SATIRE
Liebe Dei ex machina!
Liebe geflüchtete Wohnungsverwüster!
Was für ein göttliches Timing! Wir, die Schwäbische i. e. Lindauer Zeitung und ich, Dr. Johannes Aschauer, Bürgermeister der Gemeinde Achberg, möchten uns ganz herzlich bei Ihnen als Berichterstattungsvorwand für die widerliche Schlagzeile bedanken. Der SchwäZ-Artikel mit der AfD-affinen Überschrift „Flüchtlinge ramponieren Mietwohnung“ kommt für mich gerade zur rechten Zeit. Er lenkt ganz wunderbar von viel gravierenderen und auch moralisch weitaus verwerflicheren Vorgängen in der Gemeinde Achberg und seinem sich selbstschädigend herumwütenden Rathauschef – das bin ICH – ab.
Der, also ICH, manipuliert mutmaßlich den gerade begonnenen Bürgermeisterwahlkampf durch angeblich „private“ Briefe an die Bürger. Der, also ICH, sollte sich allein schon aufgrund seiner Funktion als Amtsträger und aufgrund seiner akademischen Graduierung (wissen Sie, ICH führe sogar einen Doktortitel!) mit Demokratie, Meinungs- und Pressefreiheit und ein paar anderen nicht ganz so unwichtigen Grundsätzen unserer Verfassung weitaus besser auskennen als Sie mit der korrekten Belüftung von Mietwohnungen und dem Handling von Einbauküchen. Von daher danke ich Ihnen, dass Sie mich mit Hilfe der SchwäZ, die mir immer gern zur Seite springt (hier), auf der Verwerflichkeitsskala noch weit überflügeln.
Die SchwäZ berichtet nicht darüber, wenn ein Bauhof-Mitarbeiter der Stadt Lindau durch meine illegitime Spionage- und Denunziantentätigkeit seinen Arbeitsplatz verliert. Aber die SchwäZ berichtet eilfertig sofort, wenn sich Geflüchtete wider deutsche Leitkultur betragen!
Nun ließe sich natürlich fragen, wo eigentlich im vorliegenden Fall kommunaler Anschlussunterbringung in Achberg das Integrationsmanagement über die vergangenen fünf Jahre hinweg gewesen ist, also in der Zeit, in der Sie sukzessiv die genannte Mietwohnung verwüstet haben sollen. Die SchwäZ verrät in ihrem üblen Hetzartikel gegen Geflüchtete den Lesern natürlich auch nicht, dass die zugrundeliegende Satzung für kommunale Anschlussunterbringungen es den Gemeinden in der Regel jederzeit erlaubt, sich Zutritt zu solchen Wohnungen zu verschaffen und nachzusehen, ob Geflüchtete dort erkennbar mit den ihnen völlig fremden Standards deutscher Mietkultur zurechtkommen. Da zermartern sich jahrelang augenscheinlich kluge Leute das Hirn darüber, wie man die Grundrechte Geflüchteter in kommunalen Anschlussunterbringungen hinsichtlich des Grundsatzes der Unverletzlichkeit der Wohnung beschränken kann (hier), und dann machen Gemeinden wie Achberg, also ICH, gar keinen Gebrauch davon? Das ist hübsch ärgerlich.
Aber ich versichere Ihnen: Ich habe in meiner langen Achberger Amtszeit schon weitaus Ärgerlicheres und Existenzbedrohenderes bewirkt! Der von mir angerichtete Schaden an Demokratie und Vertrauen in die Politik dürfte den von Ihnen an genannter Wohnung um ein X-Faches überschreiten?
Glücklicherweise habe ich die SchwäZ auch so gut in der Hand, dass der aktuelle Hetz-Artikel nicht danach fragt, ob die Gemeinde Achberg im geschilderten Fall womöglich ihre Betreuungs- und Fürsorgepflichten gegenüber den Geflüchteten verletzt haben könnte.
