Dieses Buch hat das Zeug zur (neuen) Satire-Bibel – post Charlie Hebdo! Für den von der ewigen Qualfrage („Was darf Satire?“) bis aufs Blut gepeinigten Satirefreund bringt es tiefenwirksame Erleichterung, süffig-herb im Abgang! Heraus quellen Linderung und Klärung verheißende Worte von einer Satire-Elite des Landes, wie sie in den Redaktionen von Titanic und taz-Wahrheit vor sich hin erkennt.
Herausgegeben haben diese Labsal spendende Wundauflage mit dem Werbespruch „aktuelle Beiträge zu einer alten Frage“ Heiko Werning und Volker Surmann. Letzter ist praktischerweise gleich der Verleger (Satyr-Verlag). Werning ist ständiger Mitarbeiter des Satiremagazins Titanic, bloggt und schreibt für taz, Jungle World und andere Medien. Hört, hört!
Die Anthologie vereint 38 Autoren, wobei die schändliche Frauenquote (total: 23 Prozent; im Nur-Textbereich gleich nur noch 16 Prozent) leider gleich wieder einen separaten Peitschenhieb mit langem Anlauf verdient hat. Die sieben (von 31) Textbeiträgen aus femininer Feder stammen von Hazel Brugger (die aber auch nur einen Text aus ihrem gerade erschienen Buch Ich bin so hübsch verwurstet – schade!), Silke Burmester, Kirsten Fuchs, Jacina Nandi, Margarete Stokowski, Ella Carina Werner und Elke Wittich. Katharina Greve und Miriam Wurster steuern Cartoons bei.
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Für das zum orgastischen Stöhnen verleitende Linderungs-Wow des Buches finden sich vor allem zwei Ingredienzen synergetisch zusammen: (wenige) exquisite meta-satirische Analysen des feuilletonistischen und pseudo-akademischen Diskussionsdesasters nach der Paris-Zäsur im Januar 2015 sowie exzellente Satiren von einem Tiefgang und einer Treffsicherheit, wie sie Satire andernorts (z. B. auch im deutschen Fernsehkabarett) schon länger bitterlich entbehrt.
Und das liegt nicht nur am Inhalt und an den Themen; es liegt zuvorderst daran, dass diese Autoren noch etwas beherrschen, was der Satire-to-go im Internet und auf den Bildschirmen so bitter abgeht: die Form, die sprachliche Kunst! In einer Zeit, wo Satiriker und deren Freunde sich aus rein demokratischen Gründen auf die Seite von schmalbrüstigen Clowns schlagen müssen, die mit einem Lexikon von „Ziegenficker“ bis „Schrumpelklöten“ (Lexikon komplett hier) weltweite Aufmerksamkeit erzielen, vergewissern uns die Autoren von Ist das jetzt Satire oder was? (künftig abgekürzt mit „Sow?“) der Herrlichkeit, dass noch nicht alle den alternativlos zweiten, den Inhalt ergänzenden und ebenso bedeutsamen Bestandteil von Satire, ihre Form, vergessen haben; und ihn vor allen Dingen auch beherrschen. Deshalb könnte der zur Übertreibung neigende Satirefreund das Büchlein (224 Seiten) glatt zum Brevier, zum Manifest hochjazzen; Manifest des Buch gewordenen Trostes, dass Form unter den Satirikern doch noch nicht ganz vergessen ist.
Die 38 Beiträge (Texte und Cartoons) verteilen sich auf vier Kapitel, deren Zuordnung zu nachgenannten Themenkreisen nicht unbedingt nachvollziehbar ist und aus dem Zwang geboren sein mag, die erhaltenen Beiträge halt irgendwie systematisch zu gruppieren. Der (für mich) wichtigste Text – apart vom schieren satirischen Lesegenuss der anderen – ist ohnehin die Einleitung von Heiko Werning. Ansonsten, so schreibt er dort, verklammern sich die Beiträge thematisch zu der Debatte nach Charlie Hebdo (Abschnitt 1), Einblicke in das Satireverständnis der Rezipienten (Abschnitt 2), Grenzgänger zum Irrsinn (Abschnitt 3) sowie im vierten Abschnitt Satiren, die sich mit Dogmen und Ideologien auseinandersetzen; also: ganz wichtig!
