SaSe12: TV-Kritik Nuhr im Ersten 16.04.2015: Finale Vorlage für das Wörterbuch BILD – Nuhr / Nuhr – BILD

Immer wenn der Zuschauer glaubt, mit dieser Sendung habe der „Komiker“ (zutreffende Selbstbezichtigung auf Facebook) Dieter Nuhr den Tiefpunkt von Kabarett (im ERSTEN!) erreicht und den blasierten Verrat an dessen mutigen Größen längst vergangener  Zeiten erneut getoppt, setzt der Merkel-Verweser noch einmal einen drauf. Aber die Mitarbeiter des Münchner Südfriedhofs müssen sowieso am Morgen nach jeder Nuhr-im-Ersten-Sendung ausrücken, um die frischen Erdaufhäufungen auf dem Grab von Dieter Hildebrandt wieder einzuebnen. Wahrscheinlich war auch das, was Nuhr gestern Abend (hier in der Mediathek) in seinen moderierenden Passagen absonderte, noch gar nicht die neoliberale Klimax von Kabarett im Jahr 2015? 

Die satirische, vor allem aber die moralische „Fallhöhe“ des Genres beim Thema Griechenland konnte derjenige ermessen, der tags zuvor den Beitrag des ARD-Magazins Plusminus zur humanitären Katastrophe in der Hellenischen Republik, ausgelöst durch die von Schland et al. geforderte Austeritätspolitik, gesehen hatte. Aber: What the fuck is humanity? … insbesondere für einen “Komiker”, der seine Pointen aus den phänotypischen Eigenheiten einer Camilla Parker Bowles stricken muss.


Heldenhafter Verzicht auf Selbstmitleid
Zu Nuhrs Ehrenrettung jedoch muss lobend hervorgehoben werden, dass den Zuschauern dieses Mal  (wenigstens?) die selbstmitleidigen Winseleien erspart blieben, die vom Geld der Gebührenzahler finanzierter Gegenstand vorausgegangener Nuhr-im-Ersten-Sendungen sowie seines Jakob-Grimm-Preis-Auftritts waren: die Strafanzeige eines Muslims aus Osnabrück wegen angeblicher Islam-Hetze. Jeder engagierte und mit Zivilcourage ausgestattete Blogger, der gegen Rechtsextremismus und andere Formen des Faschismus schreibt, hat nicht nur vermutlich, sondern empirisch mehr hanebüchene Strafanzeigen gegen seine Person aufgrund publizistischen oder künstlerischen Outputs vorzuweisen als Dieter Nuhr. Der hält sich jetzt schon seit 2014 an der einen (einzigen) fest, trägt sie balkenbreit vor sich her und machte sie zum weiter nichts aussagenden Thema mehrerer Auftritte. Welt, sieh her: ein Märtyrer!

Die fäkalsprachlichen Exzesse eines Bushidos gegen ihn wertete Nuhr in der Sendung am 12. März 2015 in einer Breite auf, welche die ungeheuren Ausmaße der wohl vorliegenden Persönlichkeitskränkung nur ansatzweise zu skizzieren vermochte – obwohl sich der „Komiker“ mit nachgerade leidenschaftlich vorgetragenen Zitaten auf sprachliche Augenhöhe mit dem Rapper begab! Plus einen schräg gezimmerten, unbedingt geschmackvollen Edathy-Witz. Plus:  G-e-s-a-n-g!

 

Wenn "Nestbeschmutzung" zur Pflicht wird
Die Infamie von Nuhrs Kabarett-Perversion führt inzwischen schon zu Phänomenen, die bisher in der Satiriker-Szene unbekannt waren: das Aufbegehren der Kollegen, „Nestbeschmutzung“ gar. Der Kabarettist (!) Christoph Sieber hatte sich in einem Videobeitrag bei Denkfunk.de zum Thema BILD-Zeitung über Kabarettisten auf der Bühne geäußert, die eine klare Meinung vertreten, „ohne dass sie die dafür nötigen Informationen benötigen“ (Quelle).

