TS130/19: Überlingen: Veröffentlichter Beschluss wurde gar nicht gefasst

Den Berichterstattern der letzten Gemeinderatssitzung in Überlingen wurde zähes Sitzfleisch abverlangt. Der Sitzungsmarathon erstreckte sich nach Angaben der Kollegin Elke Krieg über vier Stunden: „Vorsicht: Schleudertrauma in Überlingen„. Kein Wunder. Die Tagesordnung war mit 22 Themen vollgepackt. Darunter der Haushaltsplan 2020 der Stadt Überlingen und diverse Bebauungspläne.

Und Aufregung hatte es schon im Vorfeld gegeben. Denn im Überlinger Amtsblatt „Hallo Ü“, das am 17. Dezember 2019 online erschien, war ein Beschluss verkündet worden, der erst in der Sitzung am folgenden Tag auf der Tagesordnung stand.
Zuerst hatte der Blog der Stadtratsfraktion Bürger für Überlingen BÜB+ darüber berichtet. SaSe hatte das seherische Phänomen aufgegriffen.

Zu Beginn der Gemeinderatssitzung habe BÜB+-Stadtrat Dirk Diestel mit einem Antrag zur Geschäftsordnung entsprechende Fragen an die Verwaltung gestellt. Krieg nimmt die Reaktion von Oberbürgermeister Jan Zeitler (SPD) auf den schon unter der Fragestellung „Urkundenfälschung?“ versehenen Vorgang als „ungehalten“ wahr.

Die von Zeitler und dem verantwortlichen Baubürgermeister Matthias Längin vorgebrachten „Erklärungen“ zu dieser im günstigsten Fall als „voreilig“ zu brandmarkenden Veröffentlichung überzeugen nicht. Da ist von „Fehler“ die Rede, die nun einmal im Dunstkreis menschlichen Wirkens auftreten. Nein. Ein „Fehler“ ist es, wenn ich versehentlich ein Blatt auf den falschen Aktenstapel lege, einen Namen falsch schreibe oder ein Datum verwechsele. Aber bewusst einen Gemeinderatsbeschluss zu formulieren und ins Amtsblatt zu dirigieren, der überhaupt noch nicht gefasst wurde, ist ganz offensichtlich etwas anderes.

Inzwischen gesteht die Verwaltung diesen „Fehler“ auch im Internet ein:
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Ausschnitt aus Bildzitat Screenshot Webseite der Stadt Überlingen

Ausschnitt aus Bildzitat Screenshot Webseite der Stadt Überlingen

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Und dieser Fehler hatte schon jetzt überraschende Folgen. Denn obwohl der Bauausschuss mit sieben zu einer Stimme dem Projekt „Obere St. Leonhardstraße – Erweiterung“ (mal wieder im beschleunigten Verfahren nach Paragraf 13b Bau-Gesetzbuch) zugestimmt hatte, versagte die Mehrheit der Überlinger Räte dem Aufstellungsbeschluss für einen Bebauungsplan die Zustimmung. Die BÜB+ beschreibt die Entscheidungsdynamik in der Sitzung zu diesem TOP wie folgt:

Bereits in der Diskussion zeigte sich, dass BÜB+, LBU/Grüne und  die SPD gegen den Verwaltungsantrag stimmen würden, was knapp für die Ablehnung gereicht hätte. Aber als dann sogar Stadträte der CDU und FW zumindest gegen die sehr umstrittene Anwendung des §13b BauGB (ohne Umweltverträglichkeitsgutachten und ohne Ausgleichsflächen schaffen zu müssen) sprachen, gab OB Zeitler entnervt auf: Er beantragte die Absetzung  des Tagesordnungspunktes, wohl, um einer sich abzeichnenden Abstimmungsniederlage zu entgehen. Für die Absetzung stimmte der Gemeinderat dann mehrheitlich unter dem freudigen Applaus der vielen anwesenden Bürger.
(Blog der Stadtratsfraktion Bürger für Überlingen BÜB+ 19.12.2019: „Aktuell aus dem Gemeinderat am 18.12.2019“)

Die SPD Überlingen hatte ihre Entscheidung schon vor der Sitzung auf ihrer Webseite angekündigt und begründet.

Aber nicht nur in der Angelegenheit St. Leonhard-Wiese musste der bekannt „entscheidungsstarke“ Überlinger Oberbürgermeister mit der ausgeprägten Neigung zu unerbetener patriarchaler „Fürosorglichkeit“ eine Schlappe hinnehmen. Kriegs Einschätzung : „Das war die Sensation des Abends.“

Auch hinsichtlich der für die Volksbank äußerst zuvorkommenden Pläne zu einem Campus in der Lippertsreuter Straße erhielt die Verwaltung einen Dämpfer. Ja zum grundsätzlichen Aufstellungsbeschluss zu einem Bebauungsplan, aber nein zum „Angebotsbebauungsplan“. Weitere Details zum Projekt nennt der BÜB+-Bericht.

Der Südkurier-Artikel über diese Marathon-Sitzung mit diversen  Höhepunkten zeichnet die Dramatik der Veranstaltung mit den sich verschiebenden Mehrheitsverhältnissen im Rat in keiner Weise nach. Auch Zeitlers Lernfortschritt, die Tagesordnung einer Gemeinderatssitzung nicht qua souveräner Willkür und ohne Votum der Gemeinderäte zu ändern, registriert und lobt der Südkurier nicht. Demokratiepädagogisch natürlich fatal!

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