TS169/20: Kolbingen: Vorwurf des Amtsmissbrauchs – Bürgermeister verlässt Sitzung

Den SchwäZ-Artikel „Kolbinger Bürgermeister verlässt Sitzung nach Amtsmissbrauch-Vorwürfen“ begreife ich als Antrag des Heuberg-Dörfchens (1.263 Einwohner) im Landkreis Tuttlingen, auf diesem Blog in die Liste der Senf-Gemeinden aufgenommen zu werden?

Genehmigt! Auffallend schon an dieser Stelle: Wieder ist eine Kommune mit extrem wenigen Einwohnern!

In Kolbingen sei es in einer Gemeinderatssitzung am vergangenen Freitag zum Eklat gekommen. Merke auf: „erneut“:

Bürgermeister Konstantin Braun hatte die Sitzung kurzerhand verlassen, nachdem ihm der Gemeinderat Hans Schreiber Amtsmissbrauch vorgeworfen und ihm mit juristischen Konsequenzen gedroht hatte. Die Stellvertreterin von Braun, Sabine Froneck-Schad, führte die Sitzung weiter und schloss diese.
(Schwäbische Zeitung 02.12.2020: „Kolbinger Bürgermeister verlässt Sitzung nach Amtsmissbrauch-Vorwürfen“)

Nun kennen wir auf dem Heuberg allerdings das Personal noch gar nicht. Wir machen uns behutsam und vor allem vorurteilsfrei (?) vertraut: Bürgermeister ist also Konstantin Braun. Immerhin ein schöner Vorname? Hatten wir bisher noch nicht. Scheint aber auch eher eine Art Sammelbezeichnung zu sein, wenn man die sage und schreibe 31 Facebook-Accounts dieses Namens betrachtet.

Braun ist schon seit Äonen im Amt: seit 1986, also seit 34 Jahren. Also ist der Rathaussessel in Kolbingen nach den Maßstäben der SchwäZ wieder mal ein echter Schleudersitz (hier). Ich hätte ja das Gefühl, nach einer soo langen Zeit könnte man auch mal etwas Neues ausprobieren? Das sehen oder sahen die Kolbinger bei der letzten Bürgermeisterwahl 2018 (also noch gar nicht lange her) aber anders. Denn Braun wurde bei einer Wahlbeteiligung von 64,65 Prozent mit 69 Prozent der Stimmen bei einer Gegenkandidatin, Friedhild Miller (parteilos; eine sogenannte Dauerkandidatin), wiedergewählt (Quelle). Die fünfte Wiederwahl Brauns wurde sogar von Regio-TV verfilmt (hier).
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Konstantin Braun (li.) nimmt Gratulationen bei seiner 5. Wiederwahl zum Bürgermeister von Kolbingen 2018 entgegen. Ausschnitt aus Bildzitat Screenshot Regio-TV

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Besonderheit: Konstantin Braun ist gleichzeitig auch noch Bürgermeister der Gemeinde Königsheim (ebenfalls Landkreis Tuttlingen; hier). Sachen gibt’s!

Die weitere Recherche führt uns vom o. g. SchwäZ-Artikel weg hin zu einem anderen, der uns rasch einen Überblick über weitere aktuelle Hintergründe gibt: „Kolbingens Bürgermeister wirft sein Amt nach Dauerquerelen hin“ vom 26. November 2020. Daraus erfahren wir, dass Konstantin Braun diesen radikalen Entschluss im Amtsblatt verkündet habe. Die SchwäZ zitiert, wir zitieren die SchwäZ:

Bürgermeister Braun begründet seinen Entschluss im Mitteilungsblatt folgendermaßen: „Der Schritt fällt mir nicht leicht. Jedoch: politisch und persönlich kann und möchte ich den jetzt praktizierten Umgang, die kommunalpolitische Denkweise und die beabsichtigte Ausrichtung für die Zukunft nicht vertreten und mittragen.“ Weiter schreibt Braun: „Ich habe mit Begeisterung das mir übertragene Amt ausgefüllt, habe gerne gearbeitet und war für die Gemeinde, die Bürgerschaft sowie die Vereine jederzeit da. Ich habe versucht, glaubwürdig, sachkundig und verlässlich zu handeln und hoffe, Sie konnten es spüren.“
(Schwäbische Zeitung 26.11.2020: „Kolbingens Bürgermeister wirft sein Amt nach Dauerquerelen hin“; Hervorhebg. K. B.)

