[Satire von Karin Burger]
Das alles passt in 1 Welt.
Ich bin ein politisch wacher und interessierter Mensch mit etwas Bildung. Aus den überall verfügbaren Informationen aus zweiter Hand kann ich mir ohne Probleme ein politisch korrektes Urteil zu allen wichtigen Themen basteln. Immer häufiger gelingt es mir dabei, mir eine Meinung zu bilden, bevor ich diese öffentlich auf Facebook kundtue oder ein Video dazu auf YouTube einstelle. Ich habe keinen Facebook-Account.
Die Informationen aus zweiter Hand nennt man „Lügenpresse“. Die Informationen aus zweiter Hand nennt man auf gar keinen Fall „Lügenpresse“. Es sei denn, man schreibt TV-Kritiken für den Tagesspiegel. „Lügenpresse“ ist ein aus dem nationalsozialistischen Sprachgebrauch stammender Begriff, ein polemisches politisches Schlagwort, das von der Aktion Unwort des Jahres des Fachbereichs Gesellschafts- und Geschichtswissenschaften der Technischen Universität Darmstadt zum – sprachkritisch betrachtet – Unwort des Jahres 2014 gekürt wurde. Sagt Wikipedia. Wikipedia ist eine sexistische Männerwelt, sagt Die Welt. Doch die taz klärt mich darüber auf, dass es bei Wikipedia jetzt eine aggressive Kampagne gegen Feministen gäbe.
Zu diesem Themenkreis ist also jetzt schon absehbar: Solange sich der Maskulist Volker Pispers dazu nicht zitierfähig äußert, werde ich mein Urteil zur sexistischen Lügenpresse in der Wikipedia-Welt hinter mein sprachkritisch-politisches Erschrecken zurückstellen müssen.
Dienstag, den 23. Juni 2015
Am vergangenen Sonntag hat das Zentrum für politische Schönheit (ZPS) vor dem Bundestag 300 Brotsorten bestattet, von denen nicht einmal Tim Mälzer weiß, ob die noch gesund sind. Auch wegen der Enzyme. Die müssen nicht deklariert werden. Es sei vor allem der Unterschied zwischen Industrie- und Handwerksbrot, der den skrupellosen Bundesinnenminister Thomas de Maizière zum Täter mache. Der verhöhne in verantwortlicher Position und unverantwortlicher Art und Weise die pietätlos in Italien und andernorts ent-sorgten Laibe-Leibe. Und die gesamte EU.
Spiegelfechtende Propaquerfrontschau
Die im vorausgegangenen Satz nicht definierte Objekt-Subjekt-Option ist übrigens ein typisches Propaganda-Instrument. Solche blitzgescheiten Differenzierungen vornehmen zu können hat mich die periodische Lektüre des Blogs Propagandaschau gelehrt. Den zu rezipieren bin ich als Linke moralisch deshalb (nicht) autorisiert, weil es irgendwelche Verbindungen des dort im Anonymen verbleibenden Autors zu den guten/schlechten Nachdenkseiten gibt, geben soll, gab, geben könnte. Es sind die Guten! Es sind die Guten? Oder sie könnten es sein. Wenn dort (Propadingensfechterfunk) nicht immer wieder das Wort „Lügenpresse“ vorkäme? Das kann ich deshalb auch so profund beurteilen, weil ich keinen Facebook-Account habe. Die Guten haben alle einen Facebook-Account (guckst du hier, hier und hier).
Die Propagandaschau hat meines Wissens noch nie über nicht definierte Subjekt-Objekt-Optionen in opak gelassener Syntax referiert. Warum auch?
Ebenso defizitär: Tim Mälzer in der ARD! Sein Defizit gebiert mein Kritikrecht. ARD-Doku vor, Lügenpresse zurück: Mit dem wichtigsten Experten hat Mälzer bei seiner Brot-Doku ja gar nicht gesprochen: Bernd, das Brot! Also: Grogapanda!
