HInfo31: Nichtöffentliche Gemeinderatssitzungen: 1 Motiv und 1 O-Ton

Der Vorwurf mangelnder Transparenz der Gemeinderatsarbeit nahm in dem gerade abgeschlossenen Kommunalwahlkampf 2019 Baden-Württemberg breiten Raum ein.  Und das ganz unabhängig von einzelnen Gemeinden. Die „Unart“ der Bürgermeister, viel zu viele Themen in nichtöffentlichen Gemeinderatssitzungen zu behandeln, ist allgemein und weit verbreitet.
Die vielen „alternativen“ und zumeist parteiungebundenen Wählerinitiativen in der Region haben ihren Wählern allesamt versprochen, dieser undemokratischen Praxis massiv entgegenzuwirken.

Die Gemeindeordnung Baden-Württemberg verlangt ausdrücklich einen bedacht restriktiven Umgang mit dem Instrument der nichtöffentlichen Sitzung:

(1) Die Sitzungen des Gemeinderats sind öffentlich. Nichtöffentlich darf nur verhandelt werden, wenn es das öffentliche Wohl oder berechtigte Interessen Einzelner erfordern; über Gegenstände, bei denen diese Voraussetzungen vorliegen, muss nichtöffentlich verhandelt werden. Über Anträge aus der Mitte des Gemeinderats, einen Verhandlungsgegenstand entgegen der Tagesordnung in öffentlicher oder nichtöffentlicher Sitzung zu behandeln, wird in nichtöffentlicher Sitzung beraten und entschieden. In nichtöffentlicher Sitzung nach Satz 2 gefasste Beschlüsse sind nach Wiederherstellung der Öffentlichkeit oder, wenn dies ungeeignet ist, in der nächsten öffentlichen Sitzung im Wortlaut bekannt zu geben, soweit nicht das öffentliche Wohl oder berechtigte Interessen Einzelner entgegenstehen.
(2) Die Gemeinderäte sind zur Verschwiegenheit über alle in nichtöffentlicher Sitzung behandelten Angelegenheiten so lange verpflichtet, bis sie der Bürgermeister von der Schweigepflicht entbindet; dies gilt nicht für Beschlüsse, soweit sie nach Absatz 1 Satz 4 bekannt gegeben worden sind.

(Gemeindeordnung Baden-Württemberg Paragraf 35 „Öffentlichkeit der Sitzungen“; Hervorhebg. K. B.)

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Die Frage nach dem Warum für die intransparente, aber weit verbreitete Praxis nichtöffentlicher Gemeinderatssitzungen zieht zwangsläufig jede Menge Spekulationen nach sich und schafft Raum für Verschwörungstheorien.

Aber manchmal sind die Gründe erschütternd banal. Das bedeutet allerdings leider nicht, dass sie für die Demokratie deshalb ungefährlich wären. Ganz im Gegenteil.

Einer dieser Gründe wurde mir in der Vergangenheit immer wieder vorgetragen. Nun ist es mir gelungen, unter der Zusicherung von Anonymität von einem langjährigen Gemeinderat die Erlaubnis zu erhalten, sein Erleben und seine Wahrnehmung zum Thema nichtöffentlicher Gemeinderatssitzungen und den dafür Verantwortlichen veröffentlichen zu dürfen. Zitat:

Unser Bürgermeister hat im Laufe der Zeit  (wie vermutlich fast alle [Parteizugehörigen entfernt – K. B.] –Bürgermeister) eine ganz furchtbare Strategie entwickelt: „Wir müssen nach außen hin ein geschlossenes Bild abgeben, wir müssen Einigkeit demonstrieren!“ und dann hat er uns immer etwas von oben herab erklärt: „Unstimmigkeiten werden in der nicht-öffentlichen Sitzung geklärt!“ Und das wurde vom Gemeinderat unhinterfragt übernommen!
(Auszug aus der Mail eines Gemeinderats an mich zu den Gründen hinter der hohen Anzahl nichtöffentlicher Sitzungen; Hervorhebg. K. B.)