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Der meta-satirische Status quo
In seiner Einleitung erklärt Werning den Buchtitel, der als Zitat zum Standardkonvolut der Kommentare „unter jedem halbwegs gelungenen satirischen Text im Netz mit großer Sicherheit“ zu finden sei. Dazu gehören dann noch „Mit Mohammed hättet ihr euch das nicht getraut“, „Das ist doch Bild-Zeitungs-Niveau!“ und „Ab ins Gas mich euch!“ (S. 11).
Noch viel dringender jedoch als die hassgesteuerten und meist anonymen Kommentatoren sind die Journalisten, vor allem die Feuilletonisten für ihren schändenden Umgang mit dem Genre an der Gurgel zu packen und pädagogisch zu würgen (bei erhaltener Würde natürlich). Deshalb beginnt Werning auch mit dieser Tätergruppe, die es zunächst ja einmal zu erkennen gilt. Das ist nicht unbedingt schwer, denn sie bezieht sich schon eingangs ihrer Emission auf den einzigen Referenzpunkt, den sie im Satireuniversum kennt: Tucholsky und sein berühmtes Zitat „Was darf die Satire?“, zumeist und mutmaßlich aus Unkenntnis unter Weglassung des bestimmten Artikels im Originalzitat:
Wenn irgendwo über Satire geschrieben wird, und dieses Zitat fällt in einem ernst gemeinten Kontext, also nicht selbst satirisch gebrochen, dann kann man mit sehr hoher Treffgenauigkeit annehmen, dass der Autor ein Depp ist. Und wenn diesem Zitat ein „aber“ folgt, mit direktem Komma-Anschlöuss oder in relativierenden Ausführungen, dann kann man sogar sicher sein, dass der Autor ein Volldepp ist.
(Heiko Werning und Volker Surmann „Ist das jetzt Satire oder was?“, S. 7)
Das macht vieles leichter und beendet manche Lektüre gerade noch rechtzeitig, wenn man diese lexikalische Signal-Gruppe beachtet. Für die erklärte Missachtung wiederum kann man jederzeit Werning einwenden und zitierend vor sich schieben.
Tucholsky jedoch habe die Grenzen der Satire zwar benannt, diese jedoch nicht als Scham-, sondern als Außengrenzen benannt. Hier muss man Wernings Interpretation nicht unbedingt logisch folgen können; klingt aber gut! Er, der große Altmeister, habe die Satire von der Nichtsatire abgegrenzt, die „echte Satire“ vom „ständigen Eiertanz“, den, darauf weist der Exeget ausdrücklich hin, spätestens nach dem Attentat auf Charlie Hebdo so viele wieder fordern.
In erkennbar tieferer Auseinandersetzung mit dem Tucholsky-Zitat argumentiert Werning mit der Konsequenz aus der unumstößlichen mathematischen Wahrheit des Hypothesentests: beim Anvisieren des Ziels von Satire, nämlich alle mit Dummheit Infizierten treffen zu wollen, zwangsläufig in die Breite zielen zu müssen – um den Preis, dass sie, die Satire, immer mehr trifft, als getroffen gehören. Unvermeidbarer Kollateralschaden!
Darauf einen Hopfensteiner!
Hin und wieder fallen Namen. Schon in der Einleitung. Zum Zwecke der Grenzmarkierung. So etwa zieht Werning eine satirische Nulllinie bei Dieter Nuhr, dem er sich aber immer noch freundlich zuneigt mit der Konzession, hin und wieder gelinge selbst ihm ein passabler Scherz. SELBST IHM! An solchen Stellen entfaltet die Wundauflage ihre heilsame Tiefenwirkung.
Heiko Werning sonst noch so:
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Satire hat immer eine Richtung
Das mit Dieter Nuhr hat – des Sängers Höflichkeit verschweigt das an der betreffenden Textstelle und die Rezensentin greift hier unautorisiert ein – natürlich auch etwas mit der Richtung von Satire zu tun:
Satire hat eine Richtung, und zwar von unten nach oben. Satire zielt immer auch auf normative Setzungen und hinterfragt diese. Insofern kann sie nie im politischen Sinne konservativ sein, weil beharrendes Bewahren der Dynamik des Hinterfragens im Weg steht.
