TS45/19: Das NachDenkSeiten-Todenhöfer-Drama: Ein prachtvolles Stück Journaille scheitert an der Textkompetenz der Adressaten

Ich bin schon länger nicht mehr Kind, aber gebrannt, wenn es um das Reizwort NachDenkSeiten (NDS) geht. Denen stehe ich, wie viele SaSe-Artikel belegen, mehr als kritisch gegenüber. Dieser üble Vorfall aus dem Jahre 2015 bescherte mir einen jahrelangen Shitstorm mehrheitlich anonymer Mails mit irritierend gleichförmigen Formulierungen beleidigender Natur. Auf der anderen Seite ist der offene Brief an Professor Dr. Mausfeld über Jahre hinweg der meistgelesene auf diesem Blog!

Die Schreiber der Shit-Mails rekrutierten sich erkennbar aus dem Fanclub eines Ken Jebsen. Das Vorgehen Albrecht Müllers, eine ganz normale Presseanfrage an den damals bedenklich gehypten Professor Dr. Mausfeld ohne Rücksprache mit mir zu veröffentlichen ist jenseits aller publizistischen und zwischenmenschlichen Standards. Auch nicht anders als die BILD-Zeitung war Albrecht Müller damals bereit, eine kleine, publizistisch irrelevante Bloggerin für die eigenen Klick- und Zustimmungszahlen auf den Grill zu legen.

Trotzdem lese ich gelegentlich die NDS, wenn auch dosiert. Es sind zu viele Beiträge dort, welche die Verschwörungstheoretiker im Gewande linksintellektuellen Durchblickertums munitionieren.

Weil aber ein aktueller Streitfall auf den NDS so hervorragend zu der desaströsen Textverständnis-Lage im kleinräumigen Land der SaSe-Leserschaft passt, muss ich erneut auf einen NDS-Beitrag verlinken.

Am 8. Mai 2019 veröffentlichen die NDS eine Veranstaltungskritik  des  Hamburger Journalisten Lothar W. Brenne-Wegener über einen Vortragsabend von Vater und Sohn Todenhöfer in Hamburg. Thema war das letzte Buch der beiden Autoren: „Die große Heuchelei – Wie Politik und Medien unsere Werte verraten – Ein Frontbericht aus den Krisengebieten der Welt“.

Hier Brenne-Wegeners Artikel, der mich mit seiner Ausgewogenheit in der Berichterstattung und seiner kompromisslosen Beobachtungsgabe beeindruckt.

Dann passiert: Artikulierte Empörung der NDS-Leser auf Facebook und in Leserbriefen. Das veranlasst den Senior-NDS-Herausgeber zu einem weiteren Artikel mit folgender Einführung:

Die Reaktion auf diesen Bericht auf unserer Facebook-Seite und auch bei einigen uns erreichenden Leserbriefen ist irritierend. Die letzte Lesermail lautet: „Sehr geehrtes NDS-Team, nun weiß ich endlich wie ein Verriß [sic] aussieht und man Kräfte auseinanderdividiert anstatt zu vereinen. Schlimm! I.D.“ Ich kann dem nicht mehr folgen.
(NachDenkSeiten 09.05.2019: „Nachtrag zum Artikel zu Todenhöfers Buchlesung in Hamburg. Mancheiner[sic]] fällt ein Urteil, ohne einen Text gelesen zu haben“; Hervorhebg. K. B.)

In dem „Nachtrag“ nimmt Albrecht Müller zu der geäußerten Kritik Stellung und wiederholt Textpassagen der Veranstaltungskritik.

Ist es jetzt faszinierend oder schockierend, dass Müller der Ältere die Wahrscheinlichkeit völlig ausschließt, dass die Meckerer den Text sehr wohl gelesen, aber leider nicht verstanden haben? Beziehungsweise dass die galoppierende Volksverdummung inzwischen so weit reicht, dass berechtigte Kritik an den professionellen Selbstvermarktungsstrategien des Todenhöfer-Autorengespanns nicht von der ebenfalls berechtigten inhaltlichen Kritik von Vater-Sohn – nämlich der an den Westmächten, die unter der Fahne der Humanität in andere Länder einfallen – unterschieden werden kann? Schon in seiner Überschrift unterstellt Albrecht Müller, dass die Empörten den Text nicht gelesen haben.

Das glaube ich nicht! Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass deren kollabierende Textkompetenz und der gesellschaftlich fortgeschrittene Grad des Fanatismus in allen Lagern solche journalistischen Perlen wie die zitierte des Kollegen Brenne-Wegener zum Schweinefraß werden lassen. Was ideologisch ins Muster passt, darf keinesfalls in irgendeinem anderen Aspekt kritisiert werden. Anzeichen des Totalitarismus! Ähh: links?

Aber es keimt etwas sehr Beruhigendes in diesem Vorgang: Es gibt noch Journalisten, die so differenziert schreiben können und wollen!

Albrecht Müller könnte diesen Vorgang zum Anlass nehmen, darüber nachzudenken, welchen Beitrag er zu dieser gefährlichen Form des Fanatismus leistet. Immerhin sind es ja seine eigenen Leser!

Immerhin ist es ja ein Teil meiner Leser, von denen mir ebenfalls berichtet wird, dass sie nicht in der Lage seien, SaSe-Texte zu lesen und zu verstehen … Nur bin ich etwas besser dran als die NDS, denn notfalls kann ich das bei jedem Anlauf neu scheiternde Textverständnis der SaSe-Beiträge immer noch auf deren satirische Durchseuchung schieben. Die stellt noch einmal verschärfte Ansprüche an die Textkompetenz der Leser.

… einer der vielen und in diesem Fall selbstexkulpierenden Vorzüge von Satire! Ich LIEBE sie!

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