SaSe42: Mit Buddha wär das nicht passiert: Ingrid Dressel verhilft zur inneren Sammlung

Können wir mal eine Pause machen in dem derzeit eskalierenden Moralistenwettstreit welt-, bundes- und GÖP-weit? Eine Pause im Contest, wer angesichts der entsetzlichen Flüchtlingskatastrophe die „mutigeren“ Statements raushaut und angesichts der politischen Herausforderungen die moralisch korrektere Perspektive pflegt.
Den für heute geplanten SaSe-Artikel über „kabarettistischen Populismus“, der den Rechten die Wahl der Waffengattung überlassen und sich mit Rassisten und Kriminellen in den Verbalinjurien-Wettstreit begeben hat, stelle ich zurück. Vielleicht finden sich Inspirationen zu Lösungen im völlig banalen Alltag?

Daran zumindest erinnert freundlich, leichtfüßig und wohltuend Ingrid Dressel in ihrer Satire Mein nächster Mann heißt Buddha. Die findet der Satirefreund nicht etwa auf den einschlägigen Satire-Blogs und Facebook-Accounts, sondern völlig unspektakulär und verträumt auf Lokalkompass.de.


Angenehm wortkarge Suchmaschine

Wer bitte ist Ingrid Dressel? Selbst der Satirophile kann unmöglich alle verfremdend Publizierenden auf dem Schirm haben. Leider ermöglicht die Veröffentlichung auf Lokalkompass.de keine direkte Kontaktaufnahme mit der Autorin für den, der dort nicht zur registrierten Community gehört.
Die G-Suchmaschine liefert auch keinen übersichtlichen Wikipedia-Eintrag oder eine eigene Webseite der Autorin, hilft aber dennoch weiter. Und das macht erst recht Appetit und Lust: Eine Satirikerin, die sich nicht lautstark selbst im Internet bewirbt und sich überall vermarktet.? So etwas gibt es noch? Oh, Herrlichkeit!

Dabei ist Ingrid Dressel kein unbeschriebenes publizistisches Blatt, wie der breite Angebotsfächer beim net-Verlag zeigt. Die künstlerisch mehrfach (Musik und Malerei) begabte Autorin aus Bochum hat schon acht Bücher vorgelegt. Die Berichterstattungsanlass-Satire „Mein nächster Mann …“ ermuntert dazu, der pastellfarbenen Arglosigkeit der Buchtitel rund um Weihnachten, Wände und Einkaufen zu misstrauen, weil darin möglicherweise – wie oben im Buddha-Text –  ganz tiefe und alltagstaugliche Lebensweisheiten stecken?

Rund um das Orakel Dressel privilegiert sind die Kunst-, Satire-und Bücherfreunde in Gevelsberg, Witten, Gladbeck und Oberhausen, weil die Gelobte ebendort Lesungen hält. Das macht sie noch attraktiver: quasi eine überwiegend analoge Satirikerin? So richtig für handfeste Begegnungen von Mensch zu Mensch?

Das Selbstporträt transportiert auch Selbstkritik:

Seit der Jugend, neben Ausstellungen von Aquarellen und Radierungen, schrieb ich Songs zur Gitarre und Gedichte. Zunehmend später auch Geschichten, „Spottgedichte“, satirische Geschichten und Essays.  Ich neige von humorvoller  Satire, bissigen politischen Gedichten bis zu äußerst verträumten Darstellungen, immer mit ein wenig „Weltverbesserer – Charakter“. Außerdem liebe ich es, Klavier zu spielen, Flöte und etwas Gitarre.
(Autorenporträt Ingrid Dressel auf Net-Verlag.de; Hervorhebg. SaSe)

Die kritischen Selbstzuschreibungen des Verträumten und der Weltverbesserin scheiden Dressel von vielen anderen der Zunft. Sehr angenehm. Natürlich ist der/die Satiriker/In immer auch im Auftrag der besseren Welt unterwegs. Das gehört zum Genre! Aber es hilft, wenn er/sie es selbst nicht vergisst …


