TS177/20: Der Klassiker in Kolbingen: Fünf Fußballfelder Harmonie-Soße statt Problemlösung

Über Weihnachten und zwischen den Jahren passiert selbst in Kolbingen (Landkreis Tuttlingen) nicht viel. Das gibt uns Gelegenheit, ein Licht auf die Strategien zu werfen, mit denen die Lokalmächtigen dort versuchen, das Problem zwischen Verwaltung und Gemeinderat verschwinden zu lassen.  Es ist ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass diese Zielsetzung ganz offensichtlich nichts mit Problemlösung im klassischen und damit effektiven Sinne zu tun hat.

Es ist der Klassiker: Über die als „Streit“ fehletikettierte Auseinandersetzung zwischen einzelnen Gemeinderäten und Bürgermeister Konstantin Braun, der inzwischen seinen Rückzug angekündigt hat, wird so viel Harmoniesoße gegossen, dass die unterliegenden strukturellen Probleme kaum mehr zu erkennen, zu riechen oder auch nur zu ertasten sind.

Diese Strategie ist deshalb katastrophal, weil sich die Probleme in Kolbingen nicht mit einem neuen Bürgermeister lösen werden – sofern sich überhaupt ein Kandidat findet, der bereit ist, sich das kommunalpolitische Schlachtfeld in Kolbingen anzutun.
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Es ist der Klassiker: Mit Leserbriefen und in der Zeitung veröffentlichten Appellen von irrelevanten Wichtigtuern oder gern auch Verrätern der eigenen Sache wird versucht, die eigentlichen Probleme in Kolbingen zu vernebeln. Für solche Täuschungsmanöver reicht die SchwäZ immer gern ihre Hand!
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Harmoniesoße Variante 1: Leserbrief
Ein bewährtes Mittel zur Vernebelung der eigentlichen Problematik: ein kollektiver Leserbrief. Dabei wichtig: Möglichst viele Personen treten gemeinsam auf. Natürlich mit Bekenntnis. Sonst: sinnlos. Die damit verbundene Quantitätsaussage („Wir sind mehr“ – vgl. auch Bürgermeisterwahlkampf Langenargen …)  versucht, sich eine demokratische Anmutung zu geben. Denn wo Viele gegen den Einen anstinken, stranguliert die schiere „Mehrheit“ die als Elefant im Raum stehende Kritik. Dabei spielt es dann auch überhaupt keine Rolle mehr, dass diese Kritik von Mehrheiten völlig unabhängig ist (übrigens eine historische Wahrheit ….) und auch durchaus berechtigt.

Für Kolbingen geschah solches in einem Leserbrief am 16. Dezember 2020 im Gränzbote (online nicht verfügbar). Unterzeichnet ist der von den Kolbinger Gemeinderäten Sabine Froneck-Schad, Elisabeth Hipp, Johanna Straub, Christian Dieth, Torsten Eichhorn, Karl Hipp, Kurt Schad, Heinz-Jürgen Schmidt und Bruno Weiß.

Fällt auf: Es fehlt der Gemeinderat Hans Schreiber. Der jedoch ist die treibende Kraft der Kritik an Bürgermeister und Verwaltung in Kolbingen. Bisher trat er dabei gelegentlich gemeinsam mit den Gemeinderäten Christian Dieth, Kurt Schad und Bruno Weiß auf.

Verrat?

Schon die Überschrift des Leserbriefs kündet Verheerendes: „Unser Blick richtet sich nach vorn“. Autsch! Wo sich Blicke nach vorne richten, wird der Mist hinten natürlich nicht aufgearbeitet. Nach vorne gerichtete Optiken von Gemeinderäten versäumen es sträflich, die Fehler der Vergangenheit zu analysieren, aus ihnen zu lernen und es zukünftig besser zu machen.

Ergo: Selbst nach dem Rücktritt von Bürgermeister Konstantin Braun keine Problemlösungen in Kolbingen in Sicht.

„Unser Blick richtet sich nach vorn“ ist eine geläufige kommunalpolitische Plattitüde, die Tatkraft signalisieren soll, wo Feigheit, falsch verstandenes Harmonieverständnis und Submission regieren.

Immerhin legen die unterzeichneten Gemeinderäte mit ihrem Leserbrief das finale Bekenntnis ab, von Kommunalpolitik und Demokratie nichts verstanden zu haben. Guckst Du:

Die Gemeinde Kolbingen steht seit Tagen im Mittelpunkt der Berichterstattung. Dies ist nicht in unserem Sinne.
(Leserbrief Gränzbote 16.12.2020 „Unser Blick richtet sich nach vorn“)

Andere Kommunen geben sehr viel Geld dafür aus, dass ihr Ort im Mittelpunkt der Berichterstattung steht. Unter der Prämisse, dass es keine negative Werbung gibt, spielt es also überhaupt keine Rolle, ob sich diese Berichterstattung auf positive oder (gefühlt) negative Ereignisse fokussiert. Gerade Kolbingen, mit ca. 1.200 Einwohnern eine wahre Hobbit-Kommune, sollte die Sektkorken knallen lassen, wenn überhaupt noch jemand über diese umsiedelte Milchkanne berichtet.

