TS94/19: Energiepark Hahnennest: In Ostrach werde für Fluchtursachen gemolken

In der Schwäbischen Zeitung (SZ) ist am 19. September 2019 ein bemerkenswerter Leserbrief zum Thema 1.000-Kühe-Stall in Ostrach (Landkreis Sigmaringen), Energiepark Hahnennest (EPH), erschienen. Die Umstände dieser Veröffentlichung (Kürzungen des Originals sowie die gewählte Ausgabe) sind berichtenswert. SaSe berichtet.

Bevor wir zu den unterhaltsamen Details der Leserbrief-Veröffentlichung in der SZ kommen, hier zwei weitere Kurzmeldungen: Über den vom BUND Landesverband Baden-Württemberg beim Verwaltungsgericht Sigmaringen am 19. Juni 2019 gestellte Antrag auf einstweilige Verfügung gegen den Bau des Megastalls ist (immer) noch nicht entschieden. Über die Gründe für diese Verzögerung lässt sich nur spekulieren. Aber wie im Fall Ummendorf und Biberach zu lernen war, kauert die Mensch gewordene Bockigkeit gelegentlich auch unter den wehenden Roben von Verfügungsbeklagten, die mit den vom Gericht angeforderten Unterlagen nicht beikommen. In besonderen Härtefällen muss dann sogar der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg einschreiten, um einer Gemeinde Ummendorf klarzumachen, dass dem Gericht tatsächlich die geforderten Verwaltungsakten vorzulegen sind. Schlimm mit dem Rechtsstaat!

Auch wenn ich als Satirikerin für Hoffnung nicht zuständig bin, schöpfe ich diese aus der Tatsache der zeitlichen Dauer des Verfahrens. In Ummendorf hat es dann ja auch noch geklappt.

Zweiter Hinweis: Das ohnehin schon wuchernde Firmengeflecht rund um den EPH wurde am 1. April 2019 um ein weiteres Unternehmen erweitert: Milchpark Besitzgesellschaft mbH (HRB 738198). Gegenstand der Gesellschaft ist: „Das Mieten und Kaufen von Grundstücken im „Sonderbaugebiet Milchpark Hahnennest“, das Errichten von Gebäuden und Stallungen sowie die Vermietung der Gebäude und Stallungen an die Betreibergesellschaft“ (Quelle).

Man sieht es gleich: das klassische Geschäft von sogenannten Landwirten: „das Mieten und Kaufen von Grundstücken“ …

Gegebenenfalls kommen wir ich später auf dieses Schmankerl zurück …

Jetzt soll es erst einmal um den Leserbrief an die SZ des Ravensburger Internisten Dr. Frank Matschinski gehen. Diese globale Zusammenhänge übersichtlich darstellende Lesermeinung wurde zwar am 19. September 2019 veröffentlicht; allerdings wohl nicht in der Ausgabe Ravensburg. Außerdem wurde der Leserbrief um eine aussagekräftige Passage gekürzt, welche die SZ in ihrem Berichtsverhalten betreffs des 1.000-Kühe-Stalls kritisiert.

Mit freundlicher Erlaubnis des Verfassers Dr. Matschinski veröffentlicht SaSe das Original des Leserbriefs so, wie es der SZ-Redaktion zugegangen ist (abzüglich weniger orthografischen Korrekturen). Die von der SZ gestrichenen Passagen sind dabei blau kenntlich gemacht:

Das große (Klima-)Fressen der Agrarindustrie
Erfreulicherweise berichtet die Schwäbische Zeitung regelmäßig über unsere Umweltveränderungen wie Artensterben, Klimawandel und dessen weitreichende Folgen. Auch über die ekelhaften Vorgänge in einigen Massentierställen im Allgäu wurde ausführlich berichtet (dankenswerterweise auch über positive Beispiele bäuerlicher Tierhaltung). Umso  bedauerlicher ist es, dass das anachronistische Projekt des 1000-Kühe-Stalls in Ostrach Hahnennest in diesem Zusammenhang keine Erwähnung findet. Dort planen ein paar schlaue Bauern, wahrscheinlich nach intensiver Beratung durch Bankenkonsortium, Bauernverband und Agrarindustrie, ihre überdimensionierte Biogasanlage mit jeder Menge Gülle aus einem neuen Megastall zu füttern. Nach neoliberalem Neusprech: Win-Win-Win-Situation. Die 1000 Kühe produzieren ca. 30 000 Liter Milch pro Tag – ein gefundenes Fressen für Lactalis, drittgrößter Milchindustriekonzern der Welt und inzwischen Konzernmutter von Omira Ravensburg. Lactalis exportiert subventioniertes Milchpulver nach Afrika und Asien mit entprechenden Nebenwirkungen für die lokalen Agrarmärkte dort (siehe „System Milch“, 3 Sat). 1000 Kühe, gemästet mit genmanipuliertem Soja aus den USA oder dem brasilianischen Amazonasgebiet, produzieren jedes Jahr 1000 Kälber, nach 5-6 Jahren Milchkuhdasein warten 1000 Milchkühe und ca. 500 männliche Kälber pro Jahr auf den Metzger – ein gefundenes Fressen für die Fleischindustrie – für Nebenwirkungen (Antibiotikaresistenzen…) fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker. 1000 Kühe produzieren jeden Tag ca. 80 m3 Gülle. Ein gefundenes Fressen für die hofeigene Agrargasanlage, die dann leider  die Gülle der Nachbarhöfe nicht mehr aufnehmen kann und die nitratbelasteten Gärreste auf die Felder als Dünger ausbringt – in ein bereits nitratbelastetes Trinkwasserreservoir. Aber Gas und Strom wird produziert, zwar nicht CO2-neutral, aber zur Freude der lokalen Energieversorger, die „Bio“-Gas und- Strom in ihr Portefolio aufnehmen können. Die Nebenwirkungen (Nitratbelastung des Grundwassers, Monokultur, Dünge- und Pflanzenschutzmitteleinsatz und dies bei vielfach höherem Flächenbedarf wie im Braunkohletagebau) werden mit der „durchwachsenen Silphie“ einem „greenwashing“ unterzogen und der Allgemeinheit über steigende Trinkwasserpreise aufgebürdet. Die für das Biogas nachwachsenden Rohstoffe und die Nitratverklappung benötigten Ackerflächen werden dank spendabler Banken zu hohen Preisen angepachtet. Die nachbarlichen Kleinbauern werden somit zu einem gefundenen Fressen der Agrarindustrie, da sie sich die Pacht und Grundstückpreise nicht mehr leisten können. Gewinne machen die Investoren, die Banken und die Agrarindustrie – und die Bauern schuften ums Überleben, während die Welt an ihrer Billigproduktion erstickt und die heimischen Böden auslaugen. Eigentlich ein gefundenes Fressen für investigativen Journalismus. Muß erst Wolfgang Schorlau über den „Energiepark Hahnennest“  und seinen 1000-Kühe-stall einen Krimi schreiben?

Dr. med. Frank Matschinski
Ravensburg

Zusammen mit dem diplomatisch klugen Lob der SZ verschwindet mit der redaktionellen Bearbeitung des Leserbriefs vor allem die Kritik daran, dass SZ-Leser in den Nachbarregionen kaum etwas von dem „anachronistischen Projekt“ in Ostrach, also dem Nachbar-Landkreis, erfahren. Nach Angaben von Dr. Matschinski sei der Leserbrief wohl auch nicht in der Ravensburger Ausgabe erschienen. Auch eine Strategie.

Ansonsten möge sich jeder Leser anhand der farblichen Kenntlichmachung der gestrichenen Passagen selbst einen Eindruck davon verschaffen, ob diese – einer Redaktion selbstverständlich zustehende – Kürzung eines Leserbriefs ausschließlich Platzgründen dient?

Was die SZ für die Region Ravensburg nicht leistet, übernehmen möglicherweise die Jugendlichen von Fridays for Future (FfF) selbst. Nach Angaben von Matschinski soll auf der FfF-Demo am Freitag, den 27. September 2019, der 1.000-Kühe-Stall Thema sein.

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