TS52/21: Altdorfer Waldbesetzer: Korrekturen und Ergänzungen zu zwei SchwäZ-Artikeln

Es ist ein mühsames Geschäft, permanent der SchwäZ  hinterher zu wischen, journalistische Schnitzer auszuspachteln, die diversen Framing-Versuche zu enthüllen oder Differenzierungen nachzutragen.
Egal. Eine muss es ja machen.

Also: Beginnen wir mit diesem SchwäZ-Artikel zum aktuellen Stand der staatsanwaltlichen Ermittlungen rund um die Pfusch-Satire auf dem Briefpapier des Regionalverbands Bodensee-Oberschwaben (RVBO). Letzter Stand zu dem Thema auf diesem Blog: hier.

Unfassbare Herrlichkeit! Bedroht! Nachtstimmung im Altdorfer Wald
Foto: Klimacamp Ravensburg

 

Das Framing der SchwäZ macht aus Klimaaktivisten Terroristen
Beachten Sie die Verwendung des Begriffs „Bekennerschreiben“ in dem genannten Artikel. Framing par excellence! Den Begriff „Bekennerschreiben“ verwendet man normalerweise im Kontext mit Terrororganisationen wie RAF oder IS, die sich nach einem Anschlag mit nicht selten vielen Toten zur Tat bekennen.

Im Kontext einer (mutmaßlich unabsichtlich in die Hose gegangenen) Satire auf RVBO-Papier dann von einem „Bekennerschreiben“ zu journalisteln, ist mehr als drüber! Und: bezeichnend.

Das entsprechende Schriftstück dazu war kein „Bekennerschreiben“ des Klimacamps Ravensburg. Es war eine hundsordinäre Pressemitteilung, wie sie die Aktivisten regelmäßig herausgeben. Aber durch die Verwendung des Begriffs „Bekennerschreiben“ werden die Kinder Jugendlichen dort en passant in die Terroristen-Ecke geschubst.

Dem RVBO gefällt das.

Baumbesetzing ist kein Spaziergang. Hier sind Profis zu Werke. Sie nehmen viel auf sich, um mehr für alle zu retten.
Foto: Klimacamp Ravensburg

Faktenlücken?
Zwei Redaktionen, ein Gedanke. Auch dieser Blog hatte am 20. April eine Presseanfrage an die Staatsanwaltschaft Ravensburg (Sta RV) zum aktuellen Stand der Ermittlungen betreffs der Pfusch-Satire gerichtet. Die dazugehörige Auskunft der Sta RV versetzt diese Redaktion in den Stand, die Faktizität obigen SchwäZ-Artikels für den Teilbereich zu bestätigen. Hier noch einmal der Ermittlungsstand, wie er auch dieser Redaktion zugingen:

Die Staatsanwaltschaft Ravensburg ermittelt wegen der von Ihnen genannten Postwurfsendung weiterhin gegen Unbekannt wegen des Verdachts der Urkundenfälschung. Das sogenannte „Bekennerschreiben“ ist hier bereits bekannt.
Ein Tatverdacht (Anfangsverdacht) gegen eine konkrete Person bzw. gegen konkrete Personen besteht zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht. Gegenstand der weiteren Ermittlungen wird zunächst die Frage sein, welche konkreten Personen das Schreiben verfasst und dieses verbreitet haben. Sofern sich gegen eine oder mehrere Personen ein Tatverdacht ergibt, werden diese als Beschuldigte zum Verdacht der Urkundenfälschung vernommen werden. Wie das Verfahren allerdings abgeschlossen werden wird, d.h. ob seitens der Staatsanwaltschaft Anklage erhoben oder ein Strafbefehl beantragt wird oder ob das Verfahren eingestellt werden muss, kann derzeit nicht beantwortet werden. Eine Entscheidung hierrüber kann die Staatsanwaltschaft erst nach Vorlage der Ermittlungsakten und nach Abschluss der vollständigen Ermittlungen treffen.
(Presseauskunft Staatsanwaltschaft Ravensburg 22.04.2021 an diese Redaktion)

Fazit: Die Ermittlungen dauern an. Jetzt müssen konkrete Personen (Verfasser der „Postwurfsendung“) festgestellt und vernommen werden.

So weit, so klar, so kongruent zum SchwäZ-Artikel.

Dann allerdings wird es komisch im selbigen:

Anlass für das Ermittlungsverfahren war, anders als zunächst angenommen, keine Anzeige des Regionalverbandes oder seines Chefs Wilfried Franke – eine solche Anzeige liege auch bis jetzt nicht vor. Die Staatsanwaltschaft sei von sich aus aktiv geworden. Wann die Ermittlungen abgeschlossen werden können, sei derzeit noch nicht absehbar.
(Schwäbische Zeitung 23.04.2021: „Gefälschter Rundbrief: Staatsanwaltschaft prüft Bekennerschreiben“; Hervorhebg. K. B.)

Da liegen mir – wie schon hier dokumentiert – andere Informationen vor. Auch dieser Redaktion gegenüber gab die Sta RV am 16. März 2021 an, ihr liege keine Anzeige des RVBO zu dieser Sache vor.

Dem Polizeipräsidium Ravensburg dagegen sehr wohl!

Obige Behauptung im SchwäZ-Artikel würde ja auch den RVBO der Lüge zeihen, der schon hier angekündigt hatte, Strafanzeige zu „planen“.

Nach meinen Recherchen ergibt sich damit folgendes Bild: Die Sta RV hat eigeninitiativ Ermittlungen wegen der „Postwurfsendung“ eingeleitet. Daneben gibt das Polizeipräsidium Ravensburg an, ihr läge eine Strafanzeige des RVBO zu dem genannten Sachverhalt vor. Die scheint bisher einfach nur noch nicht bei der Sta RV angekommen zu sein?

