TS60/19: Sigmaringendorf: Bürgermeister Philip Schwaiger kommuniziert online als schwangere Jungfrau

Nicht erschrecken: Die Schwäbische Zeitung (SZ) hat einen interessanten Artikel vorzuweisen.  Am 12. Juni 2019 berichtet uns SZ-Redakteurin Mareike Keiper, wie zwei Bürgermeister aus der Region die (a)sozialen Medien nutzen.

Das zebrastreifenfähige Pärchen geben Philip Schwaiger (CDU), Bürgermeister von Sigmaringendorf (auf diesem Blog bisher unbehandelt) im Landkreis Sigmaringen versus der riesige SaSe-Fan Bürgermeister Christoph Schulz (CDU), Ostrach, ebenfalls Landkreis Sigmaringen.

Den Berichtskontrast macht aus: Der eine könne mit der modernen Welt vulgo Internet, der andere nicht  – also in Bezug auf die (a)sozialen Medien. Schwaiger nutze diese intensiv und mit Transparenzabsichten hinsichtlich seiner Arbeit als Bürgermeister, so ist dem Artikel zu entnehmen.

Anders [als Christoph Schulz – Anmerkg. K. B.] handhabt das [den Umgang mit sozialen Medien – Anmerkg. K. B.] Schwaiger. Er poste fast ausschließlich selbst über sein Smartphone, wenn er bei Veranstaltungen ist, oder teilt Artikel aus der Zeitung. „Für mich ist das ein wesentlicher Punkt, weil die wenigsten jungen Menschen heutzutage morgens Zeitung lesen“, sagt der 31-Jährige. Sie erreiche man zunehmend über soziale Medien. Er stellt einen Wandel fest: Früher haben die Leute Informationen eingeholt, heute müsse die Gemeinde den Menschen Informationen liefern. Und diese Philosophie habe er sich als Bürgermeister vorgenommen.
Sein Ziel: Umfassend über die Kommunalpolitik informieren und das Interesse dafür bei jungen Bürgern wecken. Genau das funktioniere, findet er: „Ich werde auf meinen Facebook-Auftritt angesprochen und wir haben jetzt ja auch junge Gemeinderäte.“
(Schwäbische Zeitung 12.06.2019: „So nutzen zwei Bürgermeister aus der Region soziale Medien“; Hervorhebg. K. B.)

Mensch, das ist ja toll. (Diese meine völlig voreilige Begeisterung belegt, dass selbst ich noch leichtgläubig bin und der SZ vertraue.) Gleich mal gucken, wie umfassend diese Information über die Kommunalpolitik auf dem Facebook-Account von Sigmaringendorf [finden Sie den Fehler!] ist:

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Bildzitat (bearbeiteter) Screenshot Facebook-Account "Gemeindeverwaltung Sigmaringendorf": Am 13. Juni 2019 stammt der neueste Eintrag vom 18. Dezember 2018.

Bildzitat (bearbeiteter) Screenshot Facebook-Account „Gemeindeverwaltung Sigmaringendorf“: Am 13. Juni 2019 stammt der neueste Eintrag vom 18. Dezember 2018.

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Wow: Der aktuellste Beitrag auf dem FB-Account der „Gemeindeverwaltung Sigmaringendorf“ datiert vom … 18. Dezember 2018! Der nächste „aktuelle“ Beitrag darunter stammt vom 7. November 2018. Der Veröffentlichungsrhythmus vom 7. November 2018 auf den 18. Dezember 2018  ist natürlich eine Informationsdichte, die den Atem zu rauben geeignet ist.

Okay, SaSe war wieder unfair: Klickt man auf die Rubrik „Beiträge“ der genannten FB-Seite, findet sich dort natürlich sofort ein brandaktueller Beitrag, der Schwaigers Anspruch, „umfassend über die Kommunalpolitik […] zu informieren“ überzeugend dokumentiert:  Am 13. Juni 2019 wünscht Philip Schwaiger dort allen Bürgern und gemeindepolitisch Interessierten Besuchern des FB-Account: Frohe Weihnachten!

