SaSe96: Rezension Hazel Brugger „Ich bin so hübsch“: Eine reibungsstarke Sicht von Welt und 34 leere Seiten

Die Karriere der sehr jungen Schweizer Poetry-Slammerin, Satirikerin und Kabarettistin Hazel Brugger ist auffallend steil. Den an dieser Stelle gern genommene Vergleich mit dem Kometen verbiete ich mir eingedenk des zur Selbstauflösung neigenden Schicksals dieses Himmelskörpers –  und zwar nach dem bewunderten Höhepunkt.

Steil: Ich stehe nicht an, Wiki nachzuerzählen. Dennoch: Nach sicherlich das überschaubare weil Schweizer Inland beeindruckenden Erfolgen als Poetry-Slamerin (2013: Meister(in)titel), Kolumnistin (für: Das Magazin, Hochpaterre, Tageswoche) griff die düster gewandete Mimiksteinerne in die Bundesrepublik über. Mit fulminantem Erfolg: Auftritte bei Dieter Nuhr (sowohl in dem zur puren Comedy herabgewirtschafteten früheren Satire-Gipfel Nuhr im Ersten als auch bei der nervigen weil hüftsteif auf jung getrimmten Nachwuchssendung Nuhr ab 18) und im April 2016 ein Auftritt in der völlig überschätzten ZDF-Kabarett-Sendung Die Anstalt – ein Karriereschub, von dem Kolleginnen und Kollegen jahrelang und erschütternd vergeblich träumen! (Es soll Kabarettisten geben, die nur deshalb Autor bei diesem dubiosen Denkfunk werden, weil sie sich dadurch einen Auftritt in der Sendung erhoffen.) Seit kurzem ist Brugger auch häufiger als Außenreporterin in der heute-show zu sehen.

Und das alles mit 23 Jahren. Viel kann fast nicht mehr kommen? Noch ein paar dieser nichtssagenden Kabarettpreise, den Prix Pantheon vielleicht, ein Grimme-Preis und eine eigene Sendung.
Als wenn das nichts wäre!

Und nun das erste Buch: Ich bin so hübsch, erschienen bei Kein & Aber, der Verlag mit dem farbigen Buchschnitt (im Falle Brugger: türkis-lindgrün oder so).

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SaSe96RezensionBruggerHazelBuchCover*

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Mühe-los und selbstreferentiell
Achten wir auf unsere Worte, denn es wäre schon nicht ganz korrekt zu behaupten, Brugger habe dieses Buch geschrieben; also geschrieben, um ein Buch zu schreiben. Natürlich hat sie die Texte darin verfasst, aber rein arbeitstechnisch ist Ich bin so hübsch nur der zweite Aufguss, was der Verlag in kleinem Schriftgrad über dem Impressum auch einräumt:

Die Texte im vorliegenden Band sind eine überarbeitete Auswahl von Kolumnen und Artikel aus dem Magazin des Tages-Anzeigers, der TagesWoche, der Annabelle sowie bislang unveröffentlichte Texte.
(Hazel Brugger: Ich bin so hübsch, Verlagsnachweis)

Also streng genommen: nichts Neues.

Das fängt ja gut an. Wer da nun meinte, ein junges Talent würde jede seriöse Publikationschance mit Feuereifer nutzen, der kuhblickt ernüchtert: Für das durchaus bedeutende „Standardwerk“ (gefühltes) mit metasatirischen Reflexionen Ist das jetzt Satire oder was? durfte Brugger auch beisteuern. Und was tut sie: Als sauber konditioniertes Kapitalismuskind verwertet sie ihren Text „Das Glück bei den Füßen gepackt“ gleich zum (mindestens) zweiten Mal; anstatt die Chance zu nutzen, eine weitere Facette ihrer zweifellos beeindruckenden Talente aufzuzeigen und einen noch nicht publizierten Text für die Antologie zur Verfügung zu stellen.
Diese „Arbeitsersparnis“ ist keine Lappalie, wie weiter unten zu zeigen sein wird.