(ibid. S. 11; Hervorheb. SaSe)
Diesen Satz habe ich jetzt auswendig gelernt, weil er mir vielfach verwendbar erscheint – insbesondere wenn es darum geht, die heute überall eitrig-stinkend hervorbrechenden satirischen Mogelpackungen von Rechten, Extremen, Rassisten und Truthern kenntlich zu machen; konzentriert zu finden zum Beispiel auf dem Satire-Blog Spülgel online. (Nein, so etwas hyperlinke ich nicht!)
Damit haben wir schon ein ganzes Merkmalcluster für die Satire-Wesensfrage zusammen: untere Nulllinie in der Höhe von Dieter Nuhr, Außengrenzen ja, Schamgrenzen nein, Kollateralschaden inklusive und das Ganze mit einer charakteristischen Richtung. Aber es kommt noch besser: Nachdem Werning auch noch sogenannte Debattenbeiträge, „die sich zunehmend gerne launig bis satirisch geben“ (S. 12) aussortiert hat, mehr als ein Wort zur Religion verliert, die sich als Norm kaum noch zum satirischen Ziel eigne, formuliert er entlastend ein – bei mir – bisher unartikuliertes, dafür aber brodelndes Unbehagen:
Viel interessanter ist, dass mit dem Rückzug der religiösen Normen die Zahl der Normen insgesamt nicht zurückgegangen ist. Sie lauten jetzt halt anders: „Du sollst nicht blackfacen.“ „Du sollst Amerika für alles Übel auf der Welt verantwortlich machen.“ „Du sollst korrekt gendern.“ „Du sollst kein Fleisch essen und das Tier wie einen Menschen achten.“
(ibid. S. 12f)
Hagen Rether lässt, von Werning unbenannt, zumindest für den ersten Satzteil des letzten Diktums grüßen!
Quelle dieser Normen?
Vor allem die Political Correctness der alternativen und linken Bewegungen gebiert zurzeit Norm um Norm, die nicht selten mit fundamentalreligiösem Fanatismus gepredigt und verteidigt werden.
(ibid., S. 13)
SaSe-Stammleser ahnen hier vielleicht schon, in welche Denkfunk-Richtung der Zug fährt? Hier die Auflösung, welche die genannte Zusammenrottung per definitionem obsolet macht – zumindest hinsichtlich der dort versammelten Satiriker und Kabarettisten. Weil! Nämlich! Doppelpunkt und Trommelwirbel: Satire ist im Wesen immer antiideologisch. (Schreiben – bitte! – Die-Anstalt-Macher mit?)
Und in dem Tempo, wie derzeit neue Normen auf den Markt geschmissen werden, ist es Aufgabe von Satire, sie zu hinterfragen, an ihnen zu rütteln und zu schauen, ob die Früchte der normativen Erkenntnis fest angewachsen oder bloß geistiges Fallobst sind.
(ibid. S. 13)
Die Fruchtbarkeit dieses Ansatzes käme dem Serdar-Somuncu-Fan vielleicht gerade zupass, um über diesen Hebel mangelnde Manieren und den komatös-fäkalen Ruch aus der „Form“ des Hassisten rechtfertigen zu wollen. Das aber ginge (mir) zu weit! Außerdem gehört Somuncu zu Denkfunk und Denkfunk ist definitiv nicht mehr im Satire-Spiel, nimmt man Werning einigermaßen ernst.
Jetzt haben wir uns aber schön mit der Einleitung verplaudert! Dabei bietet dieses Buch noch viel mehr!
Einzelstücke
Der Tucholsky-Originaltext darf nicht fehlen und eröffnet (S. 17) den Reigen der Beiträge, die sich in der Regel auf wenige Seiten beschränken. Der Titanic-Chefredakteur Tim Wolff nimmt einen eigenen Text, kurz nach dem traumatischen Attentat auf die Satirezeitschrift geschrieben, kritisch unter die Lupe.
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Den ideologischen Gleichklang einiger der Autoren belegt dabei sein Seitenhieb auf Springer – „Meinungsfreiheit […], solange diese in erster Linie die Freiheit des Springer-Verlags und seiner Epigonen ist“ (S. 22f) -, der sich ähnlich dann bei Stefan Gärtners „Alle Charlie, keiner Bodo“ (S. 26) wiederfindet. Der darf sich dafür bildungsnachweisend auf Peter Rühmkorfs Beobachtung berufen, „daß die Pressefreiheit die Freiheit derer ist, denen das Papier gehört“ (S. 27).