Das von Ihnen produzierte Phänomen, eine Mietwohnung in katastrophalem Zustand zu hinterlassen, ist in Deutschland weit verbreitet (Bleistift). Bundesweit wird es völlig losgelöst vom Status Geflüchteter diskutiert, weil dieses asoziale Verhalten auch bei Deutschen verbreitet ist. Massenweise! Und kein privater Vermieter würde für seinen Einzelfall je einen Zeitungsartikel bekommen. Aber wenn ein Bürgermeister Beschwerde führt und es gegen die Geflüchteten geht, sind allemal noch ein paar Druckzeilen frei!
Tiefe Bewunderung gebührt Ihnen natürlich für den von der Gemeinde Achberg bezifferten Schaden in Höhe von angeblichen 20.000 Euro, den Sie angerichtet haben sollen. Hammer! Natürlich wird auch diese Monsterzahl in keiner Weise belegt oder begründet.
Aber weder der SchwäZ noch mir geht es bei der aktuellen Berichterstattung um die Fakten und den Schaden. Worum es der SchwäZ geht, erkennt man schon an der Überschrift: „Flüchtlinge ramponieren Mietwohnung“. Kein seriöser Journalist schreibt heutzutage noch von „Flüchtlingen“, ein Begriff, den man wohlweislich lieber den Neurechten und Neonazis überlässt. Stattdessen – und auch um sich genau von denen abzugrenzen – hat sich längst der Begriff „Geflüchtete“ etabliert.
Aber wir müssen unserer eigentlichen Zielgruppe natürlich auch durch unsere Sprachverwendung signalisieren, wo wir politisch zuhause sind! Deshalb warten wir jetzt entspannt, bis alle neurechten Hetzer auf Facebook und andernorts unseren Artikel ohne jeden Faktencheck, der Flüchtlinge ganz allgemein diskreditiert, mit Wonne teilen.
MIR allerdings – und ich bin immerhin der Bürgermeister – geht es nur darum, dass ICH wieder einmal als Opfer dastehen kann. Das ist gerade jetzt besonders wichtig wegen hier und hier.
Um was für einen Drecks- und Hetzartikel es sich bei „Flüchtlinge ramponieren Mietwohnung“ handelt, erkennt man auch unschwer an dem schweren Verstoß gegen die journalistischen Sorgfaltspflichten. Denn die Beschuldigten selbst – die afghanische Flüchtlingsfamilie – darf zu den Vorwürfen des Achberger Bürgermeisters keine Stellung nehmen bzw. wird gar nicht erst gefragt. Der Artikel gibt noch nicht einmal Hinweis darauf, ob sein Verfasser überhaupt überprüft hat, ob Aschauers Vorwürfe stimmen. Das erkennt man auch sehr gut daran, dass der Artikel keine Fotos zeigt, die auch nur ansatzweise das belegen würden, was Aschauer behauptet. Bei angeblichen 20.000 Euro Schaden wären da doch spektakuläre Fotos möglich gewesen?
Andererseits dürfte der Schaden für diese Familie beträchtlich sein. Achberg ist ein klitzekleines Dorf, in dem jeder jeden kennt. Wo immer diese arme Familie jetzt auch wohnt und sei es weit weg von der Milchkannengemeinde, der neue Vermieter wird sicherlich bald Kunde von diesem Artikel erhalten und entsprechend reagieren.
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Dabei hatten die beiden Skandale zum Thema >kommunale Flüchtlingsunterbringung< im Sommer 2020 in Langenargen und Kressbronn ja gerade erst bewiesen, welcher Qualität die Wohnungen in der kommunalen Anschlussunterbringung sein können: mehr oder weniger übelste Dreckslöcher mit verheerenden Baumängeln und –schäden sowie Hygienebedingungen, für die sich kein deutscher Mieter mehr findet.
