Reaktionen in der Türkei selbst: Das Auslandsstudio des ZDF sei mit faulen Eiern beworfen worden. In der türkischen Presse wird eine Entschuldigung des ZDF sowie weitergehende Konsequenzen wie ein Rausschmiss des Moderators gefordert. Böhmermanns ohnehin schwer zu verstehende Attacke werde in der Türkei als eine auf die gesamte Nation zielende Schmähung empfunden.

Die drakonischen Strafen (bis zu drei Jahren Gefängnis), die der für diesen Fall geltende Paragraf 103 des Strafgesetzbuches in Aussicht stellt, hängen an dem seidenen Faden der Frage, ob die Türkei  auf der Strafverfolgung besteht.
Und noch ein Meedia-Artikel zu den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Mainz mit Bezug auf die Spiegel-Berichterstattung.


+++ ZDF-Löschung von Böhmermanns Erdogan-Satire

Die von einigen als Zensur bezeichnete Löschung des Schmähgedichts von Jan Böhmermann durch das ZDF in der vergangenen Neo-Magazin-Royale-Sendung macht inzwischen internationale Schlagzeilen:

+ Tagesspiegel 01.04.16: ZDF-Programmdirektor: „Es gibt Grenzen der Satire“
+ Blick (Schweizer Boulevardzeitung) 01.04.16: ZDF löscht Satire-Gedicht über Erdogan
+ BILD 02.04.16: Droht ein Aufstand beim ZDF? „heute-show“ witzelt über Löschung von Erdogan-Satire
+ stern 02.04.16: „Heute Show“ provoziert mit Selbstzensur
+ Focus online 02.04.16: Oliver Welke greift in „heute Show“ das ZDF an
+ WAZ 04.04.16: ZDF zeigt Böhmermann-Wiederholung ohne Erdogan-Gedicht
+ tz 02.04.16: Türkei-Botschafter: Böhmermann-Satire grenzt an Rassismus

Erdogans weitergehende Eingriffe in deutsche Presse- und Kunstfreiheit:
Wie inzwischen herauskommt, lässt der türkische Größenwahn den deutschen Botschafter nicht nur wegen Satire vorreiten. Der Tagesspiegel berichtet über die nun schon dritte Vorladung des Diplomaten. Dieses Mal ging es um Unterlagen für den Geschichtsunterricht … in Deutschland!


+++ BILDs Julian Reichelt kommentiert ZDF-Löschung der Böhmermann-Satire
Es ist ja nicht alles schlecht … , was die BILD-Zeitung so absondert? Gewagte These! Wie auch immer: Dieser Kommentar von Julian Reichelt zur Löschung der Böhmermann-Erdogan-Satire hat Substanz! Besonders das Argument, dass das ZDF damit den Rechten und Rechtspopulisten mit ihrem Lügenpresse-Vorwurf eine Steilvorlage geliefert hat. Die Kraft-souveräner-Willkür-Einführung einer Norm „Qualitätsstandards für Satire“ (abseits strafrechtlicher Aspekte – siehe oben), mit der das ZDF den Vorgang begründet, sei fatal. ALLE Satiriker sollten ihr lautstark widersprechen.

Senf: Nicht sicher (unsicher schon) verstanden habe ich persönlich das Angebot von Jan Böhmermann selbst, sein Erdogan-Gedicht als „Schmähkritik“ zu kategorisieren. Damit wäre es juristisch relevant aus dem Satire-Fundus ausgegliedert. Warum tut er das? Vielleicht stimmt die These, er wollte damit den juristisch möglichen Weg eröffnen, mithilfe der entsprechenden Rechtsmittel  dagegen vorzugehen, um über diese Schiene den funktionierenden Rechtsstaat erfahrbar zu machen? Ziemlich kompliziert? Außerdem: Hatte der Provokateur dabei nur die zivilrechtlichen Instrumente im Auge oder hat er auch die strafrechtlichen Konsequenzen bedacht?

Und warum kommt dieses wichtige und berechtigte Veto gegen die ZDF-Löschung von der BILD-Zeitung … und nicht von den gut organisierten Kabarettisten / Satirikern selbst? (Weil die mit Werbung für die Geldsammelaktion Sanktionsfrei.de beschäftigt sind?)


+++ Angela Merkel kritisiert Jan Böhmermann
Zum Vorgehen von Despot Erdogan gegen die extra3-Satire  hält sich die Bundesregierung peinlich auffallend zurück. Aber Jan Böhmermann wird von Angela Merkal persönlich abgesenft? Meedia bezieht sich mit seiner Überbringung dieser Bewertung auf den Regierungssprecher Steffen Seibert, der den Inhalt eines Gesprächs der Kanzlerin mit dem türkischen Ministerpräsidenten wiedergibt.

Hier die Meedia-Meldung über die „Erklärung“ Böhmermanns zur Löschung sowie seine „Entschuldigung“; der Originalbeitrag ist leider auch schon wieder nicht mehr verfügbar!


+++ Stefan Niggemeier über die Böhmermann-Nicht-Satire-Schmähkritik
Der oberste Schlaubär der Medienkritik Stefan Niggemeier hat sich auch so seine Gedanken über die „Qualität“ der Böhmermann-Satire bzw. –Schmähkritik gemacht.
Zu meiner Entlastung kommt auch der Großvisier der Medienkritik zu der Bewertung, dass oben schon genanntes kompliziertes Absichtskonstrukt dann nicht verstanden worden wäre. Ufff!

Könnte es so gewesen sein?

Im konkreten Fall die Idee, all das zu sagen, was man nicht sagen darf, indem man sagt, dass man das nicht sagen darf. Kann es sein, dass das ein „Trick“ ist, den Kinder spätestens in der dritten Klasse ausprobieren? „Ich soll nicht mehr ‚Scheiße‘ sagen, Frau Lehrerin?“

Vor Gericht gelingt dieser Trick vermutlich ähnlich selten wie im Klassenzimmer, aber Böhmermanns Strategie geht so oder so auf. Wenn das „Schmähgedicht“ gelöscht wird, ob juristisch angeordnet oder nur vom ZDF aus Gründen der „Qualität“ veranlasst, beweist das genau das, was er in der Sendung schon gesagt hat: Dass man sowas nicht sagen darf. (Lassen wir mal die Frage dahingestellt, ob all das nicht ohnehin von vornherein abgesprochen war mit dem ZDF, dass der Beitrag im Nachhinein gelöscht wird. Möglich wär’s, nötig nicht.) Es verschafft ihm die gesuchte Aufmerksamkeit und eine Opferrolle gratis.
(Stefan Niggemeier ÜberMedien.de 03.04.16: „Böhmermanns Satireschmäh“)

 

+++ Satiriker von „frontal21“ zur Causa Jan Böhmermann
Am sympathischsten, lustig, leicht und doch substanzsensibel setzen sich Werner Doyé und Andreas Wiemers, die Satiriker von frontal21, mit dem Thema auseinander.

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