Und wenn Berichterstattung über eine Kommune nicht im Interesse von Gemeinderäten ist, dann haben diese Räte offensichtlich ein kapitales Problem mit unserer Verfassung. Und natürlich mit Transparenz!

Okay, das war jetzt redundant. Denn nachgewiesenermaßen haben die Kolbinger Gemeinderäte ein Problem mit Transparenz: Kurt Schad und Bruno Weiß etwa weigern sich hartnäckig, auch nur mit dieser Redaktion zu reden.

Weil. Ziel: Alles – und dabei geht es um ganz wichtige kommunalpolitische Themen – mit Harmoniesoße zukleistern!
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Weder Menge noch Farbgebung der Soße spielen eine Rolle, wenn es darum geht, Irregularien und undemokratische Verfahren auf Kommunalebene zuzukleistern.
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Eine hysterische Strafanzeige ist keine „persönliche Anfeindung“?
Im weiteren Leserbrief-Text distanzieren sich die Gemeinderäte – mithin auch Schad und Weiß – von „persönlichen Anfeindungen und Schuldzuweisungen“. Gut, das mit den „persönlichen Anfeindungen“ ist auch moralisch nicht zu kritisieren und bezieht sich mutmaßlich auf ein nicht sehr gelungenes Flugblatt des vormaligen Schad-Weiß-Mitstreiters Hans Schreiber.

Aber ist es nicht auch eine „persönliche Anfeindung“, wenn ein Bürgermeister einen gewählten Gemeinderat wegen Hausfriedensbruch (während einer Gemeinderatssitzung) bei der Staatsanwaltschaft Rottweil anzeigt? Letztgenannte teilt dieser Redaktion zu dem Aktenzeichen 36 Js 4833/20 mit:

[…] die Strafanzeige wurde im Zusammenhang mit einer angezeigten Störung einer Gemeinderatssitzung von dem Bürgermeister erstattet. Verfahrensgegenstand waren jedoch ausschließlich absolute Antragsdelikte. Da von allen antragsberechtigten Personen (auch dem Bürgermeister) ein erforderlicher Strafantrag nicht gestellt wurde, wurde das Verfahren aus rechtlichen Gründen eingestellt.
(Presseauskunft Staatsanwaltschaft Rottweil vom 16.12.2020 an diese Redaktion)

Hanebüchen: Ein Bürgermeister zeigt einen Gemeinderat wegen Hausfriedensbruch in einer Gemeinderatssitzung an! Das trifft zuvorderst eine Aussage über diesen Rathauschef. Nebenpointe: Es ist halt schon blöd, wenn ein Bürgermeister nicht auf den Unterschied zwischen Strafanzeige und Strafantrag achtet, weil er ihn vielleicht gar nicht kennt?

Zurück zu der Leserbrief-Peinlichkeit: Das mit den „Schuldzuweisungen“ ist blanker Unsinn, auch wenn hier ein neutralerer Begriff zu präferieren wäre. Primäre Aufgabe von Gemeinderäten ist es, den eigenen Bürgermeister zu kontrollieren. Wenn diese Kontrolle „Schuld“ i. e. Versäumnisse, Fehlverhalten oder gar Versagen zutage fördert, haben solche Gemeinderäte also ihre demokratische Aufgabe erfüllt.

Streng übersetzt bedeutet der Leserbrief von neun der de facto zehn Kolbinger Gemeinderäte: Wir sind nicht bereit, unseren Job zu machen, für den wir gewählt und mandatiert wurden.

Den weiteren Text des Leserbriefes kann man getrost den Gulli hinunterspülen. Er setzt sich notdürftig zusammen aus üblen Klischees und antidemokratischen Ankündigungen. Dafür ist er eine schleimtriefende Unterwerfungserklärung an die diversen Sonnenkönige im politischen Kleinraum Kolbingen bis hin zu Landratsamt und Regierungspräsidium.

