So, jetzt hat ihn die Satire-Szene am Bein: den von berühmt (Grimme-Preis-Träger 2014 für sein innovatives Interview-Konzept „Jung & naiv“) zu berüchtigt avancierten, durch eine angeblich (?) frauenfeindliche Bilderstrecke bei Instagram belasteten und deshalb von einem veritablen Shitstorm besudelten Journalisten Tilo Jung. Die Krautreporter wollten ihn nach dem Gender-Fauxpas nicht mehr haben. Ach, falsch! Wie diese Abläufe richtig zu formulieren sind inklusive Bewertung, das schreibt SaSe lieber bei der taz ab:
Tilo Jung bleibt Teil der Krautreporter, wird aber in nächster Zeit keine Beiträge veröffentlichen. Das ist nobel gemeint, aber inkonsequent.
(taz 10.03.15: Der blinde Fleck des Tilo Jung)
Nobel. Aber inkonsequent. Und zumindest für Meedia eine Überraschung (hür).
Der richtige Umgang mit schuldig gewordenen Verbündeten
Ein bisschen saublöd für die Innovativ+++-Journalisten-Kohorte ist jetzt, dass sich die semantischen Röntgenbilder diverser Äußerungen und Argumentationen von Krautreportern versus Bundesregierung gleichen. Aber das ist rein zufällig, nicht beabsichtigt, und hoffentlich merkt es keiner:
„Dieser Post ist frauenfeindlich. […] Krautreporter akzeptiert das Kokettieren mit Gewalt gegen Frauen nicht“ – „Wir haben die Entschuldigung angenommen. Wir haben beschlossen, Tilo Zeit zu geben, diesen „blinden Fleck“ auszuleuchten. […] Wir werden vorübergehend keine neuen Beiträge von Tilo Jung veröffentlichen, aber er bleibt ein Teil von Krautreporter.“
(Krautreporter Sebastian Esser 10.03.15: Der blinde Fleck)
Versus: „Folter ist durch nichts zu rechtfertigen ….“, sagt die Bundesregierung, aber die Strafverfolgung der Folterer ist Sache der USA.
Wobei die „Schuldfrage“ bei Jung gar nicht feststeht! Außerdem: Sexismus versus Folter, das kann man ja wohl nicht vergleichen? Weg von der schwierigen Wägung hin zur Glaubwürdigkeit der Person:
Jung & naiv, Jung & Satire, Jung for Jung?
Dient die Person der Sache oder die Sache der Person? Patrick Gensing etwa meinte auf Publikative.org erhebliche Schwächen an Jungs „Jung & naiv“-Konzept zu entdecken:
Der Journalist Tilo Jung ist ein Online-Profi und geradezu omnipräsent im Netz. Bekannt wurde er vor allem durch das Interview-Format “Jung & Naiv”, in dem er “Politik für Desinteressierte” anbieten möchte. Warum allerdings Uninteressierte ausgerechnet durch 50-minütige Interviews ihre Begeisterung für Politik entdecken sollten, ist mir ziemlich unklar. […] Denn Jung & Naiv sei “eine Einladung an die Interviewten, keine Phrasen für die üblichen 90 Sekunden der Tagesschau sagen zu müssen, von denen dann nur 7 Sekunden verwendet werden”. Mit dieser Einladung reüssierte Jung mit “Jung & Naiv” – vor allem in Medienkreisen, weniger bei den “normalen” Zuschauern: Denn eine Breitenwirkung erreichen die Videos kaum; bei den meisten blieben die Zähler bei 5000 bis 10.000 Abrufen stehen – manche schaffen noch weniger, einige dafür mehrere Zehntausend
(Patrick Gensing Publikative.org 15.03.2015: Der Fall Jung und die Empörung über die Empörung)
Über die Schwächen des Konzepts (und nicht die „Penisdialoge“), den mangelnden Erfolg (und nicht die „Penisdialoge“), die Omnipräsenz, die verräterische Namensgebung à la „Ich und der Rest der Welt“ und nur am Rande über „Penisdialoge“ tastet sich Gensing zum Antriebskern vor:
Diese Ungereimtheiten des Konzepts legen den Schluss nahe, dass sich Jung & Naiv – wie es der Titel bereits anzeigt – zu mindeste[n]s 50 Prozent um den Namensgeber dreht. Dazu passt, dass Jung in sozialen Medien hauptsächlich Bilder von sich postet, eine Mischung aus Modeln und Journalismus: Jung mimt den charmanten Lümmel aus der ersten Reihe, den erwachsenen Kinderreporter: selbstbewusst im Auftreten, gut im Aussehen, locker im Ton – eben “ohne Scheiß” (im Gegensatz zu den mittlerweile gelöschten “Penisdialogen” – “absolut unbeschnitten”).
(ibid.)
#fuck journalism, #fuck Glaubwürdigkeit
Meint Gensing etwa irgendwas in Richtung <chronischer Selbstdarsteller>? Dagegen spricht ganz klar Jungs überwältigende Glaubwürdigkeit! Am 23. März 2015 hatte er seinen Abschied vom Journalismus erklärt:
Und keine zwei Wochen danach sorgt er mit „Bin schon wieder da!“ für neue Berichterstattung über seine Person (bei Meedia, taz, Netzpolitik).
Gelebter Impressum-Pluralismus
Dass ihm, Jung, alle Unrecht tun, erkennt man auch sehr schön daran, dass die Internetpräsenz „Cybert Report“ durch den Verzicht auf das Pflichtingredienz Impressum nun wirklich gar nichts mehr mit Journalismus zu tun hat! Ein fehlendes (ordnungsgemäßes?) Impressum zumindest hatte Meedia am 8. April 2015 bemängelt.
