Der von mir in TS39/20 als „Bruder Jakob“ adressierte Aufsichtsrat der Landesgartenschau Überlingen 2020 GmbH (LGS) hatte in einer subalternen Personifizierung ja unmittelbar und persönlich auf die auch vom Südkurier scharf artikulierte Kritik hinsichtlich eines fehlenden Plan B für die Großveranstaltung reagiert (siehe Stellungnahme des LGS-Aufsichtsrats Dirk Diestel in TS39/20).
Jetzt liegt eine aktuelle Pressemitteilung vor, welche die sture Realitätsverweigerung der LGS-Verantwortlichen weiter zementiert:
Erklärung des Aufsichtsratsvorsitzenden und der Geschäftsführung der Landesgartenschau Überlingen 2020 GmbH zur aktuellen Entwicklung hinsichtlich der Corona Pandemie.
Nach der Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus vom 17. März gelten die Einschränkungen im öffentlichen Leben bis 19. April. Dieses Datum ist für die Landesgartenschau Überlingen 2020 GmbH nach wie vor relevant für eine neuerliche Bewertung der Lage und der Frage, ob die Landesgartenschau Überlingen 2020 am 23. April eröffnen kann.
(Pressemitteilung der LGS GmbH vom 18.03.2020)
Gegen eine Neubewertung der Lage ist ja grundsätzlich nichts einzuwenden. Aber dass für die hier verantwortlichen Herren zu diesem Zeitpunkt der globalen Katastrophe die Frage nach einer Eröffnung der Landesgartenschau am 23. April 2020 noch nicht beantwortet ist, macht fassungslos. Hören und sehen die keine Nachrichten? Haben die LGS-Chefs Professor Dr. Lothar Wieler vom Robert-Koch-Institut schon einmal zugehört, der von einer Pandemie-Dauer von etwa zwei Jahren in möglicherweise drei verschiedenen Wellen ausgeht? Zum jetzigen Zeitpunkt – der Freistaat Bayern hat gerade Ausgangs“beschränkungen“ für alle Bürger festgelegt – ist mit extrem hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass von einer Eröffnung der Landesgartenschau am 23. April 2020 nicht mehr die Rede sein kann. Und von allem anderen auch nicht.
Aber in diesem Augen-zu-Stil geht es weiter in der LGS-Pressemitteilung:
Wir gehen von der Möglichkeit einer Verschiebung aus. Die Arbeiten gehen jedoch weiter, sodass die Landesgartenschau eröffnen kann, sobald es dafür grünes Licht gibt. Wir sind davon überzeugt, dass die Landesgartenschau Überlingen im Jahr 2020 stattfinden wird, wenn auch unter Umständen in einem anderen Zeitraum als ursprünglich geplant.
Die Geschäftsführung der LGS GmbH und das Team sowie alle Aussteller werden mit aller Kraft an einer gelungenen Landesgartenschau Überlingen, der ersten am Bodensee, weiterarbeiten. Was jetzt schon in allen Ausstellungsbereichen zu sehen ist, erfüllt uns mit Freude und Zuversicht, trotz der kritischen Lage und aller gebotenen Schutzmaßnahmen an ein gutes Ende zu glauben.
Jan Zeitler, Oberbürgermeister und Aufsichtsratsvorsitzender
Roland Leitner, Edith Heppeler, Geschäftsführer der Landesgartenschau Überlingen 2020 GmbH
Gerhard Hugenschmidt, Vorsitzender der Gesellschafterversammlung der Baden-Württembergischen Landesgartenschauen bwgrün.de
(ibid.; Hervorhebg. K. B.)
Ich besenfe diese Pressemitteilung auch deshalb mit geringer Verzögerung, weil ich einen ganzen Tag dazu gebraucht habe, für so eine grandiose Fehleinschätzung noch Worte zu finden: Die Herren gehen von einer Verschiebung aus? Welt- und bundesweit werden Großveranstaltungen aller Art abgesagt; auch solche, die erst im Sommer stattfinden sollten. Selbst die Olympiade steht infrage. In Italien werden die Corona-Leichen inzwischen schon mit Militärkonvois abgefahren, weil die übliche Bestatter-Logistik diesen Anfall nicht mehr bewältigt. Die Wirtschaft bricht weltweit ein, die Aktienkurse fallen ins schier Bodenlose. Hunderttausende bangen um ihre Existenz.
Aber die Zeitler-Boys glauben „an ein gutes Ende“!
Selbst wenn es unter enormer Kraftanstrengung gelingen sollte, das exponentielle Wachstum der Infiziertenzahlen zu strecken, die Wirtschaft bricht schon jetzt zusammen. Was meinen die Herren Zeitler, Heppeler und Co. eigentlich, wer nach dieser Katastrophe noch das Geld und die Muße dazu hat, sich in Überlingen Blümchen anzusehen? Mal ganz abgesehen davon, dass es bis dahin sehr wahrscheinlich extreme Lücken in der wirtschaftlich abgekoppelten LGS-Logistik (Gastronomie, Busunternehmen etc.) geben dürfte, weil jetzt reihenweise kleine und mittlere Unternehmen pleitegehen.
Landesgartenschauen stehen als umwelttoxische Großveranstaltungen mit enormem Verlustrisiko schon seit vielen Jahren in der Kritik (siehe dazu auch TS24/19 mit diversen Links). Sie sind ein Dekadenz-Phänomen einer Zeit, die jetzt vermutlich endgültig und hoffentlich unwiederbringlich vorbei ist.
In eher frustrierter Diktion kommentiert auch der Südkurier-Redakteur Stefan Hilser am 19. April 2020 diese neue Pressemitteilung zu dem Überlinger Groß-Event. Die Realitätsverweigerung von Zeitler & Co. wortkleidet Hilser dann so:
Es sei jedem zugestanden, die Realität in unterschiedlichem Tempo an sich heranzulassen, so lange sie früh genug für verantwortliches Handeln angenommen wird. In die Hände spucken, anpacken, es gibt viel zu regeln – bevor uns allen mit einer Ausgangssperre noch mehr Ungemach droht.
(Südkurier Kommentar Stefan Hilser 19.03.2020: „Plan B oder das <Spiel mit Szenarien> – darauf kommt’s jetzt nicht an„)
Heißt übersetzt: Zeitler & Co. beschäftigen sich in einer für die Menschen sehr ernsten Not- und Katastrophen-Situation mit komplett Irrelevantem!
Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um über alternative und antikapitalistische Verwendungsmöglichkeiten der hier mit enormem Aufwand und viel Steuergeld geschaffenen Infrastruktur nachzudenken. Meiner Einschätzung nach jedoch ist so etwas von Verantwortlichen, die am 18. März 2020 noch eine derart realitätsferne PM herausgeben, eher nicht zu erwarten?
Es greift die uralte Unternehmer-Weisheit: Und es wird zur ewigen Qual die Frage nach dem qualifizierten Personal!