TS97/20: Schande über Langenargen: Menschenunwürdige Flüchtlingsunterbringung

Was wichtig ist in Langenargen, das steht in der SchwäZ. Wichtig in Langenargen sind: Tourismus-Infrastruktur für Reiche (z. B. Yachthafen, Luxustoiletten mit enormen Betriebskosten), Überfluss, Entspannung, Genuss, Völlerei und Hedonismus. Das Ganze abgesichert durch einen von der Gemeinde beauftragten Sicherheitsdienst, der stark nach rechts ausfranst (hier).

Was wichtig ist in Langenargen, das steht in der SchwäZ. Zum Beispiel über das Sternerestaurant SeeVital

Entspannung und Genuss: Das will Michael Ritter seinen Gästen bieten. Die Basis dafür bilden zwei Hotels samt Gastronomie direkt am Bodensee. Star seines Ensembles: Das Fine-Dining-Restaurant „SEO Küchenhandwerk“, das der renommierte Führer „Guide Michelin“ Anfang März mit einem seiner begehrten Sterne ausgezeichnet hat.
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Wem Sinn und Portemonnaie nicht nach acht Gängen für 144 Euro (mit Weinreise 210 Euro) und der ganz gehobenen Küche stehen, der kann im anderen Teil des Lokals wieder im „Pasta Nr. 1“ Platz nehmen. Benannt nach Michael Ritters gleichnamigem Kochbuch und ihm zufolge „aufgebaut wie eine Reise durch Italien. Es gibt Snacks, Pasta, aber auch geschmortes Fleisch oder Meeresfrüchte.“
(Schwäbische Zeitung 28.05.2020: „Langenargener Sternerestaurant taucht aus der Krise auf“; Hervorhebg. K. B.)

Die Corona-Krise ist der Berichterstattungsvorwand für diesen vierten einer Serie von in auffallender zeitlicher Dichte (08.05.2019; 30.06.2019; 04.03.2020; 28.05.2020) erscheinenden SchwäZ-Artikeln. Allerdings vermag ich einige derer kaum von purer Werbung zu unterscheiden. Meine Bewertung „Vorwand“ stützt sich auch auf die frappierende Tatsache, dass offensichtlich nur das Wiederauftauchen des Dekadenztempels Hotel SeeVital aus der Krise interessant ist. Der angebliche redaktionelle Beitrag berichtet nicht darüber, wie andere Gastronomen in Langenargen die Krise überstanden haben.

Was wichtig ist in Langenargen, das steht in der SchwäZ. Nicht in der SchwäZ steht, wie katastrophal und nach Bewertung von Augenzeugen „menschenunwürdig“ die Gemeinde Langenargen ihre Geflüchteten unterbringt. Das Problem persistiert seit Jahren und hat jetzt einen neuen Höhepunkt gefunden. Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg hatte die Gemeinde Langenargen schon 2016 wegen antiziganistischer Vorfälle verurteilt.
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Das ist die Baracke, in der die Gemeinde Langenargen schon wieder Geflüchtete unterbringt, obwohl Bürgermeister Achim Krafft dieses Drecksloch schon 2014 als dafür völlig ungeeignet bezeichnet hat. In Langenargen ist diese zentral im Ortskern gelegene, begeh- und beziehbare Menschenverachtung auch unter der Bezeichnung „Tennisheim“ geläufig. Derzeit müssen sich 8 Personen in 2 Zimmern zusammenquetschen – Corona hin, Infektionsgefahr her. Denn ein Raum wurde von der Gemeinde noch dazu abgesperrt. Pech für die Bewohner, dass es ausgerechnet der Raum mit dem einzig verfügbaren Telefon- und Internetanschluss ist.
Foto: Elke Krieg

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8 Leute in 2 Zimmern bei suppendem Klorohr … statt 8-Gänge-Menü
Elke Krieg
ist nicht nur Bloggerin in Langenargen. Seit vielen Jahren betreut sie auch Flüchtlingsfamilien und versucht, die tendentiell rassistische Gemeindeverwaltung zur Humanität zu ermuntern. Wie erfolglos dieses Bemühen ist, musste Krieg erst vergangene Woche wieder feststellen. Denn erneut hat die Gemeinde eine Flüchtlingsfamilie in die Baracke („Tennisheim“) gegenüber vom Strandbad gesteckt. Bürgermeister Achim Krafft selbst hatte diese Unterkunft schon 2014 wie folgt bewertet: Sie sei „weder qualitativ, noch quantitativ geeignet [ist], Menschen angemessen unterzubringen“ (Quelle).

