Das ist jetzt einmal ein erfreulicher Meteoriten-Einschlag: Ein Bürgermeister aus dem Landkreis Biberach hat eine Presseanfrage von mir beantwortet! Steht zu hoffen, dass er für diesen „Regelverstoß“ gegen die „Lex Biberach“ von seinen Kollegen nicht gemobbt wird?
Der Tollkühne und Landespressegesetz-Beachter ist Bürgermeister Guntram Grabherr, Verwaltungschef der Gemeinde Eberhardzell (4.500 Einwohner; Landkreis Biberach).
Anlass meiner Presseanfrage war ein bemerkenswertes „Interview“ der SchwäZ mit Grabherr anlässlich des Beschlusses im Gemeinderat, nun auch für Eberhardzell die Software der Firma Baupilot GmbH anzuschaffen. Aktuell geht es dort um die Vergabe der Bauplätze im Gebiet „Adler“.
*
SchwäZ stellt bewunderswert blöde Fragen
Mit einem fast schon bewundernswerten Talent, genau die Dinge zum Thema Bauplatzvergabe und Baupilot zu erfragen, die vergleichsweise unwichtig sind, wirft der SchwäZ-Crossmedia-Volontär Simon Schwörer lange Schatten auf seine junge Journalisten-Karriere. Seine Frage an Grabherr: „Herr Grabherr, warum hat sich die Gemeinde für den Kauf der Software entschlossen?“ (Quelle) ist unterirdisch dämlich.
Das satirische Pendant dazu wäre: „Herr Grabherr, warum arbeitet die Gemeinde Eberhardzell mit Computern?“
Aber irgendwer in der SchwäZ-Lokalredaktion Biberach wird schon darauf geachtet haben, dass Schwörer nicht die richtigen Fragen stellt. Wie zum Beispiel: „Herr Grabherr, es gibt Legion von untadeligen Software- und Dienstleistungsanbietern zum Thema Vermarktung kommunaler Grundstücke. Warum machen Sie ein Geschäft ausgerechnet mit Ihrem Amtskollegen Stephan Mantz? Welche Kriterien haben die vielen seriösen Anbieter aus Ihrer Wahl herausgekegelt?“
Eine Verwaltung schafft eine Software an. Orakel, Orakel, Orakel: Was mag das wohl bedeuten? Sie kommen wahrscheinlich nicht drauf, aber in der Regel schaffen sich Menschen Software an, um sich ihre Arbeit zu erleichtern. Der SchwäZ-Kreuzmedien-Monteur fragt es aber trotzdem!
Das ganze Völlig-Banane-Interview enthält nur eine einzige (1) wirklich interessante Frage: „Für welche Kriterien erhalten Bewerber Punkte?“ (ibid.). Gemeint sind hier Bewerber auf Bauplätze. Die Frage allerdings wird von Grabherr verständlicherweise zunächst noch ausweichend beantwortet:
Wir werden als Basis eine Empfehlung des Gemeindetags nutzen. Diese Vorlage kann man auf die örtlichen Gegebenheiten anpassen. Welche Kriterien in die Bewertung einfließen, darüber wird der Gemeinderat in einer der kommenden Sitzungen entscheiden.
(Schwäbische Zeitung Interview 29.05.2020: „Bauplatzvergabe wird kritischer hinterfragt – darum schafft sich diese Gemeinde jetzt eine Software an“)
*
Faktenwidrige Verknüpfung zwischen Baupilot und Rechtssicherheit
Abgesehen von den erschütternd anämischen SchwäZ-Fragen fällt auf, dass der Artikel eine direkte Verknüpfung zwischen der Baupilot-Software und dem Thema Rechtssicherheit häkelt. Ich meine: Derlei Werbung (für die Baupilot-Software) ist aus der Sicht von Schwäbisch Media ja nur verständlich. Immerhin hatte das Medienunternehmen 2017 einen Gründerpreis über die Bürgermeister-Firma gestülpt.
SaSe-Stamm- und KONTEXT-Leser dagegen wissen aber inzwischen, dass die Baupilot GmbH alles Mögliche bieten und versprechen mag – nur: Rechtssicherheit bei der Bauplatzvergabe ganz bestimmt nicht! (Auch wenn das nach wie vor fälschlicherweise auf der Baupilot-Homepage steht.) Das hatte der schillernde Baupilot-Geschäftsführer Mathias Heinzler in einer Gemeinderatssitzung im Nachbarort Ummendorf auf Nachfrage eines Gemeinderats auch eingeräumt (Quelle).