Als nächstes stößt (mir) auf: der selbstreferentielle Buchtitel: ICH bin so hübsch. Dem Vorwurf, dass die Aversion gegen Buchtitel, die sich vor allem, zunächst und zuerst auf den Autor beziehen, ein persönlicher Tick von mir sei, würde ich nicht zu entkräften anheben. Aber immer noch davon ausgehend, dass ein Buchtitel eine sehr grobe Zusammenfassung des Buchinhalts, ein wichtiger Hinweis, ein roter Faden, ein dominierendes Thema angibt, turnt mich „ich“, „mein“ und beider Flexionen für satirische Bücher und Texte reichlich ab. Denn ich schließe aus solcherart Titel, dass „ich“ die grobe Zusammenfassung des Buchinhalts ist, der wichtigste Hinweis der auf „ich“ sei und „ich“ insgesamt der rote Ich-Faden, das dominierende Ich-Thema.

Diese zeitgeistharmonische Ich-Bezogenheit könnte aber auch das Geheimnis hinter dem Erfolg der doch verdammt jungen (was ja kein Vorwurf sein kann, aber ins Bewertungskalkül zu nehmen ist) Künstlerin sein.


Enttäuschung durch Motiv-Plagiat
Wenn wir schon beim Meckern sind: Zunächst begeistert hat mich das Foto auf dem Titel von ICH mit der Papiertüte auf dem Kopf. Und zwar solange, bis ich dieses Motiv bei einer Senderwerbung auf arte (irgend so’n Bildungssender halt; versehentlich reingezappt) gesehen habe. Ein Belegexemplar finde ich nicht, dafür aber diesen noch viel ältere Beleg mit Martina Hill:

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Diese Papiertüte-auf-dem-Kopf-Chose scheint überhaupt ein ganz abgelutschter Gag zu sein:

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Sorry, aber solche Abkupferaktionen mag ich gar nicht. Das ist weder original noch originell. Und wäre sie, die Papiertüte über dem Kopf,  als intertextuelles Zitat (von Martina Hill) gemeint gewesen, was sich an dieser Stelle am ehesten als Ausrede anbieten würde und sich auch satirisch gut hätte verwerten lassen, so hätte es irgendwo eines Hinweises, einer Thematisierung bedurft. Erst dann bärge das Cover-Motiv Sinn. Keiner komme mir jetzt mit dem köchelnden Spannungsverhältnis zwischen dem Worttitel „Ich bin so hübsch“ in Rekurs auf das „Ich“, das aufgrund einer (wenig originellen) Papiertüte auf dem Kopf gar keine ästhetischen Aussagen zulasse. Mördergag!


Autorenporträt als sprachliches Kunstwerk
Was sagt eigentlich der Verlag? Nicht zur Papiertüte, aber sonst?

[…] in den letzten Jahren hat Hazel Brugger einen kometenhaften Aufstieg hingelegt: Vor rund fünf Jahren nahm die damals 17-Jährige an ihrem ersten Poetry Slam teil, 2013 war sie schon Schweizer Meisterin, rasch folgten die eigene Kolumne, Auftritte in Comedy-Sendungen, eine Veranstaltungsreihe. Derzeit tourt Hazel Brugger mit dem Soloprogramm »Hazel Brugger passiert« durch Deutschland, die Schweiz und Österreich, seit wenigen Wochen berichtet sie außerdem für die heute-Show des ZDF.
Ihre Komik lebt von scharfen Kontrasten. Da sind einerseits die minimale Mimik und Gestik, Hazel Brugger verzieht bei ihren Auftritten das Gesicht nicht, erhebt kaum die Stimme, kommt mit wenigen, unauffälligen Handbewegungen aus. Irgendwie verschwommen das alles, irgendwie träge. Dagegen steht grell die Schärfe ihrer Texte. Brugger erkennt die Schwächen der Menschen und sieht die Absurdität ihrer scheinbaren Zwangsläufigkeiten. Das Leben, zeigt sie, ist uncool und wir alle meistens peinlich. Am härtesten geht sie mit sich selbst ins Gericht, man ist beeindruckt von dieser jungen Frau, die ihre eigene Demontage mit solcher Konsequenz und Gnadenlosigkeit vollzieht. Gerade dadurch rückt sie ihre Selbstbeobachtungen so weit von sich weg, dass sie zur Schablone für eine erstaunliche Weltsicht werden, die uns viel über unsere Gegenwart verrät.
(Pressemitteilung des Verlages per E-Mail am 28.04.2016; Hervorhebg. SaSe)