Mit Buddha nach Heidenau und ins Internet?
Was leistet denn nun „Mein nächster Mann heißt Buddha“ ausgerechnet heute, hier und jetzt? Nur angeblich nicht politisch exemplifiziert und paraphrasiert die Satire das schon von Goethe festgestellte Manko jeden menschlichen Strebens. Und das Lebenshilfepotenzial der Gattung turnt vor, wie diese Erkenntnis selbstreferentiell angewandt werden kann. Dressel fiktionalisiert eine (junge?) Frau auf (offensichtlich heterosexuell orientierter) Partnersuche und beschreibt in hochamüsantem Ton das eher desillusionierende Angebot. Sie tut solches mit so sprachlichen Streicheleinheiten wie der „schön strukturierten Kruste“ mancher leider hohlen Männer-Baumstämme.
Auf einer zweiten Textebene etwas tiefer, dargestellt und inszeniert statt angeprangert, kommt die (feministische) Gesellschaftskritik, welche die Erwartungshaltung und den Anspruch dieser mutmaßlich irrtümlich begehrten Männer auf dem Stand Mitte des 19. Jahrhunderts konstatiert. Doch auch diese Kritik spielt nur die zweite Geige, denn dominant ist die Kritik der (Partner)Suchenden an sich selbst. Zur kathartischen Klimax der Satire hin schlägt sie sich frei von allen Erwartungshaltungen:

Es geht mir am Hintern vorbei, ob ich einen männlichen Blick ernte oder nicht. Es hat sich aus gegrinst.
Ich gefalle mir sehr gut in der Rolle der absoluten Askese und wundere mich, wie schön ruhig alles sein kann. Vor allem ich. Beerdige den Prinzentraum mit einer frischen Gulaschsuppe, heiß und scharf, die ich mir genussvoll einverleibe und es mir dann in meiner nicht geputzten Wohnung auf meiner Couch bequem mache, eine CD mit „Sanftem Frauenyoga“ einlege, obwohl mir nicht einleuchtet, was an Yoga so besonders weiblich sein sollte.
(Ingrid Dressel auf Lokalkompass.de: „Mein nächster Mann heißt Buddha“)

Mit ihrem Mut zur Pause und zur Verweigerung animiert Dressel (zumindest mich) zur Nachahmung: „Wie schön ruhig alles sein kann.“ Als Satirikerin kann sie es wagen, so umstrittene, weil der Metaphysik zugehörig diskriminierte Konzepte wie Buddha aufzurufen. Dressel befreit die Pointe – „Die Gelassenheit schärft den Blick für das Wesentliche“ – von jedem Ruch der Binse und empfiehlt sie zur Anprobe. Nicht nur für Männersuchende, für Suchende ganz allgemein: für die Suche nach der politischen Wahrheit, für die Suche nach der „richtigen“ Lösung der Flüchtlingsfrage, für die Suche nach den propagandafreien Medien, für die Suche nach der richtigen Selbstdarstellung (im Internet), für die Suche … nach allem!
Mit der postulierten „Gelassenheit“ sticht sie durch zu einer ganzen Gulaschsuppe von Assoziationen, die (einst) für Satire und Kabarett so kennzeichnend waren: die Distanz zum betrachteten und beschriebenen Phänomen, die Souveränität des Satirikers diesem gegenüber, ausgedrückt in Ironie und Humor.

Mich jedenfalls hat Dressels Satire gerade heute ganz eigenartig berührt. Man könnte fast sagen, sie hat mich „manipuliert“, wie es fast jede erfolgreiche Kommunikation und zunächst wertfrei tut. Ich wünsche mir, man könnte Dressels Gulaschsuppe zumindest dort verteilen, wo die Meinungs- und Empörungsschlachten über die einzige moralisch korrekte Deutungshoheit zu den aktuellen Themen derzeit am heftigsten toben.

Die doch von einem äußerst befremdlichen Geist beseelten GÖPs haben also zumindest heute keine kritischen Artikel auf SatireSenf zu gewärtigen. Und der Kabarettist Christoph Sieber kann die Pause ja dazu nutzen, sich einmal eine Liste seiner Verbalinjurien in diesem Denkfunk-Video anzulegen und sich zu fragen, ob er sich die Wahl der Waffen tatsächlich von dem „pöbelnden Mob“ vorschreiben lassen und sich damit zu diesem auf Augenhöhe begeben will.

Erinnern wir uns lieber und sehnsuchtsvoll an die besseren Zeiten von Satire (abgekupfert bei Meedia):

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