Das Timing der Aktion des Zentrums für politische Schönheit war optimal gewählt, weil so auch gleich eine Entsorgungsadresse für Ken Jebsen zur Verfügung stand, der von einem Freund von Jutta Ditfurth erschossen worden war oder hätte erschossen worden sein können.
Dabei ging es der streitbaren Politikerin aber nicht darum, Menschen gegeneinander aufzuhetzen. Es ging ihr nur darum, couragiert zu sein. Das ist ihr dann ja wohl gelungen? Nach diesem Mut suchen viele (noch heute) vergebens …
Zu beiden, zu allem, zu was kann ich mir völlig problemlos ein Urteil bilden. Nicht zuletzt wegen stoersender.tv. Die haben sich nämlich mit den Enzymen von Mälzer, der Attentäter-Freundin oder mit griechischem Thunfisch solidarisch erklärt. Das belegt es doch: Es sind die Guten!
Übrigens hätte Ken Jebsen es vorher wissen können: Wenn die Toten kommen, dann müssen die Lebenden gehen! Eben. Wer da auch immer wen heiligt!
Lebensweltliche Interferenzen profunder politischer Meinungsbildung
Der Versuch, mit meiner Meinungsbildung meiner Meinungskundgabe in irgendeinem Denkfunk-Video hinterherzukommen, wird heute erheblich durch das Lamento meines Friseurs torpediert. Der schildert mir dienstleistungsbegleitend farbprächtig die Qualen, welche ihm seine (Hartz-IV-)Unterkieferprothese (UKP) auf dem Weg in den vollständigen Wahnsinn oder auch in den alpenaffinen Suizid bereite. Als politisch interessierte Bürgerin mit sozialer Empathie muss er mir natürlich nicht erst erklären, warum er als Friseur Leistungen nach dem SGB II bezieht. „Aufstocker“ murmele ich erklärend meiner Sitznachbarin zu, die mich weder hören kann noch will. Stöpseln in den Ohren. iPhone in der Hand. „Die ist aber noch ganz schön weit weg von der Courage des Blogs Basicthinking“, denke ich, weil ich mich informiere und über verwirrendes Wissen verfüge, das mir im Alltag keinen Höhenmeter weiterhilft.
Für meinen Friseur findet sich ebenfalls etwas Linderndes in meinem gut bestückten Informationssack. "Denkfunk thematisiert unerschrocken bis todesmutig immer wieder auch die Hartz-IV-Ungerechtigkeit", jubele ich ihm systemkritisch zu. Seine Augen leuchten. Ob er denn da mitmachen könne? Hui, der kommt aber schnell ans Ende der Glaubwürdigkeit: "Ich fürchte, das können Sie sich nicht leisten!"
Kurz erwäge ich eine Facebook-Initiative oder eine Petition mit dem Ziel, Ken Jebsen mit den Dritten à la Sozialstaat 2015 auszustatten. Das würde auch seine Fokussierung auf die Linken völlig neu kalibrieren? Aber erstens verschafft das den Griechen auch keine Krankenversicherung, zweitens ist das vermutlich nicht Ditfurths Stil und ohne die Einwilligung von stoersender.tv … ungern!
Hinzu kommt nach wie vor: Ich habe keinen Facebook-Account. Und jetzt fällt es mir auch wieder ein: Ken Jebsen wurde doch von einem Ditfurth-Freund erschossen! Ein vom Sozialstaat finanzierter Zahnersatz weitab aller zahnmedizinischen Standards postmortal wäre ja nur ein weiterer Fall von spätgermanischer Dekadenz kurz vor knapp der Islamisierung. Miss Sozialbrauch!
