Vorab-Hinweis:
Den SaSe-Lesern empfehle ich ausdrücklich diesen Südkurier-Artikel der freien Journalistin Katy Cuko, die sachlich, ausführlich und faktengetreu über die bemerkenswerte Veranstaltung der Gemeinde Uhldingen-Mühlhofen im Welterbe-Saal zum Thema „Alte Schule“ berichtet. Diese Veranstaltung ist auch Grundlage meiner nachstehenden satirischen Betrachtung.
Überdies kann der Südkurier noch mit einer ganz sensationellen Nachricht vom Tag danach aufwarten: Trotz streng gegenteiliger Behauptungen auf der Veranstaltung selbst habe Bürgermeister Edgar Lamm urplötzlich für den 19. Dezember 2018 eine Sondersitzung des Gemeinderats angesetzt. Einziger Tagesordnungspunkt: „Antrag des Bürgermeisters auf einen Bürgerentscheid zur Schulstraße 12“!
Das sind völlig neue Töne in Uhldingen-Mühlhofen und transportiert eine für die Demokratie in Deutschland 2018 wichtige Botschaft: Bürgerprotest kann fruchten!
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Die satirische Betrachtung einer realsatirischen Veranstaltung
Nein! Ich hatte im Hinblick auf die Gemeinde Uhldingen-Mühlhofen und Bürgermeister Edgar Lamm noch keine Schuld auf mich geladen. Und trotzdem war die Strafe, die der kleine Mann mit dem Unschuld suggerierenden Namen bei der „Informationsveranstaltung“ zum Thema „Alte Schule“ im Welterbesaal in Uhldingen am 3. Dezember 2018 über mich verhängte, gnadenlos.
Lamm-bezüglich also bisher kein Sündenregister, sieht man hiervon ab.
Keine endlosen Freifahrten durch den Kakao, wie sie etwa Bürgermeister Christoph Schulz (Ostrach) seit über einem Jahr von SatireSenf.de spendiert bekommt. Ich attestiere dem Ostracher Rathaus-Chef dabei neidlos: Haltung. Denn selbstverständlich und unter konstruktiver Beachtung gesellschaftlicher Konventionen begrüßt mich Schulz jedes Mal per Handschlag und mit namentlicher Anrede, auf welcher Veranstaltung auch immer ich – selbst wenn es zu seinem Leidwesen sei – erscheine.
Gerade erst hatte die Welt die Botschaft der „Wertschätzung“ vernommen, wie Bürgermeister Achim Krafft von Langenargen sie zur Voraussetzung gemacht hatte – zumindest aufseiten der beteiligungswilligen Bürger, so sie denn in den Genuss des Gnadenakts der Beteiligung zu gelangen trachten.
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(Angeberischer Exkurs der Autorin, in dem sie mit ihren Kontakten renommiert)
Mit dieser „Wertschätzung“ oder einer abgemilderten Variante davon, bekannt unter dem Begriff Höflichkeit, hatten sich auch die vielen Bürgermeister geschmückt, mit denen ich im Rahmen meiner journalistischen Tätigkeit in der Vergangenheit zu tun hatte. Unvergessen der Charmeur Hans-Jürgen Osswald, Bürgermeister von Neuhausen ob Eck. Er verfügt über die Kunst, einer berichtenden Gästin beim Betreten jedwelchen Veranstaltungssaals das Gefühl zu vermitteln, nur auf sie und auf sie ganz speziell und auch besonders freudig gewartet zu haben. Der Bürgermeister im Ehrenamt Raphael Osmakowski-Miller, Hausen im Tal, mit dem bekannten Beuron ebenfalls eine Touristikgemeinde, war stets spürbar darauf bedacht, die journalistische Anreise, Anwesenheit sowie die Versorgung mit Getränken und den nötigen Sitzungsunterlagen geflissentlich sicherzustellen. In der Gastronomie nennt man so etwas Service.
Man muss sich ja nicht mit allen Bürgermeistern so gut verstehen wie ich mit meinem Duz-Freund Franz Moser, Bürgermeister (CDU) von Hilzingen 1988 bis 2012. Ich erwarte von den im Kakao kreisenden Bürgermeistern auch nicht, dass sie mir jedes Jahr eine nette Weihnachtskarte schicken, wie es seit Dekaden der frühere Gailinger Bürgermeister (von 1986 – 2018) Heinz Brennenstuhl (CDU) tut. Wenn mein eigener Bürgermeister Wolfgang Sigrist (CDU) sich gern auf die politische Diskussion mit mir einlässt, könnte man einwenden, dass er aus Gründen des publizistischen Selbstschutzes (ich wohne hier!) von den Kakao-Touren ausgeschlossen ist und Sigrist (nur) deshalb keine Vorbehalte pflege. Obwohl er mir gerade erst neulich eine Steilvorlage lieferte, die ich schweren Herzens vondannen ziehen ließ.