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Bildzitat (bearbeiteter) Screenshot Facebook-Account "Gemeindeverwaltung Sigmaringendorf", Rubrik Beiträge: Am 13. Juni 2019 übermittelt der aktuellste Beitrag dort die herzlichen Weihnachtswünsche von Bürgermeister Philip (1 l, 1 p) Schwaiger an die Bürger von Sigmaringendorf. Es besticht die Aktualität!

Bildzitat (bearbeiteter) Screenshot Facebook-Account „Gemeindeverwaltung Sigmaringendorf„, Rubrik Beiträge: Am 13. Juni 2019 übermittelt der aktuellste Beitrag dort die herzlichen Weihnachtswünsche von Bürgermeister Philip (1 l, 1 p) Schwaiger an die Bürger von Sigmaringendorf. Es besticht die Aktualität!

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Okay: Da kann irgendetwas nicht stimmen? So dicke Enten liefert doch nicht einmal die SZ?

Ich bin verwirrt. Deshalb überprüfe ich als nächstes, ob Philip Schwaiger tatsächlich der Bürgermeister von Sigmaringendorf im Landkreis Sigmaringen ist. Doch, ist er!

Nächste Frage: Warum erhält der SZ-Leser nicht so valide Informationen und exakte Angaben zu dem mit vielen Zeilen gefeierten FB-Account von Schwaiger, das er ihn im Netz auch findet?

Wer lesen kann, ist klar im Vorteil:

Dieser [i. e. FB-Account – Anmerkg. K. B.] ist eigentlich Schwaigers privater Social-Media-Auftritt, allerdings nutze er ihn fast nur noch für Berufliches. „Ich bin eine Person des öffentlichen Lebens, gleichzeitig aber ein Bürger wie alle anderen auch. Das vermischt sich automatisch“, ist er sich sicher. Urlaube und Familienausflüge veröffentlicht er inzwischen kaum noch, dafür aber zahlreiche Termine als Gemeindeoberhaupt, die er seinen Bürgern nicht vorenthalten möchte. „Es geht mir um Transparenz. Ich möchte zeigen, wo ich bin und was im Ort läuft“, erzählt er.
(ibid.; Hervorhebg. K. B.)

Aha. Und das gleich 2 x.
Aha-Nummer 1:Schwaiger möchte zeigen, was im Ort – Sigmaringendorf – läuft. Wer wissen will, was in Sigmaringendorf läuft, der klickt selbstverständlich auf den FB-Account der „Gemeindeverwaltung Sigmaringendorf“. Der oben gezeigte Screenshot dort belegt: In Sigmaringendorf ist in über sechs Monaten nichts gelaufen! Keine Termine als Gemeindeoberhaupt. Der ach so informationsfreudige Bürgermeister hat quasi ein halbes Jahr lang nicht gearbeitet? In dem Ort läuft über sechs Monate hinweg – NICHTS?

Aha-Nummer 2: Es handele sich „eigentlich um Schwaigers private[r]n Social-Media-Auftritt“.  Ach so! Aber wieso „eigentlich“? Die SZ berichtet also über einen irgendeinen privaten FB-Account? Ja, aber über welchen denn genau? Den hier von dem „Junge-Union-Internetreferenten“ Phlip Schwaiger?*

 

Bildzitat (bearbeiteter) Screenshot Facebook-Account Junge Union Württemberg-Hohenzollern. Der Account war ein weiterer Suchmaschinen-Treffer auf der verzweifelten Suche nach dem FB-Konto, über das dieser Bürgermeister angeblich Transparenz für seine Arbeit herstellt. (Das Foto wurde zum Schutz der Bildrechte unkenntlich gemacht.)

Bildzitat (bearbeiteter) Screenshot Facebook-Account Junge Union Württemberg-Hohenzollern. Der Account war ein weiterer Suchmaschinen-Treffer auf der verzweifelten Suche nach dem FB-Konto, über das Bürgermeister Philip Schwaiger angeblich Transparenz für seine Arbeit herstellt. (Das Foto wurde zum Schutz der Bildrechte unkenntlich gemacht.)