Dieses vernichtende Urteil über das – man muss es so ehrlich sagen: – Drecksloch hat die Gemeinde Langenargen aber nicht davon abgehalten, diese Behausung weiterhin in der Liste der Obdachlosenunterkünfte zu führen. Und natürlich hat die Gemeinde Langenargen in den sechs Jahren seit diesem vernichtenden Urteil des Bürgermeisters nichts, null und niente an oder in der Hütte renoviert, repariert, ausgebessert oder durch sonstige Aktionen versucht, diese „Unterkunft“ in eine menschenwürdige Behausung umzuwandeln.

Und die aktuelle Ausrede ist die übliche: eine (vorhersehbare) „Notsituation“. Einer achtköpfigen Flüchtlingsfamilie musste – Hintergründe lesen Sie bitte auf dem Blog AGORA-La nach – rasch eine neue Unterkunft zugewiesen werden. Und da das genannte Drecksloch immer noch auf der Liste der Notunterkünfte in Langenargen stand, wurde es eben auch bestückt. Jetzt stapeln sich in zwei Räumen acht Personen mit teilweise selbst für den Laien erkennbaren Symptomen einer posttraumatischen Belastungsstörung. Und man möchte schon lieber nicht die Ursachen derer erfragen müssen …

Nun gut, eigentlich wären es ja drei Räume in der Baracke, die das Leben der 8 Personen auch unter dem besonderen Aspekt von Corona etwas leichter machen würden. Aber ein Zimmer wurde (nach Auskunft von Elke Krieg) von der Gemeinde abgesperrt. Vermutlich stehen den armen Menschen nach irgendeinem SGB-Sowieso-Paragrafen einfach nicht so viele Quadratmeter zu? Blöd nur – allerdings nur blöd für die Flüchtlinge, nicht für die Gemeinde Langenargen – ist die Tatsache, dass sich in diesem abgeschlossenen Zimmer auch der einzige Telefon- und Internetzugang befindet. Alles Luxus, den man in Langenargen Geflüchteten und traumatisierten Menschen nicht zugesteht.

Dafür gibt es: ein permanent suppendes Abflussrohr der Toilette. Die undichte Stelle sei zunächst mit Alufolie ummantelt gewesen, soll jetzt aber mit irgendwelchen Lumpen umwickelt worden sein, wie Krieg berichtet. Im Dachgestühl der Baracke habe sich Ungeziefer eingenistet, das sich allerdings nicht wirklich streng an diesen Lebensraum hält. Ansonsten gäbe es jede Menge Schimmel an den Wänden und in den Fugen der sogenannten Sanitäreinrichtung. Unterkellert ist das Drecksloch natürlich auch nicht.
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Wir wissen nicht, ob sich unter der Alufolie des Toiletten-Abflussrohres im „Tennisheim“ vielleicht doch noch ein geräucherter Saibling befindet? Wir wissen aber, dass eine biodeutsche Anwohnerin zu diesem Flüchtlingselend frohgemut konstatierte, sie könne „gut damit leben“ … dass Geflüchtete in Langenargen derart menschenunwürdig untergebracht werden.
Foto: Elke Krieg

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Das Versagen der Langenargener Gemeinderäte
Krieg berichtet des Weiteren, dass an diesem Drecksloch täglich ganze Kohorten von Bürgern vorbeiziehen. Alle könnten das Elend sehen. Als die Kollegin eine (biodeutsche) Anwohnerin nach ihrer Meinung zu dieser skandalösen Unterbringung fragte, griff diese ganz tief in den deutschen Zynismus-Eimer und antwortete Krieg rotzfrech: Sie könne gut damit leben!

Und es entsteht der Eindruck, als ob es nicht nur den Bürgern in Langenargen, sondern insbesondere auch den Gemeinderäten dort völlig gleichgültig ist, wenn Geflüchtete in Langenargen in derlei menschenunwürdigen Behausungen gehältert werden.

Wo sind eigentlich diese Räte, welche den Bürgermeister und die Verwaltung zu kontrollieren haben, in dieser Angelegenheit? Da fällt mir zuerst Dr. Ulrich Ziebart (Offene Grüne Liste) ein. Der Mann ist Arzt! Wie kriegt er diese Form der himmelschreienden Flüchtlingshaltung mit seinem Berufsethos übereinander? Hat er sich diese Flüchtlingsunterkunft jemals schon einmal persönlich angesehen?