Poster auf Facebook konnten diese Kritik offensichtlich nur einer Person zuordnen:

Ausschnitt aus Bildzitat Screenshot Facebook Denkfunk.de, Thread vom 09.04.2015 "Christoph Sieber: BILD"


Nuhrs Innovation von Kabarett: staatstragend!
Ach, was: Ob Sieber, Claus von Wagner, Max Uthoff, HG Butzko, Volker Pispers oder wie die satirischen Fürsprecher mit Empathie für die Opfer des Irrsinns von Kapitalismus und Finanzwirtschaft auch immer heißen mögen: Sie neiden Dieter Nuhr ja nur seinen Beitrag zur Innovation des Genres: Kabarett staatstragend zu machen! Plus Machogedöns, vorgetragen in einer raumgreifenden und atemberaubenden Arroganz und Selbstgefälligkeit. Wer hier den Massengeschmack bedient, das beweisen doch die "Gefällt-mir"-Angaben auf Facebook. Nuhr: 457.249 [Stand: 17.04.2015, 12.57 Uhr]; Sieber: 17.282 [Stand: 17.04.2015, 12.59 Uhr]. Also bitte!


Fuck reality!
Im Zuge dieses Götzendienstes müssen Logik, Geschichte und volkswirtschaftliche Wirkprinzipien eben gewisse Einbußen hinnehmen. Staunend knien Wir-sind-das-Volk-Rezipienten vor so luftigen Konstruktionen wie die von Nuhr zu den griechischen Reparationsforderungen.  Mit Mut zur geschichtlichen Lücke behauptet er wahrheitswidrig, diese seien dem Schuldner just in time eingefallen:

„[…] aber dass das jetzt ausgerechnet jetzt von den Griechen kommt, […] da die Griechen das geliehene Geld nicht zurückzahlen wollen, nährt in mir den Verdacht […]“
(Nuhr im Ersten, 16.04.15, ab ca. Sendeminute 0:4:40; Hervorhebg. der SaSe-Red.).

Doch, die „jetzt“-Dopplung ist identisch! Und das „wollen“ ist richtig gut!

Sind es womöglich solche „Fakteninnovationen“ à la Nuhr, die Sieber meint? „Man weiß es nicht“, könnte Nuhr an dieser Stelle eine seiner qualvollen Standardwendungen aus dem Kästchen der ewigen Wiederholungen hervorkramen. Mehr aber weiß zum Beispiel Professor em. Hans Günter Hockerts, Mitglied der Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Reichsfinanzministeriums in der Zeit des Nationalsozialismus, der sich intensiv mit der Frage deutscher Reparationen und finanzieller Wiedergutmachung nach 1945 beschäftigt hat. Der behauptet doch glatt, dass Griechenland nicht zufällig „jetzt jetzt“ seine Reparationsforderungen erhebt, sondern solches schon seit 20 Jahren tut (Quelle).


An der Wand: Liebkind, Appelt, Sträter, Rebers
Ach so, Gäste in der Nuhr-im-Ersten-Sendung gab es natürlich auch wieder und nu(h)r am Rande: Lena Liebkind, Ingo Appelt (comme d’habitude), Torsten Sträter (comme d’habitude), Andreas Rebers (comme d’habitude). Dass sich hier auch nur und mit wenigen Variablen das ewig gleiche Personal versammelt, muss bei der Kritikfülle in den Hintergrund rücken. Gerburg Jahnke ist kurz vor Sendung vermutlich eine neue Cellulite-Studie auf den Schreibtisch geflattert und war deshalb unabkömmlich?

Anders als in vergleichbaren Sendungen dienen die Monologe des Gastgebers auch nicht dem Ziel, die Auftritte der Kabarettisten/Innen-Kollegen zu einem harmonischen Ganzen zusammenzufügen. Stattdessen füllen die Gastauftritt nur die Lücken zwischen den selbstverliebten, seit gefühlten 200 Jahren in gleicher Manier und Gestik vorgetragenen Attacken Nuhrs gegen Wutbürger, Frauen („die Damen“ – siehe unten), faule Griechen oder andere Verlierer des Systems.