Diese Begründung für Nichtöffentlichkeit ist eine mittlere demokratische Katastrophe! Und es ist mehr als beunruhigend, dass Gemeinderäte eine solche Begründung akzeptieren. Hinzu kommt, dass diese Begründung im krassen Widerspruch zur oben zitierten Gemeindeordnung steht.

Im vorliegenden Fall habe ich die Erlaubnis, wörtlich, aber anonymisiert aus dem Bericht des Gemeinderats zu zitieren. Ich habe diese Begründung aber in ähnlicher Form schon dutzendfach gehört. Nach meiner Einschätzung trifft sie für viele Kommunen zu.

Diese Begründung belegt ein desaströses Verständnis von Demokratie, wenn nicht sogar eine Praxis der Kommunalpolitik, die mit Demokratie nichts mehr zu tun hat. Demokratie lebt vom Widerstreit der Meinungen. Wer diesen Widerstreit stranguliert, schadet der Verfassung. Was sind das für „Volksvertreter“, die eine solche Begründung hinnehmen?

Während meiner Zeit der Gemeinderatsberichterstattung für den Südkurier, die durchgehend andere Kommunen betraf als die hier auf SaSe beobachteten, habe ich genau das festgestellt und berichtet: immer wieder einstimmige Gemeinderatsbeschlüsse oder Beschlüsse mit maximal einer Gegenstimme oder Enthaltung.

Verfolgen Sie bitte die Gemeinderatsberichterstattung in Ihrer Tageszeitung und achten Sie auf die Abstimmungsergebnisse – gerade diejenigen zu Grundsatzentscheidungen für die kommunale Entwicklung (z. B. Flächennutzungspläne, Infrastruktur etc.).  Ich stelle die steile These in den Raum: Wo überwiegend, wenn nicht gar ausschließlich „einstimmig“ beschlossen wird, kann irgendetwas nicht stimmen?

Einstimmige Beschlüsse oder solche mit höchstens einer Gegenstimme oder Enthaltung kennzeichnen in der Regel autoritäre Systeme. Und ja, ich behaupte: Viele Gemeinderäte in den umliegenden Landkreisen sind genau das – autoritäre Systeme. Diese Vermutung bekräftigt auch mein Informant:

[Name eines Gemeinderats entfernt – K. B.]  und mir war das recht schnell klar, dass das nur einem einzigen Zweck dient: der Machterhaltung des Bürgermeisters. Deshalb haben  wir auch bei jeder Gelegenheit dagegen gehandelt – oft ist das aber verpufft [sic] weil die Presse nicht mitgespielt hat.
[Textpassage aufgrund der Gefahr von Wiedererkennbarkeit entfernt- K. B.]
Aber wir mussten vieles erdulden,
unsere Mitgemeinderäte waren die schlimmsten Handlanger des BM, die haben aktiv gegen die freie Meinungsäußerung gearbeitet und damit im Prinzip gegen sich selbst.
(ibid.; Hervorhebg. K. B.)

Bingo: Wichtige Prozesse im einzigen Forum der Demokratie auf Kommunalebene „verpuffen“, weil die „machttreue“ (Begriffserklärung hier) und im Monopol berichtende Regionalzeitung solche wichtigen Reibungen und Unstimmigkeiten nicht berichtet.

Und warum tut sie es nicht? Auch hier lässt sich über die Gründe eher spekulieren als Beweis führen. Tatsache ist: Das viel zu kleine Zeilenbudget, das den überwiegend freien Mitarbeitern für ihre Gemeinderatsberichterstattung zugewiesen wird, lässt eine ausführliche und demokratiestärkende Berichterstattung gar nicht zu. Unabhängig vom Inhalt und den demokratischen Prozessen in der entsprechenden Sitzung erhält der „Freie“ in der Regel schon vorab ein extrem restriktives Zeilenkontingent zugewiesen. 70 Zeilen, eher weniger,  für eine Gemeinderatsberichterstattung sind durchaus üblich. Da die oft komplexen und verwaltungsrechtlich verschachtelten Sachverhalte der behandelten Themen dem Leser auch noch dargestellt werden müssen, die Redaktion dem Freien zusätzlich noch „2 Zitate vom Bürgermeister“ vorschreibt, bleibt oft kein Platz mehr für die Wiedergabe des Aufbegehrens von Gemeinderäten.

