TS54/21: Amazon Trossingen – Bürgerinitiative Schura präsentiert erschöpft: Rüffelinchen

Die Redakteurin beugt sich über das Neugeborene und grinst enthirnt: „Dutzi, dutzi, dutzi! Ja, was bist du denn du für ein Süßbollen? Meine Güte, so ein putziger Knuffel! Ja,  und wo ist denn der Papa? Wo ist er denn?“

Hier: Bürgerinitiative Schura (BI Schura), namentlich Andreas Solleder. Er präsentiert das Hervorgebrachte mit deutlich gedimmtem Stolz. Der „Zeugungsakt“ in diesem Fall lässt auch die Lust, für die er sonst bekannt ist und erstrebt wird, erheblich vermissen. Und die Geburt zog sich über ganze drei Monate hinweg. Wer möchte denn so etwas?

Die quälend lange Niederkunft mit einem eher kleinwüchsigen Ergebnis fällt klar in die Verantwortung der Gebärenden: Landratsamt Tuttlingen. Am 19. Januar 2021 hatte sich die BI Schura zu der nichtöffentlichen Beschlussfassung der Trossinger Amazon-Ansiedlung (bundesweite Berichterstattung hier) in einem Schreiben an Landrat Stefan Bär gewandt:

Wir fragen uns, ob eine solche Grundsatzentscheidung, welche das Leben in Trossingen mit Sicherheit erheblich verändern wird, ohne Bürgerbeteiligung bzw. Bürgerinformation getroffen werden darf und mit der Gemeindeordnung Baden-Württemberg vereinbar ist. Unsere Beschwerde bezieht sich tatsächlich auf das politische Vorgehen der Stadtverwaltung, nämlich eine solch grundsätzliche Entscheidung hinter verschlossener Tür zu treffen. Welche Möglichkeiten der Mitwirkung bleiben bei solch einem Vorgehen seitens der Stadtverwaltung dann überhaupt noch den Bürgerinnen und Bürgern?
(Bürgerinitiative Schura Schreiben an Landrat Stefan Bär 21.01.2021; Hervorhebg. K. B.)

Die BI bat das Landratsamt Tuttlingen als zuständige Kommunalaufsicht darüber hinaus, „die getroffene Entscheidung einer rechtlichen Prüfung“ zu unterziehen.

Damit war die Geburt eingeleitet. Allerdings musst Solleder in den Wochen und Monaten danach immer wieder einen Wehentropf anlegen und in weiteren Mails um Antwort zu der ja nicht ganz uninteressanten Frage bitten.
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Nach drei Monaten wurden drei Seiten Antwort geboren
Und endlich war es soweit: Am 28. April 2021 rafft sich das Landratsamt Tuttlingen zu einer sage und schreibe drei Seiten umfassenden Antwort auf die „Beschwerde der Bürgerinitiative Schura gegen den Verkauf eines Areals von 5 Hektar durch die Stadt Trossingen an einen Investor ohne Bürgerbeteiligung vom 19. Januar 2021 (eingegangen am 25. Januar 2021)“ auf. Diese Antwort ist auch nicht ganz so frustrierend, wie die Empirik zur Effizienz der Kommunalaufsicht allgemein erwarten lässt. Denn immerhin lässt sich darin Grundsätzliches von Trossingen-Amazon-Spezifischem scheiden.

