HInfo42: Sitzungsabbruch Gemeinderat Spaichingen: Der offene Brief der Grünen-Fraktion im Original

Meine Stammleser wissen, dass solche Entwicklungen wie die in TS132/19 beschriebene mir Unbehagen bereiten: Wenn sich die Berichterstattung nicht auf das Kernthema von Demokratie-Defiziten auf Kommunalebene konzentrieren kann, sondern noch alle möglichen anderen Verluste drum herum zu markieren sind. Im Fall der Stadt Spaichingen und von Bürgermeister Hans Georg Schuhmacher, der im Dezember eine Gemeinderatssitzung kraft souveräner Willkür abgebrochen hatte, war so ein anderer Verlust die fehlende Information an Pressevertreter jenseits der SchwäZ, was im Landkreis Tuttlingen der Heuberger Bote ist.

Die Reaktion der Fraktion der Grünen Spaichingen erfolgte prompt und noch am gleichen Tag mit Erscheinen des obigen Senfes: Entschuldigung per Mail betreffs der nicht erfolgten Presse-Information an diese Redaktion zu dem offenen Brief an BüM Schuhmacher. Im Anhang der Mail das begehrte Schriftstück.

Da dieses nach meinen Recherchen bisher immer noch nicht im Original im Internet zu finden ist, veröffentliche ich den offenen Brief der Fraktion der Grünen an Bürgermeister Hans Georg Schuhmacher nachstehend ungekürzt in Originalversion:

 Spaichingen, 27.12.2019

Offener Brief

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Schuhmacher,
Sehr geehrte Damen und Herren,

Der Sitzungsabbruch der Gemeinderatssitzung am 16.12.2019 in Spaichingen war ein eklatanter Verstoß gegen die Gemeindeordnung. Die Verantwortung hierfür der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zuzuschieben, setzt dem Ganzen die Krone auf.

Zu diesem Vorfall wurde am 19.12.2019 von Bürgermeister Schuhmacher, eine Mitteilung der Stadt veröffentlicht. Diese Mitteilung wurde sowohl auf der Homepage der Stadt unter aktuelle Mitteilungen, sowie im städtischen Schaukasten am Marktplatz veröffentlicht („Ortsredakteurin des Heuberger Boten im Wahlkampfmodus – Berichterstattung entspricht nicht den Tatsachen“), (Text ist als Anlage beigefügt)

Diese Mitteilung ist irreführend und falsch.

Hier werden die städtischen Mitteilungsplattformen genutzt, um Gemeinderäte und eine freie Presse zu diffamieren, Tatsachen werden verdreht und falsche Aussagen gemacht. Da Sie, Herr Bürgermeister Schuhmacher, die öffentlichen städtischen Informationsmedien erneut für Ihre persönlichen Interessen nutzen und damit missbrauchen, sehen wir uns als Fraktion gezwungen diesen offenen Brief zu schreiben. Wir erklären: Die Berichterstattung im Heuberger Bote vom 18.12.2019 entspricht den Tatsachen, die Kommentierung auf der Homepage der Stadt und im Schaukasten auf dem Marktplatz sind stimmungsmachend und teilweise falsch.

Hier die Fakten:

Sie haben am 16.12.2019 auf 18:00 Uhr zu einer Gemeinderatssitzung geladen. Zu Beginn dieser öffentlichen Sitzung haben Sie allen Anwesenden öffentlich mitgeteilt, dass Sie die Sitzung frühzeitig (gegen 19:45 Uhr) schließen wollen, da noch eine nichtöffentliche Sitzung folge und danach ein Essen* stattfindet.
(*Weihnachts- und Jahresabschlussfeier des Gemeinderates um 20:30 Uhr im Restaurant Ochsenstüble mit PartnerInnen, Einladung mit Schreiben vom 09.12.2019).

Sie schlossen die Sitzung nicht wie angekündigt gegen 19:45 Uhr. Aus diesem Grund fragte ich in der Sitzung dann gegen 20:00 Uhr nach, wie die Sitzung weiter geplant ist. Auf Ihre Ausführungen hin, dass wir, wenn wir effektiv arbeiten, noch ca. 20 Minuten brauchen würden, stellte ich den Sinn infrage, sich einem solchen Zeitdruck auszusetzen, angesichts der Tatsache dass noch ca. 40 Haushaltsänderungsanträge, 9 nicht behandelte Tagesordnungspunkte (von insgesamt 13) und eine nichtöffentliche Sitzung auf der Tagesordnung standen.