Die Konstante Ingo Appelt ist dabei Garant des geistigen und Gender-Niveaus. Ob der erkennbar klaftertief in seine individuelle, variantenreiche und mit überzeugendem Engagement vorgetragene Kunst versunkene Andreas Rebers überhaupt noch mitkriegt, wessen Gast er ist, darf füglich bezweifelt werden. Seine Funktion als ideologischer Persilschein der Sendung dagegen nicht! Und Torsten Sträter sitzt vielleicht nicht zufällig sooo weit von Publikum und dem sich lassiv im Sessel lümmelnden Nuhr entfernt. Seine Bühnenpräsenz könnte Letztgenannten gefährden.

Beschützerreflexe beim Zuschauer vermochte das Nachwuchstalent Lena Liebkind auszulösen. Deren im Kontext mit dem Ukraine-Konflikt vorgetragene Botschaft, nicht jeder Schlagzeile zu glauben, schien sich primär an den Gastgeber selbst zu richten? You know: die Reparationsforderungen der Griechen „ausgerechnet jetztjetzt“. Inwieweit der Makel, den ersten Fernsehauftritt ausgerechnet (Monopolbruch Wiederholungen) bei Dieter Nuhr gehabt zu haben, die weitere Karriere der jungen Kabarettistin beschwert, wird zu beobachten sein.


Wörterbuch in Arbeit
Die Linguisten jedoch hat Dieter Nuhr spätestens gestern Abend nachhaltig inspiriert. Unbestätigten Gerüchten zufolge arbeiten die jetzt schon unter Hochdruck am Wörterbuch: BILD – Nuhr / Nuhr – BILD. Das wird ein Verkaufsschlager – fürs Bildungsbürgertum, das dann mit ironischen Abwägungen („Man weiß es nicht“) in gestelzten Phrasen Griechenland-Hetze abzusondern in der Lage wäre, ohne sich gleich als BILD-Zeitungsleser zu outen … wie das dagegen Nuhr ganz unverschämt und sexistisch auf seinem Facebook-Account tut:

Ausschnitt aus Bildzitat Screenshot Facebook Dieter Nuhr: Jeder hat seinen thematischen, rezeptiven und kommentatorischen Fokus eben dort, wo er sich zuhause fühlt!

Ergänzender Lese-Hinweis: Ältere TV-Kritik dieser Autorin des damalligen Satire-Gipfels hier!

Aktualisierung vom 19.04.15:
Die Begeisterung bei(m) Nuhr-(Management?) über diese Fernsehkritik hält sich wohl doch in Grenzen? Auf dem Facebook-Account von Dieter Nuhr hatte der (dieser Redaktion völlig unbekannte) Poster Alois M. einen Hinweis auf SaSe12 gepostet und den Artikel verlinkt:

Bildzitat Screenshot Facebook Dieter Nuhr am 18.04.2014: Zwischen dem Posting von Joey S. und Angela H. L. der Hinweis von Alois M. auf SaSe12

24 Stunden später allerdings ist dieser Hinweis und Link auf dem Facebook-Account von Dieter Nuhr verschwunden (die vorherige Position ist im Screenshot durch den roten Pfeil nachvollziehbar markiert).

Bildzitat Screenshot Facebook Dieter Nuhr am 19.04.2015: Das vorherige Posting mit dem Link auf SaSe12, das zwischen den Einträgen von Joey S. und Angela H. L. stand, ist verschwunden.

Bitte: Das ist völlig legitim. Und Nuhr schreibt ja auch im Info seines FB-Accounts:

Beleidigte, Missgelaunte und Miesepeter werden entfernt. Ich darf das, ich bin hier daheim. Pöbler dürfen zu Hause weiterpöbeln.

Die Zuschauer sollten das nur wissen: Kritische TV-Kritik gehört demgemäß vermutlich in die Reihen der "Beleidigten, Missgelaunten, Miesepeter und Pöbler".

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