TS101/20: Corona: Auch Schwäbische Zeitung zweifelt an den Presseauskünften der Behörden

Im gestrigen TagesSenf TS100/20 hatte ich mit Bekundungen des Staunens einen Südkurier-Kommentar besenft, welcher die dürftigen Presseauskünfte des Landratsamts Bodenseekreis zu den aktuellen Corona-Fällen kritisierte.

Im Nachhinein hatte ich mich darüber geärgert, in meinem Kommentar den eigentlichen Knackpunkt nicht expliziter herausgearbeitet zu haben. Und der Knackpunkt ist: An diesem Bespiel sieht man sehr deutlich, dass die Behörden (i. e. in unserem Kontext vor allem Bürgermeister und Landratsämter) der Presse (egal, ob „etabliert“ und im Monopol oder in der Erscheinungsform lästiger Bloggerinnen) nur dann flüssig Auskunft erteilen, wenn die Fragen nicht kritisch sind.

Bei Corona sind sie zwangsläufig kritisch. Und schon klappt es dann eben nicht mehr; noch nicht einmal bei den vergleichsweise zahmen Fragen von Südkurier und SchwäZ.

Dazu passend trudelt heute ein weiteres Beispiel aus dem Landkreis Ravensburg in der SaSe-Redaktion ein. Dieses Mal mosert die SchwäZ. In dem Artikel „Nach Corona-Infektionen im Allgäu: Betroffene Familie meldet sich zu Wort“.

Es geht um Corona-Fälle in Ortsteil Eisenharz der Gemeinde Argenbühl (Landkreis Ravensburg) und die Auskünfte, welche die SchwäZ dazu bisher (!) vom Rathaus und vom Landratsamt erhalten hatte.

Diesen Auskünften hat die Zeitung dann auch nicht etwa selbstständig hinterherrecherchiert. Stattdessen hat sich die betroffene Familie selbst bei der Redaktion gemeldet.

Und guckst du, was passiert:

Eine Familie war im Balkan-Urlaub, kam zurück nach Eisenharz und hat sich weder beim Gesundheitsamt gemeldet, noch in 14-tägige Quarantäne begeben. Im Zuge dessen kam es zu Infektionen in Argenbühl. Die Folge: Teile des Kindergartens sind vorübergehend geschlossen worden und das Sommerabendkonzert am Dienstag wurde abgesagt. Um weitere Infektionen zu verhindern gab es für die Kontaktpersonen Reihentestungen und Quarantäneanord[n]ungen.

So lautete die Lesart, die das Bürgermeisteramt und Kreisgesundheitsamt auch bei Pressenachfragen anführte. Ob sie zutreffend ist, kann inzwischen zumindest als fraglich betrachtet werden. Denn: Ein Mitglied der betroffenen Familie hat sich an die „Schwäbische Zeitung“ gewandt.
(Schwäbische Zeitung 24.07.2020: „Nach Corona-Infektionen im Allgäu: Betroffene Familie meldet sich zu Wort“; Hervorhebg. K. B.)

Plötzlich werden Behördenauskünfte selbst von der SchwäZ infrage gestellt! Diese Zweifel erklären sich meiner Meinung nach allein aus der Brisanz des Themas: Corona. Denn so einen Satz wie oben („Ob sie zutreffend ist, kann …“) lese ich in dieser Zeitung im Kontext mit den frohgemuten Behördenbehauptungen sonst nicht?

Wenn dann aber SchwäZ-Redakteure so arbeiten wie manche Blogger*innen, kommt es zum nämlichen Ergebnis: Aussage gegen Aussage und auf gar keinen Fall zu einer Deckungsgleichheit von Behördenangaben und recherchierbaren Fakten. Das fängt schon damit an, dass es sich im Fall „Corona in Eisenharz“ gar nicht um Urlaubsrückkehrer handelte, sondern dass eine Familie in Eisenharz Besuch vom Balkan erhalten hat. Und es geht damit weiter, dass sich die betroffene Familie durchaus beim Gesundheitsamt gemeldet habe, um nach den für sie geltenden Regelungen in diesem Fall zu fragen. Nur beweisen kann sie das nicht.

Am Ende vom Lied werden Schuld und Verantwortung für den Krankheitsausbruch in Eisenharz zwischen der betroffenen Familie und den Behörden hin- und hergeschoben.
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Falsche Behördenangaben setzen Familie unter sozialen Druck
Natürlich lässt sich die Identität der betroffenen Familie in so einer kleinen Gemeinde nicht verheimlichen, auch ohne dass irgendjemand gegen den Datenschutz verstoßen hätte. Entsprechend groß muss jetzt wohl der Druck auf die Betroffenen sein. Und dieser Druck wird nicht besser, wenn die Tageszeitung zunächst nur die offensichtlich nicht den Fakten entsprechende Darstellung der Behörden verlautbart. Denn die Familie hat sich ja erst an die Redaktion gewandt, nachdem die möglicherweise fälschliche Behördendarstellung ihre Situation noch verschlimmert hatte.

