TS65/19: Gemeinde Ummendorf: Spektakulärer Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen

Ummendorf ist eine kleine (4.324 Einwohner) Gemeinde im Landkreis Biberach. Verwaltungschef dort ist Klaus Reichert (CDU). Er übt diese Position nun schon in der dritten und sich dem definitiven Ende zuneigenden Amtszeit aus. 2014 wurde er mit 87 Prozent der abgegebenen Stimmen wiedergewählt. Die 16 Gemeinderatssitze verteilen sich bisher und seit der Kommunalwahl 2014 auf 10 Sitze für CDU/Freie Wähler (61,3 Prozent) und 6 Mandate für Aktive Wähler (38,7 Prozent).

Derzeit und nicht gerade rühmlich erregt Ummendorf landesweit Aufmerksamkeit. Der Grund: Die Bauplatzvergaberichtlinien in Ummendorf für das Baugebiet „Heidengäßle /Mühlbergle II“, deren Kriterien und das Zustandekommen dieser Regelung. Zu 33 Bauplätzen dort waren 159 Bewerbungen eingegangen.

Ab hier wird es kompliziert. Die Gemeinde Ummendorf hatte sich in einem Gemeinderatsbeschluss 2018 für ein kompliziertes Bonussystem entschieden, mit dem Bauplatzbewerber bewertet und ausgewählt wurden. Dabei spielen das Alter der Bewerber, die Anzahl der Kinder, die Wohnsitzdauer in Ummendorf sowie Bonuspunkte durch Ehrenämter eine Rolle.

Noch komplizierter wird der Vorgang dadurch, dass sich ein Gemeinderat durch sein Amt angeblich entsprechende Bonuspunkte (via Ehrenamt) verschafft haben soll und dann anschließend auch in den Genuss eines zugewiesenen Bauplatz gekommen sei.

Zwei der abgewiesenen Bewerber um einen Bauplatz in Ummendorf schlugen daraufhin den Weg zum Verwaltungsgericht (VG) Sigmaringen ein. Und das hat jetzt einen nahezu spektakulären Beschluss im einstweiligen Verfügungsverfahren erlassen (VG-Pressemitteilung zum Beschluss). Dieser Beschluss untersagt es der Gemeinde Ummendorf bis auf weiteres, Bauplätze zu vergeben und notariell beurkundete Kaufverträge abzuschließen.

Die meisten Artikel zu diesem Rechtsstreit und dessen aufschlussreiche Hintergründe, die nach der Kritik des Verwaltungsgerichts (VG) Sigmaringen in möglichen Demokratiedefiziten und potentiellen Unvereinbarkeiten mit der Gemeindeordnung Baden-Württemberg lägen, finden sich bei der Schwäbischen Zeitung:

+ 24.06.2019: Bauplatzstreit: „Gericht erlässt einstweilige Anordnung
+ 25.06.2019: „Gericht stoppt Bauplatzvergabe – Wie der Bürgermeister darauf reagiert
+ 26.06.2019: „Bauplatzvergabe: Deshalb legt die Gemeinde Beschwerde gegen den gerichtlichen Stopp ein

Schon vorher hatte der Fall Ummendorf landesweit für Aufmerksamkeit gesorgt. Im Februar 2019 stellte die Badische Zeitung den Bezug zur Vergaberichtlinien-Diskussion in Efringen-Kirchen her.

Auch der SWR berichtet über den Fall Ummendorf: Februar 2019, aktuell.


Übler SZ-Artikel instrumentalisiert die Verlierer zugunsten der Gemeinde
Einige Kritiker mit Kenntnis der örtlichen Verhältnisse wollen aus den SZ-Artikeln deutlich die Position und die Argumente hauptsächlich von Bürgermeister Klaus Reichert heraushören. Ganz besonders verstörend in diesem Zusammenhang ist ein langer SZ-Artikel im Januar 2019 mit dem Titel „Plötzlich wankt der Traum vom sicher geglaubten Eigenheim“.

Zur Erklärung: Schon im Januar 2019 erließ das Verwaltungsgericht Sigmaringen einen sogenannten „Hängebeschluss“, welcher der Gemeinde schon zu dem Zeitpunkt untersagte, weitere Verträge abzuschließen. Der eigentliche Beschluss im einstweiligen Verfügungsverfahren datiere vom 17. Juni 2019 (Quelle).

Der deutlich auf Emotionalität setzende Zeitungsartikel ist meiner Meinung nach ein propagandistisches Meisterwerk: Detailliert werden die Sorgen und Nöte derjenigen Familien mit Kindern geschildert, denen ein Baugrundstück zugesagt worden war und die durch die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Sigmaringen jetzt in helle Nöte geraten. Da ist von bereits bestellten Handwerkern die Rede, von auslaufenden Fristen für das Baukindergeld, von erhöhten Baukosten und anderen existentiellen Folgen. Für die betroffenen Familien ohne Frage eine schlimme Situation.

An der allerdings soll – so der Tenor des SZ-Beitrags –  nicht etwa die Gemeinde und deren intransparentes wenn nicht gar rechtswidriges Vergabeverfahren schuld sein, sondern die Kläger. Ein ebenfalls leerausgegangener Bewerber wird mit der angeblichen Stimme der Vernunft zitiert:

„Man kann immer diskutieren, ob es gerecht ist. Aber es sind halt nur 33 Bauplätze zu vergeben und ich sehe, dass der Gemeinderat die Kriterien nach bestem Wissen festgelegt hat.“ Und zwar im Vorfeld.
(Schwäbische Zeitung 31.01.2019: „Plötzlich wankt der Traum vom sicher geglaubten Eigenheim“; Hervorhebg. K. B.)