Das ist sie, unsere kleine Rüffeline! Drei Monate Geburt. Und leider wird sie nicht mehr viel wachsen!
Bild von predvopredvo auf Pixabay

 

Für diesen Blog und seine Leser zunächst wissenswert das Grundsätzliche:

Grundsätzlich gehören Kaufverträge zu den Angelegenheiten, deren vertrauliche Behandlung im Interesse der Vertragspartner in Frage kommt (BVerwG, Beschluss vom 15.03.1995 – 4 B 33/95 (Koblenz), NVwZ 1995, 897, beck-online). Genauso ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass bei Grundstücksverkäufen das Gemeinwohlinteresse tangiert wäre, wenn hierüber öffentlich verhandelt werden würde. Denn wenn Vertragskonditionen, die die Gemeinde im Einzelfall zu gewähren bereit ist, öffentlich beraten werden, würde dies die Verhandlungsposition der Gemeinde in weiteren etwaigen Vertragsverhandlungen schwächen. Deswegen sind Grundstücksverträge grundsätzlich als Fallgruppe anerkannt, die in nichtöffentlicher Sitzung behandelt werden können (vgl. OVG Münster Beschl. V. 2.3.2018 – 15 A 265/17, BeckRS 2018, 3176 Rn. 10, beck-online; NVwZ 202, 1076, Katz: Öffentlichkeit versus Nichtöffentlichkeit von Gemeinderatssitzungen; KommJur 2009, Heft 6, 201, Ruff: Der Beschluss des Gemeinderats über kommunale Grundstücksgeschäfte). Daher ist die Beratung und Beschlussfassung über den Verkauf des städtischen Grundstücks Flst. Nr. 883/22 in nichtöffentlicher Sitzung am 6. Juli 2020 aus unserer Sicht nicht zu beanstanden.
(ibid.; Hervorhebg. K. B.)

Gut. Das bringt uns, die baden-württembergischen Transparenz-Ringer, in der Sparte Kompetenz weiter. Wobei bisher niemand, soweit mir bekannt, dieses Faktum je infrage gestellt hätte? Auch der BI Schura ging es nicht um die öffentliche Verhandlung der konkreten Verträge und ihrer Bedingungen. Ihr wie anderen Kritikern solcher Praktiken im Gemeinderat geht bzw. ging es für Trossingen um den GRUNDSATZBESCHLUSS, überhaupt über eine Amazon-Ansiedlung nachzudenken.

Es gehört zu den bekannten Strategien der Machtinhaber und Kommunalaufsichten, das eine vom anderen nicht zu unterscheiden. Immerhin kann man die Bürger solcherart blöd aussehen lassen und als rechtsunkundig darstellen.
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Rüffelinchen erblickt das Licht der Welt
Die Kritik im Fall des Ansiedlungsbeschlusses Amazon Trossingen dockte von jeher auch an der Tatsache an, dass der nichtöffentlich gefasste Beschluss nach Meinung der Kritiker und der BI viel zu spät öffentlich verkündet worden sei. Und zumindest diesem Kritikpunkt stimmt die Kommunalaufsicht dann zu, auch wenn der diesbezügliche Rüffel zum rachitischen Rüffelinchen abgespeckt  wird:

In nichtöffentlicher Sitzung gefasste Beschlüsse sind gemäß § 35 Abs. 1 Satz 4 GemO nach Wiederherstellung der Öffentlichkeit oder, wenn dies ungeeignet ist, in der nächsten öffentlichen Sitzung im Wortlaut bekannt zu geben, soweit nicht das öffentliche Wohl oder berechtigte Interessen Einzelner entgegenstehen. Dies ist vorliegend nicht erfolgt.
(ibid.; Hervorhebg. K. B.)

Da ist sie, unsere kleine Rüffeline: „Dies ist vorliegend nicht erfolgt.“ Geburtsgewicht: 1 Satz, 5 Wörter, 28 Buchstaben, 29 Zeichen!

Kann uns jemand bitte dazu ein Liedchen komponieren? Es passt auf so viele Kommunen:

+ Rechtskonforme Bauplatzvergabe in Ummendorf, Öpfingen und Schemmerhofen: „Dies ist vorliegend nicht erfolgt!“
+ Einhalten der Corona-Vorschriften für Großkopferte bei der Eröffnung der Überlinger Landesgartenschau: „Dies ist vorliegend nicht erfolgt.
+ Umweltverträglichkeitsprüfung VOR Genehmigung des Baus eines idiotischen 1.000-Kühe-Stalls in Ostrach: „Dies ist vorliegend nicht erfolgt.