Und was ist mit der Christlichkeit der Gemeinderäte Rainer Terwert, Andreas Vögele, Roman Wocher, Markus Krug, Frank Bücheler von der CDU? Sind die Herren schon einmal in dem Drecksloch gewesen? Können sie der Flüchtlingsfamilie vielleicht wertvolle Tipps geben, wie sie mit dem Ungeziefer umgehen sollen oder wie man das suppende Abwasserrohr lieben lernt?

Gern würde ich noch die beiden Sozialdemokraten namentlich aufrufen. Leider nur pflegt die Gemeinde Langenargen ihre Homepage nicht. Der dort aufgeführte frühere SPD-Gemeinderat Karl (genannt: Charlie) Maier wurde zwischenzeitlich verabschiedet (hier) und durch einen Nachrücker ersetzt. Kein Grund für Bürgermeister Achim Krafft, die Homepage entsprechend zu aktualisieren. So bleibt mir nur, den SPD-Gemeinderat Herbert Tomasi anzufragen, wie er diese Zustände in der Unteren Seestraße mit dem sozialen Anspruch seiner Partei übereinander kriegt?

Die Damen und Herren der im Gemeinderat Langenargen vertretenen Freien Wähler namentlich aufzuführen erspare ich mir jetzt. Interessiert ja eh keinen!

Selbstverständlich darf jeder der angesprochenen Gemeinderäte mir (der Kollegin Elke Krieg) gern seine Stellungnahme zu diesem Skandal schicken. Aber Krieg berichtet, dass sich bei ihr selbst nach ihrer jüngsten Veröffentlichung (11.07.2020: „Kein schützendes Dach“) zu diesem Thema bisher nur ein (1) Gemeinderat gemeldet habe.
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Mmmh, lecker! Allein die monatlichen Wartungskosten für die berühmten Langenargener Luxustoiletten für Touris würden bergeweise neue Sanitärinstallationen für die kommunale Unterbringung ermöglichen. Aber die Gemeinde setzt ihre Prioritäten eben anders. Und Bürger und Gemeinderäte scheinen mit dieser Menschenverachtung einverstanden?
Foto: Elke Krieg

 

Stellungnahmen der verantwortlichen Behörden stehen noch aus
Elke Krieg hat die für diese perversen Missstände Verantwortlichen in der Gemeinde um Stellungnahme gebeten. Aber schon die Kommunikation mit dem sogenannten Integrationsbeauftragten, dessen skurriles Amtsverständnis hier schon einmal Thema auf SaSe war, gestalte sich schwierig. Näheres dazu lesen Sie demnächst auf dem Blog Agora-La. Die Stellungnahme vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg mache auch wenig Hoffnung, klagt Krieg.
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Luxustoiletten für die Touris in Langenargen (die auf der Sonnenseite des Lebens). Gemäß diesem SchwäZ-Artikel kostet so ein Teil mit satiniertem Glas 220.000 Euro. Allein die Wartungskosten für die automatische Reinigung belaufen sich bei einem Parallelmodell in Markdorf auf monatlich 1.500 Euro. Es ist also nicht so, dass die Gemeinde Langenargen kein Geld hätte, um Geflüchtete menschenwürdig unterzubringen. Sie will es nur nicht!
Foto: Elke Krieg

 

Nehmen wir doch stattdessen: „Confierter Saibling“ oder „Geschmortes Freilandschwein“
Ungeziefer, Abwasser, Schimmel und Verzweiflung – alles sehr unerquicklich. Natürlich ließe sich den Menschen in der Baracke rasch und effektiv helfen. 100 Bürger und 50 Touris, die vor der Baracke gegen die Gemeinde und für eine menschenwürdige Unterkunft demonstrieren – was meinen Sie, wie schnell die Familie umgesetzt werden würde! Aber solange für die Langenargener der „Confierte Saibling“, das „Geschmorte Freilandschwein“, die „Gebratene Rehnuss“ und das „Wildkräuter-Sorbet“ vom Hotel SeeVital verfügbar sind (Speisekarte hier), besteht vermutlich gar kein Anlass für Empathie oder wenigstens eine Prise … Anstand?
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„Tennisheim“ Flüchtlingsunterkunft der Gemeinde Langenargen – Küchen-Innenansicht zum Zustand der Bausubstanz! Aber da die Bewohner hier sich weder den „Confierten Saibling“ noch das „Geschmorte Freilandschwein“ zubereiten werden, brauchen sie auch nichts Besseres? Bei Leidensdruck sollen sie sich einfach ein wenig vor die Langenargener Luxustoiletten setzen und sich dort von dem bescheinen lassen, was es alles auf der anderen-Seite der Schere gibt – von Steuergeldern bezahlt!
Foto: Elke Krieg

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