TS85/15: Nuhr-FAZ + „Erzählmirnix“ + Orienthelfer + Buchkäufe + Miesepeter

+++ Zwei Seiten nur Dieter Nuhr in der "FAZ": „Wir leben im digitalen Mittelalter“
Der Komiker Dieter Nuhr hat in einem zweiseitigen Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nun einmal grundsätzlich zu den Vorgängen (um seine Person) der vergangenen Wochen Stellung bezogen: Bericht aus dem Shitstorm: Wir leben im digitalen Mittelalter. Das dabei zum Zuge gekommene Phänomen benennt (und reduziert) er als (auf den) Shitstorm und seine persönliche (angebliche) "soziale" Vernichtung. Die von ihm vorgenommenen Löschungen auf seinem Facebook-Account seien keine Zensur, da diese nur systematisch von  „mächtigen Kräften“ ausgeübt werden könne. Es handele sich um eine „Hexenverbrennung des 21. Jahrhunderts“, wobei dem Artikel zu entnehmen ist, dass Dieter Nuhr sich dabei als Hexer und damit als Opfer betrachtet. Die Primitivität und Aggressivität, mit der dabei Andersdenkende verfolgt würden, scheinen Nuhr denselben psychologischen Mechanismen zu folgen, die früher zu Lynchjustiz und Progromen führten. Die Anonymität des Internets bedeute einen zivilisatorischen Rückschritt. 

Der Gastbeitrag von Nuhr in der FAZ wird von diesen Medien aufgegriffen und multipliziert:  Meedia 17.07.15 + HuffingtonPost 17.07.15 + Die Welt 17.07.15 + der (österreichische) Standard 17.07.15 + General-Anzeiger Bonn 17.07.15 + stern 17.07.15 + Titanic 17.07.15 (sexistisch und nur peinlich!). Am besten: Rechtsanwalt Markus Kompa auf Telepolis am 18.07.15: Dieter Nuhr hält nicht die Fresse. Ein Genuss!


+++ #MerkelStreichelt: Vorläufiges Best-of „Erzähl mir nix“
Angela Merkel ist der brutalen Realität von Flüchtlingen begegnet – und gescheitert. Das Netz ist voll von den Meldungen rund um den Besuch der Kanzlerin in einer Rostocker Schule und das "PR-Desaster" ihrer Begegnung mit der jungen Libanesin Reem. Die brach während des Gesprächs über ihre drohende Abschiebung in Tränen aus. Ungeschickt und hölzern ging die Kanzlerin daraufhin auf das Mädchen zu, um es – expressis verbis – zu streicheln (vgl. auch Tagesspiegel). Einen Überblick über die Reaktionen im Netz liefert der Branchendienst Meedia.
Die Rostocker Szene ist eine Steilvorlage für alle Satiriker (Titanic: Merkel eröffnet Kinder-Streichelzoo; extra3) und Kolumnisten (Christopher Lesko bei Meedia; HuffPo-Blog). Aus der Fülle der Reaktionen dort sei der Blog erzählmirnix herausgegriffen. (SaSe plant schon seit längerem einen Artikel über diesen bemerkenswerten Blog, ist aber bisher nicht dazu gekommen.) Dort hat die Herausgeberin Nadja Hermann eine ganz eigene, auf der komprimierten Analyse der Dialog- und Argumentestrukturen beruhende Darstellungsform gefunden, um Widersprüchlichkeiten, Irrsinn und angelegtes Scheitern menschlicher Kommunikation in Comic-Darstellung aufzuzeigen. Wer sich auf erzählmirnix für den Newsletter einträgt, erhält alle paar Tage die hochinteressanten Kurzanalysen, sehr häufig mit aktuellem Bezug. Die Comics selbst sind stereotyp und haben lediglich Trägerfunktion für die in prägnanter Dialogform dargestellte Analyse.

Auch zum Aufreger der Woche #MerkelStreichelt liefert Hermann, die über ihren Comic-Blog hinaus als Autorin des Buches Fettlogik bekannt ist, Hilfreiches! Sie pointiert die Brüche in den Lebens- und Wahrnehmungsrealitäten einer tief gespaltenen Welt. Dabei schafft es die Künstlerin auch noch, die Defizite ihrer Darstellungsweise selbstironisch zu thematisieren.
Google bekräftigt die SaSe-Einschätzung von erzählmirnix, denn in der Flut der Treffer zu #MerkeltStreichelt wird die Hermann-Bearbeitung auf Seite 2 geführt!



+++ Spenden und Preis für Christian Springers Syrienhilfe
Der Kabarettist Christian Springer (Webseite) gehört zu den Wenigen der Branche, die es nicht bei der verbalen Systemkritik belassen. Er sitzt dem gemeinnützigen Verein Orienthelfer e. V. vor, der humanitäre Hilfe im syrisch-libanesischen Krisengebiet organisiert. Der Münchner Oberbürgermeister und die Sparkasse hatten im Kontext einer Spendenaktion des Vereins im Frühjahr versprochen, den dabei gesammelten Betrag zu verdoppeln. Der Merkur berichtet von der Scheck-Übergabe.
Springer hat allerdings noch weiteren Grund zur Freude: Ihm wurde diese Woche der Kulturpreis der Laienbühne Schorndorf, Schauer-Preis 2015, verliehen (Quelle). Den erhielt der rege Kabarettist ausdrücklich nicht nur für sein berufliches Wirken, sondern auch für seinen Einsatz im Libanon und in Jordanien.


+++ Satire über stationäre Buchkäufe
Torsten Sträter hatte in einer der letzten Nuhr im Ersten-Sendungen ein beeindruckendes Plädoyer für den „analogen“ Kauf von Büchern gehalten.  In dieselbe Richtung geht eine Satire von Michael Pohlgeers ausgerechnet auf dem Portal Onlinehändler.de: Mann (29) gefährdet Online-Handel, weil er im Stationär-Handel kauft. Vom Aufbau her, hinsichtlich der Inszenierung des fiktiven Plots und der angewandten sprachlichen und satirischen Mittel ist dieser Output nicht weiter erwähnenswert. Die Satire findet Eingang in den SaSe-Tagessenf ausschließlich über Themenwahl und Publikationsort! Die satirische Stoßrichtung liegt aufgrund des Letztgenannten eher im Hohn auf das verzweifelte Entgegenstemmen einzelner Idealisten gegen die faktische Dominanz des Onlinehandels und die ungeheure Marktmacht von Amazon.


+++ (Nicht ganz) Neuer Satire-Blog für Schwarzmaler
Der Lokalkompass stellt den Satire-Blog Miesepeters.de (hier auf FB), der Satire-Blog für Schwarzmaler,  vor und taktet ihn in der Lebensrealität zwischen Lachen und Scheitern ein. Der von Oliver Peters aus Dinslaken betriebene Blog ging im November 2014 an den Start. Dort werden selbst bitterste Lebenslagen (Depression etc.)  thematisiert und humorvoll kommentiert. Hier findet der Suchende 15 Tipps, wie du ein Misanthrop wirst, Hinweise darauf, wie man sich auch im sonnendurchglühten Sommer eine Depression anhexen kann oder Erläuterungen zu der wichtigen Frage, Warum Männer keine Sandalen tragen sollten.

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