Und und und … siehe SaSe! Täglich.

„Dies ist vorliegend nicht erfolgt“ – auf diesen Satz dürfen die Eltern – die BI Schura – richtig stolz sein. Denn 99,9 Prozent der diesem Blog bekannten Anrufungen der Kommunalaufsichten in Fällen offensichtlicher Rechtsverletzungen durch Bürgermeister und Gemeinderat können den Landratsämtern noch nicht einmal diesen einen Fünf-Worte-Satz abmelken.

Damit endet die rechtsstaatliche Herrlichkeit aber auch schon wieder. Denn bei dem genannten „Vergehen“ handele es sich lediglich, so das LRA-Schreiben weiter, um eine Ordnungswidrigkeit, die keinen Anlass „für ein weitergehendes rechtsaufsichtliches Tätigwerden“ biete.

Wir haben hier also ein Neugeborenes ohne jede Wachstumschancen. Grausam, aber wahr!

Unser aller Trost und Rüffelinchens einziges Fläschchen, das sie je erhalten wird: „Die Stadt Trossingen hat auf unseren entsprechenden Hinweis versichert, dies künftig zu beachten.“ Prost!
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SchwäZ – die böse Fee an Rüffelinchens Wiege
Spätestens seit Dornröschen ist das Phänomen von Feen niedriger Gesinnung an den Wiegen von Neugeborenen bekannt. Auch die BI Schura und Rüffelinchen haben mit dieser Unsitte zu kämpfen. Hier ist es die SchwäZ, die in ihrer Berichterstattung über das Antwortschreiben des LRA (immerhin!) nichts Besseres zu tun und zu schreiben hat, als die Placet-Elemente hervorzuheben.  Das beginnt schon in der Überschrift: „Rechtsaufsicht schreitet nicht ein bei geplanter Amazon-Ansiedlung in Trossingen“. Die nichtöffentliche Verhandlung des Themas sei, das wissen SaSe-Leser nun ja schon, „nicht zu beanstanden“. Der Verstoß hinsichtlich der nicht zeitgerechten und mithin nicht GemO-konformen Wiederherstellung der Öffentlichkeit biete keinen Anlass für ein weitergehendes rechtsaufsichtliches Tätigwerden.

Bei so viel Rekonstitution und Rechtfertigung bürgerfernen und Demokratie-anämischen Verwaltungsgebaren zeigt Rüffelinchen sofort starke Anzeichen lebensbedrohlicher Anämie!

Wir behalten unser putziges Kleinchen in dankbarer Erinnerung: „Dies ist vorliegend nicht erfolgt“. Viel mehr wird aus dem Würmchen leider nicht werden.
Bild von S. Hermann & F. Richter auf Pixabay

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Alle Transparenz-Fans, Amazon-Kritiker und diejenigen Trossinger, welche die Amazon-Ansiedlung dort ausbaden müssen,  haben jetzt exakt zwei Möglichkeiten: Wir freuen uns über die schwere Geburt von Rüffelinchen, die, noch so eine bitte Wahrheit, keinen Millimeter mehr wachsen wird, durch ihre Existenz aber immerhin der Stadt Trossingen und seinem abgehobenen (weil von €CU durchseuchten!) Gemeinderat ein leicht tadelndes „Du, du, du“ entgegenhaucht. Wir loben ihre Eltern – die BI Schura – für den Kraftakt, mindestens das zustande gebracht zu haben. Und erfreuen uns an der grundsätzlichen Zeugungsfähigkeit von Bürgerinitiativen!

Oder: Wir geben das zehrende und oft vergebliche Bemühen um Demokratie für Kommunalparlamente auf? Doch schaut sie an, unsere kleine Rüffeline, und erkennt:

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