Ob unten stehendes „Konstrukt“ von Impressum a) naiv ist und b) vor oder nach der Meedia-Kritik entstanden ist, dazu kann SaSe auf keine gerichtsfesten Screenshots zurückgreifen und möchte deshalb schweigen … Profis sagen ja, ein ordnungsgemäßes Impressum von Journalisten solle so aussehen! Die Cybert-Report-Variante – das ist eben gelebter Impressum-Pluralismus.
Bildzitat Screenshot Cybert Report
Mit dieser Sorglosigkeit im Umgang mit so etwas Lästigem wie der Impressumspflicht bekundet Tilo Jung außerdem nur seine jung-fräuliche Zugehörigkeit zur Satire-Szene. Dort tummeln sich nicht wenige Blogs, die sich diesen Luxus auch erlauben oder auf denen man sich einen Wolf nach dem Impressum suchen kann und die deshalb von SaSe auch nicht hypergelinkt werden (z. B. Die Anmerkung, Bluthilde, Swiss-Lupe, Politquatschplatsch.com etc.).
Pedisedativer* Kreativalarm
Soweit die Fakten, mit der sich die Satire-Szene jetzt auseinanderzusetzen hat. Oder auch nicht. Denn schon die Selbsttaufe des neuen „Bundesinternetsprechers der Bundesregierung“ macht schläfrige Füße: Stephan Cybert. Krawoff! Das haut rein wie ein Tritt in den Frauenhintern. Die taz schreibt gar von „Kreativalarm“. Das Format selbst nennt sich „Cybert Report“. Die Namensnähe (zu: „Cyber Report“) mag zwar Suchmaschinen beeindrucken und beeinflussen, verwirrt jedoch wieder die Journalistenkollegen, denn in der Berichterstattung der „Leitmedien“ ging jetzt schon hier und dort das entscheidende „t“ bei „Cybert“ verloren (hür – letzter Absatz).
Dabei kann man sich das „t“ soo leicht merken: „t“ wie Tilo!
Für die erste Arbeitsprobe bleibt Stephan CyberT seinem Thema treu: CIA-Folter (siehe hierzu folgende Folgen von „Jung & naiv“: hier, hier und hier).
Innovatives Abkupfern bei Die Anstalt & Co.?
Wie und was man macht – hat man erst einmal "Penisdialoge" geführt oder sich mit der Darstellung von Tritten in feminine Gesäßziele versündigt, ist aber auch nichts mehr recht und richtig. Das schöne neue Konzept von „CyberT Report“ sei abgekupfert, will Nora Burgard-Arp auf Meedia festgestellt haben:
Mit seinem neuen Projekt orientiert sich der Krautreporter und “Jung & Naiv”-Erfinder offenbar an Satiresendungen wie “Die Anstalt”, “Die heute-show” oder der US-Show “The Colbert Report” und erklärt seinen Zuschauern des Videoformats, was die Bundesregierung “wirklich” meint. In der ersten Folge des Cyber [sic!] Reports “Fuck Folter” bearbeitet er in neuem Look und mit gestriegeltem Haar das Thema Folter und bekommt dabei Unterstützung von Dschungelcamp-Witzschreiber und Moderator Micky Beisenherz, Joiz-Moderatorin Claire Oelkers, Piraten-Politikerin Marina Weisband und Moderatorin Evelyn Weigert.
(Meedia 08.04.15: „Jung und Satirisch [sic]?“ Tilo Jung ist jetzt „Bundesinternetsprecher)
Was soll man denn auch anderes machen als Nicht-Journalist und Satire-Novize? Schlimmer noch im Meedia-Kommentar: Das Abstiegssignalwort kommt beim Aufruf der Mitwirkenden schon vor: „Dschungelcamp-Witzschreiber …“.
Satirischer Ernteausfall
Macht die Orientierung an bewährten Konzepten allein noch keine gute Satire? Wenn die großen Vorbilder wie Die Anstalt & Co. schon aufgerufen werden, sei der erste Cybert Report daran gemessen: Es erfolgt keine Wissensvermittlung wie etwa in der genannten ZDF-Kabarettsendung oder in diesem sensationellen Dreiteiler. Jung präsentiert lediglich schon bekannte Fakten. Das Thema wird auch nicht etwa aus einer neuen oder gar ungewöhnlichen Perspektive betrachtet, wie es die Eigenart von Satirikern ist. Bei dem schweren Stoff "Folter" das Merkmal „lustig“ zu erwarten, ist ein hoher Anspruch, aber das Erfolgsrezept oben genannter Profi-Verfremder liegt eben genau darin, das durch satirische Mittel nachgerade erzwungene Lachen im Halse zu ankern. Nichts davon bei Tilo Jung: satirischer Ernteausfall!
Krautreporter decken auf
In dem nach Nanosekunden getakteten Lebensabschnitt „fuck journalism“ hatte Jung angegeben, sich einen neuen Auftraggeber zu suchen. Bis April. Jetzt ist April. CyberT Report ist da. Und sicherlich werden jetzt die Krautreporter zeitnah aufdecken, wer denn der Auftraggeber dazu ist. Es wird ja nicht gleich Russia Today sein!
P. S. In diesem Artikel kommt sechs (!) Mal das Tabu-Wort „fuck“ vor. Bald gehört SaSe zu den Großen …
*SaSe-Ad-hoc-Wortschöpfung aus dem Lateinischen „pes, pedes“ „die Füße“ und dem bekannten „sedativ“.