In Frankreich protestierten in mehreren Städten hunderte Menschen gegen Amazon und die Logistikzentren des umstrittenen Konzerns. Allein in Fournès im Süden Frankreichs seien es 800 gewesen, berichtet der SWR. Das ist in Deutschland, wie in diesem KONTEXT-Artikel von mir thematisiert, ganz anders: Da ziehen selbst grüne Gemeinderäte in nichtöffentlichen Sitzungen am selben Strang wie die verbeamteten Apologeten ewigen Wachstums und entscheiden die Ansiedlung von Amazon-Logistikzentren an der Öffentlichkeit vorbei. So geschehen in Meßkirch und in Trossingen.
Derweil verschaffen Amazon und seine ausbeuterischen Geschäftspraktiken dem Öffentlich-Rechtlichen jede Menge Berichtsstoff. Der MDR dokumentiert in diesem Beitrag die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten des Versandriesens in Erfurt-Stotternheim. Die Fahrer sind größtenteils Subunternehmer osteuropäischer Herkunft, die unter üblen Bedingungen arbeiten müssten. Die Fahrzeuge (Sprinter) seien oft in einem nicht so guten Zustand: „abgeranzt“. Es gäbe Beschwerden über zahlreiche arbeitsrechtliche und sonstige Verstöße.
*
*
Unchristliche Arbeitsbedingungen auch in Meßkirch?
Vieles von dem MDR-Bericht können die Menschen in Meßkirch inzwischen aus eigener leidvoller Erfahrung bestätigen. So etwa die nahezu endlosen Kleintransporter-Schlangen (im MDR-Bericht ist von Hunderten Fahrzeugen die Rede), die zu bestimmten Zeiten auf das weiträumige Amazon-Gelände in dem Gewerbegebiet mit der größenwahnsinnigen Bezeichnung „Industriepark nördlicher Bodensee“ fahren. Und es nach kurzer Zeit in ebenso langen Kolonnen wieder verlassen, um auf den Straßen Jeff Bezos Reichstum zu mehren, für deren Bau und Unterhalt der Konzern keine Steuern entrichtet.
Wer zu bestimmten Zeiten am Vormittag die größte Tankstelle in Meßkirch anfährt, wird dort Mühe haben, überhaupt zu einer freien Tanksäule vorzudringen. Dafür bietet sich ihm aber ein faszinierender Anblick: Ein Amazon-Springer steht hinter dem anderen und wartet auf eine freie Tanksäule. Dutzende. Die Fahrzeuge stauten sich bei meinem Tankversuch letzte Woche zurück bis zur Bundesstraße.
Auf dem Gelände der Tankstelle stehen überall und in fröhlicher Ignoranz aller Corona-Auflagen kleine Gruppen von Amazon-Fahrern zusammen, die sich in einer Sprache unterhalten, die ich nicht verstehe. Vielleicht reden sie ja über ihre schlimmen Arbeitsbedingungen, die der Zweckverband Gewerbegebiet Industriepark nördlicher Bodensee in nichtöffentlicher Sitzung nach Fürsprache des Meßkircher Bürgermeisters Arne Zwick für sie auch im „Geniewinkel“ ermöglicht hat. Die übliche Karotte, welche man den Räten dazu vor die Nase gehalten hatte: Arbeitsplätze. Ein richtig guter Witz! Im SWR-Bericht wird zu diesem überall von Amazon eingesetzten Argument eine Aktivistin zitiert mit der Bewertung, der Online-Händler vernichte mehr Arbeitsplätze als dass er sie schaffe. Ist eh klar. Was Amazon mit Subunternehmern unter prekären Arbeitsverhältnissen transportiert, fällt bei DHL & Co. weg. Das wird sich mit der Zeit auch auf die Beschäftigten dort auswirken.
*
Übrigens ist man in Meßkirch sehr christlich … und macht gern ein Riesengewese um Kirche und Nächstenliebe. Vielleicht mögen die Meßkircher Kirchenvertreter die Tankstelle mal segnen? Könnte vielleicht nicht schaden, und sei es auch nur, um den potentiell von dort ausgehenden Beitrag zur Verbreitung von Corona im Weihwasser zu ersäufen?
Dabei hat Meßkirch noch Glück: Dort liegt das Logistikzentrum weitab jeder Wohnbebauung mit direktem Anschluss an die Bundesstraßen B 311 und B 313. Die Situation in Trossingen ist eine andere.
*
Die Situation in Tuttlingen
Welche Auswirkungen so ein Logistikzentrum noch für Kommunen in 30 Kilometer Entfernung haben kann, hatte der Tuttlinger Oberbürgermeister Michael Beck in einem Appell-Brief an die Trossinger Fraktionsvorsitzenden im Dezember 2020 beschrieben (hier). Darin war von ganzen Straßenzügen in Tuttlingen die Rede, die mit den Amazon-Sprintern vollgeparkt seien. Der Brief enthielt auch einige kritische Andeutungen zur Wohnsituation der Amazon-Mitarbeiter, ohne diese zu konkretisieren.
Die Angaben im Beck-Brief waren dieser Redaktion Anlass für eine Vor-Ort-Studie mit Fotoaufnahmen, die dann auch diesen Beitrag bebildern. Die Fotos wurden Mitte Januar gemacht. Das erklärt den vielen Schnee.
Die Aufnahmen bestätigen im Großen und Ganzen die Angaben im MDR-Bericht. Dort, wo in Tuttlingen am Wochenende die Amazon-Sprinter kreuz und quer auf den Straßen stehen, dort finden sich auch private Pkws mit osteuropäischen Länderkennzeichen. Wer die Klingelschilder an den Wohnhäusern in der Nähe studiert, findet dann auch schon mal einen Klingelknopf mit 15 zugeordneten Namen.
*
*
Ein Prosit auf den Datenschutz
Mit Datenschutz haben die Amazon-Fahrer nicht viel Mühe. In einem Sprinter lagen Postsendungen mit dem Adressfeld nach oben so gut sichtbar in der Fahrerkabine, dass man die Adressen ablesen konnte. Wir haben diese für die Veröffentlichung unkenntlich gemacht.
*
*
Sowohl in meinem KONTEXT-Artikel wie hier hatte ich ein Foto verwendet, auf dem drei Großbusse vor dem Amazon-Gebäude Meßkirch parkten. Die standen bisher bei jedem Besuch von mir dort, wenn auch in variierender Anzahl (bis zu 5 plus Kleinbusse). Zur Verwendung dieser Busse gibt es wenig überzeugende und durch nichts belegte Angaben von Bürgermeister Zwick.
Wenige Tage nach der Veröffentlichung waren diese Busse plötzlich verschwunden …?
Nein, nicht wirklich! Nur standen sie plötzlich hinter dem Amazon-Gebäude, wo sie nicht gleich für jedermann sichtbar sind. Und dort stehen sie seitdem immer; egal, wann man durch den Industriepark mit dem geschwollenen Namen fährt. Sie sind nur einfach nicht mehr so prominent sichtbar. Wie das gesamte Konzept Amazon.
*