Bestandteil des Erfolgsrezeptes „neuer“ Satire- und besonders Kabarettformen, wie sie insbesondere die ZFD-Sendung Die Anstalt repräsentiert, ist das Aufdecken beziehungsweise die Fokussierung auf bestimmte politisch relevante Sachverhalte, die zuvor weitgehend „unsichtbar“ waren (Beispiel Mitgliedschaft von Top-Journalisten in bestimmten Gruppen und Verbänden; Die Anstalt 29.04.2014).
In der Begeisterung über das Novum wurde dieser Art des Kabaretts von den Medien das Label „investigativ“ aufgedrückt. Doch weder Die Anstalt noch verwandte Kabarettversionen sind tatsächlich „investigativ“, wie der Anstalt-Macher Max Uthoff gerade erst in einem Interview mit Der Freitag (Paid Content) ausdrücklich hervorgehoben hat (vgl. dazu Meedia-Artikel darüber). Kabarettisten fehle für derlei Recherchen die Zeit. Im Gegenteil seien sie auf gute journalistische Arbeit und Recherchen von Journalisten angewiesen, die sie dann entsprechend verwerten („gnadenlos ausbeuten“) würden.
In diese Ausgangssituation hinein bahnt Professor Rainer Mausfeld (Kontaktdaten Uni Kiel; Wiki-Porträt) Satirikern, Kabarettisten und Medienkritikern den Weg zu einem ganzen Schrankkoffer an Werkzeugen und Instrumenten, um die bisher immer noch nicht zufriedenstellend etikettierte neue Form des Kabaretts in der decouvrierend-informierenden Funktion auszubauen. Mausfeld hielt am 22. Juli 2015 an der Christian Albrechts Universität Kiel den brisanten Vortrag Warum schweigen die Lämmer? Techniken des Meinungs- und Empörungsmanagements. Der Vortrag ist als Video verfügbar.
Hier der Text der Videobeschreibung (zitiert nach Humanistenteam.de)
Warum schweigen die Lämmer? Demokratie, Psychologie und Empörungsmanagement.
Der Vortrag beschäftigt sich mit einem oftmals als “Paradoxon der Demokratie” bezeichneten Spannungsverhältnis zwischen Volk und Eliten: Demnach könne es in einer Demokratie beispielsweise passieren, dass, wie Aristoteles bemerkte, „die Armen, weil sie die Mehrheit bilden, das Vermögen der Reichen unter sich teilen.“ Aus Sicht der jeweils herrschenden Eliten sind Demokratien daher mit einem besonderen ‚Stabilitätsproblem‘ behaftet….
“Für die Stabilität des gegenwärtigen Status politischer Eliten ist es jedoch wichtig, die Illusion von Demokratie als einer “nessecary illuson” aufrechtzuerhalten.
Notwendige Voraussetzung: eine weitgehend entpolitisierte und von Apathie und Zynismus befallende Bevölkerung.
Geeignete Techniken:
+ Apathie-Induktion (durch Sorgen um finanziellen Lebensunterhalt, Ängste/ “fear-mongering”, Konsumismus …)
+ Techniken des Meinungsmanagements
+ Techniken des Empörungsmanagements”
(Rainer Mausfeld: Warum schweigen die Lämmer? Videobeschreibung; zitiert nach Humanistenteam.de)
Im Illusionen-Dschungel: Demokratie, Freiheit, Informiertheit
Der etwas mehr als einstündige Vortrag beschäftigt sich mit der – von den Regierenden & Besitzenden weltweit – als politisch notwendig erachteten „Illusion von Demokratie“, der „Demokratie-Rhetorik“, der „Zuschauer-Demokratie“, der Unverträglichkeit von Neoliberalismus und Demokratie und der Not der Herrschenden, vermittels ausgefeilter Techniken die öffentliche Meinung zu managen und die Empörung zu steuern. Zu solchen Techniken des Meinungsmanagements gehört etwa eine Flut von Information, die zu der „Illusion von Informiertheit“ führe. Dazu gehören die Angsterzeugung, die De- und Rekontextualisierung von Fakten sowie ihre Defragmentierung und das Unsichtbarmachen von Fakten.