Noch einmal kommt Werning zum Zuge und choreografiert in der feinen Polemik „Satire im Namen der Vernunft“ (S. 31) deren vielfältige Werkzeuge. Dazu beschäftigt er sich mit den Absonderungen von Bernd Matthies, Tagesspiegel, löst dessen windschiefe Argumente aus ihrem beengenden Kontext und stellt deren nicht vorhandene Statik im Rahmen der Vernunft zur Schau. Eine Herrlichkeit!
Auch Torsten Gaitzsch greift in genannte reich gefüllte Werkzeugkiste des Genres und friemelt ein bei jungen Satire-Rezipienten eventuell völlig unbekanntes Instrument wie die Fabel hervor (S. 36).
Sebastian Krämer (im Autorenprofil als „Sänger und Dichter“ angegeben) mit seinen Ausführungen zum Begriff der Realsatire (S. 39) und dessen fehlerhafte Alltagsverwendung kann ich nicht an allen Stellen folgen; kann aber auch an mir liegen.
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Jan Gympels (gern auch hier) Dokument aus dem Redaktionsalltag eines angeblichen Witzblattes (S. 47) bettet sich sardinenförmig an weitere herbe Erfahrungen im Umgang mit Redakteuren und Verlagen, wie sie Satiriker im Allgemeinen und Michael Ziegelwagner (war auch mal Titanic-Redakteur) im Besonderen in „Wie mir Springer einen Streich spielte“ (S. 56) zu Protokoll geben.
Der zentrale – und bei der Erstbegegnung erquickliche – Gag von Moritz Neumeier (Moderator, Kabarettist, Poet) zu den fliehenden Grenzen der Satire im Umgang mit Behinderten – „Flamongo“ – ist auch nicht ganz neu und schon aus dem Fernsehen bekannt.
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Die Texte in „Abschnitt 2“, also „Einblicke in das Satire-Verständnis der Rezipienten, verklumpen stellenweise zum wehkleidigen Zunftgejammer über ein von Satire unabhängiges Phänomen: rassistische und hassbrodelnde Kommentare im Internet, von dem alle im Netz Publizierenden betroffen sind, auch wenn gerade kein Verlag zur Hand ist, der den Kummerkasten-Inhalt veröffentlicht. Immerhin: 13.000 Leserbriefe vor allem von Muslimen wegen einer unter Gotteslästerung-Verdacht stehenden Satire in taz-Wahrheit sind eine imposante Zahl, die zu nennen (S. 86) sich Michael Ringel in „Post aus Kabul“ auch nicht zu entschlagen weiß; muss – ist er doch taz-Wahrheit-Redakteur!
Auf Heiko Wernings dritten Text – „Hier spricht der deutsche Tierschutz“ (S. 96) gehe ich aus Gründen der Fairness nicht ein. Als emeritierte Herausgeberin eines tierschutzkritischen Blogs (der Startseiten-Text weist sie vollumfänglich ein!) kann mir der Autor zur Tonalität und dem Misanthropie-Füllungsgrad dieser inländischen Extremistengruppe auf gar keinen Fall das Hass-Speichel-Wasser reichen.
Mit „Opfer des Aufschwungs“ von Mark-Stefan Tietze (natürlich wieder Redakteur bei Titanic) habe ich auch so meine Probleme, was ja nur zeigt, dass Satire und ihre Rezeption eben stark vom eigenen Erfahrungshorizont abhängt. Eine „Satire“ aus dem zu machen, was Prekariern und Einkommensverwandten tagtäglich so an Vorurteilen und Ressentiments begegnet, widerspricht dem, was Werning einige Seiten zuvor nun gerade als ihr Wesen bestimmt hatte. Aber bitteschön! Titanic-Redakteur – was willste dagegen sagen?
Wie adult es ansonsten in der Titanic-Redaktion zugeht, mag dieser peinliche Einblick dokumentieren:
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Michael Bittners (DonnerkielundRegenwetter: mal kein Titanic-Redakteur!) „Wie schreibe ich einen Hassbrief? Eine Anleitung“ (S. 129) ist nur ein lauwarmer Aufguss ähnlicher Texte und ad nauseam bekannter Merkmale der Zuschriften des Internet-Mobs.
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Best of … sprachliche Meisterwerke
Das ganze Buch ist ein einziger Lesegenuss, zu dem neben den verschiedenen Perspektiven und satirischen Techniken ganz besonders die hohe sprachliche Kunst beiträgt. Besonders konzentriert findet sich diese in Abschnitt III „Jawoll, endlich sagt’s mal jemand!“.