Ich behaupte: Beide Tageszeitungen füllen ihre Seiten lieber mit bezahlten Anzeigen als mit ausführlichen Berichten aus Gemeinderatssitzungen.

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Was geschieht hinter den für die Öffentlichkeit verschlossenen Türen nichtöffentlicher Gemeinderatssitzungen? Keiner weiß es. Und wer es weiß, darf es nicht verraten. Viele Gemeinderäte beklagen, dass Bürgermeister dieses Instrument viel zu häufig missbräuchlich einsetzen. Zum Beispiel, um nach außen ein nicht wahrheitsgetreues Bild von Einigkeit zu signalisieren. Eine in Auszügen veröffentlichte Mail eines Gemeinderats in der Region bestätigt diesen Verdacht. Foto: Markus Kraft / pixelio.de

Was geschieht hinter den für die Öffentlichkeit verschlossenen Türen nichtöffentlicher Gemeinderatssitzungen? Keiner weiß es. Und wer es weiß, darf es nicht verraten. Viele Gemeinderäte beklagen, dass Bürgermeister dieses Instrument viel zu häufig missbräuchlich einsetzen. Zum Beispiel, um nach außen ein nicht wahrheitsgetreues Bild von Einigkeit zu signalisieren. Eine in Auszügen veröffentlichte Mail eines Gemeinderats in der Region bestätigt diesen Verdacht.
Foto: Markus Kraft / pixelio.de

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Korrektur auch durch Gegenöffentlichkeitsprojekte
An dieser Stelle gehört die Forderung nach mehr (digitalen) Gegenöffentlichkeitsprojekten auf kommunaler Ebene! Frühformen einer solchen finden sich auf dem Blog der Bürger für Überlingen BÜB+ – auch wenn hier die Einschränkung interessensgebundener Berichterstattung gemacht werden muss.

Ein anderes sehr gutes Beispiel, das auch nicht interessengebunden ist und von einem Bürger vor Ort betrieben wird, ist der Blog SOFA Schönes Ostrach für alle. Der Herausgeber Franz Schreijäg berichtet zwar nicht aus den Gemeinderatssitzungen, beobachtet aber ansonsten das politische Geschehen in der Massentierhaltungsgemeinde kritisch, sachkundig und pointiert. Ostrachs Bürgermeister Christoph Schulz (CDU) ist darüber so erbost, dass er nicht einmal mehr mit Schreijäg kommuniziert. Das zeigt den hohen Wirkungsgrad von SOFA im Speziellen und digitalen Gegenöffentlichkeitsprojekten im Allgemeinen. Und natürlich zeigt es auch die Demokratie-Unfähigkeit von Christoph Schulz.

Aber nicht jeder „alternative“ Blog und nicht jedes Gegenöffentlichkeitsprojekt auf lokaler Ebene verschreibt sich dem Allgemeinwohl und demokratischen Zielen. Gelegentlich sind sie nicht viel mehr als ein Instrument privater Psychohygiene eines gern männlichen und offensichtlich hochgradig verbitterten Herausgebers. So kommt es dann zu Foren lang im Argen.

Extrem hoffnungsvoll ließ sich der Blog UM gestalten des SPD-Gemeinderatskandidaten Domenico Ferraro in Uhldingen-Mühlhofen an; selbst unter dem Abstrich interessensgebundener Berichterstattung. Aber wenn viele „Gebundene“ berichten, ergibt sich auch ein rundes Bild.

