Der Slogan der Zeitschrift protzt: „Wir gestalten Deutschland“. Immerhin enttarnt dieser erkennbar größenwahnsinnige Anspruch einer Zeitschrift, die per definitionem ohne jede demokratische Legitimation agiert, den wahren Machthaber im Land: die pure Bürokratie. Deren Interessen vertritt die Fachzeitschrift KOMMUNAL als Partner des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (DStGB) bekennend:
Die Zeitschrift KOMMUNAL bündelt die gemeinsamen Interessen aller deutschen Städte und Gemeinden; das Bewusstsein für kommunale Anliegen soll in Bund, Ländern und in der Öffentlichkeit gestärkt werden. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund ist Partner der Zeitschrift. Die Arbeit der Redaktion wird durch eine Medienplattform ergänzt, die sich an alle Entscheidungsträger in den Städten und Gemeinden richtet.
(Webseite Deutscher Städte- und Gemeindebund, Publikationen)
Medieninhaber der Zeitschrift ist die Zimper Media GmbH in Berlin. Mitherausgeber ist Gerd Landsberg mit „Unterstützung der DStGB-Dienstleistungs-GmbH, Franz-Reinhard Habbel“ (Impressum).
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Habbel ist ein einflussreicher Mann. Er ist Sprecher des Deutschen Städte- und Gemeindebundes und verfügt über ein eigenes Wiki-Porträt. Das weist ihn als Vordenker der E-Government-Strategie in Deutschland aus, die sich mit der Modernisierung und Digitalisierung von Kommunalverwaltungen beschäftigt.
Praxistest derselben: Bis Langenargen allerdings reicht sein Einfluss ganz offensichtlich leider nicht. Die Tourismus-Gemeinde am Bodensee hat im Jahre der Herrin 2019 immer noch kein Ratsinformationssystem.
Die Zeitschrift macht in ihrem Impressum auch gleich basta mit der leidigen Gender-Diskussion
Gender-Hinweis: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die Verwendung geschlechterspezifischer Sprachformen verzichtet. Bei allen Bezeichnungen, die auf Personen bezogen sind, meint die gewählte Formulierung sämtliche Geschlechteridentitäten.
(Impressum Webseite Kommunal.de)
Weißte Bescheid!
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Sitzt hier der Vordenker der baden-württembergischen Sonnenkönige?
Chefredakteur von Kommunal ist Christian Erhardt-Maciejewski, der aber in der Eigenbezeichnung freundlicherweise auf den zweiten Teil des artikulatorisch herausfordernden Doppelnamens verzichtet und es beim schlichten „Erhardt“ belässt.
„Chefredakteur“ hört sich sehr journalistisch an, hat aber in diesem Fall mit den hehren Idealen (auch partei-) unabhängigen Journalismus‘ herzlich wenig zu tun. Erhardt ist nebenher (?) FDP-Politiker und versieht sowohl ein Stadtrats- wie ein Kreistagsmandat. Was er ordentlich raushängen lässt. Worüber er transparent informiert.
2015 hatte er sich in Brandenburg um exakt das Amt beworben, dessen Inhabern er ansonsten nur entgegentexten darf. Es waren möglicherweise die Sorte Bürger, die Erhardt (auch?) im Leitartikel der KOMMUNAL-Ausgabe Oktober 2019 so herablassend behandelt, welche ihm verwehrten, die Geschicke der kleinen Stadt Hohen Neuendorf zu lenken. Die Wahlschlappe des KOMMUNAL-Chefredakteurs darf getrost als komplett bezeichnet werden: Erhardt erhielt gerade mal fünf Prozent der abgegebenen Stimmen und schaffte es nicht einmal in die Stichwahl. Vielleicht lag es an seinen „liberalen“ Entwicklungskonzepten für den Ort (Bericht MOZ)?
Dieses politische Profil des KOMMUNAL-Chefredakteurs passt nach meiner unmaßgeblichen Meinung wie gespuckt zu den schockierend verächtlichen Äußerungen über Bürger und den Rechtsstaat, wie sie mir aus Erhardt-Maciejewskis Leitartikel in der Oktober-Ausgabe 2019 der Fachzeitschrift entgegengären.
