TS05/21: KONTEXT-Artikel über Amazon Trossingen und Amazon Meßkirch und ein gepfefferter Brief aus Tuttlingen

Auch wenn es publizistisch fast unmöglich ist, gegen den neuesten Genie-Wumms des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder anzustinken, Gefährder seien dann keine mehr, wenn sie schusssichere Westen tragen, versuche ich es doch einmal: Bei KONTEXT ist ein spannender Artikel zum Thema Amazon erschienen mit dem stellungsassioziativen Titel: Hintenrum. Die toxische Versandtorte wurde auf diesem Blog schon hier und hier angeschnitten.

Trotzdem bleiben wir bei den „Genies“: Die haben ja bekanntlich ihr muffeliges Aufenthaltseckchen in Meßkirch, weshalb sich diese komatöse Kleinststadt Fremdscham induzierend als „Geniewinkel“ zu bezeichnen anmaßt.

Alles, was man über Amazon in Deutschland wissen möchte, ist dort seit kurzem begehbar. In einem Amazon-Verteilzentrum auf unfassbaren 8,3 Hektar Fläche, die nahezu lückenlos zubetoniert wurden. Auch die Adresse darf man sich auf der Zunge zergehen lassen: (interkommunales) Gewerbegebiet „Industriepark Nördlicher Bodensee“. Was für eine Hybris! Meßkirch hat mit Bodensee ungefähr so viel zu tun wie Corona-Management mit Diktatur.
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Wo der Größenwahn eben so hinfällt …“nördlicher Bodensee“! Geht es eigentlich noch? Aber daran sieht man eben auch, dass sich die Meßkircher gern Schuhe anziehen, die ihnen einige Nummern zu groß sind.
Foto: Thomas W. Ascher

Zurück zu den anderen „Genies“: Die mir flüchtig bekannte KONTEXT-Autorin hat herausgefunden, dass der Gemeinderats- bzw. Zwecksverbandsbeschluss in Meßkirch, den Dreckskonzern eben dort anzusiedeln, auf ebenso klammheimliche Art – sie nennt es elitär und weite Lesergruppen verprellend „klandestin“ –  zustande kam wie in Trossingen: komplett an der Öffentlichkeit vorbei. Und der baumlange und wohl nicht nur deshalb so unerträglich abgehobene Meßkircher Bürgermeister Arne Zwick trötet dazu in Basta-Manier heraus: „Gewerbeansiedlungen sind kein öffentliches Thema.“ Weißte Bescheid!
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Egal, zu welcher Tageszeit man an dem betäubend riesigen Amazon-Gelände in Meßkirch vorbeifährt: Es stehen immer eine Handvoll Großbusse eines Busunternehmens aus Freudenstadt davor. Zu deren Transportziele gibt es unterschiedliche Angaben. Die einen behaupten, es würden Amazon-Mitarbeiter aus den Großräumen Stuttgart und Villingen-Schwenningen angekarrt. Zwick behauptet, die Busse führen nur in der unmittelbaren Umgebung bis etwa zum Sigmaringer Bahnhof herum, um Mitarbeiter abzuholen/wegzubringen. Das muss die extreme und weltweit bekannte Amazon-Fürsorge für die eigenen Mitarbeiter sein?
Foto: Thomas W. Ascher

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Trotz seiner unbegleiteten physischen Größe jedoch vermochte Zwick dieses undemokratische Dogma nicht bis ins Nachbarland Bayern zu verkünden, wo derzeit gerade eine Amazon-Ansiedlung breit und öffentlich diskutiert wird – vor jeder Beschlussfassung (hier)!

[Aktualisierung vom 13.01.2021:
Der obige Link auf eine Pressemitteilung der Stadt Memmingen lief schon am 12.01.2021 ins Leere. Es erscheint nur noch ein Hinweis, der Artikel sei nicht mehr verfügbar. Mehr als eigenartig, wenn eine Stadt eine schon vor vielen Wochen veröffentlichte Pressemitteilung einfach so verschwinden lässt. Das ist Thema in TS06/21.]

Mein SaSe-Cheflektor hatte an dem  vorliegenden KONTEXT-Artikel kritisiert, er würde nicht gründlich genug auf das Öffentlichkeitsgebot der Gemeindeordnungen – auch der in Baden-Württemberg, Herr Zwick und Herr Maier! – eingehen. Für solche Fälle ist es immer angenehm, noch einen eigenen Blog zu haben, wo man die Leser ergänzend zutexten kann. Deshalb verweise ich hier mit Wonne auf einen sehr informativen Artikel des Bürgervereins Burgkunstadt zum Grundsatz der Öffentlichkeit von Gemeinderatssitzungen. Und der beginnt mit dem Zitat eines diesbezüglich bedeutenden Urteils des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2015:

„Der Grundsatz der Öffentlichkeit der Gemeinderatssitzung gehört zu den wesentlichen Verfahrensbestimmungen des Gemeinderechts. Er hat die Funktion, dem Gemeindebürger Einblick in die Tätigkeit der Vertretungskörperschaften und ihrer einzelnen Mitglieder zu ermöglichen und dadurch eine auf eigener Kenntnis und Beurteilung beruhende Grundlage für eine sachgerechte Kritik sowie eine Willensbildung zu schaffen, den Gemeinderat der allgemeinen Kontrolle der Öffentlichkeit zu unterziehen und dazu beizutragen, der unzulässigen Einwirkung persönlicher Beziehungen, Einflüsse und Interessen auf die Beschlussfassung des Gemeinderats vorzubeugen. Der Verstoß gegen das Gebot der Öffentlichkeit der Gemeinderatssitzung begründet regelmäßig eine schwerwiegende Verfahrensrechtsverletzung und führt daher zur Rechtswidrigkeit eines Gemeinderatsbeschlusses.“ (BGH, Urteil vom 23.04.2015 – III ZR 195/14)
(Bürgerverein Burgkunstadt „Öffentlichkeit (Gemeinderatssitzungen)“)