Strike! Was für ein gelungenes Porträt! Kompliment an Kein & Aber. Das sprachliche Sahnestückchen enthält allerdings ein paar Fußangeln, die mutmaßlich nicht beabsichtigt sind. Mit dem „kometenhaften“ Aufstieg wäre ich zum Beispiel – siehe oben – zaghafter; es sei denn, der Verlag stellt sich von vornherein nur auf ein Buch dieser Autorin ein.
Viel interessanter jedoch ist das trefflich analysierte Lebenselixier von Bruggers Komik: der Kontrast!  Und zwar der zwischen den nonverbalen Botschaften ihres Phänotyps, ihrer betonhaften Mimik und der gebremst eingesetzten Gestik  sowie ihrer Intonation auf der einen Seite und der „Schärfe ihrer Texte“ auf der anderen. Da ergibt sich beim Wegfall des optischen Informationskanals – zum Beispiel, wenn nur Schriftsprache vorliegt, was in Büchern häufiger vorkommt – die Frage, ob die Komik von Brugger dann noch atmen kann. Oder soll uns das abgekupferte Papiertüten-Cover schon auf eine grundsätzliche Atemnot der Autorin einstimmen?

Ich glaube, jetzt haben wir genügend wichtige Fragen zusammen, um uns eine Rezension anzumaßen?


Sie bezahlen für 34 leere Seiten!
Das Büchlein (176 Seiten) kostet 10 Euro. Im Preis inbegriffen sind sage und schreibe 34 leere Seiten! Die kommen so zusammen: Die insgesamt 43 Kurztexte beginnen immer auf der rechten Buchseite. Dadurch entsteht viel leerer Raum. „Die Akte Topinambur“ etwa endet vor der zweiten Hälfte auf Seite 15 (rechts); es folgt eine halbe leere Seite, der es die komplett leere Seite 16 (links) gleichtut, bevor es auf Seite 17 mit „Läuft bei mir“ weitergeht. Dieses Strickmuster wiederholt sich so lange, bis die 34 leeren Seiten beieinander sind.

Also, sorry, nein: Das ist definitiv too much! … um keine hässlicheren Wörter für so eine Buchkäufer-Verarsche zu benutzen.


Eine Intelligenzhübsche
Hazel Brugger hat intellektuell und sprachlich spürbares Potenzial, das ihr aber offensichtlich noch nicht jederzeit zugänglich ist. Meine Mutmaßung: Ihr sprachliches Können über einen elaborierten Code zu exerzieren scheint sie sich selbst und eingedenk des Wertekanons ihrer Generation, in der ein solcher Code nachgerade als verwerflich und arrogant gilt,  zu verbieten. Nur hin und wieder – und leider viel zu selten – geht ihr der Bildungsgaul durch, der dort an den Leser überwältigende Kraft gewinnt, wo er unter ihrem Talent für absurde Bilder galoppiert:

Der Frau hingegen bleibt, egal, wie albern sie nackt auch aussehen mag, immer noch die Fähigkeit, innerhalb weniger Monate eine andere, noch nie von der Welt gesehene Person aus sich herausspazieren zu lassen. Beeindruckend. Wer das kann, hat[Apostroph]s nicht nötig, von irgendwas abzulenken. Wer das kann, hat vor allem Sinnvolleres zu tun, als sein Antlitz und die angenehme Stimmung für eine potenziell missglückte Pointe zu opfern. Will man sein Publikum richtig zum Lachen bringen, muss man sich auf ehrliche Art exponieren.
(Hazel Brugger: Ich bin so hübsch: „Warum die [sic!] Frauen nicht so lustig sind“, S. 26)

Komplexe Syntax ist kein Problem für sie, inklusive untergliedeter Appositionen und in weitere Nebensätze hinein differenzierter Attribute. Das wuchtet zusammen mit dem Bild der neuen Person, die aus der alten herausspaziert. Das Lenor-Gewissen dürfte Brugger aufgrund ihres Alters eher nicht bekannt sein? Dabei geht ihr Sprachkönnen, so unterstelle ich jetzt einmal, so weit zu wissen, warum dieses Herausspazieren an dieser Stelle bei dieser gemeinten Bildlichkeit tatsächlich zusammengeschrieben wird? Der semantisch-syntaktisch hochgefönte Schwung wird aufgefangen durch eine Ellipse in Partizipialkonstruktion: „beeindruckend“.