Die SchwäZ-Redakteure lassen dann sowohl die Familie wie den Bürgermeister und das Gesundheitsamt zu Wort kommen. Dabei antworten die Behörden an der strittigen Frage vorbei. Diese lautet: Hat die Familie sich nun rechtzeitig und vor Krankheitsnachweis beim Gesundheitsamt gemeldet oder nicht? Sie sagt, sie hat.

Alarmierend dabei ist das Fazit des Gesundheitsamtsleiters, der es doch tatsächlich hinkriegt, den ganzen gecrashten Vorgang auch noch als Heldentat darzustellen:

Insgesamt, so die Haltung des Gesundheitsamtsleiters, handele es sich bei der Feststellung der Infektionsketten und der ergriffenen Maßnahmen in Argenbühl aber um ein „positives Beispiel“, wie die Kooperation von Ortspolizeibehörde, betroffener Einrichtung, niedergelassenen Ärzten und Gesundheitsamt gelingen könne.
(ibid.)

Leserkommentar zur Lernunfähigkeit des Gesundheitsamts Ravensburg
Dieser Artikel gehört auch zu den selteneren der SchwäZ, unter dem sich dann mehrere Leserkommentare finden. Aus denen sticht der von „Ralph W.“ hervor. Der nämlich stört sich an demselben Punkt wie ich: Egal, wie schräg die Dinge laufen, Bürgermeister und Landratsämter bewerten sie immer noch als „positives Beispiel“ – und geben damit zu, dass sie aus krummen Verläufen nicht zu lernen in der Lage sind:

Wenn man die finanzielle und personelle Ausstattung unseres Staates sieht und dann nach über 3 Monaten angefangen wird zu diskutieren wie mit Rückkehrern aus dem Ausland vorgegangen werden soll, dann aber in Fällen wie diesen ganz schnell die Rückmeldung kommt, alles richtig gemacht zu haben, dann bin ich als Steuerzahler (ohne Coronasubventionen) verärgert. Unsere Bürger sind weiterhin nicht ausreichend informiert, wo die Risiken sind und wie man effektiv mit diesen umgeht. Wir werden ein extrem verstärktes Auftreten von Corona-Fällen bekommen, wenn ab August die Urlaubsrückkehrer auf die ersten Partygänger treffen. Den Firmen rate ich kooperativ mit den Arbeitnehmern eine Lösung zu suchen, dass ein Test bei Rückkehr aus Risikogebieten wegen der Vorsorge für die anderen Arbeitnehmer erfolgen muß. Über Schuldige zu reden ist nicht zielführend, sondern man muß alle Beteiligte ermahnen mehr zu informieren und Corona als Krankheit wirklich ernst zu nehmen. Fast alle Regierungschefs haben die Krankheit zu Beginn verharmlost. Keiner hat das Potential dieser Krise gesehen, obwohl es mit vielen Millionen teuer bezahlt als Studie seit über 3 Jahren im Internet öffentlich zugänglich war. Bitte seien Sie nett zu ihren Mitbürgern, nur zusammen ist dies zu schaffen.
(Schwäbische Zeitung Leserkommentar von „Ralph W.“ zu: „Nach Corona-Infektionen im Allgäu: Betroffene Familie meldet sich zu Wort“; Hervorhebg. K. B.)

Anders als die SchwäZ arbeitet „Ralph W.“ auch exakt die Punkte heraus, bei denen erhebliches Verbesserungspotential besteht: Mehr ehrliche Informationen über Corona! Mehr Corona-Tests! Und keine „nachbarschaftlichen“ Repressionen gegen Infizierte, die durch möglicherweise nicht faktengetreue Ablaufschilderungen der Behörden zum Sündenbock gemacht werden.
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Auch auf Lokalebene sollten Journalisten Behördenangaben misstrauen!
Den inzwischen schon auf Klischeeebene abgesunkenen Spruch von „Corona als Brennglas“ vertrage ich nicht mehr sehr gut. Aber auch hier trifft er eindeutig zu! Unter meinem speziellen SaSe-Brennglas der Kritik an SchwäZ und Südkurier sehe ich dabei vor allem: Journalisten sollten Angaben von Behörden grundsätzlich misstrauen bzw. sie immer überprüfen. Und weiter: Selbst „etablierte“ Journalisten erhalten von Bürgermeistern und Landratsämtern dann keine ausreichenden Informationen mehr, wenn die Fragen kritisch werden.

Oder satirisch überhöht: Wer (als Journalist/Blogger) von Bürgermeistern und Landratsämtern Auskünfte erhält, hat noch nicht kritisch genug gefragt!

Damit ist das, was sich unter meinem Brennglas zeigt, demokratierelevant! Und damit zögen Blogger und Lokalzeitungen auch wieder an demselben Strang, wenn sich der journalistische Eifer der Letztgenannten auch abseits des Themas Corona durchsetzen würde.

Aber dann akquiriert wieder ein Bürgermeister Anzeigen-Kunden für dieses oder jenes Medienhaus – und schon ist alles wieder heile Welt zwischen Zeitung und Rathaus!

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