Aber man weiß ja auch nicht, welche Bauvorhaben, Grundstückskäufe oder sonstige ökonomische Transaktionen auf der privaten Agenda dieser dienernden Gemeinderäte für die nächsten Monate stehen. Deren „Gelingen“ könnte durch politisches Rückgrat, Zivilcourage und mangelnde Submissionsbereitschaft gegenüber Behörden und Entscheider unter Umständen gefährdet sein? Und wer will schon – wie etwa der Kolbinger Gemeinderat Hans Schreiber – wegen eines fast 40 Jahre alten Gartenhäuschens plötzlich Mais mit der Bauaufsicht bekommen?
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Harmoniesoße Variante 2: Appell von abgehalfterten Honoratioren
Aber so ein Gemeinderat, und träte er auch gleich neunfach auf, ist halt doch mehr oder weniger ein politisches Nichts. Das führt zu der Frage, ob so ein schwülstiger Gemeinderäte-Leserbrief reichen wird, die kapitalen Probleme in Kolbingen vergessen zu machen? Besser ist es, noch einmal nachzuladen. Am allerbesten: mit etwas mehr politischem Gewicht.

Politisch mehr als ein banaler Gemeinderat wiegt etwa ein Bürgermeister-Stellvertreter. Also wenigstens auf dem Land. Dort bringen die Feinabstufungen der Ehrenkäserei Tonnen auf die Achtbarkeitswaage. Selbst wenn so ein Bürgermeister-Stellvertreter nur ein Ex-Bürgermeister-Stellvertreter ist. Und sogar selbst dann noch, wenn diese Tätigkeit ungefähr so weit zurückliegt wie die DDR.

Also melden sich am 21. Dezember 2020 gleich „drei ehemalige, langjährige Gemeinderäte und [ehemalige] Stellvertreter des noch amtierenden Bürgermeisters zu Wort“ (Quelle). Als da sind: Hans Schad, erster Bürgermeisterstellvertreter von 2009 bis 2019; Bernd Simon, zweiter Bürgermeisterstellvertreter von 1994 bis 1999 und erster Bürgermeisterstellvertreter von 1999 bis 2009; Hartmut Hipp, zweiter Bürgermeisterstellvertreter von 1999 bis 2009.

Unklar bleibt die Frage, warum die SchwäZ nicht auf den Kolbinger Friedhof gegangen ist, um dort noch mehr Leumundszeugen für den scheidenden BüM Braun auszubuddeln, die ähnlich kompetent und nahe an den aktuellen politischen Themen sind wie diese drei abgehalfterten Wichtigkeiten.
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Ex-Bürgermeisterstellvertreterappell zur Fußpilz-Prophylaxe?
Jetzt schnallen Sie sich mal sorgfältig an. Denn Sie erhirnen nie, wozu diese drei Weisen aus dem Gutenachtland aufrufen: Sie rufen auf zur … Achtung, jetzt kommt’s: – BESONNENHEIT! Das ist natürlich der Hammer. Da wäre nicht mal Einstein drauf gekommen: Besonnenheit! Besonnenheit ist hier sicherlich die passgenaueste und auf die Kolbinger Probleme hin individuell erarbeitete Lösung, weil ohnehin nie verkehrt. Das Triumvirat Schad-Simon-Hipp hätte ebenso gut zu mehr Fußpilz-Prophylaxe, Rücksicht im Straßenverkehr und Steuerehrlichkeit aufrufen können. Passt zu jeder Jahreszeit! Und die SchwäZ steht gern parat, um solche verlogenen und die wahre Problematik vernebelnde Ehrenappelle abzudrucken.

Wieso: „verlogen“? Nun ja: Recht eigentlich geht es auch mit diesem angeblich so hehren Appell lediglich darum, einen einzigen Gemeinderat – namentlich Hans Schreiber – zu isolieren und als spaltenden Einzelkämpfer zu brandmarken. Dazu braucht es natürlich keinen in der Zeitung abgedruckten Anrufungsartikel, der sich ohnehin nur an Hans Schreiber richtet. Es geht vielmehr darum, diesen Gemeinderat öffentlich zu diskreditieren und damit seine unter Umständen berechtigte Kritik zu entwerten.

Keine Frage: Der Gemeinderat Hans Schreiber ist ein schwieriger Kunde. Und viele seiner Aktionen sind ziemlich daneben. Aber immerhin ist er gewählter Gemeinderat. Und was ihm in der jüngeren Vergangenheit von anderen Gemeinderäten (Würge-Attacke), Bürgermeister Konstantin Braun (obiges Beispiel: Strafanzeige) und der Verwaltung (Baurechtsverfahren wegen eines 40 Jahre alten Gartenhauses, angeblich unter 30 Quadratmeter Grundfläche) alles angetan wurde, erklärt meines Erachtens so manche Überreaktion des Unbeugsamen?
Der erhält übrigens nach Angaben dieser Redaktion gegenüber seit Beginn 2020 keine Einladungen mehr zu Gemeinderatssitzungen. Und keine Protokolle derselben!
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Bitte halten Sie Ihre Spucktüte bereit!
Apropos „angetan“: Der Dollpunkt dieses Appells der drei Ex-Ex-Ex-Stellvertreter-Wichtigtuer kommt erst noch:

Hartmut Hipp sieht den Gemeinderat gefordert, betont aber auch: „Die Arbeit der Gemeinderäte ist erheblichen Störungen ausgesetzt. Diese ständigen lauthalsigen Störungen bringen Unsicherheit.“ Mit den Schreiereien und ständigen Anschuldigungen werde die geordnete Arbeit der Räte, unter denen auch junge, unerfahrene seien, verhindert, so Hipp. „Anschuldigungen und Rufe nach Offenlegung werden nach dem Gebetsmühlenprinzip praktiziert, ohne jedoch Beweise oder Belegbares vorzulegen. Dann sollen die doch Fakten auf den Tisch legen“, wettert Hipp.
(Schwäbische Zeitung 21.12.2020: „Nach Zwist in Kolbingen rufen drei Ex-Bürgermeister-Stellvertreter zur Besonnenheit auf“; Hervorhebg. K. B.)

Mehr Unverfrorenheit geht nicht! Schon allein Hipps Umgang mit dem Stichwort „Offenlegung“, das er hier zur querulatorischen Unverschämtheit degradiert. Aber die Aufforderung an die kritischen Gemeinderäte – und das ist eben nicht der Gemeinderat Hans Schreiber allein -, Fakten auf den Tisch zu legen, ist nachgerade zynisch. Denn genau das versuchen diese Räte seit Jahren.

Aus der Fülle mir vorliegender Anträge dieser Gemeinderäte an Bürgermeister Konstantin Braun und die Verwaltung greife ich nur beispielhaft einige heraus, um zu belegen, woran es in Kolbingen hakt: berechtigten Anträgen gewählter Gemeinderäte wird nicht stattgegeben, Akteneinsicht nicht gewährt, Vorgänge nicht transparent gemacht. Meines Erachtens auch ein klarer Verstoß gegen die Gemeindeordnung Baden-Württemberg.

Hans Schreiber ist ein temperamentvoller Charakter. Er wird ganz offensichtlich seit langer Zeit an der ordnungsgemäßen Ausübung seines Ehrenamtes gehindert. Dass einem alten Kämpfer dann ab und zu Maß und Mitte abhandenkommen, scheint mir nachvollziehbar? Der Mann vergreift sich ständig im Ton. Das entschuldigt nichts, erklärt aber Vieles und vor allem: Es entwertet seine Kritik nicht.

Hier zumindest mal sechs Anträge von diversen Gemeinderäten inklusive Hans Schreiber an die Verwaltung:

+ Antrag auf Akteneinsicht der Gemeinderäte Christian Dieth, Kurt Schad, Hans Schreiber, Bruno Weiß vom 01.08.2019
+ Antrag auf Akteneinsicht von Hans Schreiber vom 09.11.2019
+ Themenantrag für die Gemeinderatssitzung von „Gemeinderäte“ (namentlich nicht benannt) vom 04.12.2019
+ Themenantrag für die Gemeinderatssitzung von den Gemeinderäten Hans Schreiber und Kurt Schad vom 08.01.2020
+ Antrag auf Akteneinsicht von den Gemeinderäten Christian Dieth, Kurt Schad, Hans Schreiber, Bruno Weiß vom 03.07.2020
+ Antrag auf Akteneinsicht von den Gemeinderäten Kurt Schad, Hans Schreiber, Bruno Weiß vom 16.09.2020

Alle Anträge sind formgerecht und höflich formuliert. Es ist schnell erkennbar, dass diesen Anträgen ganz offensichtlich nicht stattgegeben wurde, denn die Themen wiederholen sich.

Spätestens an dieser Stelle wird die Absurdität des Appells der Lokalprominenz aus der siebten Reihe offenbar: Denn mit „Besonnenheit“ kommt man dort nicht weiter, wo die verbrieften Rechte von Gemeinderäten missachtet und verletzt werden.

[Aktualisierung vom 01.01.2021:]
Ein Leser macht mich darauf aufmerksam, dass auf diesem Blog ja schon empirische Befunde dazu vorliegen, wie Wähler auf diesen Harmoniesoßen-Krampf reagieren. In Langenargen hatte der amtierende und 2020 erneut kandidierende Bürgermeister Achim Krafft seinen Bürgern damit gedroht, nach seiner Wiederwahl einen „Arbeitskreis der Versöhnung“ einzurichten (hier). Die gerieten ob dieses bedrohlichen Angebots so dermaßen in Panik, dass sie sich doch glatt für Kraffts Mitbewerber Ole Münder entschieden.

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