Wichtig für diesen Blog und unser Dauerthema ist der auch von diesem Bürgermeister erhobene Vorwurf, irgendetwas mit dem „Umgang“ sei nicht in Ordnung. Das erinnert natürlich schwer an den dramatischen Fall Langenargen? Interessant wird sein zu untersuchen, was genau es denn mit diesem offensichtlich nicht zuträglichen Umgang Dritter mit dem Bürgermeister auf sich hat. Ich habe da so einen Verdacht …
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SchwäZ manipuliert wieder die Leser
Und der wird schon im oben genannten Artikel bestätigt. In Kolbingen stimme das Klima zwischen Bürgermeister und dem Gemeinderat schon seit geraumer Weile nicht mehr. Nach Einschätzung der SchwäZ sei das seit einem geplanten Seniorenkonzept und einer damit im Zusammenhang stehenden Bürgerinitiative der Fall. In dieser Bürgerinitiative spielt der 2019 auch in den Rat gewählte Hans Schreiber eine entscheidende Rolle. In diesem Zusammenhang finden sich erneut sprachliche Wendungen in der Zeitungsberichterstattung, die weitere Hinweise geben:

Spätestens seit eine Bürgerinitiative in Kolbingen mit Flugblättern und teils aggressivem Duktus gegen Braun und das geplante Seniorenkonzept aufgetreten war, hatte sich das kommunalpolitische Klima in Kolbingen merklich verschlechtert. So hatten die Agitationen der Bürgerinitiative Bürgermeister Braun dazu bewogen, einen Bürgerentscheid durchführen zu lassen und die Vertrauensfrage zu stellen.
(ibid.; Hervorhebg. K. B.)

Es ist typisch für die SchwäZ, dass sie für diesen „teils aggressiven Duktus“ keine Belege anführt, so dass sich der Leser keinen eigenen Eindruck davon verschaffen kann, ob diese Bewertung denn überhaupt berechtigt ist.

Und es ist über die verschiedenen Landkreise hinweg ständig derselbe und fast nie belegte Vorwurf angeblich unangemessener Tonalität. Diese Konformität ist auffallend und verweist möglicherweise auf ein tieferliegendes Problem.

Hochproblematisch, diskreditierend und damit manipulativ ist die Verwendung der Bezeichnung „Agitationen“ für das Vorgehen der Kolbinger Bürgerinitiative. „Agitation“ ist ein abwertender Begriff mit der Bedeutung „meist aggressive Beeinflussung anderer in politischer Hinsicht“ (Quelle).

Es gehört zum Wesen einer Bürgerinitiative (BI), ihre Informationen und ihre Sicht der Dinge bei der jeweiligen Zielgruppe zu platzieren. Ob die Kolbinger BI hier das Maß des sprachlich Angemessenen überschritten hat, kann ich im Moment noch nicht beurteilen. ABER: Der SchwäZ-Leser eben auch nicht. Und damit wird auch hier schon wieder die Leserschaft ohne Belege zum Nachteil der Bürgerinitiative manipuliert.

Das ist keine unabhängige Berichterstattung!
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Ausschnitt aus Bildzitat Screenshot Gemeinde Kolbingen – Gemeinderäte: Besagter Hans Schreiber taucht in der Liste der Gemeinderäte auf der Homepage der Gemeinde Kolbingen gar nicht auf! Dafür allerdings findet sich dieser bezeichnende Hinweis. Auffallend des Weiteren: Viele Gemeinderäte in Kolbingen sind erst seit der Kommunalwahl 2019 mit von der Partie!

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Bürgermeister lässt Gemeinderat durch Polizei aus Sitzung entfernen
Den Langenargenern zum Troste hier der nächste Höhepunkt in Kolbingen, der allerdings dann doch eher Defizite im Umgang des Bürgermeisters mit seinen Gemeinderäten andeutet?

Traurige Höhepunkte waren abgebrochene Sitzungen, weil der pöbelnde Gemeinderat Hans Schreiber sich weigerte, den Sitzungssaal nach einem ausgesprochenen Hausverbot durch Bürgermeister Braun Folge zu leisten und die Polizei gerufen werden musste, um das Hausrecht durchzusetzen. Auch thematisierte Braun öffentlich in einer der Ratssitzungen, ihm seien staatsanwaltschaftliche Ermittlungen seitens einiger Gemeinderäte im Zusammenhang mit der Ansiedlung des Windparks durch die Firma Enercon angedroht worden.
(ibid.; Hervorhebg. K. B.)

Ich bin ja eine leidenschaftliche Sammlerin von >Eklats< in Gemeinderäten. Aber dass ein Bürgermeister einen Gemeinderat mithilfe der Polizei aus einer Sitzung entfernt, das hatten wir hier auch noch nicht!