Sie brachen dann, ohne Beteiligung des Gemeinderates, die Sitzung eigenmächtig ab (es gab keine Abstimmung über die Vertagung der offenen Tagesordnungspunkte oder das Beenden der Sitzung). Auch haben Sie nicht erklärt, wie Sie weiter verfahren wollen. Persönlich habe ich nach Ihrem plötzlichen Abbruch der Sitzung sogar noch betont, dass ich einen solchen weder gewünscht noch beantragt habe.

Weder ein einzelner Gemeinderat noch eine Fraktion, aber auch nicht der Bürgermeister kann nach Eintreten in die Tagesordnung eine Sitzung allein abbrechen. Über einen entsprechenden Geschäftsordnungsantrag hat der Gemeinderat abzustimmen.

Somit ist Ihre Darstellung („Jeder weiß, dass der Sitzungsabbruch deswegen erfolgt ist, weil sich der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Alexander Efinger inmitten des Sitzungsverlaufs darüber beschwert hatte“) eindeutig falsch und wie weitere Behauptungen nur ein Versuch meine Person und unsere Fraktion in der Öffentlichkeit zu schädigen.

Richtig ist: Weder meine Person noch die Grüne Fraktion sind Ursache des Sitzungsabbruches. Auch Ihre Behauptung „weil die Fraktion der Grünen an diesem Abend nicht mehr über ihre eigenen Anträge abstimmen wollte.“ ist schlicht weg falsch.

Dies wurde nie von unserer Fraktion gesagt oder beantragt.

Herr Bürgermeister Schuhmacher, es mutet wie Ihre persönlichen Verschwörungstheorien und Anfeindungen an, wenn Sie der freien Presse Wahlkampfmodus unterstellen. Es scheint fast so, als missbrauchen Sie die städtischen Einrichtungen eben gerade für Ihren persönlichen Wahlkampf. Deshalb sollten entsprechende Passagen unverzüglich zurückgenommen werden und nicht mehr öffentlich in den Informationsmedien (Homepage; Schaukasten, Aushang…) unserer Stadt erscheinen.

Wir beschreiben diese Sachverhalte als offenen Brief zur Kenntnisnahme aller Gemeinderäte, der Presse und des Landratsamtes einschließlich der Rechtsaufsicht. Letztere bitte ich hiermit um rechtliche Klärung (willkürlicher Abbruch der Gemeinderatsitzung, unsachgemäße Nutzung der städtischen Homepage für Angriffe auf Gemeinderäte und öffentliche Presse …)

Mit freundlichen Grüßen

Fraktion BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Alexander Efinger
*

Senf
Dem jüngsten Artikel im Heuberger Bote, der über diesen offenen Brief zwar berichtet, ihn aber nicht veröffentlicht (Parole: „Wir wissen was, was ihr nicht wisst …“), ist zu entnehmen, dass es Bürgermeister Hans Georg Schuhmacher erst nach den Weihnachtsferien möglich sei, dazu Stellung zu nehmen.
Eine entsprechende Presseanfrage wird auch von mir ergehen.

Allerdings ist es schon ein mehr als bemerkenswerter Vorgang, wenn sich Gemeinderäte und Bürgermeister über das Instrument „offener Brief“ austauschen müssen. Wo solche Kommunikationswege – sowie die Einschaltung der Rechtsaufsicht – notwendig werden, liegt ganz offensichtlich ein grundsätzliches Problem vor. Dieses grundsätzliche Problem hinterlässt Spuren in so angeblichen Äußerungen des Bürgermeisters wie „Von einem Niemann lasse ich mich nicht belehren“ (Quelle).

Das klingt – und soll es wohl auch – wie „ich muss mich von [einem] N[n]iemand [nicht] belehren lassen“ und ist eine offensichtlich Attacke gegen den Gemeinderat Harald Niemann, Fraktion Pro Spaichingen.

