Was für eine Satire-Woche! Erst revolutioniert Jan Böhmermann die Rezeptionsroutine der Fernsehzuschauer und mutmaßlich auch die Produktionsgewohnheiten von Talkshow-Redaktionen (vgl. SaSe4). Schwer vorstellbar, dass künftig noch einmal YouTube-Schnipsel ungeprüft in den Polittalksendungen des Öffentlich-Rechtlichen ausgestrahlt werden.
Und zum Abschluss dieser satiredominierten Medienwoche strahlt der Schnarchsender WDR am Samstag (21.03.15) um 21.45 Uhr die Premiere von Carolin Kebekus‘ neuer Show (mit altem Namen) PussyTerror TV aus.
1 Stunde 14 Minuten prall gefülltes, um nicht zu sagen überinventarisiertes, wenn auch abwechslungsreiches Programm mit interessanten Gästen, nicht immer originellen Einspielern und Musikacts. Das ging bamm, bamm, bamm von einem Highlight zum nächsten. Atemlos durch die WDR-Nacht und immer wieder von Kebekus‘ Kernkompetenz ablenkend. Den Sendeablauf mit allen Stationen und Auftritten finden Sie hier.
Bildzitat Screenshot WDR 21.03.15 Carolin Kebekus PussyTerror TV
Enorme Fallhöhe und Zuschauerverlade
Wer seine Ansprüche an die Show an dem genialen Einspieler mit Anke Engelke zu Beginn orientiert hatte, musste diese im Verlauf der Sendung massiv herunterschrauben. Die Fallhöhe zwischen dem genannten Leckerstückchen und dem dümmlichen Klamauk à la Serdar Somuncu als „Grobian“ in Persiflage der Domian-Sendung oder der Auftritt von Ususmango war (zu) schmerzhaft.
Schon in den Facebook-Kommentaren zur Sendung wird klar, dass die Zuschauer eine Verlade wie die beim Liederspiel mit Klaas Heufer-Umlauf nicht schätzen. Natürlich waren die Stücke vorbereitet. Von daher machte das aufwendige und zweckfreie Aufschreiben und Kombinieren von Liedtiteln und Sänger/in vor laufender Kamera keinen Sinn.
Solche Unstimmigkeiten setzen sich bei der „Pussy des Monats“ fort: Wer wählt diese nach welchen Kriterien aus? Die Nominierten werden vorgestellt. Anschließend wird der „Sieger“ (Jamie Dornan, 50 Shades of Grey) ausgerufen. Wer ihn nach welchen Kriterien ausgewählt hat, das alles erfahren die Zuschauer nicht.
Bildzitat Screenshot wie oben
Wenn sich Solokünstler verspielen'
Bisher drei Sendungen seien mit dem WDR fest vereinbart, wie Kebekus am Donnerstag bei dem unhöflich gelangweilten Stefan Raab (TV total) erklärte. Der salzte sofort die Wunde: „Da hat der WDR ja ordentlich Vertrauen in dich, kann das sein?“
Im Übrigen würde man sich eine umfassende Analyse von Kebekus‘ Auftritt bei Raab durch den Rockstars der Körpersprache, Stefan Verra, wünschen. Mit ihren Highheels kommt sie kaum die Showtreppe herunter und auf dem Sofa windet sie sich wie ein Aal, wobei das erotische Schuhwerk in allerlei unphysiologische Positionen verschoben und verdreht wird. Fisch-Aerobic und Schuh-Semantik vermitteln dem Zuschauer vor allem: massives Unwohlsein!
Zurück zum Samstagabend: Trotz guter Zuschauerquoten (WDR vermeldet am 22.03.15 morgens 1,2 Millionen Zuschauer mit 10,6 % Marktanteil) darf füglich bezweifelt werden, ob sich das Show-Konzept von PussyTerror TV durchsetzt. Das Ganze erinnert an die schlimme Zeit von Mathias Richling als Moderator des früheren Satire-Gipfels. Wie jener gehört auch Kebekus ganz offensichtlich zu den Solokünstlern, die nur verlieren, wenn sie diversen Partnern auf der Bühne entgegen spielen müssen oder gar – wie seinerzeit der kabarettistische Schwabe – durch reines Moderieren in der satirischen Leuchtkraft gedimmt werden. Dem widerspricht auch nicht das brillante Badewannen-Duo, weil die Dominanz dort schon aus dramaturgischen Gründen bei Engelke lag.
Kebekus, die „Schwester Rabiata der Comedy-Szene“ (WAZ), entfaltet sich als Solokünstlerin – wie in der phantastischen Helene-Fischer-Parodie oder in ihrem Bühnenstück gleichen Namens! Das ist – en passant – auch ein SaSe-Kritikpunkt: Eine Sendung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen unter Mitwirkung zahlreicher Kollegen mit demselben Label zu etikettieren wie das individuelle Bühnenprogramm der Künstlerin bereitet ein gewisses Störgefühl.
Bildzitat Screenshot wie oben: Zweifellos die stärkste Szene der gesamten Show! Dank Anke Engelke!
Kebekus unverzichtbare Ansage
Carolin Kebekus mag insbesondere mit ihrer oft (unnötig) derben Sprache nicht jedermanns Geschmack treffen. Aber nicht nur aufgrund des schreienden Frauen-Notstands in der Sparte Satire und Kabarett ist sie unverzichtbar. Wichtige Themen bei Kebekus sind das Frauenbild und das vorsintflutliche, auf jeden Fall aber das hinter die Errungenschaften des Feminismus der 70er Jahre zurückfallende Rollenverständnis im 21. Jahrhundert. Deshalb tun ihre Geißelungen eines Helene-Fischer-Hypes, ihre Subversion der Wertevermittlung an die auf den blanken Phänotyp reduzierten Magermädchen bei Heidi Klump, das Eindreschen auf die Dekadenzauswüchse überambitionierter Wohlstandsmütter u. v. a. m. einfach wohl! Ihrer jeweiligen Struktur- und Problemanalyse mag es an Tiefe fehlen (Tagesspiegel.de: „vordergründiger Mainstream-Feminismus“), aber Kebekus spricht sie an!
Bildzitat Screenshot wie oben: Zu viele schwache Einspieler und Auftritte. Der von Ususmango gehörte zweifellos dazu! Langweilig, anstrengend, stimmungstötend.
Kebekus ist der einzige Trost angesichts der Rotten weiblicher Kabarettistinnen und Komikerinnen, die Sendezeit und Energie damit verdödeln, die mühsam ins Witzige geprügelten Alltagserlebnisse im Umgang mit ihren eigenen Reproduktionserfolgen zur Unterhaltung aufzupumpen oder – für die Zielgruppe 50+ – sich in endlosen Varianten über Cellulite und die ästhetischen Auswirkungen des Sieges der Schwerkraft über erschlaffendes Bindegewebe zu ergehen.
In folgenden Beiträgen wird sich SaSe mit weiteren Kritiken zur Premiere von PussyTerror TV beschäftigen. Das schönste Kompliment allerdings erhält sie – zusammen mit Jan Böhmermann – in einem aktuellen Artikel von Stefan Winterbauer auf Meedia über die "Komiker-Generation mit Witz und Haltung": "Im Kern machen die beiden Komiker knallharte Gesellschaftskritik ohne Zeigefinger."