TS170/20: Beigeordneten-Wahl Tettnang: „Grenzenloses Chaos jenseits von Demokratie und Anstand“

Es begab sich aber zu jener Zeit, dass es der Stadt Tettnang in die Birne fuhr, sie müsse eine/n Beigeordnete/n haben. Dabei hätte der Blick nach Friedrichshafen und das Tamtam dort bei der Wahl des Beigeordneten 2018 (hier und hier) die Tettnanger dazu belehren können, dass so eine Beigeordnetenwahl ziemlich anstrengend werden kann – wenn man sie an den bestehenden Vorschriften vorbei gestalten möchte …

Ohne all diese Rücksichten, Überlegungen und Klugheiten war das Auswahlverfahren zur Beigeordnetenwahl in Tettnang dann der fröhliche Kopfsprung in ein  „grenzenloses Chaos jenseits von Demokratie und Anstand“. Dieses vernichtende Etikett bezeichne, folgt man dem höchst umstrittenen Freie-Wähler-Gemeinderat Konrad Renz, aber nicht nur das Verfahren zur Beigeordneten-Wahl, sondern die kommunalpolitische Gesamtsituation in Tettnang.

Erschwerend kommt für diesen Blog hinzu: Das schreibt und sagt ausgerechnet ein Konrad Renz. Der ist so umstritten (weil rechtsoffen), dass sich schon seine eigene Fraktion von ihm distanziert hat (Quelle; Infokasten).

Aber wir haben ja gelernt: Auch wenn der Bote Macken hat, wirkt sich das nicht unmittelbar auf die Faktizität der Botschaft aus.

Für den Boten spricht auch die Tatsache, dass das kritisierte Gemauschel bei dem Auswahlverfahren VOR der Beigeordneten-“Wahl“ so offensichtlich war, dass die sonst durchgehend komatöse Kommunalaufsicht eingeschritten sei – will man dem Boten glauben.

In der SchwäZ jedoch wird zu diesem Punkt auf einmal die Verwaltung selbst zum Handlungsträger:

Nachdem die Verwaltung Rücksprache mit dem Landratsamt und dem Regierungspräsidium gehalten hat, wurde das Auswahlverfahren abgeändert.
(Schwäbische Zeitung 03.12.20: „Beigeordneten-Wahl: Gemeinderat soll jetzt doch alleine entscheiden“)

Man beachte das „nachdem“ …

Und Sie glauben jetzt bitte hoffentlich nicht, dass ich mich durch Presseanfragen an das Landratsamt Bodenseekreis auf den langen und fruchtlosen Weg machen werde herauszufinden, was Aktion und was Reaktion war und wie sich das auf die beiden Akteure (Kommune vs. Kommunalaufsicht) verteilt.

Mein Gedanke dazu wäre eher der: Wenn die Stadt Tettnang das Auswahlverfahren hätte regelgerecht gestalten wollen, hätte sie die Abläufe VOR der ersten Aussortierung einzelner Bewerber durch nicht legitimierte und nichtöffentliche Zirkel abklären können und müssen?

Ich unterstelle aber nicht, dass die Stadt Tettnang solches je vorgehabt hätte …
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Symbolbild des Auswahlverfahrens zur Beigeordneten-Wahl in Tettnang, wobei auch schon nicht mehr klar ist, wer eigentlich an welchen Fäden zu welchen Zwecken hängt. Klar ist nur: wenig Regelkonformität, keine Transparenz und insgesamt ein verstörendes Chaos.
Bild von grunzibaer auf Pixabay

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Kurz mal schiere Sachinformation: What the truck sind „Beigeordnete“?
Fangen wir von vorne an: Was ist eigentlich so ein Beigeordneter? Wer braucht ihn, wer nicht?

Beigeordnete sind hauptamtlich Beamtinnen oder Beamte einer Gemeinde, die die Bürgermeisterin oder den Bürgermeister ständig in ihrem Geschäftskreis vertreten. Sie werden vom Gemeinderat für acht Jahre gewählt.
Ob Beigeordnete bestellt werden, hängt von der Größe der Gemeinde ab. Beispielsweise müssen in Stadtkreisen immer welche bestellt werden. In Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohnern können sie bestellt werden. Die Anzahl der Beigeordneten wird durch die Hauptsatzung der Gemeinde festgelegt. Die Bürgermeisterin oder der Bürgermeister kann ihnen Weisungen erteilen.

(Serviceportal Baden-Württemberg: „Beigeordnete und Stellvertreter“; Hervorhebg. K. B.)

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Tettnanger Gremien, welche die
GemO gar nicht kennt …

Hier können wir für unseren aktuellen Fall schon fruchtbar einhaken: Beigeordnete werden also vom Gemeinderat gewählt. Merken!