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Endergebnis des langen Bemühens einer Rechercheuse: Für Menschen ohne eigenen FB-Account ist kein FB-Account von Philip Schwaiger zu finden!
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Tatsächlich ist der FB-Account von Bürgermeister Philip Schwaiger in Sigmaringendorf, über den er seine Bürger über seine Tätigkeit als Verwaltungschef informieren möchte, so dermaßen privat, dass er für Menschen, die keinen FB-Account besitzen, überhaupt nicht zugänglich ist.

Tatsächlich ist der FB-Account von Bürgermeister Philip Schwaiger in Sigmaringendorf, über den er seine Bürger über seine Tätigkeit als Verwaltungschef informieren möchte, so dermaßen privat, dass er für Menschen, die keinen FB-Account besitzen, überhaupt nicht zugänglich ist.

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Um nun endlich auf den von der SZ so kritiklos besungenen privaten FB-Account zu gelangen, muss man schon über kooperative Bekannte verfügen, die ihrerseits bei der Datenkrake Facebook registriert sind. Dann klappt’s auch mit dem Bürgermeister von Sigmaringendorf – und seinem ganz privaten FB-Account als Bürgermeister, der dann aber, trotz aller verkündeten Privatheit, Transparenz für die Bürger in Sigmaringendorf herstellen soll. Hier die URL des für Nicht-Facebooker nicht zu erreichenden Accounts.

GEFUNDEN:
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Bildzitat (bearbeiteter) Screenshot privater FB-Account von Bürgermeister Philip Schwaiger: Dort finden sich aktuelle Beiträge - unter anderem sofort der Verweis auf den kritiklosen Jubelartikel in der SZ! (Die Fotos wurden zum Schutz der Urheberrechte unkenntlich gemacht.)

Bildzitat (bearbeiteter) Screenshot privater FB-Account von Bürgermeister Philip Schwaiger: Dort finden sich aktuelle Beiträge – unter anderem sofort der Verweis auf den kritiklosen Jubelartikel in der SZ!
(Die Fotos wurden zum Schutz der Urheberrechte unkenntlich gemacht.)

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Was soll so etwas? Warum steht von den verwinkelten und schwierigen Wegen zu diesem FB-Konto nichts in dem SZ-Artikel? Warum schließt Schwaiger alle diejenigen Bürger in Sigmaringendorf von seiner angeblichen Transparenz aus, die sich nicht an einen Konzern binden wollen, der von den FB-Aktionären selbst als „diktatorisch“ beschrieben wird? Was taugt der private FB-Account eines Bürgermeisters, der nicht einmal allen Internetusern zugänglich ist,  für einen ellenlangen Artikel in der SZ über dessen angebliche sozialkommunikative Heldentat? Was soll parallel dazu dann noch der FB-Account der „Gemeindeverwaltung Sigmaringendorf“, der offensichtlich nicht einmal gepflegt wird?
Beweisen so ein Chaos, so ein Durcheinander und ein derart verstecktes Konto wirklich Medienkompetenz und Transparenzwillen?

Angesichts dieses willkürlich selektiven Zugangs zu den Informationen des 2017 noch als Junge-Union-Internetreferenten gelabelten Philip Schwaiger wird dem Leser das überhebliche Resümee des Bürgermeister-Kollegen Christoph Schulz zum Thema soziale Medien schon fast wieder sympathisch:

Die Facebook-Seiten seiner Kollegen kenne er nicht und habe auch keine Lust, sich damit zu beschäftigen.
[…] Außerdem, gibt der 48-Jährige zu, sei ihm die Zeit, die er für soziale Medien aufbringen müsste, zu schade.“
(ibid.)

Meine Lesart:  Schulz hat also weder Zeit noch Lust, sich mit den Bürgern auseinanderzusetzen, denen oft genug nur die sozialen Medien bleiben, um sich artikulieren zu können.  Passt! Schulz kommuniziert ja noch nicht einmal mit solchen Bürgern, die für Kritik an der Gemeindeverwaltung komplett auf soziale Medien verzichten.