Dieses Faktum ist aber wichtig, um die Energie zu bewerten, mit der der RVBO gegen die Klimaaktivisten vorgeht.

Viel Arbeit!
Foto: Klimacamp Ravensburg

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Detailreiches Porträt der Held*innen im Altdorfer Wald

Erfreulicher ist ein sehr ausführliches und mit vielen Fotos belegtes Porträt der Baumbesetzer im Altdorfer Wald, erschienen in der SchwäZ ebenfalls am 23. April 2021. Erstellt hat es der (ebenfalls noch junge) Redakteur Philipp Richter der Lokalredaktion Ravensburg.

Der durchaus positive Artikel zeigt: Allmählich kommt auch die SchwäZ nicht mehr an einer differenzierteren Berichterstattung über den Protest gegen den Regionalplan Bodensee-Oberschwaben im Allgemeinen und im Altdorfer Wald im Besonderen vorbei.  Inzwischen berichten ja schon Publikationen wie DIE ZEIT, die FAZ, die Süddeutsche etc. darüber.

Allerdings enthüllt das aktuelle SchwäZ-Porträt gleichzeitig einen (gefährlichen?) Nebeneffekt differenzierterer lokaler Berichterstattung: Sie ist geeignet, den Saturierten, Bornierten, Arrivierten, den Machthabern und Wachstumsapologeten oder kurz der €DU Baden-Württemberg und ihren Wasserträgern so richtig Angst einzujagen! Aus Gründen:

+ inzwischen seien schon 15 Baumhäuser entstanden
+ bis zu 50 Menschen würden sich „zu Spitzenzeiten“ im Altdorfer Wald aufhalten;
+ deren Herkunft: auch überregional (Leipzig, Berlin etc.) zzgl. Besuche aus der Schweiz, Polen, Schweden
+ Professor Dr. Wolfgang Ertel, Scientists for Future, hat aus dem Baumhaus heraus  zum Thema Nachhaltigkeit einen Vortrag gehalten, der ins Internet übertragen wurde

Er gilt dem Establishment mutmaßlich als „Verräter“? Professor Dr. Wolfgang Ertel hat sich ganz auf die Seite der Altdorfer Waldbesetzer geschlagen und ruft öffentlich zum zivilen Ungehorsam auf.
Foto: Klimacamp Ravensburg

Das für die Arrivierten jedoch Bedrohlichste ist: Hier thematisieren Jugendliche die Systemfrage! Dabei stellen sie nicht das politische System infrage, also die Demokratie, sondern das wirtschaftliche: den Kapitalismus. Sie wünschen sich eine andere Gesellschaft.

Bei solchen Forderungen gefriert Ansagern wie dem RVBO-Direktor Wilfried Franke, dem RVBO-Vorsitzender Thomas Kugler, dem Salemer Bürgermeister Manfred Härle samt seines Busenfreundes MdL Klaus Hoher (FDP) das Blut in den Adern! Doch bitte nicht das (kapitalistische) System ändern, in dem sie sich soo bequem eingerichtet haben!
Foto (Sie ahnen es): Klimacamp Ravensburg

Ach, wie schrecklich! Etwas Bedrohlicheres kann es für das Establishment, vorzüglich vertreten durch den RVBO, nicht geben?

Die Kritik an den Grünen ist zu differenzieren
Kritik üben die Altdorfer Waldbesetzer auch an den Grünen:

Zwar eint die Baumbesetzer der Kampf um den Erhalt des Waldes, aber, und darauf legen sie großen Wert, sie sprechen nicht mit einer Stimme. Jeder vertrete eine etwas andere Position. „Insgesamt kann man aber sagen, dass wir eher linksorientiert sind“, sagt Samuel Bosch. „Aber mit den Grünen wollen wir auch nichts zu tun haben. Sie machen eine wirtschaftsorientierte Umweltpolitik und stellen nicht die antikapitalistische Frage“, fügt ein junger Mann mit Camouflage-Hose hinzu, der sich als Anarchist bezeichnet.
(Schwäbische Zeitung 23.04.2021: „Leben im Baumhausdorf: Klimaaktivisten kämpfen weiter für den Altdorfer Wald“; Hervorhebg. K. B.)

Hier ist eine wichtige Ergänzung anzubringen. Nach Auskunft des „Sprechers“ des Klimacamps Ravensburg und der Altdorfer Waldbesetzer, Ingo Blechschmidt, dieser Redaktion gegenüber betreffe diese Aussage nur die Grünen auf landes- und bundespolitischer Ebene. Von der Kritik ausgenommen seien ausdrücklich die Grünen auf lokaler Ebene. Die würden die Altdorfer Waldbesetzer hervorragend unterstützen.
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Verbindungen zum Augsburger Klimacamp
Jenseits des obigen SchwäZ-Artikel interessant zu wissen: Die Altdorfer Waldbesetzer sind gut vernetzt. Unter anderem können sie auch auf die Erfahrungen des Klimacamps Augsburg zurückgreifen – auch im juristischen Bereich. Blechschmidt etwa war auch schon für die bayerischen Klimaschützer als Sprecher aktiv.

Insbesondere im Hinblick auf die Umtriebe des MdL (FDP) Klaus Hoher, ein „guter“ Freund des Salemer Bürgermeisters Manfred Härle (€DU), der den Wald so gern geräumt sähe und auf Landesebene dafür herumhampelt, sei auf dieses wichtige Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg verwiesen.

Die Stadt Augsburg ist dagegen vor den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof gezogen (hier); eine Entscheidung liegt wohl noch nicht vor.

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