Sehnsucht ergreift den ortsfremden Leser der Neuen Rottweiler Zeitung (NRWZ) am 30. August 2019. Im Kontext der Causa Lutz Strobel (hier), dem durchaus schillernde Ex-Ortsvorsteher von Tennenbronn (ein Stadtteil von Schramberg), greifen die Journalisten der NRWZ zu einem Mittel, das die Leser von Südkurier und Schwäbische Zeitung von ihren Lokaljournalisten überhaupt nicht kennen: Recherche!
Eigeninitiative, freie und interessante Recherche dazu.
Nach dem tosenden Abgang des verbeamteten Ortsvorstehers hatte es drei dubiose anonyme Briefe gegeben, verschickt an die Stadt Schramberg und die örtliche Tageszeitung. Darin wurde die Rechtmäßigkeit der konstituierenden Sitzungen des Ortschaftsrats in Waldmössingen und Tennenbronn und mithin die dort gefassten Beschlüsse infrage gestellt.
Linguistinnen, die zuvor schon Kontakt mit dem schriftlichen und durch gewisse sprachliche Auffälligkeiten charakterisierten Opus von Lutz Strobel hatten, kamen bei der Lektüre der neuen Texte durchaus Ideen. Und nicht nur diesen. Auch die NRWZ-Redakteure zeigten sich geneigt, ihren persönlichen Eindruck zu verifizieren und wissenschaftlich überprüfen zu lassen. Deshalb nahmen sie Kontakt auf mit dem Institut für forensische Textanalyse, das mit dem nicht nur bezüglich Schramberg vielversprechendem Slogan wirbt: „Wir überführen anonyme Täter“.
NRWZ-Redakteur Martin Himmelheber nutzt die Gelegenheit, um in einem Interview mit Institutsleiter Leo Martin und Patrick Rottler übe r die interessante Arbeit der Sprachprofiler zu informieren. Allein das ist schon hochinteressant! Auf jeden Fall interessanter als Tricks, Tipps und Tücken rund um Weihbüschel.
Danach geht es um die sprachlichen Auffälligkeiten in den genannten anonymen Schreiben an die Stadt Schramberg und die Lokalpresse. Zu der von unbeteiligten Linguistinnen und der NRWZ-Redaktion gehegten Vermutung wägt Sprachprofiler Leo Martin sorgfältig ab:
[NRWZ]: Wie sicher sind Sie, dass unser Verdacht stimmt, und wir den Autor kennen?
Leo Martin: Die anonymen Schreiben und der Vergleichstext weisen starke systematische Übereinstimmungen auf und gleichzeitig fehlen potentielle Trenner, die eine Autorschaft ausschließen würden. Die verglichenen Texte passen sehr gut zusammen. Um eine noch konkretere Aussage zu treffen und um Namen nennen zu können, müssten wir noch ein Stück tiefer in die Analyse einsteigen.
(Neue Rottweiler Zeitung 30.08.2019: „Anonyme Schreiben: Sprachprofiler bestätigen Vermutung“)
Dabei belässt es die NRWZ dann aber auch und bleibt damit korrekt innerhalb geltenden Presserechts (anders etwa als die SZ in der Rubrik „Aufgespießt“ am 31. August 2019 Ausgabe Friedrichshafen ..):
Anmerkung der Redaktion: Ein gerichtsfestes Gutachten erfordert erheblichen Aufwand und würde einige tausend Euro kosten – eine Summe, die das Budget der NRWZ bei weitem überschreiten würde. Deshalb müssen wir den Namen des mutmaßlichen Anonymus für uns behalten.
(ibid.)
Wo die Nachtigall so viel Lärm macht, können Beobachter getrost schweigen …
Übrigens: Wie krass anders und kritisch die NRWZ im Vergleich zu den auf diesem Blog regelmäßig gegeißelten Tageszeitungen Südkurier und Schwäbische Zeitung berichtet, zeigen die Internet-Suchmaschinen, wenn man die Namen einzelner NRWZ-Redakteure recherchiert. Nur naivere Gemüter ringen dabei mit der Fassungslosigkeit, was heutzutage im Internet alles möglich ist, solange die Täter nur auf ein Impressum für einen anonymen Blog verzichten!
Dafür zeigen diese digitalen Schmuddelecken eindrücklich, wo Deutschland politisch steht und wie dramatisch die Gefahr von rechts ist! Und welches hohe Risiko kritisch berichtende Journalisten selbst auf Lokalebene eingehen.
Schon allein deshalb hat die NRWZ viele Leser verdient.