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Trickreich und bestimmt nicht in Ordnung

Entweder jemand ist Jungfrau.
Oder jemandin ist schwanger.
Entweder tritt jemand in der Öffentlichkeit als Bürgermeister auf.
Oder er ist privat unterwegs.
Bei Mischformen handelt es sich um schwangere Jungfrauen oder den Bürgermeister von Sigmaringendorf: Philip Schwaiger.

An den „Zufall“, der hier den Publikationsort regelt, glaube ich persönlich nicht. Keine „zufällige“ Verwahrlosung des FB-Accounts der Gemeindeverwaltung Sigmaringendorf zugunsten des „eigentlich“ (hö?) privaten FB-Accounts von Philip Schwaiger, auf dem er sich dann aber eben gerade nicht privat, sondern in seiner Funktion als Bürgermeister äußert; und sich damit jeder Kontrolle und den bestehenden äußerungsrechtlichen Beschränkungen eines Hoheitsträgers entzieht. In einer Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages heißt es dazu:

3.Äußerungsbefugnis
Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts folgt die Äußerungsbefugnis von Hoheitsträgern aus dem einem Amt oder Organ zugewiesenen Aufgaben-und Zuständigkeitsbereich. Staatliches Informationshandeln setzt danach keine besondere Rechtsgrundlage voraus. Die Befugnis der Bun-desregierung und der Bundesminister zur Informations-und Öffentlichkeitsarbeitergebe sich aus deren Kompetenz zur Staatsleitung, die des Bundespräsidenten aus seiner Integrationsaufgabe. Ein Bürgermeister darf sich zu Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft äußern. Unzulässig sind demnach hoheitliche Äußerungen, mit denen ein Amtsträger seinen Zuständigkeitsbereich verlässt.
(Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag 2018: „Politische Äußerungen von Hoheitsträgern“; Hervorhebg. K. B.)

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Ich bin kein Jurist, hätte dann aber doch den Eindruck, dass Philip Schwaiger auf einem privaten Account in den sozialen Medien „seinen Zuständigkeitsbereich verlässt“?

Wie schnell öffentliche Äußerungen von Bürgermeistern als unerlaubte politische Einflussnahme wahrgenommen werden, haben der Fall Salem und die Verlautbarungen von Bürgermeister Manfred Härle zum heiß umstrittenen Thema Regionalplan im Amtsblatt der Gemeinde gezeigt (hier).

Ob Schwaiger seinen angeblich privaten FB-Account, den er gemäß dem SZ-Artikel als Bürgermeister und  zur Information der Bürger in Sigmaringendorf nutze, auch zu potentiell unerlaubter politischer Einflussnahme nutzt, kann ich nicht überprüfen. Wie gesagt: Zugang nur für User mit FB-Account. Ganz nebenbei bemerkt ist es ebenfalls beunruhigend, dass Schwaiger für diesen Account die Einstellungen so gewählt hat, dass eben Nicht-FB-User keinen Zugriff haben.

Sollte je Kritik zu einzelnen Beiträgen lautwerden, ist Schwaiger fein raus. Denn er wird dann immer darauf verweisen, dass dies sein privater FB-Account sei.

Eine völlig unsägliche Praxis. Man stelle sich Vergleichbares bei einem Finanzbeamten vor, der über seinen privaten FB-Account fiskalische Informationen verbreitet.

Schwaigers privater FB-Account zur Bürgerinformation in Sigmaringendorf wäre sicherlich wieder ein Fall für die Rechtsaufsicht des Landratsamts Sigmaringen. Von der war jedoch schon in anderen Fällen zu lernen: Da passiert sowieso nix!

Und es passt ins die Bürger bundesweit vergrämende Gesamtbild, dass die Schwäbische Zeitung bei ihrem ellenlange Bericht über die Internetkommunikationsgewohnheiten von Schwaiger diese bedenkliche  Mischform von Bürgermeister-Verlautbarungen auf einem Privataccount nicht problematisiert.

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