Welche Aussage trifft ein Hoheitsträger über seine Eignung für das Bürgermeister-Amt, wenn er öffentlich bekennt, unbelehrbar zu sein? Weiß der Bürgermeister in Spaichingen nicht, dass es eine der zentralen Aufgaben von Gemeinderäten ist, den Bürgermeister zu kontrollieren? Welches Demokratieverständnis unterliegt in der kleinen Stadt, wenn der Verwaltungschef im möglichen Verstoß gegen die Gemeindeordnung Baden-Württemberg eigenmächtig und ohne Votum des für solche Aufgaben einzig autorisierten Rats eine Sitzung abbricht?

Die im offenen Brief genannten Fakten sprechen im Übrigen für sich: Jeder kommunalpolitische Praktiker weiß, dass eine Tagesordnung für eine Gemeinderatssitzung mit 13 TOPs schwerlich in 105 Minuten abzuarbeiten ist. Die Sitzung begann um 18.00 Uhr, sollte aber um 19.45 Uhr beendet werden. Allein dieser Zeitplan ist schon zum Scheitern verurteilt. Um 20.00 Uhr seien – so die Angaben Efingers – noch 40 Haushaltsänderungsanträge, 9 nicht behandelte Tagesordnungspunkte und eine nichtöffentliche Sitzung auf der Tagesordnung gestanden.
Das kann gar nicht funktionieren!

Das sollte gar nicht funktionieren?
*

[Aktualisierung vom 14.01.2020:
Nachfolgender Absatz zu dem Thema „Bürgermeister in Kreistagen“ ist zwar an sich korrekt, hat aber mit dem Schuhmacher-Fall nichts zu tun, weil der Spaichinger Bürgermeister kein Mandat mehr für den Kreistag hat.]

*
Bürgermeister im Kreistag – Kardinalfehler zulasten der Demokratie

Vorerst und während der Weihnachtsferien, die offenbar einzig Schuhmacher im Moment zu nutzen versteht, bleiben alle Fragen offen. Ganz besonders offen bleibt die Frage, wie die Rechtsaufsicht des Landratsamt Tuttlingen auf diesen Vorgang reagieren wird.

Die Spaichinger Räte haben da – so mein Eindruck aus Gesprächen – wenig Hoffnung, da auch schon in der Vergangenheit aus dieser Richtung keine Hilfe zu erwarten gewesen sei.

Ja, kein Wunder! Obermacker im Landratsamt ist der Landrat. Der aber braucht „seine“ Bürgermeister im Kreistag, wenn er irgendwas politisch bewegen will. Kardinalfehler zulasten der Demokratie. Bürgermeister haben im Kreistag überhaupt nichts zu suchen. In Niedersachsen weiß man das und hat das entsprechend in der Kommunalverfassung niedergelegt. Aber die Juristen streiten (guckst du hier).

Das Verwaltungsgericht Braunschweig allerdings sieht das ebenso wie ich. Das spricht unbedingt für das VG Braunschweig, das aber bislang dem VG Sigmaringen seinen ersten Platz in meinem Journalistinnen-Herz nicht streitig zu machen vermag.
(Auf Platz 2 kommt übrigens das Landgericht Ravensburg!)

Das VG Braunschweig nennt als leicht verständliches Beispiel die Kreisumlage:

Die Richter dort meinten, die Unvereinbarkeitsregel im Landesgesetz sei vertretbar, weil damit Interessenskonflikte zwischen Bürgermeisteramt und Kreistagsmandat verhindert werden könnten. So entscheide der Kreistag über die Kreisumlage – und somit würde jeder Verwaltungschef der kreisangehörigen Gemeinde im Kreistag eigene Interessen vertreten.
(Rundblick Politikjournal für Niedersachsen: „Warum dürfen Bürgermeister kein Mandat im Kreistag ausüben? Kritiker machen mobil“)

2020 wird in Spaichingen ein neuer Bürgermeister gewählt. Wenn das aktuelle Tamtam im Nachgang zu nur einer einzigen Gemeinderatssitzung der Auftakt zum Wahlkampf sein soll, wird es ein spannender und berichtsreicher werden!

Meine Ärmel sind aufgekrempelt:
*

Mist - das Foto ist nicht gegendert! Foto: S. Hofschlaeger / pixelio.de

Mist – das Foto ist nicht gegendert!
Foto: S. Hofschlaeger / pixelio.de

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