Dass es nicht um die unabhängige Information der SchwäZ-Leser geht, ist auch dem Umstand zu entnehmen, dass die Zeitung hier nicht darüber aufklärt, was denn die Gemeindeordnung Baden-Württemberg zu diesem Vorgehen angibt. Dafür gibt es ja SatireSenf.de: In Paragraf 36 Absatz 3 ist geregelt, dass ein solcher Ausschluss eines Gemeinderats bei „grober Ungebühr und wiederholten Verstößen“ für höchstes sechs Sitzungen erfolgen kann (Quelle).

Auch im obigen SchwäZ-Zitat wieder der brüllende Hinweis auf nachhaltige Leser-Manipulation mit dem Begriff „pöbelnder Gemeinderat Hans Schreiber“. Natürlich erneut ohne Beleg dafür, was der SchwäZ-Redakteur David Zapp denn so unter Pöbeln versteht?

Dass die Einschätzung zur Angemessenheit bestimmter sprachlicher Begriffe selbst unter angeblichem Fachpersonal (oder solches, das sich dafür hält …) weit auseinandergeht, durfte ich gerade erst am Begriff „Dummschwätzer“ (hier) lernen. Ein belehrender Schlaubär wusste nicht, dass „Dummschwätzer“ gar keine Beleidigung ist (hier). Na ja, Hauptsache, ICH weiß das! 

Wer zu Zapps Pöbel-Semantik mehr wissen möchte, muss sich dem nächsten SchwäZ-Artikel zuwenden. Der datiert vom 3. März 2020 (kann sich also nicht auf die aktuelle Gemeinderatssitzung beziehen) und gibt dort immerhin preis, dass Gemeinderat Hans Schreiber sich gelegentlich und zumindest im Frühjahr der Verwendung von Verbalinjurien wie „Idiot“ bedient (Quelle) – was ich dann auch als „pöbeln“ bezeichnen würde.
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Auch in Kolbingen dieselben Strukturmerkmale
Blicken Sie noch durch? Ich: kaum noch! Um einzelne angebliche Informationen aus unserem Ursprungs-SchwäZ-Artikel überprüfen zu können, muss man von Höckchen auf Stöckchen springen, begegnet dabei jeder Menge weiterer Leser-Manipulationen und hat den rote Faden längst verloren.

Wir sammeln uns und die Wissensbrocken:
+ In Kolbingen brennt die Hütte! Spätestens seit der Kommunalwahl 2019 (merken!).
+ Als böser Bube benennt die SchwäZ vor allem den Gemeinderat Hans Schreiber.
+ Gemeinderat Hans Schreiber fehlt befremdlicherweise in der Liste der Gemeinderäte auf der Homepage der Gemeinde Kolbingen. Hö?
+ Hans Schreiber hat auch bei einer Bürgerinitiative zum Seniorenkonzept der Gemeinde maßgeblich mitgewirkt.
+ Hans Schreiber bedient sich gelegentlich solcher unstatthafter Pöbeleien wie „Idiot“. Das macht klar Minuspunkte, wäre dann aber weitergehend zu hinterfragen.
+ Der Gemeinderat Hans Schreiber wurde mithilfe der Polizei aus einer Gemeinderatssitzung entfernt.
+ Bürgermeister Konstantin Braun lässt derzeit juristisch prüfen, ob Hans Schreiber von künftigen Sitzungen ausgeschlossen werden kann (Quelle).
+ Bürgermeister Konstantin Braun schmeißt die Brocken hin. Trifft ihn aber nicht ganz so hart, weil er ja gleichzeitig noch Bürgermeister von Königsheim (auch so eine Hobbit-Gemeinde) ist und dort auch offensichtlich weiter bleiben will.

Ich würde mal behaupten wollen: Wenn – natürlich im Range NACH Langenargen – eine Gemeinde in der Region Senfbedarf hat, dann ist es dieses Kolbingen? Warum sollte für Kolbingen nicht möglich werden, was die Bürger in Langenargen geschafft haben?

Zumal Hans Schreiber wohl auch nicht ganz allein dasteht:

In besagter Sitzung hatte Braun auf die Anfrage der Gemeinderäte Bruno Weiß, Kurt Schad und Hans Schreiber zum Thema Ansiedlung von Windkraftanlagen durch die Firma Enercon keine Aussagen machen wollen, da ihm mit „Strafanzeige und staatsanwaltlichen Ermittlungen“ gedroht worden sei. Die drei Räte wollten mit ihrer Anfrage erläutert bekommen, wie das weitere Vorgehen der Gemeinde beim Thema Windkraft sei. „Vor Ablauf der Einwendungsfrist äußere ich mich dazu nicht. Ich weiß nicht, was mir die drei Räte vorwerfen. Aber ich muss nach der Drohung damit rechnen, dass ich jederzeit mit einer Anzeige rechnen muss, wenn ich etwas dazu sage“, erklärt Braun. Bislang sei ihm von einer Strafanzeige aber nichts bekannt, so Braun.
(Schwäbische Zeitung 03.03.2020: „Nach Eklat: Pöbelnder Gemeinderat muss mit Ausschluss rechnen“; Hervorhebg. K. B.)