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Darin beschäftigt sich der gescheiterte Bürgermeister-Kandidat mit dem für ihn offensichtlich mehr als lästigen Phänomen der Meinungsäußerung von Bürgern im Internet, wobei er publikumswirksam auf die (a)Sozialen Medien rekurriert. Die Ermunterung an seine Nicht-Kollegen kauert schon in dem Titel des Leitartikels: „Keine Angst vorm Shitstorm“.
Darin hält sich der FDP-Chefredakteur auch nicht lange mit Vorreden auf:
Bürgermeister, Politik und Verwaltung schenken lautstarken Minderheiten viel zu viel Aufmerksamkeit. Langfristig wird eine erfolgreiche Stadtentwicklung so vor die Wand gefahren, meint Christian Erhardt und fordert mehr Mut zu unbequemen Entscheidungen.
(Kommunal Oktober 2019, Leitartikel „Keine Angst vorm Shitstorm“)
Erhardt qualifiziert ab, was er nicht belegt: „Minderheiten“. Möglicherweise sind das ja exakt die „Minderheiten“, die aktuell den Rechtspopulisten in Deutschlandniederungen, in denen sich Erhardt besonders gut auskennen müsste, so viel politisches Gewicht verschaffen?
Und mit „erfolgreicher Stadtentwicklung“ meint er mutmaßlich die der vergangenen 40 Jahre, die uns Städte beschert hat, die recht eigentlich nur noch für das Auto da sind, nicht einmal mehr dem Mittelstand bezahlbaren Wohnraum bieten, über eine defizitäre ÖPNV-Struktur verfügen, kaum mehr Grün und Durchlüftungskorridore enthalten und deshalb in den kommenden 40 Jahren, so denn so viel Zeit noch bleibt, mit dem Geld des Steuerzahlers wieder komplett umgebaut werden müssen.
Meint Erhardt diese Form „erfolgreicher Stadtentwicklung“?
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Vernichtendes und klischeehaftes Bürgerbild
Aber um die politisch wenig überraschend neoliberalen Positionen eines journalistelnden FDP-Politikers geht es mir gar nicht. Sein Menschenbild und sein Bürgerverständnis sind da viel interessanter – immerhin handelt es sich hier um eine Person mit Multiplikator-Effekt auf Bürgermeister*innen und alle anderen kommunalen Entscheidungsträger*innen. Kommunal erscheint in einer monatlichen Auflage von 100.000 Exemplaren und wird nach eigenen Angaben den „wesentlichen kommunalen Entscheidern persönlich adressiert zugestellt“ (Quelle).
Wenn wir hier auf diesem Blog fast täglich Fälle von Bürgerferne und Verwaltungsarroganz in nur ganz wenigen Landkreisen Baden-Württembergs beschreiben, hat das vielleicht auch mit dem verheerenden Menschenbild und dem defekten Demokratieverständnis von Multiplikatoren wie Erhardt zu tun?
Welchen trägen Ruhetonus Erhardt dem gemeinen Bürger zuschreibt, wird in dem inkriminierten Leitartikel schon beim schlecht verhüllten Wehklagen über die gute alte Zeit offenbar:
Da wurde ein Bebauungsplan aufgestellt und zum Zwecke der Anwohnerbeteiligung natürlich auch ausgelegt. Wer sich also informieren wollte, musste sich zum Rathaus bequemen [sic] um Einsicht zu nehmen.
(Leitartikel KOMMUNAL Oktober 2019: „Keine Angst vorm Shitstorm“; Hervorhebg. K. B.)
Der Bürger musste sich „bequemen“!
