TS1/16: Satiriker weit unter Küppersbusch, Polt und „Schroeder“

+++ Neue „Kriegswaffe“? „Gentrifizierung verdrängt IS aus Irak“
So mag ich Satire: kreativ, Utopien schaffend – statt NUR polemisch, auch wenn Polemik für die Gattung eine unverzichtbare Waffe bleibt. Ein schönes Beispiel liefert diese Satire zum Jahreswechsel bei Deutschlandradio Kultur.


+++ Küppersbusch-Perlen im „taz“-Interview
Die medien- und lenkfunk-präsenten satirischen Krakeeler machen gelegentlich vergessen, dass die Zunft auch noch fulminante Denker vorzuweisen hat, die ihre Kunst exerzieren statt penetrant ihre CDs verkaufen zu wollen. Friedrich Küppersbusch zum Beispiel.
Ursprünglich wollte ich nur die glänzendsten sprachlichen Perlen aus seinem Interview mit der taz zusammentragen. Aber das käme einer Nacherzählung gleich. Bitte dringend lesen!

Einige Zitat abseits solcher lexikalischen Perlen wie das „Scheitern des Schaums am Schläger“ und der „Böhmermann Stattfindekrankheit“ aber müssen sein. Zum Beispiel zu der auch von mir nicht sehr geschätzten Satirezeitschrift Titanic:

Mir imponierte besonders die eilig einberufene Pressekonferenz von Titanic; einer Zeitschrift, die seit Jahrzehnten viele Druckseiten darauf verwendet, anderen Leuten anzuhämen, dass sie aber auch nicht lustig seien.
(taz 30.12.2015: „Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?“; Hervorhebg. SaSe)

Allein schon nur zu Nuhr:

Zuvor hatte sich auch Dieter Nuhr in der regimekritischen Welt dahingehend geäußert: Kollegen, die seine Islam-Scherze nicht unterstützten, hielten Satire „in vielen Fällen wohl nur für ein Geschäftsmodell“.
Wie man bei diesem Thema von nichts auf hundert zum Thema Honorarhöhe findet, bleibt der ganz eigenen Gedankenwelt von Dieter Nuhr anvertraut. Freuen wir uns mit jedem Islam-Satiriker, dessen Witze nicht am nächsten Montag von Pegida durch Dresden getragen werden.
(ibid.; Hervorhebg. SaSe)

Oder wenn Küppersbusch das massive Störgefühl am deutschen Kabarett so formuliert:

Und wenn manches an der deutschen Satireszene auch gummistiefelig nach Strebergarten riecht […]
(ibid.)

Aber ich konzentriere mich schon wieder zu stark auf die selbstreferentiellen Passagen zur Zunft. Deshalb jetzt zum Weltgeschehen:

Mit dem aktiven Kriegseinstieg in Syrien tickt die Uhr, bis ein Militärarzt bei der Obduktion in einem deutschen Soldaten ein deutsches Geschoss aus einer deutschen Geschenkwaffe findet. Mit dem Abschied von historischen Persönlichkeiten wie Helmut Schmidt ist 2015 markiert als das Jahr, in dem die Generation Kriegserleben ihr Wissen mitnimmt. Man sieht es.
(ibid.)

Und innenpolitisch:

De Maizière ist ideologiefrei, hat Organisationsstärke und hinzu das seltene Talent, als letzter wegzulaufen, wenn die Arschkarten verteilt werden. Sein Umbau des Verteidigungsministeriums war deutlich weniger aggressiv als die Linie von der Leyens, seine Amtswaltung als Innenminister der stete Versuch, einen grammatikalisch respektablen Superlativ von „besonnen“ zu finden. Dass so einer Nerven zeigt, kann schon wieder besorgt stimmen
(ibid.)

Das war es auch (schon).


+++ Serdar Somuncu und seine „Mein-Kampf“-Deutungshoheit
Unterm Strich ist es doch scheißegal, mit welchem querulatorischen Bullshit man sich in die Schlagzeilen bringt. Und wenn die Medien einem Kabarettisten (!) quasi unaufgefordert (?) die Expertise zu einem Thema zuschustern, obwohl dieser außer der Kenntnis des in Frage stehenden Werkes – Hitlers Mein Kampf – und einem zugegeben imposanten Fundus an eigenen Erfahrungen aus Lesungen desselben keine Qualifikationen dazu vorweisen kann, müsste besagter „Hassist“, Serdar Somuncu, ja mit dem Hakenkreuzbeutel gepudert sein, dieses Angebot auszuschlagen. Obwohl: Gerade erst hatte er in der Wirtschaftswoche so verführerisch gefordert: „Lasst mich in Ruhe!“

Also verlautbart Somuncu sich über die in den nächsten Tagen erscheinende kommentierte Ausgabe von Mein Kampf in die Mikrofone und Tastaturen – zum Beispiel bei Deutschlandradio Kultur.  Kurz und knapp: Somuncu ist dezidiert und vehement gegen die kommentierte Ausgabe von Mein Kampf. Und er führt aus: Das Ganze sei ein Unding. Die Kommentierung überhöhe den Text. Das Projekt sei Anmaßung und Bevormundung. Und – hau den Lukas! – das „Getue“ sei Betrug am Leser, da diese Kommentare schon in diversen Varianten verfügbar seien.