Nachtigall, ik hör dir trapsen: Wieder einmal will ein Bürgermeister auf Anfrage von Gemeinderäten keine Angaben machen. Ich will mich nicht mit vorschnellen Urteilen blamieren, aber dieses inakzeptable Verhalten eines Bürgermeisters, der Anfragen von Bürgern und Räten nicht beantwortet, kommt uns allen auf diesem Blog doch verdammt bekannt vor?

Verdacht: Kriegen wir hier den Konnex zu dem von Braun beklagten „Umgang“ gehäkelt? Denn in unseren anderen Fällen war es ja sehr häufig so, dass sich die entsprechenden Rathauschefs ähnlich unkommunikativ verhielten. Für diese Sonnenkönige ist es ja schon himmelschreiende Insubordination (gern gelabelt als „unangemessener Ton“, „mangelnder Anstand“, „inakzeptable Umgangsformen“), wenn sie berechtigte Fragen derer beantworten sollen, deren offizieller Auftrag es ist, sie zu kontrollieren!

Verdacht bestätigt:

Kolbingens Schultes geht sodann verbal in die Gegenoffensive: „Die Betroffenheit, dass jetzt die Firma Enercon zwei Windkraftanlagen errichten will, ist für mich nicht nachvollziehbar“, erklärt Braun. Immerhin habe es Arbeitskreise und Bürgerinformationsveranstaltungen dazu gegeben, die Öffentlichkeit sei informiert worden – und einen Gemeinderatsbeschluss dazu gebe es auch. „Es ist die gleiche Schiene wie beim Seniorenkonzept, die Leute zu verunsichern“, legt der Bürgermeister nach. Das sehen einige Räte jedoch anders: Schreiber, Schad und Weiß hätten die Nutzungsverträge vom Bürgermeister verlangt, „aber nur geschwärzte Ausgaben bekommen. Die vollständigen Verträge zeigt uns Braun nicht“, kritisiert Ratsmitglied Bruno Weiß hingegen. Die Aussage des Bürgermeisters, er könne wegen einer angedrohten Strafanzeige nichts zum Thema Enercon und Windkraft sagen, nennt Weiß „eine billige Aussage“. Weiß weiter: „Ich habe mich erkundigt: Zum Zeitpunkt von Brauns Aussage lag keine Anzeige vor.“
(ibid.; Hervorhebg. K. B.)

Es ist doch immer wieder dasselbe Spiel: Gemeinderäte machen von ihrem Recht Gebrauch, von einem Bürgermeister Rechenschaft zu fordern. Und der legt sie dann nicht ab, hat dazu aber jede Menge Ausreden parat.

Und die Kommunalaufsicht beim Landratsamt, die dafür zuständig wäre, geltendes Recht – zum Beispiel das auf Auskunft an die Gemeinderäte – durchzusetzen, glänzt durch Abwesenheit und/oder Nichtstun.

Kolbingen ist natürlich überhaupt kein Einzelfall. Ohne tiefergehende Recherche zeichnen sich die nämlichen Tendenzen wie in SaSes anderen Senfgemeinden ab: der autoritäre Führungsstil eines altgedienten Bürgermeisters, der die Zeichen der Zeit nicht erkennt, keine Rechenschaft denen ablegt, denen er Rechenschaft schuldig ist, und widerständige Gemeinderäte per Polizei aus der Sitzung entfernen lässt, aber anschließend gegenüber der Presse Aggression und defizitären „Umgang“ beklagt und sich zum Opfer stilisiert.

Das Band scheint auch zwischen der SchwäZ (hier: Gränzbote) und den querstehenden Gemeinderäten zerschnitten, wie dieses Eingeständnis andeutet:

Auf die Anfrage des Gränzboten, wie Gemeinderatsmitglied und Verursacher des Pöbel-Eklats Johann Schreiber sich künftig die Diskussionskultur im Gemeinderat Kolbingen vorstellt, bekam unsere Zeitung keinerlei Antwort.
(Schwäbische Zeitung i. e. Gränzbote 04.12.2019: „Pöbel-Eklat: Bürgermeister droht Gemeinderäten mit Polizei“; Hervorhebg. K. B.)

Das sieht verdammt nach viel Arbeit für SaSe aus?

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