Ich erwarte von den Bürgermeistern am See, mein aktuelles „Kampfgebiet“, auch nicht so viel menschliche Größe, wie sie einst Andreas Renner (CDU) im Oberbürgermeister-Wahlkampf 1993 in Singen an den Tag legte. Der hatte die Kollegen und mich jeweils immer nur als „die Dame /der Herr von der Presse“ begrüßt. Nach einer diesbezüglichen sehr scharfen Glosse im Südkurier von mir entschuldigte er sich auf der nächsten Veranstaltung in aller Form – und öffentlich! – bei den Kollegen und mir.
Im Welterbesaal Unteruhldingen am 3. Dezember 2018 allerdings wären Pressevertreter schon für eine nichtnamentliche Begrüßung dankbar gewesen.
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Uhldingen 2018: 3 Stufen unter Höflichkeit und Umgangsformen
3. Dezember 2018, 17.40 Uhr vor dem Welterbesaal in Unteruhldingen: Schon jetzt ist der Saal halb voll! Unablässig strömen ihm weitere Bürger ihm zu. Am Schluss sollen es über 300 gewesen sein!
Mein besorgter Blick von außen in die an 360 Tagen im Jahr leerstehende, so behauptet es die Wortmeldung eines Bürgers an diesem Abend, millionenteure Räumlichkeit: Yes! Das mit dem „Pressetisch“ hat geklappt!
Das muss ich erklären! An den textlängenden Ausführungen oben zu meiner über drei Jahrzehnte hinweg reichende Sozialisation im Umgang mit Bürgermeistern der Landkreise Konstanz, Sigmaringen und Tuttlingen ist möglicherweise zu erkennen, dass ich – spitze Feder hin oder her – großen Wert auf Umgangsformen, Höflichkeit und die Professionalität lege, die meiner Meinung nach mit dem (in der Regel) gut dotierten Amt eines Bürgermeisters oder mit dem privilegierten Pressestatus verbunden sein sollten. Dazu gehört in meiner Berufspraxis auch eine sogenannte Presseanmeldung für öffentliche Veranstaltungen in Kommunen, die ich zum ersten Mal be- oder heimsuche. Zwar etwas spät, aber immerhin hatte ich am 3. Dezember 2018 um 11.08 Uhr eine solche Presseanmeldungsmail mit Namen, Herkunft und Teilnahme-Avis an Herrn Bürgermeister Edgar Lamm geschickt. Zur Erwähnung darin kam der in meinen Augen eigentlich selbstverständliche, dennoch auf vielen kommunalen Veranstaltungen fehlende, den Berichterstattern aber die Arbeit erleichternde Pressetisch.
Dimme ich die Spannungskurve an dieser Stelle mit dem Hinweis, dass trotz anderslautendem Angebot keine Reaktion auf diese schriftliche Presseanmeldung erfolgte?
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Lamm zeigt den Bürgern klar, auf welcher Seite er steht
Kühn rollatiere ich in den schon gut gefüllten Saal und nehme Kurs auf den von mir so sehr begehrten Pressetisch. Schräg vor diesem steht in knapp 1,50 Meter Entfernung: Bürgermeister Edgar Lamm. Er befindet sich im körpernahen und vertrauten, von gelegentlichen Lachern gesprenkelten und sich bis zu Veranstaltungsbeginn erstreckenden Gespräch mit Achim Niess, Finanzkanzlei am See, sowie Joachim Muscheid von der MBI Real Estate GmbH München (und nicht nur von dieser, wie dieses Schaubild eines – sicherlich nur mich beunruhigenden – Firmengeflechts zeigt).
Mit diesem verheerenden Bild am optischen Fluchtpunkt des Saals sendet Bürgermeister Lamm fast über eine Viertelstunde hinweg den immer noch in den Saal einströmenden Bürgern eine klare Botschaft. Er zeigt ihnen unmissverständlich, auf welcher Seite er steht. Nicht begrüßt er beim lockeren Schlendern durch die Reihen einzelne Bürger oder die anwesenden Gemeinderäte, spült die spürbar aversive Stimmung im Saal mit sozialer Kompetenz und Smalltalk weich, gibt sich wenigstens den Anschein des Bürgermeisters für alle.
