TS02/18: Vom Energiepark Hahnennest zum Verein Regionale Entwicklung Mittleres Oberschwaben e. V.

„Verwaltung ist mit Elektroautos unterwegs“ titelt die Meldung in der Schwäbischen  Zeitung vom 5. April 2018. Es ist die Verwaltung der Gemeinde Hoßkirch (Landkreis Ravensburg), welche diese Variante der für die Zukunft so gewünschten Mobilität exerziert beziehungsweise, wie der Artikel es bezeichnet, „testet“. Zumindest für zwei Wochen. Denn es handelt sich um eine Marketingaktion, im Rahmen derer ein  mächtiger Energie-Konzern vier pfiffige Landwirte „jeder Gemeinde des Vereins Regionalentwicklung Mittleres Oberschwaben“ für jeweils 14 Tage die erwähnten Elektroautos, zwei an der Zahl, kostenlos – i. e. Sponsoring der Fahrzeugmiete – zur Verfügung stellen.

Senf: Diese vier tapferen Bäuerlein sind auch bekannt unter der Überschrift Energiepark Hahnennest (EPH), unter der ein zwischen kaum noch durchschaubares Gestrüpp von Unternehmen mit finanziellen und operativen Verbindungen zum EnBW-Tochterkonzern Erdgas Südwest wuchert.

Die Variante von (angeblicher) Kostenlosigkeit, über welche die Schwäbische Zeitung informiert, ist diejenige, die man aus dem Kapitalismus kennt: verbunden mit Werbung. Denn die kostenlosen Elektroautos sind blickfangend mit Werbung für den EPH bekleistert. Die gesamte untere Fahrzeughälfte ist von Abbildungen der sagenhaft ökologisch-supertollen Silphie überwuchert.

Doch nicht nur die Mitarbeiter der Gemeindeverwaltung „profitieren“ von diesem großherzigen Angebot. Auch „interessierte Privatpersonen, Vereine, Institutionen und Unternehmen [können] die Autos jeweils einen halben oder ganzen Tag zur Probefahrt ausleihen.“ So kommt theoretisch jeder mittlere Oberschwabe in den Genuss, für den EPH und den im Wachsen befindlichen industriellen Argarkomplex in Hahnennest Werbung zu fahren.

Nun gibt nicht nur diese Zeitungsmeldung Anlass, das klassische Konzept von „Landwirt“ noch einmal radikal zu überdenken. Die Professionalität des EPH-Marketings ist zweifellos beeindruckend und flieht die Einordnung bisheriger Assoziationen dazu, was Landwirte so zu Landwirten macht. Im Kontext der Hahnennester Turbobauern rangiert die Marketingperformance auf Konzernniveau. Hilfreich dabei mag sein, dass einer der beiden Geschäftsführer der Biomethangas Hahnennest GmbH von Erdgas Südwest kommt. Keine Überraschung, ist Erdgas Südwest doch Gesellschafter der GmbH. Und es ist auch nicht der einzige Geschäftsführer-Job von Oliver Auras.

Andererseits bedarf es zumindest für diesen Pro-EPH-Werbe-Fall vielleicht gar nicht ausgefeilter Expertise und der dazugehörigen Connections. Die mit diesen beiden E-Autos beglückten Gemeinden sind diejenigen, die auch Mitglied in dem nicht gemeinnützigen Verein Regionale Entwicklung Mittleres Oberschwaben e. V. (REMO) sind. Und dort stößt der am Thema Energiepark Hahnennest Interessierte sofort wieder auf bekannte Namen. Stellvertretender Vorsitzender des Vereins ist Christoph Schulz, Bürgermeister der Gemeinde Ostrach, zu der Hahnennest gehört.
Es schließt sich ein Kreis.

Also richtet sich das investigative Auge auf diesen offensichtlich sehr mächtigen Verein an der sensiblen Schnittstelle zwischen Politik und Wirtschaft. Dort „lenkt“ REMO den Fluss von Steuergeldern aus dem LEADER-Programm. LEADER ist die Abkürzung für „Liaison entre actions de développement de l’économie rurale“. Oder auf deutsch:

LEADER steht für die „Verbindung von Aktionen zur Entwicklung der ländlichen Wirtschaft“ und ist ein Förderinstrument der Europäischen Union zur Stärkung und Weiterentwicklung der ländlichen Räume. Die Europäische Union unterstützt mit dem LEADER-Ansatz seit 1991 modellhafte Projekte im ländlichen Raum.
(LEADER-Webseite, Startseite)

Das ist jetzt der ideale Zeitpunkt, jemanden zu fragen, der sich mit Transparenzchecks und Seriositätskriterien von Vereinen auskennt: mich (historisch hier, hier und mit Lokalkolorit sogar hier).