Überhaupt bereitet Brugger der Umgang mit anspruchsvolleren grammatikalischen Kategorien und  komplexer Syntax keine Probleme. Warum sie dann so einen Beschiss wie „Setzen Sie sich“ (S. 165) konstruiert, erschließt sich mir nicht. Der Text besteht aus insgesamt nur zwei Sätzen, wobei sich der eine über glatte 2 ¼ Seiten hinzieht.  Diese Satzlänge entsteht nun allerdings nicht durch ein sprachliches Können à la Thomas Mann, sondern einfach nur dadurch, dass die Autorin die Punkte weglässt und ihre Satzkonstruktionen mit endlosen Konjunktionen à la „und“ und „oder“ verbindet.  Ja, ja, gutwillig trägt die Satzform hier eine Art von Atemlosigkeit. Aber wenn schon, dann hätte man die Gelegenheit auch nützen können, um die Komplexität (des Lebens und der gesellschaftlichen Normen) in der Syntax abzubilden. Bruggers Vorgehen bleibt (mir) hier (und andernorts im Buch) unverständlich.

Tröstend sind die regelmäßigen lexikalische Genusseinheiten wie im Frauen-nicht-lustig-Text zum Beispiel „Antlitz“.

Aber immer wieder stolpert der Leser auch. Noch einmal aus: „Warum die Frauen nicht so lustig sind“ (S. 25). Wieso „die“? „Frauen“ ist hier Gattungsbezeichnung im Plural. Da entfällt der bestimmte Artikel.

Dann kommen noch die sprachlichen Eigenheiten der Standardvarietät Schweizer Deutsch dazu, bei denen sich der Verlag auch hätte überlegen können, ob auf die möglicherweise größere Käufergruppe deutscher Fans Rücksicht genommen wird. Beispiel: „Katzentürchen“ (aus: „Im Namen des Fötus, des Hohnes und des ewigen Spotts“, S. 30), durch und über das der Deutsche kurz stolpert, bis er es durch „Katzenklappe“ ersetzt. Und die „Robidog-Wiese“ in „Kein Schoßhund“ hätte sehr gut eine erklärende Fußnote vertragen, denn grenzferne Deutsche kennen dieses exklusive Phänomen Schweizer Akkuratess im Hundekot-Management eher nicht – zumindest nicht unter diesem Begriff.

Kein Beinbruch, aber die Summe macht’s.

Schon bedenklich in den Bereich der Stilblüten hinein wachsen die „Füße“ der Golden-Retriever-Welpen in „Kein Schoßhund“ (S. 153), die mit weißen Söckchen bestückt sind. Bei aller sozialen Sodomie: Hunde haben Pfoten und keine Füße. Hier hätte das Lektorat hübsch gepennt, wenn es dann eins gegeben hat, was ich zunehmend in Zweifel ziehe.

Denn nachfolgender Grammatikfehler, der einen ganzen Absatz unverständlich macht, ist keine Lappalie:

Als der Nachbarspudel mit dreiundzwanzig starb, atmete die Straße auf. Der Grad ihres langsamen Zerfalls war grotesk gewesen. Irgendwann aß sie nur noch Häagen-Dazs-Eiscreme und pinkelte im Handstand an die Hauswand. Ihre Augen sahen aus, als kreisten darin tote Flundern.
(ibid.:  „Nichts für Weicheier“, S. 169; Hervorhebg. SaSe)