Mir fällt dazu gleich ein passender Bürger ein, der in der von Genderarroganz fernen Realität allerdings eine Bürgerin in einer ländlichen Gemeinde ist. Selbstständige Unternehmerin mit einer physiotherapeutischen Praxis, die mehrere Angestellte beschäftigt. Sie absolviert nachweislich einen 12-Stunden-Tag. Parallel dazu bereitet sie als Alleinerziehende zwei schulpflichtige Kinder auf die Existenz im Neoliberalismus ohne Gnade vor. Ihr täglicher Aktionsradius mit divergierenden Orten für Arbeit, Wohnen und den gespreizten Kids-Destinationen verteilt sich über mehrere Teilorte. Ich sag’s Ihnen: Bis die sich mal aufs Rathaus „bequemt“!
Ganz abgesehen davon, dass jenes Rathaus noch gar nicht geöffnet hat, wenn sie ihre Arbeit beginnt, dafür aber längst geschlossen ist, wenn sie diese beendet.
In dieser bürgerfernen Überheblichkeit geht es dann weiter bei dem FDP-Politiker Erhardt:
Heute ist der Plan online und über die angeblich so sozialen Medien schon weit früher verfügbar. So kann der unzufriedene Bürger bequem beim Bier auf dem heimischen Sofa sitzen bleiben und mit Einwendungen seinem Unmut gehörig Luft verschaffen.
(ibid.; Hervorhebg. K. B.)
Der Chefredakteur mit der fatal großen Reichweite schafft es hier tatsächlich, den „unzufriedenen Bürger“ an sich auf BILD-Zeitungsniveau direkt neben dem klischeehaften Bild des Hartz-IV-Empfängers zu platzieren. Sind es denn nicht diese bekannt arbeitsscheuen Elemente, die sonst mit dem Bier auf dem Sofa sitzen und die Welt etikettieren?
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund legt großen Wert auf die Zusammenarbeit mit der Zeitschrift KOMMUNAL. Ist es dieses Bild vom Bürger, das auch die Arbeit dieser wichtigen Organisation leitet?
Zu welchen Unerfreulichkeiten unnötige Bürgerbeteiligung dann führt, zählt Sofa-, Bier- und Bürgerfeind Erhardt nachfolgend auf:
Politik und Verwaltung sind deutlich vorsichtiger geworden mit dem, was sie planen. Schon viel früher wird überlegt, welche Bevölkerungsgruppen möglicherweise Einwände gegen die Pläne haben, wem man möglicherweise auf die Füße tritt. So findet manche Beteiligungsrunde und die zusätzliche Diskussionsrunde oft schon viel früher und vor allem weit über das gesetzlich notwendige Maß hinaus statt. Grundsätzlich ist Bürgerbeteiligung in einer parlamentarischen Demokratie ein hohes Gut.
(ibid.)
Aber eben nur: „grundsätzlich“ – i. e. vom Grundsatz her, aber bitte doch nicht in der Verwaltungspraxis? Denn das führt dann vor allem dazu, den Mut zu nicht rechtskonformen, wenn nicht sogar rechtswidrigen Verwaltungsentscheidungen zu verlieren – so jedenfalls verstehe ich diese der haarsträubenden Erhardt-Einlassungen: „Und so bleibt der Mut, so bleibt die Bereitschaft, auch Entscheidungen zu treffen, die eventuell angreifbar sind oder gar kassiert werden, auf der Strecke“.
Entscheidungen, die „kassiert“ werden, sind, man belehre mich eines Besseren, doch solche, die nicht rechtskonform sind? Zum Beispiel die der Gemeinde Ummendorf, Landkreis Biberach (Baden-Württemberg), die Vergabekriterien für Bauplätze in nichtöffentlichen Sitzungen auskungelte und dabei auch noch einen Gemeinderat begünstigte, der an den Abstimmungen teilgenommen hat (hier).
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund vermittels seines Sprachrohrs KOMMUNAL möchte nicht, dass Verwaltungsentscheidungen profund überlegt und sensibel auf Bürgerbedürfnisse abgestimmt gefällt werden? Und schon gar nicht möchte dieses Rohr, dass Rechtskonformität mitkalkuliert wird?