Wenn wir bei Zwick eine Lernkurve hindängeln wollen, wird es das Beste sein, diesen Vers in das Fell einer toten Katzen zu tätowieren und es dem Meßkircher Bürgermeister umzuhängen. Im „Geniewinkel“ pflegen sie nämlich diesbezüglich immer noch Bräuche (Bleistift), die geeignet sind, so manchem indogenen Stamm im Regenwald die Schamesröte dorthin zu treiben, wo die Sonne nie scheint; und dem Rest der Menschheit Zweifel am Konzept des zivilisatorischen Fortschritts.
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Wie Sie sehen, beschäftigen uns diese ominösen Busse nachhaltig. Dann sind es mal wieder nur drei; ich hatte schon 5 gezählt. Aber: Wo fahren sie denn nun hin?
Foto: Thomas W. Ascher

 

Extrascharf: Brief des Tuttlinger Oberbürgermeisters Michael Beck
Die sowohl von Arne Zwick wie von dem früheren Trossinger Bürgermeister und inzwischen auf einen Stuttgarter Beigeordneten-Sessel verzogenen Dr. Clemens Maier vorgebrachten Argumente für die angebliche Notwendigkeit der nichtöffentlichen Beschlussfassung in Sachen Amazon werden nicht nur vom genannten Urteil des Bundesgerichtshofs sowie weiterer höchstrichterlicher Rechtsprechung widerlegt. Massive Kritik kommt von der eigenen Zunft, auch wenn dessen Vertreter sich dazu nicht erst das Fell einer toten Katzen überwerfen musste. Der Tuttlinger Oberbürgermeister Michael Beck schrieb in der schönen Adventszeit ein knuffiges Brieflein, das sich explizit und eigentlich „nur“ an die Trossinger Fraktionsvorsitzenden richten sollte. Der Umstand, dass dieser Brief – allen toten Katzen und sonstigen Gottheiten sei Dank – den Weg an die Öffentlichkeit gefunden hat, lag wohl abseits des oberbürgermeisterlichen Planungsweges, wenn ich den Worten seines Pressesprechers an diese Redaktion Glauben schenke.
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Egal, aus welcher Himmelsrichtung man das flächenintensive Elend betrachtet: Man kann der betonierten Ödnis nicht entfliehen. Es ist zum Kotzen hässlich!
Foto: Thomas W. Ascher

 

Die von mir hier neulich schon gelobte SchwäZ-Redakteurin Larissa Schütz hat diesen Brief ausführlich in ihrem Artikel „Massive Kritik an Plänen für ein Amazon-Verteilzentrum“ behandelt. Keks!

Noch deutlicher wird der Kollege Markus Schmitz, Südwestpresse i. e. Neckarquelle: „Amazon-Ansiedlung sorgt für wütenden Brief aus Tuttlingen“. Er gibt nicht nur den größten Teil des pikanten Dokumentes wieder; er kommentiert den Vorgang auch sehr trefflich.

Nebeninfo für uns über die zwischenmenschlichen Usancen der Bürgermeister im Landkreis Tuttlingen: Beck und der flüchtige Trossinger BüM seien keine Freunde gewesen. So so. Das macht so ein Krawumm-Schreiben natürlich einfacher … Zumal der Rathaussessel in Trossingen im Moment noch interimsweise unbesetzt ist, weil die neu gewählte Bürgermeisterin Susanne Irion ihren Job erst im Februar 2021 antritt.

Wie auch immer: Becks Brandbrief zeigt die weitreichenden Folgen der Meßkircher Amazon-Ansiedlung, die jetzt auch von den Tuttlingern ausgebadet werden müssen.

Ganz privilegiert bekommen SaSe-Leser hier den Einblick ins Original. Achtung: Das Datum im Brief ist falsch! Nach Auskunft des Pressesprechers der Stadt Tuttlingen vergebe das „EDV-System“ das Datum automatisch bei Versand. Der Ursprungsversand an ALLE Trossinger Fraktionsvorsitzende war der 16. Dezember 2020.

Ach so, ist klar, oder? Das Thema Amazon Meßkirch/Trossingen ist weder für diesen Blog noch für meine anderen Publikationsorte (*prust*) abgeschlossen … Dazu gibt es einfach zu viel her!
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Wie Sie sehen, haben es uns die Busse echt angetan! Hier noch einmal ganz nah, ganz groß, gut lesbar und anonymisiert. Schade, dass diese Großraumbusse, die da stundenlang ungenutzt vor dem Amazon-Gruselkasten stehen, nicht für den obermiesen ÖPNV der Region eingesetzt werden. Im nur etwa fünf Kilometer entfernten Sauldorfer Ortsteil Reute etwa haben wir außer dem Schulbus überhaupt keine Busanbindung! Und hier stehen die Dinger massenweise nutzlos in der Botanik!
Foto: Thomas W. Ascher

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