SaSe52: Rezension Rand & Prischke „Die kleine Kapitalistensau“: Lesegenuss mit Goldrand

Angesichts der Tatsache, dass es unsere Kabarettisten derzeit mit der Kapitalismuskritik nicht so recht packen, kommt dieses Buch gerade recht: Die kleine Kapitalistensau von Meredith Rand und Dagobert Prischke, erschienen bei Klett-Cotta Stuttgart. Beide Autoren arbeiten als freie Journalisten und leben in Berlin.
„Mehr Win-Win geht nicht!“: Diesem Etikett des Verlags als Kaufargument kann man nur zustimmen. Denn für € 14,95 erhält man dieses:


$$$ Lexikon und Wertekanon des Kapitalismus
An dem Buch passt alles. Schon die Aufmachung verspricht Luxus und Abwechslung: viel Golddruck, teilweise Spaltendruck, verschwenderische Seitenaufteilung und –gestaltung, dann wieder Großdruck und viele Fotos in High-End-Quality von jungen glücklichen reichen Menschen – manchmal in erbärmlich schlecht sitzenden Anzügen und Kostümen (z. B. S. 112). Auch die Sprache stimmt: „Multifunktionsbuch“, „komprimierte Powererkenntnis“, für „Movers und Shakers“, „Global Player“, „High Performer“ mit „Killerinstinkt“, die „Teil einer globalen Leistungselite“ und „Quick Wins“ nicht abgeneigt sind, „schlüsselfertige 360-Grad-Lösungen“, „Big Data“ und „Fuzzy Logic“ präferieren. Das Buch holt den Kapitalisten auch sprachlich dort ab, wo seine Anglizismen ihn in die privilegierte Ecke gesetzt haben. Oder schult jene, die wenigstens so tun möchten, als gehörten sie dazu.

Ein solcher Aspirant eignet sich dann am besten die 33 Sätze an, „mit denen Sie sich als Kapitalistensau outen“. Zu meinen Lieblingen darunter gehören diese:

Die Kinder wollen schon wieder nach St. Moritz.
(Meredith Rand & Dagobert Prischke: Die kleine Kapitalistensau, S. 13)

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Meine Assistentin ruft Sie an.
(ibid. S. 14)

Ohne Internet ist die heutige Kapitalistensau nicht denkbar. Deshalb kümmert sich das Kapitel „Was shared’s mich:-)“ um die Tricks und Schweinereien, mit denen sich die vielgelobte Shareconomy kapitalistisch verwerten lässt. Vor der Skizze realistischer Szenarien in Formen von Hilferufen aus dem sozialen Umfeld werden Angebote wie die Mytaxi-App, Airbnb, eatwith, tamyca.de gewinnbringend und sozialkompetent praxisoptimiert. Dabei verbleibt die Entscheidung souverän beim Leser, dem für jeden Fall jeweils „naheliegende“, „sinnvolle“ und „wirklich effektive“ Lösungen vorgeschlagen werden.

Weiter geht es mit „Gestickte Regeln für das kapitalistische Sofakissen“, die von Selbstverständlichkeiten wie „Eine Yacht ist keine Yacht“ über getunte Plattitüden wie „Geld ist nicht alles. Aber es bringt die Kinder dazu, regelmäßig anzurufen“ zu solchen Schlagfertigkeitspralinen wie „Andere kochen auch nur mit Trüffelöl“ reichen.


$$$ Kastenkonforme Kopulationskonstellationen
Selbst so sensible Bereiche wie Partnersuche werden nicht ausgespart. Dem Leser wird ein von keiner Software zu manipulierender Test an die Hand gegeben, mit dem kastenkonforme Kopulation und Kohabitation garantiert sind. Der Test ist mehrstufig und beginnt mit einem fiktionalisierten Outlet-Besuch. Die unterschiedlichen Reaktionen des potenziellen Partners auf einzelne Herausforderungen im Testlauf sortieren ihn dann jeweils in die Kategorien „Superfang“, „Schnäppchen“ oder „Deal-Breaker“.
Für Kapitalistensäue ist es auch durchaus beruhigend zu erfahren, dass die Partnersuche per klassischer Kleinanzeige (!) auf der vierfarbigen Doppelseite einer Zeitung kein Wettbewerbsnachteil sein muss. Vielfältiger dagegen sind die Fallstricke der Partnersuche auf Online-Börsen oder am Arbeitsplatz.

Dieser unverzichtbare Lebensbegleiter für unsere Besitzelite kümmert sich ebenfalls um die Hochzeit inklusive vorformulierter Dankschreiben für die Hochzeitgeschenke:

Liebe Tante Gerti,
vielen Dank für den niedlichen Pudel. Der ist viel schicker als unser Retriever. Den versuchen wir nun zurückzugeben. Halsband und Leine des Großen passen unserem neuen Liebling leider nicht. Aber bald steht ja Weihnachten an. ;) Wir hoffen, Du bist gut zurück nach Feldafing gekommen. Der junge Mann sah doch recht vertrauenswürdig aus und diese Mitfahrzentrale hat wirklich Topratings! Danke, dass wir Dein Auto für die Fahrt nach Bibione nutzen dürfen. Das werden super Flitterwochen!
(ibid., S. 52)


$$$ Frühe Renditebewertungen und optimierte Scheidungsverfahren

Wie das Spiel dann üblicherweise weitergeht, ist bekannt. Erst kommen die Kinder. Wie die Kommunikation mit denen gelingt und wie man sie rechtzeitig auf ihre arbeitgebende Zukunft vorbereitet, verraten Tipps wie:

Kindergeld gut und schön, aber richtig rentabel bist Du am Ende des Tages einfach nicht, Annabess.
(ibid., S. 57)

Oder:

Wenn du keine Lust hat, mit dem Floppi Gasst zu gehen, musst du eben jemanden finden, den du dafür bezahlen kannst.
(ibid.)