Aber leider arbeiten bei der SchwäZ eben nicht so unabhängige Profis wie die freie Journalistin Katy Cuko, die für den Südkurier die obigen Missstände recherchiert und publiziert hatte.
Dem Hetz- und Drecksartikel der Lindauer Zeitung fehlen also Fotos, welche die Missstände belegen, sowie eine Stellungnahme der beschuldigten und diffamierten, auch ohne Namensnennung leicht identifizierbaren afghanischen Familie. Und diese gravierenden und übrigens anwaltlich abmahnfähigen Defizite der Berichterstattunng werden abgerundet durch folgenden redaktionellen Hinweis:
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Ja, genau. Und weil zu diesem Artikel soo viele Leserkommentare eingegangen sind, dass die SchwäZ sie schon gar nicht mehr moderieren kann, findet sich unter diesem üblen Beitrag dann auch „0 Kommentare“ . Was bedeutet, dass alle anderen Kommentare bis hin zur Schallgrenze, als man der Menge nicht mehr Herr werden konnte, der Einfachheit halber gelöscht wurden.
Aber all das lenkt uns ja auch nur vom Wesentlichen ab. Das Wesentlich ist: Ich bin wieder das Opfer!
Lesen Sie selbst. Der Hetz- und Drecksartikel der Lindauer Zeitung, welcher die Beschuldigten nicht zu Wort kommen lässt und mit keinem einzigen Foto die erhobenen Vorwürfe belegt, endet melodramatisch wie folgt:
Die Gemeinde müsse sich nun mit dem Vermieter und dem Landratsamt einigen, wie sich die drei Beteiligten den Schaden aufteilen, beschrieb Aschauer die Situation. Einen Teil werde die Gemeinde wohl tragen müssen. Sie hatte die Wohnung drei Jahre lang gemietet, zwei Jahre lang war es das Landratsamt. Aschauer machte aus seiner Enttäuschung keinen Hehl: „Ich könnte heulen.“
(Lindauer Zeitung 26.01.2021: „Flüchtlinge ramponieren Mietwohnung“; Hervorhebg. K. B.)
Natürlich ist es so, dass dieser Schaden unter Umständen gar nicht aufgetreten wäre, wenn das kommunale Integrationsmanagement funktioniert hätte und die entsprechende Familie kontinuierlich und unterstützend über die vergangenen Jahre hinweg begleitetet und betreut worden wäre. Was übrigens auch der tiefere Sinn der kommunalen Anschlussunterbringung ist. Deshalb wäre es eigentlich nur gerecht, wenn ich den Schaden aus meiner Privatschatulle begleichen müsste. Aber in den vergangenen Jahrzehnten meiner Amtstätigkeit musste ich mich glücklicherweise noch nie für meine Taten verantworten. Dann wollen wir jetzt kurz vor Toresschluss gar nicht erst damit anfangen!
Aber ist die Textstelle mit der Heulerei nicht eine dramaturgische Wucht? Wow! Denn Sie müssen wissen: Ich heule über einen materiellen Schaden, den meine Amtsführung nicht verhindert hat. Aber wenn Menschen aufgrund meiner illegitimen Ausspionierei ihren Arbeitsplatz verlieren, dann heule ich eher nicht.
Danke, dass Sie und die Lindauer Zeitung mir dabei helfen, von meinen aktuellen Problemen hinsichtlich meiner eigenwilligen Amtsführung abzulenken.
Für Ihre Zukunft als Mieter wünsche ich Ihnen alles Gute, auch wenn ich da ehrlich gesagt und nach diesem verunglimpfenden Zeitungsartikel ziemlich schwarzsehe.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Dr. Johannes Aschauer
[Aktualisierung vom 28.01.2021:]
Nach der Veröffentlichung dieses Artikels erhalte ich die Info, dass die besagte Wohnung, um die es hier geht, im Eigentum eines Gemeinderats stehe. Dadurch erhält die Angelegenheit noch mehr „Gschmäckle“?