Grammatikalisch ist es hier die Straße, die mit dreiundzwanzig erst verstirbt und dann aufatmet, sich vorher aber überwiegend von Eiscreme ernährte und im Handstand pinkelte. Auch nicht schlecht. Leider ist die aufgerufene Bildlichkeit, deren grammatikalische Referenz mutmaßlich auf eine Pudelhündin (= sie) zielt und darüber zur Verwechslung führte, noch dazu komplett unrealistisch und abwegig. Das Letzte, was hochbetagte Hunde körperlich zu tun in der Lage sind, ist Handstandpinkeln.
Im Übrigen berührt es unangenehm und verlangt die Ablage in der Kategorie „anmaßend“, wenn sich 23-jährige Gören herablassend über das Alter auslassen – und sei es auch nur das einer Straße!

Der Text „Nichts für Weicheier“ ist nicht nur nichts für Weicheier, er ist auch nichts für Menschenfreunde, weil seinen Zeilen der unangenehme Ruch der Forderung nach früher Euthanasie entströmt. Diesbezügliche Expertin zumindest im kynologischen Bereich ist Hazel Brugger ganz bestimmt nicht, deren anderweitige Äußerungen zum Thema Umgang mit Tieren mich bei der Lektüre des Buches verschiedentlich fröstelnd machten und in mir den kindlichen Wunsch weckte, Frau Brugger möge sich künftig nicht mehr zu diesem Themenbereich äußern.

Das war jetzt ein selbstvergessener Ausflug in die Linguistik, der mich an dieser Stelle vermutlich ein paar Leser gekostet hat. Deshalb hurtig zurück zu Themen, die dem modernen User eher vertraut sind: Scheiße, Kotze, Eiter & Co.


„Scatalogicals“: In der Folge von Jonathan Swift
Mir ist keine konkrete Übersetzung des englischen Begriffs „scatalogical“ bekannt, der einigermaßen geläufig wäre und denselben Bedeutungsumfang wie das englische Wort hätte, das in der Literaturwissenschaft ein Terminus technicus ist. Das englische Adjektiv wird übersetzt mit „obszön“, „fäkal“, „unflätig“ – und führt damit pfeilgerade in die falsche Richtung. Die Verwendung sogenannter Scatalogicals ist eine zum Beispiel von dem englischen Satiriker Jonathan Swift genutzte satirische Technik (exzessiv in Gulliver’s Travels), mit der ein bewusster Normverstoß über die Bildlichkeit diverser Körperausscheidungen (Kot, Urin, Erbrochenes) erreicht werden soll. Auch Mozart hat sich dieser Technik bedient. „Scatalogicals“ haben also nichts und gar nichts mit einer verrohten primitiven provokativen vulgären Sprache wie etwa der eines Serdar Somuncu zu tun, dem die – gern auch als direkte Anrede genutzten – Arschlöcher, Votzen, Muschis & Co. im Dutzend aus der Fresse quellen. Bei „Scatalogicals“ geht es primär um das Bild und nicht um das dafür benutzte Wort. Das Scatalogical transportiert den Normverstoß und macht ihn dadurch besonders anschaulich.

Brugger setzt dieses satirische Werkzeug gern, aber angenehm dosiert ein – zum Beispiel in „Die Akte Topinambur“ (S. 13). Im (fiktiven?) autobiografischen Rückgriff erzählt die Autorin von ihrem Vater, der diese Nutzpflanze aus der Familie der Korbblütler seiner Familie zum Essen darbot. Die daraus bereitete Speise hatte die Optik von „Ohrenschmalz mit Stückchen“ oder das, was auf dem Tellerset liegt, wenn alle Hauskatzen der Region sich dort erbrochen haben. Diese defizitäre Ästhetik bleibt nicht folgenlos und lässt der Autorin Bruder das tun, was den genannten Katzen verwehrt blieb. Dabei wird das Scatalogical zum handfesten Symbol für die Revolution gegen das elterliche Zwangsregime im Ernährungsbereich.