Die Anzeichen für Scheidung sind auch bei Kapitalistensäuen untrüglich etwa dann, wenn erotische Träume von Unterhaltszahlungen handeln. Wie dringend die Angelegenheit ist, merkt die Betroffene daran, dass sie für die Beschleunigung des Scheidungsverfahrens notfalls sogar bereit wäre, auf Sex mit dem Anwalt zu verzichten.


$$$ Kongenial zu Karl Marx
Der Trost für Mittelstand und Prekariat liegt im Kapitel „10 Probleme, die es nur im Kapitalismus gibt“.
Der Trost für Finanzamt und Steuerberater – und Ihr Benefit beim Erwerb dieses Anschlusswerks zu Marx‘ Kapital – liegt in der umfassenden Typisierung der Kapitalistensau im Umgang mit Letztgenannten.

Nahezu dokumentarischen Charakter mit medienkritischer Potenz erhält das Buch im Kapitel über „Die Märkte, aufgerüttelt, nicht gerührt“, das mit dem Zitat von datierten Spiegel-online-Schlagzeilen das ärmliche Handlungs- und Emotionsspektrum „der Märkte“ skizziert. Die sind immer wahlweise geschockt oder belebt. Egal von was oder wem.
Auch der Kapitalist durchläuft einen Werdegang und will trainiert sein. Sein „größter Ausgabenposten“ und sein „Verhalten am Geldautomaten“ kategorisieren ihn dann als Verdränger oder Hinsparer, Prasser, Bankrocker u. v. a. m.

Zielgruppenanalyse first. Deshalb kümmert sich die Kapitalistensau durchaus auch um das, was im Kopf der anzusprechenden Konsumenten abgeht und mit welcher wahren Motiv-Einfalt das zu visualisieren ist. Die Tipps dort für das versehentliche Geraten in ein Occupy-Camp müssen als grundsätzlich unrealistisches Szenario zurückgewiesen werden; arrogante Improvisationen bei Kleingeldmangel angesichts von Servicepersonal dagegen nicht.


$$$ Die erste Immobilienblase: 4,6 Mill v. Chr.
Wenn Sie bei „Wahre Geschichten über die beste Wirtschaftsordnung der Welt“ ankommen, haben Sie – hastenichtgesehen – schon 114 Seiten Lach- und Infospaß hinter sich. Aber Sie können immer noch nicht aufhören zu lesen, denn hier erfahren Sie vom „Handtaschen-Kredit“ und warum in Spanien eine Theatergruppe ihre Eintrittskarten in Pornomagazine stecken muss, um Steuern zu sparen. Das Buch schließt mit sensationell passgenauen und lachstarken Unterscheidungen des klassischen vom amerikanischen, europäischen, französischen und x-ischen Kapitalismus. Mit unkapitalistischer Ehrlichkeit gestehen die Autoren ein, das Strukturmuster für diese Variationen aus dem Internet entnommen zu haben.

Das Buch schließt mit einem Glossar zu den wichtigsten Begriffen von „anyway“ und „Bordmittel“ bis zu „zielführend“ sowie einer kurzweiligen Chronik des Kapitalismus. Die geht bis in die Zeit „4,6 Milliarden v. Chr.“ zurück, als Gott aus einer Wolke aus Gas und Staub die Erde und damit den Vorläufer künftiger Immobilienblasen schuf.

Die Chronik endet 2013 mit einer kleinen Hilfestellung zur Position der Autoren für jene Leser, die sich mit Ironie nicht ganz so gut auskennen:

2013: 1127 Menschen sterben in Bangladesch in einer eingestürzten Textilfabrik. Ungefähr so viele neue Filialen eröffnet der Textildiscounter Primark jede Woche. Dass Primark sein wöchentlich wechselndes Sortiment so günstig anbieten kann, liegt ausschließlich daran, dass das Unternehmen auf Werbung verzichtet und in großen Stückzahlen produziert.
(ibid., S. 155)


$$$ Klare Empfehlung für den Leser und das BAMF

Natürlich leistet Die kleine Kapitalistensau keine tiefschürfende Analyse des Kapitalismus mit satirischen Mitteln. Wem es nach solcher gelüstet, der wende sich an Volker Pispers oder Till Reiners. Auch legen Rand & Prischke den Finger zu selten in die tiefen Wunden des menschenverachtenden Zynismus dieses Systems. Aber das Buch ist eine angenehme Lektüre mit Unterhaltungsgarantie und Informationsgehalt.

Eventuell sollte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) für seine „Integrationskurse“, von denen Laien irrtümlich annehmen, in diesen Veranstaltungen, für die Dozenten in die Scheinselbstständigkeit gezwungen werden, würden Flüchtlinge und Asylanten sicher die deutsche Sprache erlernen, Die kleine Kapitalistensau in ihren Literaturkanon aufnehmen? Vielleicht kommen die dann darauf, worauf eigentlich sich die wundersame Willkommenskultur in Deutschland gründet und welche Endverwertung auf sie wartet? Die Rezensentin hält Die kleine Kapitalistensau mit dem Ziel angestrebter Wertevermittlung an unsere neuen Mitbürger für besonders geeignet; ach was: für pädaogisch wertvoll!

Meredith Rand & Dagobert Prischke:
Die kleine Kapitalistensau
Klett-Cotta Stuttgart, 2015
ISBN 978-3-608-50336-4
160 Seiten in der Printausgabe
€ 14,95
Als e-book
Leseprobe

SaSe dankt dem Klett-Cotta-Verlag für die Zusendung eines Rezensionsexemplares.

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