Sein Platz ist an der Seite von Finanzinvestoren und Immobiliengeflechtedirigenten.
Aber bei aller demonstrativen Parteilichkeit: Es kann doch unmöglich sein, dass Lamm die anwesende Presse im Allgemeinen und mich als avisierten Newbie in Uhldingen nicht begrüßt? Doch, es kann! Über die genannten 15 Minuten hinweg blicken Lamm und seine Weltenlenker, von denen einer ein mich mit Mitleid erfüllendes kurzes Jackett trägt, angestrengt an mir vorbei, wenden mir die Entscheider-Rücken zu, über die sich die hier versammelten Bürger zurecht empören.
Missachtung von Person und gängigen Höflichkeitsstandards sollte allerdings nicht meine einzige Strafe (für was?) bleiben. Aushungern wäre über die 2,5 Stunden Veranstaltungsdauer keine wirklich erfolgreiche Strategie gewesen, aber mit dem Entzug von Wasser lässt sich die nächste Botschaft platzieren. Getränke auf dem Tisch der Referenten und des Bürgermeisters; nicht aber auf dem der Presse. Eine Lässlichkeit, ein Versehen, eine Pflichtvergessenheit der Veranstaltungshelfer? Daran kann ich nach dem Erleben dieses Abends nicht so recht glauben. Nach einer relativ weiten Anfahrt und zwei Stunden Veranstaltung, in der ich 12 Seiten mitgeschrieben habe, schleppe ich mich auf die Toilette, um dort per Hand aus dem laufenden Wasserhahn meinen Durst zu stillen.
Memo an meine Redaktionsassistentin Dörte Dorsch: „Für die nächste Veranstaltung, bei der die Gemeinde Uhldingen-Mühlhofen Gastgeber ist, Survival-Package vorbereiten!“
Ablauf des Abends: Zunächst wurden die beiden Nutzungskonzepte vorgestellt, die aus insgesamt 11 Angeboten vom Bauausschuss vorausgewählt worden waren: betreutes Wohnen versus Gesundheitszentrum wie gehabt. Näheres zu den Projekten entnehmen Interessierte bitte der exzellenten und vor allem satirefreien Berichterstattung des Südkuriers.
Bemerkenswert an der Vorstellung des von Bürgermeister Edgar Lamm durch sein „Eröffnungsbild“ erkennbar präferierten Nutzungskonzeptes, nämlich dem Verkauf der genannten Immobilie an einen bisher unbekannten und auch an diesem Abend ungenannt bleibenden Käufer und die spätere Nutzung für betreutes Wohnen war der von dem Mann in dem erbarmungswürdigen Sternenkind-Jäckchen genannte Mietpreis: 10 bis 12 Euro pro Quadratmeter. Bewundernswert die Disziplin der Uhldinger Bürger, die bei dieser Preisangabe nicht vor Lachen vom Stuhl rutschten.
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Eine lebende Kundendatei und ein geliebter Sohn
Eine weitere Nebenerkenntnis dieses nur getränketechnisch trockenen Abends: Wäre ich Patientin des Wu-Taichi-Zentrums Bodensee, käme ich orthopädisch bestimmt auch nicht so erbarmungswürdig daher! Diese Botschaft zumindest übermittelte mir die wortführende Kundendatei, welche der „übende Philosoph“ Ulrich Gössler, von den zur Disposition stehenden Entscheidungen der Gemeinde existenziell betroffen, sicherheitshalber, jedoch bis zum stöhnenden Überdruss weniger gesundheitsbewusster Bürger zur Veranstaltung mitgebracht hatte.
Gössler und seine Gesundungsgenossen, die teilweise an identischen, knall-türkisfarbenen Schuhen erkennbar waren (vermutlich ebenfalls mit vitalem Impetus?), turnen, musizieren und gesunden seit 2014 in dem „Ortsbild prägenden“ Gebäude von „heimatgeschichtlicher“ und „zeitgeschichtlicher“ und „identitätsstiftender Bedeutung“ unter der unbescheidenen Überschrift Wu-Taichi Medical Zentrum Bodensee. Dahinter steht ein Verein, der, so gab Gössler auf eine kritische Nachfrage des ihm offensichtlich verhassten Journalisten Peter Groß an, im Vereinsregister der Stadt Düsseldorf eingetragen sei. Studiert man das Seminarangebot des Gesundheitszentrums, fällt zuvorderst auf, dass Preisangaben fehlen. Und ich glaube, ich weiß auch warum! Eine Umsatzsteueridentifikationsnummer im Impressum habe ich auch nicht gefunden. Aber ich gehe fest davon aus, dass die in die Sohlen der schrei-bunten Schuhe eingraviert ist?