*
Grabherr antwortet rasch, ausführlich und sachlich
Wenn ich jetzt schon einmal eine Presseanfrage eines Bürgermeisters aus dem Landkreis Biberach vorweisen kann, dann soll die aber auch ungekürzt zur Aufführung kommen. (Danach wird sie eingerahmt und an die Wand gehängt!)
Unter Verweis auf das diesbezügliche Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen (Az.: 3 K 3574/19) lautete meine Frage an Grabherr: „Bitte erklären Sie, warum Sie den Eindruck erwecken, dass Baupilot zu der im Raum stehenden Frage „Rechtssicherheit“ bieten könnte.“
Darauf antwortet er:
Von Baupilot erwarte ich mir in erster Linie ein transparentes Verfahren für alle Bewerber um einen Bauplatz.
Auch das ist ein Stück Rechtssicherheit.
Im Wesentlichen geht es der Gemeinde in der Anwendung von Baupilot um den Einsatz dieser Software als Werkzeug/Instrument zur Gewährleistung dieser Transparenz in der Abwicklung der Vergabe der Bauplätze.
Sollte das in meinen bisherigen Aussagen nicht zum Ausdruck gekommen sein, so danke ich Ihnen für die Möglichkeit der Klarstellung.
Dies wurde auch mit dem Gemeinderat in öffentlicher Sitzung so kommuniziert.
(Presseantwort Gemeinde Eberhardzell, Bürgermeister Guntram Grabherr an diese Redaktion vom 02.06.2020)
Aha. Grabherrs Gedankengang ist also: 1. Baupilot schafft Transparenz, 2. Transparenz schafft Rechtssicherheit.
Ja, aber nicht alleine? Auf Nachfrage zu diesem Punkt erklärt Grabherr des Weiteren:
Transparenz durch das Programm reicht nicht aus, das ist nur ein Teil des Ganzen.
Es gilt auch die weiteren Schritte in öffentlicher Sitzung zu beraten und zu beschließen.
Dabei ist auf mögliche Befangenheit der Gemeinderäte zu achten.
Grundsätzlich hat der Gemeinderat sich für ein Modell mit Vergabekriterien und einem Punktesystem entschieden.
Ein solches Modell wird durch den Workflow von Baupilot unterstützt, sodass auch hier ein klarer Vergabeprozess abgewickelt werden kann.
Die Beratung im Gemeinderat zu den Kriterien wird in einer der nächsten Sitzungen des Gemeinderates stattfinden.
Eine 100 prozentige Rechtssicherheit kann derzeit niemand garantieren.
Wir sind aber überzeugt, dass wir damit, [sic] das nach heutigem Wissensstand mögliche [sic] und erforderliche [sic] getan haben werden.
(Ergänzende Presseauskunft Gemeinde Eberhardzell, Bürgermeister Guntram Grabherr, am 03.06.2020 an diese Redaktion; Hervorhebg. K. B.; Rechtschreibfehler wie im Original und mit dem Futur II muss ich erst noch etwas Zeit verbringen)
Wir stellen fest: Der Mann hat das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen gründlich gelesen! Und anders, als das im genannten SchwäZ-Artikel rüberkommt, ist ihm auch durchaus bewusst, dass es derzeit keine Rechtssicherheit bei der Bauplatzvergabe gibt.
Das wollte ich nur noch einmal deutlich herausgearbeitet haben. Außerdem – und insbesondere nach Lektüre des SchwäZ-Artikels – frage ich mich (trotz Grabherrs Versicherungen), ob das den Gemeinderäten in Eberhardzell ebenfalls klar ist?
*
*
Grabherr hat keine Bedenken zum bösen Schein
Es ist der Blogger-Kollegin Elke Krieg zu danken, dass mir endlich ein stabiler Begriff für den moralischen Abgrund rund um die Firma Baupilot GmbH zur Verfügung steht. Meine Kollegin (Blog AGROA-La) hat ein fast schon amouröses Verhältnis zur Gemeindeordnung Baden-Württemberg (GemO) – und zwar in der kommentierten Version! Aus der Zeilentiefe daselbst überbrachte sie mir jüngst meinen künftigen Lieblings-Terminus:
der böse Schein!