Markus Liske „Mit den ‚Penis des Blutes‘“ habe ich inzwischen bestimmt 15 Mal gelesen. Der für mein Umfeld auch akustisch vernehmbare Spaß an der Polemik über den „Großmeister des anarchisch-entgrenzten Boulevardpoems“ (S. 141) – den Bild-Kolumnisten Franz Josef Wagner – wird jedes Mal noch größer, weil hier die einfallsreichen Metaphern nicht nur hirngängig gezäumt, sondern auch mutig und stilsicher geritten werden. Etwa wenn der Weltgeist aus Mitleid mit der deutschen Nachkriegsliteratur als Kugellenker in den frühen biografischen Stadien Wagners im August 1943 indiziert wird, weil genannte sonst womöglich „ohne Wagners transzendentale Sprachgewalt“ hätte auskommen müssen. Man mag es sich ja gar nicht ausmalen!
Wir allerdings müssen es nicht und können uns sicherer auf Liskes Sprachgewalt stützen:
In den Folgejahren trieb er daher als Chefredakteur mehrere Boulevardblätter, die es sicher verdient hatten, in den Ruin und schien darin lange Zeit seine Bestimmung gefunden zu haben.
[…]
In dieser [i. E. Bild-Zeitung] publiziert er seither beinahe täglich seine oft verstörenden Mixturen aus Prosagedicht und minimalisierten Briefroman, die nicht nur durch syntaktische Freiheitsliebe und exorbitante semantische Ambivalenz überzeugen, sondern als wahre Monumente unverfälschter Menschenliebe und christlichen Mitgefühls einzigartig in der europäischen Literaturgeschichte stehen.
(Sow? Martin Liske „Mit dem ‚Penis des Blutes‘. Das literarische Spätwerk Franz Josef Wagners“ S. 141; Hervorheb. SaSe)
Liske kennt so seltene Lexeme wie „Musenkuss“ und entdeckt die „teuflische Dimension“ im Wort „Feminismus“ in der Verwendung à la Wagner, wenn und weil der ohne ein negativierendes Adjektiv vor dem Diabolischen schlechthin auskommt. Liskes Polemik findet aus dem verkehrsreichen Arschloch-Scheiße-Ziegenficker-Tal heraus und erklimmt so wonnigliche Höhen wie die Etikettierung eines Wagner-Briefs an die Freifrau zu Guttenberg, der „zu den wohl beeindruckendsten Literarisierung des Masturbationsvorgangs“ gehöre.
Seine, Liskes, Sprachgewalt beschränkt sich nicht auf die Produktion derlei monumentaler satirischer Meisterstücke, sondern bietet schon in der Analyse die Voraussetzung dafür. Zum Beispiel, wenn er erkennt, wie Wagner – vermutlich nolens-volens? – „mit unumwunden kurzen Stoßsätzen“ zur Tat schreite. Alles sauber im Bild!
Das alles ist aber noch gar nicht der Höhepunkt des Liske-Textes. Den erreicht er bei der Rindsroulade, die von Wagner auserkorene Speise als Symbol von Liebe schlechthin. Wo findet der Sprachfreund heute noch lesbare Exerzitien der Kunst der Aposition („Beifügung“), hier sogar im eigens unterbrochenen Zitat und exakt an der Stelle, die den Leser vor Gaudi vom Sofa kippt. Liske zitiert Wagner in einen Brief an Stephen Hawking:
„Ihre Schlussfolgerung ist, wir sind alle zufällige Kreaturen. Wenn wir tot sind, dann sind wir tot. Wen interessiert’s. Das Nichts interessiert nichts. Was für ein fürchterliches Universum beschreiben Sie. Ein Universum ohne Liebe“ – also Rindsrouladen – „Humanismus, Mitgefühl. […]“ […]
(ibid. S. 146)
Kurz und trocken. So muss sie sein, die treffliche Satire! Der Spaß geht dann unbegrenzt weiter mit der Enthüllung unsäglicher Wagner-Vergleiche wie etwa dem – vermutlich mutierten? – Maulwurf, dem es nach Sonnenlicht dürstet. Und wieder rauf auf die Couch!