Bisher ist nicht klar, ob und wie es mit der „Gegenöffentlichkeit“ in UM weitergehen wird. Der technisch restlos veraltete Blog der Aktive Wählergemeinschaft AWG wird keinen Beitrag zu einer wie auch immer gestalteten Gegenöffentlichkeit leisten (können). Die Beiträge dort lassen sich nicht verlinken und sind deshalb nach kurzer Zeit unauffindbar. Wie auch beim Forum im langen Argen klemmen die Herausgeber fest in der digitalen Generationskluft. Altersstarrsinn oder grundsätzliche mentale Enge lassen sie auf alle ausgestreckten Helferhände spucken.

Ein weiterer am See beheimateter Blog mit politischem Selbstverständnis ist Agora-La von Elke Krieg. Sie schrieb früher für das Forum im langen Argen, konnte dann aber der Altmänner-Diktatur erfolgreich entfliehen. Ihr Blog ist erst kürzlich gestartet und lässt sich bisher ganz vielversprechend an.

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Der soziale Druck ist extrem
Zurück zu den Gemeinderäten: Was wird sich denn nun ändern, wo so viele „alternative“ Gruppierungen in die Kommunalparlamente gewählt wurden? Allzu große Hoffnungen mache ich mir nicht. Denn mein Informant berichtet auch über den hohen sozialen Druck im Gemeinderat:

Und ich denke, die [Name der Gemeinderatsgruppierung entfernt – K. B.] sind an vielen Stellen noch in dieser blöden Lage gefangen: Sie unterwerfen sich den alten Gepflogenheiten [sic] weil sie ja nicht als absolute Außenseiter dastehen wollen und hoffen auf diese Art mehr zu erreichen, aber die alten Gepflogenheiten dienen nur dem Machterhalt der CDU.
Das ist eine ziemlich erfolgreiche Strategie, die Andersdenkende klein[sic]hält.
(ibid.; Hervorhebg. K. B.)

Ich durfte einmal über mehrere Monate hinweg in einem Gemeinderat erleben, wie eine kritische Gemeinderätin mit sozialem Engagement vom Bürgermeister und seinen Gesinnungsgenossen systematisch fertiggemacht wurde. Bei ihren Wortmeldungen im Gemeinderat drehten die Herren schon theatralisch die Augen nach oben, schüttelten mit dem Kopf, stöhnten. Der Bürgermeister stellte die Rätin in seinen Repliken bloß. Hämisches Grinsen bei seinen Mistreitern. Widerlich!

Und beim „gemütlichen Zusammensitzen“ nach den Sitzungen sei es dann mit dem Mobbing erst richtig losgegangen. Ich war als Südkurier-Berichterstatterin nicht dabei und kann es deshalb nicht belegen.
Überdies habe die in der Gemeinde dominierende Partei angeblich auch noch versucht, der kritischen Gemeinderätin geschäftlich zu schaden. Auch für diese Behauptung gibt es keine Belege. Natürlich nicht! Im strategisch von mir inszenierten „Hintergrundgespräch“ jedoch haben sich dann die mobbenden Gemeinderäte wie auch der Bürgermeister in einer Art und Weise über ihre Kollegin geäußert, die nicht mehr berichtsfähig ist.

Dinge können wahr sein, auch wenn man sie nicht belegen kann.

Die Wahlergebnisse in Kommunen wie Überlingen oder Salem geben der Hoffnung Raum, dass sich die neuen Räte der bisherigen Praxis viel zu vieler nichtöffentlicher Gemeinderatssitzungen widersetzen werden – so schwer und juristisch heikel das auch werden wird. Bürger und Tageszeitungsleser können auch etwas bewirken, wenn sie in den Redaktionen und Gemeinden häufiger kritisch nachfragen, warum von dem für die Demokratie so lebenswichtigen Widerstreit unterschiedlicher Meinungen nichts zu lesen ist.

Misstrauen Sie Bürgermeistern, die sich so demonstrativ auf den angeblich großen Rückhalt in ihrem Gemeinderat berufen! Die Gefahr, dass es dort wenig demokratisch zugeht, ist nicht ganz klein.

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