Ähnlich arbeitet die Satirikerin in „Läuft bei mir“ (S. 17), wo das Scatalogical explodierender Eiterpickel in pubertären Gesichtern im Allgemeinen und in Bruggers Antlitz im Besonderen und Exzessiven als Werkzeug dazu dient, die Mythen und Überhöhungen dieses Lebensabschnitts – „beste Zeit des Lebens“ – zu demontieren, der sich de facto als „Blüte der Beschissenheit“ herausstellt. Brugger-Fans werden den Text aus dem Fernsehen kennen. Die aufgerufene Bildlichkeit ist üppig mit „einem Teppich aus triefenden Mortadellascheiben über einer langsam entstehenden Kraterlandschaft“ (S. 18), der Evokation des Anblicks von  „dreizehn überfahrene Katzenföten“ im Gesicht. Bruggers Sprache ist hier wieder erfrischend kreativ: „Pockengeflecht“, „Sekretfeuerwerk“, „zahnbespangte“ Jungen etc.

Die von Brugger dosiert eingesetzten Scatalogicals als Kunstmittel sind auch dem Verlag bewusst, der auf der Buchrückseite mit „widerlich“ auf diese Technik anspielt:

Metzgerporno, Henkersmahlzeit und der Hoden der Nation – Hazel Brugger nimmt die ganz großen Themen des Lebens in Angriff. Ihre Texte sidn wie eine Sahnetorte im Gesicht: lustig und schmerzhaft in einem, sehr süß und zugleich ein bisschen widerlich.
(ibid., Buchrückseite; Hervorhebg. SaSe)

En passant: Dieser Kurztext reicht an die Brillanz des oben zitierten Autorinnenporträts des Verlag dann auch nicht mehr heran, denn Autoren und Satiriker, die sich „der ganz großen Themen des Lebens“ annehmen sind eine eitergefüllte Plattitüde, auf deren Sekretfeuerwerk beim Platzen die Welt gerade auch noch hätte verzichten können.

Im Beitrag „Was wünschst du dir eigentlich zum Geburtstag“ (ohne Fragezeichen, Herr Lektor?; S. 109) instrumentalisiert Brugger den gewünschten Penis für ihre Kritik an der weiterhin männerdominierten Gesellschaft, womit wir endlich beim Wichtigsten wären, was von Satirikern erwartet wird: Gesellschaftskritik!


Nichts geht ohne Gesellschaftskritik
Wenn ein Journalist oder Kritiker sich gar nicht mit Satire auskennt und seine Arbeit schnell vom Tisch haben will, lobt er das gesellschaftskritische Potenzial des Kabarettisten oder Satirikers. Was für eine Stanze! Authentische Satire, wie unter anderem hier definiert, ist IMMER irgendwie gesellschaftskritisch und gäbe sie auch nur eine neue Perspektive auf Filzpantoffeln. Worin sich die Satiriker allerdings unterscheiden, das ist das Ausmaß dieser unverzichtbaren Attacke. Bei den Kabarettisten etwa von Die Anstalt, die ganz populistisch die Thesen der Linken bedienen, lässt sich diese „Gesellschaftskritik“ deutlicher spüren und eindeutiger identifizieren als bei einem Piet Klocke, wo sie eher philosophisch daherkommt.

Die erste Überschrift über dieser Rezension lautete: „Hazel Brugger – eine brillante Anwältin … ihrer selbst“. Die habe ich geändert, als der Ärger über die 34 leeren Seiten und das Motiv-Plagiat auf dem Cover überhandnahmen. Natürlich enthält Ich bin so hübsch jede Menge Texte und Beiträge, die „gesellschaftskritisch“ sind, wenn man auf Pferdequalitäten an Pferden gern herumreiten möchte: „Ausweidung der Kampfzone“ gehört dazu mit der „Gesellschaftskritik“  und Kapitalismuskritik an dem Erfolg eines „Pimperstreifens“ wie „Fifty Shades of Grey“. Der schon zitierte  Geburtstagswunsch-Text dito. Natürlich ist „Prinzipien der Wurstlehre“ mit der Infragestellung der Empörung über die These „Wurst macht Krebs“ „gesellschaftskritisch“. Einige Beiträge lassen die unverzichtbare Eigenschaft schon in Überschrift erkennen: „Mein motherfucking Frauseindisstextshizzle [sic!]“. (Dass sich die Linguistin an dieser Stelle the fucking Fugen-s nicht erklären kann, wollen wir jetzt nicht vertiefen, Herr/Frau Lektor!)