Wie der weitere Verlauf dieser Neuauflage eines Filzkrimis in Tettnang zeigt, ist von einer ominösen Fraktionsvorsitzenden-Runde bei dieser Wahl in den offiziellen Vorgaben keine Rede. In Tettnang aber soll es genau ein solches konspiratives, nicht öffentlich tagendes und weder in Hauptsatzung noch in der Gemeindeordnung Baden-Württemberg vorkommendes Gremium gewesen sein, welches die ursprünglich sechs Bewerbungen schon einmal „vorsortiert“ habe. Das berichtet dann auch die SchwäZ in ihrem Artikel vom 2. Dezember 2020 und bezieht sich dabei auf besagten Konrad Renz.

Allerdings wird die Existenz dieses mysteriösen Zirkels von der Stadtsprecherin Judith Maier der SchwäZ gegenüber bestätigt. Typisch, charmant und widersprüchlich die dabei von Maier vorgetragene Einschränkung:

Die Funktion dieser Runde sei ein Informationsaustausch zwischen der Sitzungsleitung und den Fraktionssprechern. Sie habe „keinerlei Entscheidungscharakter“, so Maier weiter. Ziel sei es, dass die Fraktionsvorsitzenden die Informationen dann in ihren eigenen regelmäßigen Fraktionsrunden weitergeben.
(Schwäbische Zeitung 02.12.2020: „Wahl des Beigeordneten: Gemeinderat soll jetzt doch alleine entscheiden“; Hervorhebg. K. B.)

Um die Sinnhaftigkeit dieser Aussage der Stadtsprecherin anschaulich zu machen, habe ich für meine Leser einmal dieses YouTube-Video herausgesucht. Es entstammt der Rubrik „Dunkel war’s, der Mond schien helle …“
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Trotzdem scheint es unbestritten, dass just diese Fraktionsvorsitzenden-Runde schon einmal eine Vorauswahl der Bewerber getroffen habe. Wie es nur natürlich ist für Gremien mit „keinerlei Entscheidungscharakter“. Natürlich lässt die SchwäZ ihre Leser mit diesem Widerspruch – Stadt sagt: keine Entscheidungen – Fakt ist: zwei Bewerber wurden von diesem „Gremium“ zunächst aussortiert – einfach im Schneeregen stehen. So kennen wir sie.

Bei Weitem aufschlussreicher ist das, was der umstrittene Gemeinderat Konrad Renz dazu zu schreiben hat. Er tat dies in einer schriftlichen Stellungnahme, die er auf Anfrage freundlicherweise auch dieser Redaktion hat zukommen lassen. Guckst du hier. Darin zum Thema (der Link auf die SchwäZ-Berichterstattung wurden von mir hinzugefügt und im Datum korrigiert):

Die Ausschreibung ergab dann 6 Bewerbungen. Die Fraktionsvorsitzenden-Runde schnappte sich dann die Bewerbungen und sortierte gleich zwei davon aus und verkündete, dass noch 4 im Rennen seien (vgl. Bericht in der Schwäbischen Zeitung vom 21.10.2020 [sic – müsste meines Erachtens der Artikel vom 21.11.2020 gewesen sein!]).
Dies wurde nun aber offensichtlich der Rechtsaufsicht im Landratsamt und Regierungspräsidium zu viel an „Schwarz(-em) Loch“, Geklüngel und Rechtswidrigkeit. Für eine Entscheidungsbefugnis dieser Fraktionsvorsitzenden-Runde gäbe es keine Rechtsgrundlage.
Der Bürgermeister [Bruno Walter – Ergänzung K. B.] reagierte sofort und rief nun mit problematischen Frist- und Ladungsformalitäten eine öffentliche Sondersitzung des Gemeinderates auf den 03.12.2020 ein. Festzustellen bleibt, dass er sich nicht einmal mehr die Zeit nehmen wollte, diese (peinliche) Sitzung mit genügender Vorlaufzeit im Amtsblatt anzukündigen. Man ist fast versucht, dies als Kalkül einzuordnen.
Die zentrale Frage ist aber, wie man so mit Bewerbern und der Bewerberin umgehen kann, die sich ernsthaft bemühen und sich mit Herzblut mit ihren persönlichen und beruflichen Werdegängen exponieren. Du hast keine Chance, aber nutze sie.
(Stellungnahme des Freie-Wähler-Gemeinderats Konrad Renz vom 03.12.2020 an Bürgermeister Bruno Walter, Bürgermeister-Stellvertreterin Sylvia Zwisler und Gemeinderatskollegen; Hervorhebg. K. B.)