Der nämlich spielt im Kontext von Paragraf 18 Gemeindeordnung Baden-Württemberg und mithin bei dem Begriff „Befangenheit“ (z. B. von Gemeinderäten bei der Abstimmung über Bauplatzvergabe-Kriterien, wenn sie selbst auf einen Bauplatz spekulieren …) und ganz allgemein im Kontext von „Sauberkeit der Gemeindeverwaltung“ eine wichtige Rolle. Der Aker-Hafner-Kommentar (2. Auflage) zur GemO schenkt uns die exakte Gebrauchsanweisung, um den finalen Henkel an alle Geschäfte von Bürgermeistern mit der Firma Baupilot zu löten:
Die Befangenheitsvorschriften dienen der Sauberkeit der Gemeindeverwaltung. Sie sollen Unparteilichkeit und Uneigennützigkeit der Gemeindeverwaltung und zugleich deren Ansehen in der Öffentlichkeit sichern. […]
Die Befangenheitsvorschriften knüpfen an äußere Tatbestandsmerkmale an und unterstellen eine daraus folgende Interessenkollision. Es kommt danach nicht darauf an, ob tatsächlich eine solche Interessenkollision gegeben ist; es genügt die Möglichkeit. Zweck der Befangenheitsvorschriften ist es, nicht erst die tatsächliche Interessenkollision, sondern schon den bösen Schein zu vermeiden.“ (Aker, Hafner, Notheis, ibid.)
(zitiert nach Elke Krieg, Blog AGORA-La, 01.06.2020: „Verwaltungsrecht“; Hervorhebg. Elke Krieg)
Kein Begriff passt besser auf die Anrüchigkeit von Geschäften, die Gemeinden wie Eberhardzell mit der Baupilot GmbH machen, deren Geschäftsführer (einer von zweien) der Bürgermeister Stephan Mantz ist, ein Amtskollege von Bürgermeister Guntram Grabherr. Ein Bürgermeister, der mit einem anderen Bürgermeister und dem Geld der Steuerzahler Geschäfte macht: mehr böser Schein geht nicht?
Die aus dieser Verfilzung gebärende Interessenskollision muss also gar nicht „tatsächlich“ und mithin für eine Kritikerin wie mich zu belegen sein. Schon den „bösen Schein“ gilt es zu vermeiden. Zumindest demjenigen, dem an Regel- und Rechtskonformität gelegen ist.
Auf meine diesbezügliche Frage (ohne Erwähnung des Begriffs „böser Schein“) antwortet Grabherr:
Zur Frage der Zulässigkeit der Geschäftsführertätigkeit in Verbindung mit dem Beruf als Bürgermeister darf ich Sie zuständigkeitshalber an das Landratsamt Biberach verweisen.
Der Gemeinde Eberhardzell liegt die Auskunft vor, dass es zulässig und genehmigt ist.
Die früheren Geschäftsführertätigkeiten des weiteren Geschäftsführers werden im Zusammenhang mit der Beschaffung von Baupilot seitens der Gemeinde nicht bewertet.
Die Gemeinde Eberhardzell ist der Auffassung, dass die Software Baupilot ein geeignetes Werkzeug für die Bauplatzvergabe ist.
(Presseantwort Gemeinde Eberhardzell, Bürgermeister Guntram Grabherr an diese Redaktion vom 02.06.2020)
Hat Grabherr vom bösen Schein noch nie gehört? Die Auskünfte des Landratsamts Biberach, das gleichfalls keinen Umgang mit dem zitierten hehren Grundsatz der GemO zur Sauberkeit von Gemeindeverwaltungen pflegt, sind der SaSe-Leserschaft sattsam bekannt:
+ Ja, Mantz hat diese Nebentätigkeit als Geschäftsführer nicht nur der Baupilot GmbH, sondern auch der HMF Holding GmbH ordnungsgemäß seinem Dienstherrn gemeldet.
+ Ja, das Landratsamt Biberach hat dagegen keine Einwände. Das Landratsamt Biberach hat überhaupt nie Einwände – zumindest nicht gegen das unmoralische (legale, aber illegitime) Treiben einiger ihrer Bürgermeister.
+ Ja, die Baupilot-Software mag eine „geeignetes Werkezeug für die Bauplatzvergabe“ sein. Aber es gibt Legion anderer Anbieter. Bei Verträgen mit diesen Nicht-Amtskollegen-Geschäftspartnern wäre der genannte böse Schein leicht zu vermeiden.
Meine Meinung: Es muss handfeste Gründe dafür geben, dass insbesondere die Bürgermeister im Landkreis Biberach von dieser Möglichkeit KEINEN Gebrauch machen?
By the way: Das Ummendorf-Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen (Az.: 3 K 3574/19) hat schon Eingang in die Kommentierung der GemO BW gefunden (hier; unten bei den Kommentaren/Fußnoten).