Auch „Scham im Holozän“ trägt die Botschaft balkenbreit vor sich her, wobei der Ausdruck „Anthropozän“ diesbezüglich noch drastischer gewesen wäre. Zumal nicht einsehbar ist, warum die moralische Kategorie Scham mit der Erdgeschichte verknüpft wird. Aber es hört sich gebildet an, das „Holozän“! „Ach, Demokratie“ und „Der Gesichtsausdruck des Extremisten“ wird den Fans der Gesellschaftskritik auch pfeilgerade reinlaufen.

Aber insgesamt habe ich (!) nicht den Eindruck, dass all die angesprochenen Themen und Phänomene Brugger wirklich am Herzen liegen. Da ist kein Feuer dahinter, kein Engagement. Sie blickt neu auf die Welt. Das ist ein Teil ihres Erfolgsrezepts. Für die Fähigkeit, in der Schlange Wartender vor ihr ein nacktes Gürteltier zu erblicken (nicht im Buch) bewundere ich sie über alle Maßen und lasse mir das Gesehene mit Lust beschreiben. Dabei versuche ich zu ergründen, wie man diese beneidenswerte Fähigkeit erlangt.

Doch mit der Zeit und besonders der Zeit, die ich mit diesem Buch verbracht habe, stelle ich fest: Alles amüsiert sie. Nirgends  gewinne ich den Eindruck, dass ihr diese Welt und deren belebtes Gewusel, wie defizitär sie und es auch immer sein mögen, in irgendeiner Hinsicht am Herzen liegen. Der für den Kontakt Peilung gebende Körperteil Bruggers liegt wohl tiefer und an ihm gehen ihr Welt, Tiere und Straßen vorbei, wie es die dazu gehörige Spruchweisheit kartografiert.
Es ist ein sehr persönliches Urteil und ich mag mich täuschen, aber bei mir erwecken die Texte den Eindruck, dass Brugger die Welt zwar schräg und lehrreich betrachtet, diese aber keine Resonanz in ihr erzeugt? Aber die [sic!] Wein ist ja noch jung. Wir hoffen auf weitere Gärung.


Es gibt wenig zu lachen!
Nochmal der Bezug zum Verlagsporträt am inzwischen weit zurückliegenden Anfang dieser Rezension. Tatsächlich ist es so, dass Brugger zumindest hinsichtlich der Komik auf den zweiten, den visuellen Informationskanal nicht verzichten kann. Ihre Texte sind nicht aus sich heraus komisch. Spontan und ungekünstelt lachen konnte ich auf den 176 minus 34 Seiten selten und eher im letzten Drittel des Buches – zum Beispiel bei  „Auf zum Mars“ (S. 133) und „Sterbehilfe“ (S. 149). Überhaupt hatte ich den Eindruck, dass die Texte zum Ende hin besser werden. Mein Favorit: „Betroffen und so“. Grund: Der Beitrag ist atypisch, verzichtet auf die manchmal schwer bis gar nicht zu decodierende Anspielungen, nimmt aktuellen Bezug  und brilliert mit einer Polemik, wie ich sie liebe!

Aber satirische Texte müssen nicht lustig sein.

Wichtig für dieses Buch ist nur der Hinweis, dass den Leser eine andere Art von Vergnügen erwartet, als er es von Bruggers Fernseh- und Live-Auftritten kennt. Die junge Künstlerin betrachtet die Welt wohltuend anders – und allein das ist nicht nur hilfreich, sondern inspirierend. Damit hat sie meinen Anspruch an Satire erfüllt.

Warum einige Merkmale dieses Buches (Cover-Plagiat, leere Seiten, störende Fehler) auf besondere Lieblosigkeit verweisen, mit der dieses Buch produziert wurde, das weiß nicht mal ich!

Hazel Brugger: Ich bin so hübsch
Taschenbuch, 176 Seiten
Verlag: Kein & Aber
ISBN: 978-3-0369-5936-8
Preis: 10 Euro

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