Diverse Institutionen wie etwa das Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI), der Spendenrat sowie die Initiative Transparente Zivilgesellschaft haben schon vor langer Zeit einen Kriterienkatalog entworfen, anhand dessen die Transparenz und Seriosität von gemeinnützigen Vereinen zu beurteilen ist. Zentraler Bestandteil dieses Katalogs ist die Offenlegung der Verwendung von Vereinsgeldern. So etwa rät das DZI hier

Informiert spenden
Spenden Sie überlegt, nicht impulsiv. Informieren Sie sich auf den Webseiten der Organisationen. Wenn Sie es besonders genau wissen wollen: Lesen Sie die Jahresberichte und Projektbeschreibungen. Die Gremien sollten dort namentlich aufgeführt, die Finanzen klar und detailliert offengelegt werden.
(Deutsches Zentralinstitut für soziale Fragen, Die 7 wichtigsten Tipps für Spender)

Auch wenn der Verein REMO weder karitativ noch gemeinnützig ist und auch keine Spendengelder sammelt, wäre eine analoge Transparenzqualität bei einer so mächtigen Zusammenrottung massiv Vertrauen schaffend. Was jedoch die Offenlegung der Vereinsfinanzen anbelangt, kann ich dazu nichts in den einschlägigen Jahresberichten finden. Vielleicht möchten Sie einmal selbst schauen: REMO-Jahresbericht 2015, REMO-Jahresbericht 2016, REMO-Jahresbericht2017. Immerhin gibt es in dem umfassenden und sehr informativen pdf-Dokument „Regionales Entwicklungskonzept“ (S. 21 des Dokuments; die gedruckten Seitenzahlen stimmen nicht mit den Seiten des Dokuments überein) eine Tabelle der projektierten Kosten für die LEADER-Geschäftsstelle über den Zeitraum von 2015 bis 2022. Dem Text dazu ist zu entnehmen, dass von den im sechsstelligen Bereich liegenden Kosten Teile davon sowohl auf die beteiligten Landkreise wie die Gemeinden umgelegt werden.

Das zarte Transparenzbegehr in Bezug auf die Verwendung der Vereinsgelder speist sich des Weiteren aus der Tatsache, dass sich dieser Verein auch aus „öffentlichen Zuschüssen“ (Paragraf 4 der Satzung) finanziert. Ein nicht gemeinnütziger Verein, der keinerlei externen Kontrolle unterliegt, öffentliche Zuschüsse erhält und einflussreiche Fördergelderströme lenkt – wieso werde ich so unruhig?

Und es sediert mich auch nicht die Tatsache, dass der Vorstand des Vereins, bestehend aus den beiden Bürgermeistern Daniel Steiner (CDU/Bürgermeister Wolperswende) und Christoph Schulz (CDU/Bürgermeister Ostrach), offensichtlich nicht ehrenamtlich tätig ist; zumindest wird dieses wichtige Merkmal der Vorstandsarbeit in der Satzung nicht erwähnt. Dafür darf die Mitgliederversammlung nach Paragraf 12 der Satzung über „die  Bewilligung  und  die  Höhe  einer  pauschalen  Aufwandsentschädigung  für  den Vorstand oder von Teilen des Vorstands“ bestimmen. Wie spannend!

Noch ein Appetit anregendes Guzzele zum (vorläufigen) Schluss und Nachweis des subtilen Humors bei REMO: Die Satzung schreibt vor, dass mindestens zwei Mitglieder des Vorstands weiblich sein sollen (Paragraf 7, Absatz 3). Boah! Hammermodern und emanzipiert. Dass die beiden de facto existenten Damen aber dann – wie seit hundert Jahren – eher die arbeitsintensiven und vor allem „stillen“ Posten ausfüllen, mit denen sie NICHT in der Öffentlichkeit in Erscheinung treten, beweist ja nur, dass solche Satzungsregelungen die etablierte patriarchale Präpotenz nicht gefährden. Ilse Ruland (Volksbank Bad Saulgau) ist Schatzmeisterin. Waltraud Allgäuer vom Landfrauenverband Ravensburg darf beisitzen (Quelle). Hurrey!

Eine interessante andere Frage bei nicht gemeinnützigen Vereinen ist die: Wenn REMO nicht dem Gemeinwohl nützt, wem dient dieser Verein denn dann?
Okay, war Scherzfrage!

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Bildzitat Screenshot ex Webseite Verein Regionale Entwicklung Mittleres Oberschwaben e. V.

Bildzitat Screenshot ex Webseite Verein Regionale Entwicklung Mittleres Oberschwaben e. V.

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In Ostrach selbst regt sich inzwischen massive Unzufriedenheit mit der Arbeit von Bürgermeister Christoph Schulz. Und es bleibt nicht bei der eloquenten Kritik des lokal beliebten Ostracher Bloggers Franz Schreijäg, der gerade erst wieder einen recht spannenden Beitrag zum Themenkomplex „Christoph Schulz und die Transparenz und die Kommunikation“ veröffentlicht hat. Die Schwäbische Zeitung berichtet aktuell über Beschwerden des Ostracher Einzelhandels, der sich mehr Unterstützung vom Bürgermeister wünscht.
Solche Beschwerden über mangelnde Unterstützung sind vom EPH nicht dokumentiert …

Ein Statement von Christoph Schulz zu dem Vorwurf auf dem Blog SOFA war trotz mehrfacher telefonischer Versuche in der vergangenen Woche sowie direkt vor Veröffentlichung dieses Beitrags nicht zu bekommen.

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1 Kommentar

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Und täglich grüßt das Murmeltier.
Tja, was da wieder zu Tage tritt, bzw. unter Tage sich tummelt, ja das passt ins Muster, ins System.

Danke für diesen Senf, der immer aufklärend ist, auch wenn manchmal weh tut, auch nicht wenige Male tief schmerzt

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