Wenn der Zweck der politischen Pornografie 50.000 Euro zuführt
Außerdem bestätigt mich Stefan Niggemeier ganz aktuell in meiner immer zögerlicher werdenden Urteils- und Meinungsbildung. UKP hin, pietätlos entsorgte Flüchtlingskadaver mit nicht deklarierten Enzymen her: Die Frau, die schuld ist, dass die Euro-Krise nicht gelöst wird, ist gar nicht schuld, wenn auch nicht schuldenfrei! Wie denn auch: Sie muss jährlich 86 Kilogramm deutsches Brot essen! Schuld trüge sie nur dann, wenn sie zu denen gehörte, die 500.000 Tonnen Brot im Jahr wegwerfen. Das ist aber nicht der Fall, schreibt Niggemeier, von dem allerdings bisher noch das Bekenntnis zum Veganismus fehlt. Hier steht mein Urteil bombenfest: fragwürdige moralische Vorzüglichkeit in der Graubrotzone!
Wenn also das Zentrum für politische Schönheit Ken Jebsen und 300 Brotsorten mit nicht deklarierten Enzymen in einer Aktion, die angeblich im weiteren Verlauf sich selbst überlassen wurde, unter dem Stuttgarter Bahnhof (Korruption!) von einem Inder bestatten lässt, überwältigt mich als mündige Bürgerin die bohr- oder grablochtiefe ästhetische und politische Botschaft dieser zentralen Schönheitsaktion mit der gesamten Wucht der unabschätzbaren praktischen Folgen. Quatsch: "politische Pornografie"! Da ist die halbe Brücke übers Mittelmeer doch schon gebaut und die ganze in die Herzen und Hirne der Menschen geschlagen? Es sind die Guten! Wenn die, nicht, wann wer?
So hatten wohl auch nicht näher deklarierte "Andere" gedacht. Die müssen jetzt nach der Absage des ZPS an "KenFM und die neurechte Querfront" urplötzlich die Seiten wechseln. Oder es wenigstens versuchen. Dies aber nicht etwa, weil sie argwöhnen, dass der hinter dem ZPS stehende Verein Initiative für die Verteidigung der Menschlichkeit e. V. eine total intransparente Angelegenheit ist, von der sich ad hoc weder eine Satzung noch ein Freistellungsbescheid noch irgendwelche Jahresgeberichte, die Ämterbesetzung oder andere minimale Angaben zu noch minimaleren Seriositätskriterien finden lassen. Nach und mit Tim Mälzer ist jetzt das Vollkornbrot transparent. Das muss reichen! Bei dieser moralischen Noblesse der ZPS-Aktion verbietet sich das kritische Hinterfragen des Verbleibs des schnöden Mammons, der immerhin üppig sprudelt (20.000 Euro in 10 Stunden; knapp 55.000 Euro in 9 Tagen).
Bei der jetzt erfolgenden Ausdifferenzierung der vormals alle von der politisch-künstlerischen Bestattungsaktion Begeisterten weiß ich Umetikettierungen von „Mahnwacher“ zu „Wahnmacher“ dahingehend zu bewerten, ob diese sprachliche Kreativität eher verhöhnt oder aufdeckt. Ich kenne den Querfront-Verlauf genau oder glaube es zumindest nicht mehr oder weniger als andere ihn wähnen. Und natürlich habe ich mich dezidiert mit dem Konzept des „funktionalen Faschismus“ auseinandergesetzt, weiß ihn zu erkennen und zu bewerten.
Welches nochmal ist mein fundiertes Urteil, das ich mir in mehrtägiger souveräner Sekundärquellen-Recherche mit jeweils erfolgter Quellenvalidierung hart erarbeitet habe und es ungebeugt und mutig nach außen vertrete, weil man „gute“ Meinungen heutzutage vertreten muss? Sonst wird sich nie etwas von dem ändern, was sich nicht ändern wird. Es wird sich was ändern, sagt der Spiegel. Aber wenn (ausgerechnet) der Spiegel sagt, es wird sich was ändern, dann macht mir das Angst?
Ich glaube, meine Meinungsbildung dazu/wozu ist doch noch nicht abgeschlossen …
Panterai!