Wem das derzeitige Getue von wegen „Gemeinsamkeit“ und „Solidarität“ in der Corona-Krise nachhaltigen Brechreiz verursacht, der möchte sich vielleicht mit einer lecken Portion des Luxus-Gemüses Spargel trösten?
Nicht zuletzt in Anknüpfung an diese SaSe-Artikel-Serie über die Langenargener Gärtnerei Knam nachstehend hier der sehr eindrückliche Spiegel-Artikel zu dem toten rumänischen Saisonarbeiter Nicolae Bahan in Bad Krozingen.
Angefangen hatte die Langenargener Recherche mit Fragen zu der Unterbringung der Saisonarbeitskräfte in dem genannten Gartenbaubetrieb. Diese Fragen waren wohl so brisant, dass der Chef der Gärtnerei Knam darauf mit einem Hausverbot für die fragende Journalistin Elke Krieg reagiert hatte. Daraufhin hatte ich dann das Thema übernommen.
Unabhängig von Zeit und Ort persistiert der nur schlecht kaschierte Usus offensichtlicher Ausbeutung ost- und südeuropäischer Saisonarbeitskräfte in der deutschen Landwirtschaft. Inzwischen – und in Corona-Zeiten – geht es dabei schlicht um Leben oder Tod. Denn der Spiegel-Artikel-Titel „Ein Leben für den Spargel“ beschreibt nicht etwa metaphorisch die dekadenz-kompetente Leidenschaft für dieses Nahrungsmittel, sondern ist ganz wörtlich gemeint. Die Botschaft zwischen den Zeilen ist klar: Alle Verantwortlichen (in Deutschland) nehmen für Spargel, Erdbeeren & Co. offensichtlich billigend in Kauf, dass die eingeflogenen osteuropäischen Erntearbeiter an Corona erkranken und möglicherweise auch daran sterben. Und sei es, dass sie das Virus aus dem Kreis Suceava, aus dem fast alle rumänischen Erntehelfer stammen, mitbringen. Dieser Kreis sei der von Corona am stärksten betroffene in dem bitterarmen Land.
Allein die Tatsache, dass der vom Spiegel besuchte Betrieb in Bad Krozingen es den Spiegel-Journalisten nicht erlaubte, sich selbst ein Bild von der Unterbringung der Erntehelfer zu verschaffen, spricht Bände. So wie auch im Fall Langenargen die ausbleibende Auskunft des zur Unterbringung der Saisonarbeitskräfte angefragten Landratsamts Bodenseekreis beredt vor sich hinplappert.
Der Name des Bad Krozinger Spargelbau-Betriebs wird in gesamten Artikel nicht genannt!
Der Spiegel lässt zum Schluss noch rumänische Saisonarbeitskräfte zu Wort kommen, die früher in dem ungenannten Betrieb gearbeitet haben, in dem der Rumäne Nicolae Bahan angeblich (laut Ansage der CDU-Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner) mit, aber nicht an Corona gestorben sei. Wie viel Trost erwächst den Hinterbliebenen aus der Präposition „mit“ statt „an“? Übrigens belaste Covid 19 das Herz-Kreislaufsystem in besonderer Weise. Die Warnung für Menschen mit Vorerkrankungen ist bekannt. Dass diese Menschen mit Vorerkrankungen ohne die zusätzliche Belastung durch das Virus vielleicht noch eine Weile gelebt hätten, interessiert dann schon keinen mehr.
Unter nachgenannten Bedingungen stechen bzw. stachen diese ach so hochgeschätzten Erntehelfer in Bad Krozingen das Luxus-Gemüse aus der Erde:
Um genug zu verdienen, hätten sie manchmal sogar zwei Schichten pro Tag gearbeitet. Die Unterkünfte seien heruntergekommen gewesen. „Wir waren fünf bis sieben Leute je Zimmer, die Spinde in unseren Zimmern waren verrostet, die Betten aus Eisen wie im Gefängnis, im Gemeinschaftsbad waren die Duschen nur durch Plastikvorhänge abgetrennt und in der Küche gab es nicht einmal ein Waschbecken„, sagt Ionela Rusu.
Die Ausweise hätte man ihnen bei der Ankunft abgenommen, sagt Ionela Rusu, Arbeitsverträge hätten sie zwar unterschrieben, aber nie eine zweite Ausfertigung oder eine Kopie erhalten. Und Lohnabrechnungen? „Sie bringen mich zum Lachen“, antwortet Ionela Rusu auf die Frage. Inzwischen arbeitet das Ehepaar in einem anderen landwirtschaftlichen Betrieb in Süddeutschland.
(Spiegel 22.04.2020: „Ein Leben für den Spargel“; Hervorhebg. K. B.)
Onkel Toms Hütte halt – übersetzt ins 21. Jahrhundert.
Elke Krieg hat sich ganz ausführlich mit dem Thema beschäftigt und schreibt bzw. verlinkt dazu hier, hier, hier und hier.
Ich hoffe ja nur, dass die Kirchen in Deutschland es bald wieder ermöglichen können, dass die agrar-affinen Heuchler mit dem breit vorangetragenen C sich für ihr menschenverachtendes Tun periodisch ihre Absolution abholen können?
[Aktualisierung vom 26.04.2020: Passend zum Thema verweist eine Leserzuschrift auf das ZEIT-Essay „Menschenopfer für den Kapitalismus“ von Thomas Assheuer.]