Wer sich in dem Land, in dem wir angeblich alle gut und gerne leben, weder türkisfarbene Schuhe noch Gesundheit der fernöstlichen Art leisten kann, dem wusste der vor Vaterstolz schier platzende Uhldinger Rechtsanwalt Johannes Dieter Gmeinder frohe Botschaft zu künden. Denn nicht nur fernöstliche Gesundheit, sondern ur-Uhldinger Musik soll künftig unter dem dann nicht abgerissenen Dach der „Alten Schule“ eine Heimat finden. Heil erwachse den Uhldinger Bürgern dabei aus dem Weltklasse-Klarinettisten Professor Johannes Martin Gmeinder, Sohn des proppestolz lobpreisenden Vaters, der, der Sohn, wegen, trotz oder ungeachtet seines Weltklasse-Klarinettistentums und momentanen Verweilens in asiatischen Gefilden künftig mit anderen Weltklasse-Klarinettisten auf Weltklasse-Niveau in besagter „Alten Schule“ in Unteruhldingen … Sie ahnen es: musizieren werde.
Hätte ich türkisfarbene Schuhe angehabt, es hätte sie mir ausgezogen! Und auch bei prima vista anrührendem Vaterstolz gilt: Die Dosis macht das Gift!
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„Tafelsilber verkauft man nicht!“
Ab 18.50 Uhr durften die Bürger das tun, was Lamm nicht mehr verhindern konnte: sich zu Worte melden. Und ab ging die Post. Abgesehen von der gefühlt endlosen Reihe der Gesundung verkündenden Kunden/Patienten des Wu-Taichi-Gesundheitszentrums, die sich für den Erhalt desselben aussprachen, waren es nicht wenige Mahner an Demokratie und Gemeinwohl, denen es primär darum ging, dass die geschichtsträchtige Immobilie „Alte Schule“ trotz des anderslautenden Gemeinderatsbeschlusses vom 20. März 2018 nicht verkauft werde. Besonderen Eindruck (bei mir) hinterließen diejenigen Wortmeldungen, die Bürgermeister und Gemeinderat nachhaltig an demokratische Grundsätze erinnerten und auf die diversen Unterschriftenaktionen gegen den Verkauf sowie den aus formalen Gründen nicht zustande gekommenen Bürgerentscheid verwiesen. Auch die Forderung wurde laut, den endgültigen Beschluss des Gemeinderats in die nächste Legislaturperiode nach den Kommunalwahlen 2019 in Baden-Württemberg zu verschieben. Das wies Lamm kategorisch zurück.
Ein Besucher aus der Schweiz machte aus seinem Erschrecken über deutsches Demokratieverständnis, wie er es an diesem Abend hier erleben müsse, kein Hehl. Er schlug Lamm, der stoisch auf dem gefassten Gemeinderatsbeschluss beharrte, eine sogenannte konsultative Abstimmung vor: hier und jetzt und heute Abend in diesem Saal.
Lamm, der trotz ihm zur Verfügung stehenden Wassers erkennbar und zunehmend auf dem Trockenen saß, konnte sich diesem tollkühnen Move in Richtung Demokratie dann nicht mehr entziehen. Er führte die gewünschte Abstimmung durch. Das Ergebnis war überwältigend: kein einziges Votum für das Projekt „Betreutes Wohnen“, viele Stimmen für den Erhalt des Gesundheitszentrums.
Die dritte Option, vorgeschlagen von den „Honoratior*innen Alte Schule“, die aus dem Gebäude einen neuen sozialen Mittelpunkt im Ort mit Zutrittsmöglichkeit für Jedermann machen wollen, wurde gar nicht erst zur Abstimmung gestellt.
20.33 Uhr: Mit von Trockenheit aufgerissenen Lippen und in deutlich dehydriertem Zustand taumele ich aus dem Veranstaltungssaal. Die frische Luft tut gut. Mein ermordeter Kollege Jamal Kashoggi fällt mir ein. Ich besinne mich: Angesichts seines Schicksals – würden mir da nicht mehr Demut und Dankbarkeit verdammt gut zu Gesichte stehen?
Und dennoch: Ich kann, empirisch überprüft, die Gemeinde Uhldingen-Mühlhofen in der Sparte Altenpflege nicht wirklich empfehlen!
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