Das letzte Drittel des Vortrags beschäftigt sich detailliert mit dem politisch gesteuerten Empörungsmanagement, das abhängig vom Status des Objekts der Empörung (das eigene bzw. „befreundete“ Regime vs. „feindliche“ Regime) eingedämmt oder angefacht wird. Aktueller Terminus in diesem Kontext ist „Terrorismus“, ein nach Mausfeld “zutiefst ideologisch gefärbter Begriff“. Als eindrückliches Beispiel für erfolgreiches Empörungsmanagement zitiert Mausfeld die rund 20 bis 30 Millionen toter Zivilisten (!), welche die Weltmacht USA seit dem Zweiten Weltkrieg zu verantworten habe und die durch die genannten Techniken des Meinungsmanagements – und trotz öffentlich verfügbarer Informationen darüber! – unterhalb der allgemeinen Wahrnehmungsschwelle bleiben und deshalb keine Empörung auslösen. Ebenso übrigens wie alle Opfer sogenannter „struktureller“ Gewalt!
Alle Thesen des Vortrags werden mit Quellen und gut verständlichen Schaubildern und Tabellen belegt.
Den Ausweg aus diesem durch Kontinuität über Jahrhunderte hinweg ausgezeichneten Meinungs- und Empörungsmanagement in den Händen Weniger bietet allein: Immanuel Kant! Vermittels des Lichtes der Vernunft bestehe die Möglichkeit, ein Bewusstsein darüber zu schaffen, dass wir der Illusion von Informiertheit, der Illusion von Demokratie und der Illusion von Freiheit unterliegen. Die Mechanismen müssten aufgedeckt werden und es müsse ein Bewusstsein für den Manipulationskontext entstehen.
Der Vortrag:
Die Diskussion dazu, in der Mausfeld u. a. auch jeden Ansatz zu einer Verschwörungstheorie abweist.
Neue Werkzeuge für Satire und Kabarett?
Über den Vortrag hinaus: Satire und Kabarett könnten in diesem Bereich nach SaSe-Meinung Enormes und noch mehr als bisher leisten – wie es Die Anstalt schon tut! Das Potenzial liegt in der Aufdeckung der Mechanismen und Techniken dieser umfassenden Meinungsmanipulation – anhand konkreter Beispiele mit dem erfolgreichen Gleitmittel Humor! Und das geht vermutlich NUR über Information! Deshalb sind auch so angebliche Gegenöffentlichkeitsprojekte wie Denkfunk.de, in der 90 Prozent der Videoproduktionen lediglich „Meinung“ (anstatt der behaupteten Information) der sich selbst filmenden Moralisten wiedergeben, für die Systemkritik, für das Decouvrieren, für das Enthüllen des Meinungs- und Empörungsmanagements vollständig verloren (vgl. Hinfo1, HInfo2, SüS1, SüS2 SaSe17 mit Beleg fehlender Info etc.) Denkfunk setzt nur eine Meinung gegen eine andere; der Informationsgehalt der Videos ist mehrheitlich (Ausnahme sind die Beiträge der Ökonomen) gleich null.
Der Mausfeld-Vortrag bestätigt und ergänzt die gesamte Medienkritik (in ihren seriösen Ausprägungen …) und insbesondere das Gegenöffentlichkeitsprojekt Nachdenkseiten.de und Albrecht Müller mit seinen Publikationen zur „Meinungsmache“. Der Schweigende-Lämmer-Mausfeld-Vortrag wird bis dato ganz unverdient noch schwach rezipiert, aber auf so umstrittenen Blogs wie Propagandaschau verlinkt.
SaSe hält den Mausfeld-Lämmer-Vortrag für grundlegend! Nicht nur, um politische Satire & Kabarett noch effizienter und erfolgreicher zu machen, sondern um die Gegenwart (Stichwort: Griechenland-Krise, Ukraine-Krise etc.) zu verstehen! Das tagesaktuelle Beispiel für „Empörungsmanagement“ wäre etwa das von allen Medien gleichlautend eingepeitschte Diktum vom „zerstörten Vertrauen“ gegenüber Griechenland!
Aktualisierung vom 15.07.2015:
Auf den Nachdenkseiten.de gibt es inzwischen eine gute Zusammenfassung der Inhalte des Videos.
Aktualisierung vom 29.08.2015:
Der Vorgang nimmt inzwischen eine erstaunliche Wendung. Aufgrund einer SaSe-Presseanfrage an Professor Dr. Rainer Mausfeld, Universität Kiel, zu der weitergehenden Rezeption seines von mir so überschwänglich gelobten Vortrags, stellte mich dieser unter Hilfestellung des Publizisten Albrecht Müller von den NachDenkSeiten ebendort aufgrund dieser Presseanfrage öffentlich an den Pranger. Siehe dazu SaSe40 sowie ggf. weitere folgende Artikel.
Im Licht dieser jüngsten Ereignisse stellt sich meine Begeisterung für Mausfelds „Lämmer“-Vortrag möglicherweise als Fehleinschätzung heraus!