Anschließend intoniert Erhardt das Klagelied der Bundeshauptstadt, deren Politik, so verstehe ich seine bürgerfernen Emissionen, besonders durch die Furcht vor Entscheidungen von Verwaltungsgerichten recht traurig geworden ist. Es geht um das Gelände Flughafen Tempelhof:
Im Ergebnis ist dieses Filetstück im Berliner Westen heute ein Hundeauslaufgebiet – mitten auf Beton mit wenig Grünflächen, wenig ansehnlich, aber zumindest haben Politik und Verwaltung seither Ruhe, mussten sich nicht mit Entscheidungen in die Nesseln setzen oder gar Niederlagen vor Verwaltungsgerichten wegen ihrer Bebauungspläne fürchten. So traurig ist heute die Hauptstadt-Variante von Politik.
(ibid.)
Wenn ich Meister Erhardt richtig verstehe, ist Rechtsprechung nicht die unabhängige dritte Säule unserer Verfassung, die in ihrer Spielart <Verwaltungsrecht> die Exekutive notfalls korrigiert, sondern eine Bedrohung? Etwas, das man fürchten muss?
Auch die Rechte von Minderheiten scheinen dem Chefredakteur von Kommunal ein weitläufiges Mysterium zu sein. In der Attitüde psychotherapeutischer Fürsorglichkeit ermuntert er seine zahlreichen Leser zu einer markant dümmlichen Variante von Mut, die sich nach meiner Interpretation seiner Brandzeilen meilenweit entfernt von der Rechtsprechung der oben als Bedrohung skizzierten Verwaltungsgerichtsbarkeit befindet: „Haben Sie Mut! Die Mehrheit wird es ihnen danken!“
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Mit AfD-Sprech von der Deindustrialisierung schwafeln
Getreu der bekannt neoliberalen FDP-Doktrin wendet sich der große Weltenerklärer anschließend dem kleinen Frosch zu. Dessen Überlebenschancen scheinen mir gleichauf zu liegen mit denen von bürgerlichen Minderheiten. Sie wissen schon: Die mit dem Bier auf dem Sofa hocken!
Vermutlich auch von Fridays for Future bisher nicht bedacht: Es ist der Frosch, der das System (erst) ins Stocken bringt und dann zur Deindustrialisierung führt! Ein großer gedanklicher Sprung – aber Frösche neigen ja zu diesem Bewegungsmuster.
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Oha! Interessante Wortwahl: „Deindustrialisierung“ ist ein politischer Kampfbegriff, der derzeit und im Kontext der Klimawandel-Diskussion hauptsächlich und besonders prominent von der AfD verwendet wird (Bleistift).
Eine weitere Bürgermeister-Kandidatur des mehr politisierenden denn Redaktionsarbeit versehenden Schlaubärs Erhardt, möglicherweise jedoch unter neuer Parteifahne, scheint mir hier nicht ganz ausgeschlossen?
Der „Partner“ des Deutschen Städte- und Gemeindebundes schließt sein Lamento über Minderheiten, die zur Meinungsäußerung neigen, und Verwaltungsgerichte, die den Murks seiner Klientel kassieren, mit einem flammenden Appell inklusive doppeltem unhöflichen Rechtschreibfehler:
Ich bitte Sie in den 11.000 kleineren Kommunen in Deutschland, sich an diesem Elfenbeinturm kein Beispiel zu nehmen. Beweisen Sie Mut, ertragen Sie notfalls auch einen Shitstorm. Der geht meist von einer kleinen, aber lautstarken Minderheit aus. Die Mehrheit dankt ihnen [sic] für ihr [sic] mutiges Handeln! Wenn auch im Stillen!
(ibid.; und dieses Mal stammt die Hervorhebg. nicht von mir!)
Ist der Mann in dieser Position überhaupt noch tragbar?
An Tagen wie diesen, in denen die Urnen-Entscheidungen ostdeutscher Bürger so häufig öffentlich kritisiert werden, muss den Wählern bei der Bürgermeisterwahl 2015 in Hohen Neuendorf der Lorbeer geflochten werden: Die ihre war eine sehr weise und demokratiefreundliche Entscheidung! Um nicht zu sagen: staatstragend!
Die Blogger-Kollegin Elke Krieg in Langenargen hat sich auch mit diesem Froschverächter beschäftigt.