Ein vergleichbarer Genuss ist auch „Poschardts Bürger“ von Volker Surmann, „Ist das noch Wochenenddepression oder schon Midlife-Crisis?“ von Heiko Werning sowie „Äpfelpressen in Nordhessen“ von Fritz Eckenga.
Aber auch: der Muff des Männerbundes
Bei aller Begeisterung / Euphorie / Hysterie? / Hyperbolik von wegen „Bibel“ und „Manifest“ und so – oder war das unkenntlich gemachte Ironie? -, sprachliche Meisterschaft und was des Rezensentinnen-Schwelgens mehr sei: Sow? verströmt auch den Muff des Männerbundes. Hier verlautbart sich in teilweise apodiktischer Attitüde eine ganz bestimmte Gruppierung, die mehrheitlich über die nämliche Sozialisation in den Redaktionskamenaten von Titanic und taz verfügt. Gefühlt jeder zweite Autor ist, war oder wird sein Redakteur eines der genannten Blätter. Plus so Highlights wie die Prix-Pantheon-2016-Preisträgerin Hazel Brugger, die dann aber auch nur einen schon andernorts abgelieferten Text beisteuert. Schlapp und uninteressiert. Die schon angesprochene Selbstrezension von Tim Wolff „Es lebe der Witz (denn das Leben ist einer)!“ (S. 20) kann man auch anders lesen. Und vielleicht stößt dem Leser dabei die zwischen den Zeilen vorwitzig herausdrückende Überheblichkeit gerade auch gegenüber den Kollegen aus dem unernsten Fach auf?
Bei genauerer Betrachtung findet sich derselbe blinde Fleck gegenüber der eigenen Zunft, wie er von Satirikern so gern bei Dritten gegeißelt wird. Werning spricht in seiner Einleitung von den „unsinkbaren Schlachtschiffen Titanic und taz-Wahrheit“ (S. 9f). Vorsicht! Das mit dem „unsinkbar“ passt nun gerade auf die Titanic ausgesprochen schlecht und hätte bei weniger wohlmeinenden Rezensenten auch eine Anwartschaft auf Aufnahme in die einschlägigen Stilblüten-Sammlungen – käme diese Blüte nicht von einem Satiriker. Wobei ich das Gefühl habe …
Und mit der Realität medialer Präsenz und Resonanz genannter Publikationsorte hat Wernings zweifellos phonstarkes Pfeifen im Wald auch nicht soo viel zu tun. Ich kuratiere täglich Satire-Meldungen in der bundesdeutschen Presse. Titanic und taz-Wahrheit kommen dort äußerst selten vor. Dagegen nahezu wöchentlich Der Postillon, sehr häufig der österreichische Satire-Blog Die Tagespresse. Dazu themenspezifisch diverse Facebook-Accounts mit enormem Zulauf und hohen Leserzahlen. Dort steppt der Satire-Bär.
Entsprechend vermisst der Szenekenner in Sow? Autoren wie – um nur zwei Namen zu nennen – Stefan Sichermann oder auch Henning Venske, der 2015 das viel beachtete meta-satirische Buch Satire ist nur ein Affe im Kopf (keine SaSe-Rezension dazu, leider!) herausgegeben hat.
Auch zu den jüngeren Herausforderungen literarischer Satire – mir fiele ein Michel Houellebecqs Unterwerfung, Timur Vermes Er ist wieder da und vor allem Martin Amis Interessengebiet – findet sich kein Wort in Sow?, das, und damit kommen wir auf den G-Punkt, primär selbstreferenziell (auf die eigenen Texte der dort schreibenden Autoren und ihre ganz persönlichen Erfahrungen bezogen) argumentiert und lamentiert. Ausnahme: besagte und besungene Einleitung. Vielleicht hat die mich gerade deshalb so begeistert?
Bevor diese Rezension jetzt womöglich länger wird als das Original und damit ganz im satirischen Geiste die Norm noch mehr verletzt, bitte lesen Sie es selbst. Aber: unbedingt! Sonst: nicht mitreden können. Wer will das schon?
Heiko Werning, Volker Surmann (Hrsg.):
Ist das jetzt Satire oder was?
Beiträge zur humoristischen Lage der Nation.
Satyr-Verlag, 2015
224 Seiten
ISBN 978-3-944035-56-7 (Print), 13,90€
ISBN 978-3-944035-62-8 (E-Book), 9,99€
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