Da im Selbstinszenierungsnebel des Herrn Somuncu für den Leser unter Umständen die artikulierte Absicht der Mein-Kampf-Kommentierer mitsamt ihrer nicht völlig unerheblichen Themen-Qualifikation untergehen könnte, sei diese hier noch einmal extrahiert:

Unter der Leitung von Dr. Christian Hartmann hat ein Historikerteam „Mein Kampf“ in mehrjähriger Arbeit umfassend aufbereitet: Im Zentrum der kritischen Kommentierung stehen die Dekonstruktion und die Kontextualisierung von Hitlers Schrift: Wie entstanden seine Thesen? Welche Absichten verfolgte er damit? Welchen gesellschaftlichen Rückhalt besaßen Hitlers Behauptungen unter seinen Zeitgenossen? Welche Folgen hatten seine Ankündigungen nach 1933? Und vor allem: Was lässt sich mit dem Stand unseres heutigen Wissens Hitlers unzähligen Behauptungen, Lügen und Absichtserklärungen entgegensetzen?
Dies ist nicht nur eine historiografische Aufgabe. Angesichts des hohen Symbolwerts, den Hitlers Buch noch immer hat, ist die Entmystifizierung von „Mein Kampf“ auch ein Beitrag zur historisch-politischen Aufklärung.
(Institut für Zeitgeschichte München-Berlin: Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition; Hervorhebg. SaSe)

Serdar Somuncu hält diese Aufklärung für vollkommen überflüssig. Oder genauer: Er hält es für überflüssig und betrügerisch (!), diese Kommentierungen, die es, so seine Behauptung, alle schon gebe, synoptisch zusammenzufassen und dem Primärtext beizufügen.

Die „Betrüger“ vom Institut für Zeitgeschichte sehen das so:

„Mein Kampf“ ist eine der zentralen Quellen des Nationalsozialismus. Zu ihrer Bedeutung und Wirkung hat Eberhard Jäckel bereits 1981 geschrieben: „Selten oder vielleicht tatsächlich nie in der Geschichte hat ein Herrscher, ehe er an die Macht kam, so genau wie Adolf Hitler schriftlich entworfen, was er danach tat. Nur deswegen verdient der Entwurf Beachtung. Anderenfalls wären die frühen Aufzeichnungen, die Reden und die Bücher, die Hitler verfaßte, höchstens von biographischem Interesse. Erst die Verwirklichung erhebt sie in den Rang einer historischen Quelle.“
(ibid.; Hervorhebg. SaSe)

Die Editoren verfolgen mit ihren Kommentaren ganz seriöse und weitgreifende Absichten, auf die Somuncu mit keinem Wort rekurriert. Diese sind etwa:

+ Hintergrundinformationen zu den dargestellten Personen und Ereignissen
+ Erläuterung zentraler ideologischer Begriffe
+ Offenlegung von Hitlers Quellen
+ Erklärung der ideengeschichtlichen Wurzeln
+ Zeitgenössische Kontextualisierung
+ Korrektur von Fehlern und einseitigen Darstellungen
+ Ausblick auf die Folgen von Hitlers Schrift
+ Neue Beiträge zur Grundlagenforschung
(ibid.)

All diesem wissenschaftlichen Bemühen setzt der studierte Musiker (!) Serdar Somuncu sein finales Verdikt entgegen: „Der Kommentar überhöht den Text“!

Es erhebt sich zu diesem Thema und zu Somuncus „Bewertung“ bei mir ein Verdacht in Richtung Farbexpertise des Blinden, dem SaSe nachgehen wird. Die Meldung hier übersteigt in Bedeutung und Textlänge eine reguläre Tagesmeldung in dieser Rubrik. Das Thema soll nach Vorliegen entsprechender Presseauskünfte deshalb in der Rubrik SaSe vertieft werden. Es ist immerhin ein Novum, wenn sich ein Kabarettist öffentlich und lautstark gegen Aufklärung ausspricht.


+++ Gerhard Polt: „Feuerwerk“
Diese „Anregung“ habe ich bei Schroeder geklaut. Passend zum Jahreswechsel.
Senf: Für das weitreichende satirische Feld, das Polt abdeckt, ist auch noch kein wasserreichfähiger Nachfolger in Sicht?

*

 

Dazu passend eine – zugegeben etwas ältere – Schroeder-Warnung im Rheinneckarblog aus dem Jahr 2007. Dort war die sprach- und denkstarke Puppe „Sonderkorrespondent“.

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