Die von Renz monierten weiteren Regelverstöße (fehlende Ankündigung im Amtsblatt) sind für jedermann überprüfbar. Das spricht für ihn. Überhaupt spricht der gesamte von Dritten (in dem Fall der SchwäZ) bestätigte Verlauf dieses unsäglichen Dilettantentangos im Auswahlverfahren für die Beigeordneten-Wahl für die Renz-Kritik, auch wenn dieser Gemeinderat zu Recht hoch umstritten ist.
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Die peinliche Botschaft der Bürgermeister-Kritik an Renz
Inzwischen ist das Chaoten-Verfahren einen Schritt weiter: Die Sondersitzung des Gemeinderats hat vergangene Woche Donnerstag stattgefunden. Zu diesem Zeitpunkt waren dann noch fünf Bewerber im Verfahren. Und bitte fragen Sie mich nicht danach, wann warum welcher Bewerber ausgeschieden ist. Ich habe vielleicht nicht mehr so lange zu leben und bin nicht sicher, ob meine Zeit dafür ausreicht, das gerichtsfest nachzurecherchieren.

Entschieden wurde bei dieser Sondersitzung (remember: ohne Vorankündigung im Amtsblatt!) lediglich, welche Bewerber sich bei der Gemeinderatssitzung am 16. Dezember auch vorstellen dürfen. Kurioserweise können dennoch Bewerber gewählt werden, die sich dort nicht vorstellen dürfen. Mir platzt gleich der Kopf!

Als wäre das alles nicht schon kompliziert genug, ist FW-Gemeinderat Konrad Renz, der das Auswahlverfahren schon zu einem frühen Zeitpunkt laut vernehmlich kritisiert hatte, zu dieser Gemeinderatssitzung nicht erschienen. Bekennend.

Das wiederum gab Bürgermeister Bruno Walter Gelegenheit, von diesem ganzen Auswahlverfahren-Heckmeck wohltuend abzulenken mit Kritik am Fernbleiben des obstinaten Gemeinderats:

Zur Sitzung am Mittwoch erschien er [i. e. FW-Gemeinderat Konrad Renz – Anmerkg. K. B.] jedoch nicht. Mit der Begründung, dass der städtische Haushalt „wegen derartiger Sitzungen nicht noch mit unnötig ausgegebenem Sitzungsgeld belastet werden“ solle [sic] hatte er sich zuvor entschuldigen lassen. Bürgermeister Walter fand dazu eingangs zur Sitzung klare Worte. Politische Meinungsverschiedenheiten seien ausdrücklich kein Grund, der das Fernbleiben von einer Sitzung entschuldige. Es sei die Pflicht eines Gemeinderates, an den Sitzungen teilzunehmen, betonte Walter.
(Schwäbische Zeitung 05.12.2020: „Beigeordneter: Gemeinderat kürt seine drei Favoriten“; Hervorhebg. K. B.)

Tja, die Pflichten in Tettnang … Welcher Verwaltungschef seinen Räten derart fehlerhaft vortanzt, sollte sich vielleicht … Nicht?

Der nächste Akt dieses Dramas spielt sich am 16. Dezember 2020 ab. Wir müssen mit allem rechnen!

Das muss auch nicht unbedingt das Ende sein. Im Fall Friedrichshafen etwa kam ein Bewerber dann noch auf die ultraschräge Idee, beim Verwaltungsgericht Sigmaringen (Az.: 6 K 6330/18) einen Antrag auf einstweilige Verfügung zu stellen. „Ultraschräg“ deshalb, weil er ZUVOR (!) seine Bewerbung offiziell zurückgezogen hatte.  Der VG-Sig-Beschluss dazu, der verzweifelt versucht, den Irrsinn noch halbwegs verständlich nachzuzeichnen,  hier.
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Der Fall der Beigeordneten-Wahl in Friedrichshafen 2018 hatte gezeigt: Verärgerte Beigeordneten-Bewerber sind nicht zu unterschätzen und können auf dem Klageweg vor dem Verwaltungsgericht Steuerzahler und Verwaltung noch so manches Ungemach bereiten.
Bild von Hans Braxmeier auf Pixabay

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Aussortierten Beigeordneten-Bewerbern in Tettnang zum Troste sei die Erfolgsgeschichte des vormals Beigeordneten-Bewerbers in Friedrichshafen Ole Kruse (heute: Ole Münder) dargereicht: Man kann dann später andernorts noch Bürgermeister werden! Und zwar mit Hammer-Furore! Wenn der abzulösende Amtsinhaber selten …. ist.

Fragt sich an dieser Stelle nur: Wo nochmal kommt die Politikverdrossenheit der Bürger und ihr zunehmend abschmelzendes Vertrauen in die Institutionen her?

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