Nein. Genau das eben nicht! Das ist ja gerade der Punkt: Der bisher bekannte Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen stellt exakt das Gegenteil fest: Das für die Definition der Vergabekriterien gewählte Verfahren in nichtöffentlichen Sitzungen sei intransparent und verstoße gegen die Gemeindeordnung Baden-Württemberg. Damit trägt allein die Gemeinde Ummendorf die Verantwortung für die im zitierten SZ-Artikel geschilderten existentiellen Folgen für die vormals „Glücklichen“, denen ein Bauplatz zugewiesen wurde.

Meine Meinung: Hier werden die betroffenen Familien von der SZ zugunsten des Ansehens der Gemeinde instrumentalisiert, um die Verantwortlichkeiten zu verschieben und Stimmung (gegen die Kläger) zu machen. Bezeichnenderweise gibt der SZ-Artikel auch nur die Stimmen der negativ Betroffenen wieder. Die notwendige journalistische Einordnung, dass „staatliches Versagen“ für die Betroffenen üble existentielle Folgen haben kann, erfolgt nicht. Und auch der Hinweis darauf, dass potentiell Geschädigte je nach Ausgang des Verfahrens Schadensersatzansprüche an die Gemeinde haben könnten, unterbleibt.
Denke, Schelm!


Erfrischend und hilfreich: Wochenblatt-Berichterstattung
Demgegenüber spricht das Wochenblatt (!) eine sehr klare Sprache. Dort hatte Karin Boukaboub schon im Februar 2019 schwungvoll über die Streitigkeiten berichtet: Nächster Akt im Drama.

Im aktuellen Beitrag „Der Gerichtsbeschluss steht“ werden die Fakten schnörkellos und ohne die von der SZ eifrig übernommene BüM-Abmilderungsrhetorik oder gar unter Instrumentalisierung der „Opfer“ berichtet. Das Wochenblatt unterstreicht die Brisanz des VG-Sig-Beschlusses, die darin liege, dass es über den Sachstreit hinaus auch um die mögliche Befangenheit eines Gemeinderats gehe, der an den Abstimmungen teilgenommen habe.

In dem genannten Wochenblatt-Artikel finden sich dann auch all die Phänomene wieder, über die SaSe auf diesem Blog seit geraumer Zeit und an konkreten Beispielkommunen (Langenargen, Uhldingen-Mühlhofen, Ostrach, Überlingen, Heiligenberg, Salem, Ochsenhausen) berichtet. Zum Beispiel:


+ Verstoß gegen das Transparenzgebot

Die Richter halten insbesondere das Transparenzgebot, das in § 35 der Gemeindeordnung festgeschrieben ist, für verletzt, wenn in drei nichtöffentlichen Gemeinderatssitzungen ein Beschluss vorbereitet wird, der dann öffentlich nur noch gefasst wird.
[…]
Diesen Verstoß gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit werten die Sigmaringer Richter als „schwerwiegenden Verfahrensfehler“, der „mit hoher Wahrscheinlichkeit zu der Rechtswidrigkeit der beschlossenen Bauplatzvergaberichtlinien“ führen wird.
(Wochenblatt 26.06.2019: „Der Gerichtsbeschluss steht“)

In allen SaSe-Berichtsgemeinden beklagen Kritiker und Bürgerrechtler den extensiven Missbrauch des Instruments der nichtöffentlichen Gemeinderatssitzungen.


+ Befangene Gemeinderäte stimmen ab
Hinsichtlich der Usancen in Ummendorf rund um den möglicherweise befangenen Gemeinderat und seine Bauplatzkaufambitionen formuliert das Wochenblatt erfrischend:

Auch brisant: Ein Gemeinderatsmitglied soll befangen gewesen sein. Als Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr habe er darauf gedrängt, das Ehrenamt stärker zu würdigen. Nur zwei Tage nach Beschluss der Vergaberichtlinien bewarb sich der Gemeinderat um einen Bauplatz und bekam ihn auch – allerdings nur wegen der zehn zusätzlichen Punkte fürs Ehrenamt. Ohne diese hätte er nur 60 Punkte erreicht, sicher einen Bauplatz gab es aber erst ab 61 Punkten. „Auffallend“ findet das Gericht, dass mit diesem Gemeinderat schon am 11. Januar 2019 ein notariell beurkundeter Kaufvertrag geschlossen wurde – obwohl das Gericht einen Tag davor einen Hängebeschluss erlassen hat, der genau dieses Vorgehen untersagte.
(ibid.)

+ Nicht rechtskonforme Richtlinien und Satzungen
Zum Schluss ihres einordnenden und kritischen Artikels formuliert Karin Boukaboub eine ganze Reihe berechtigter Bürgerfragen. Zu denen gehöre auch die, wie es sein könne, dass eine Gemeinde rechtlich nicht haltbare Vergaberichtlinien beschließe.

Hier sei an den Fall Uhldingen-Mühlhofen (Landkreis Bodenseekreis) erinnert, wo ein SPD-Gemeinderatskandidat aufgedeckt hatte, dass die Gemeinde eine seit 15 Jahren ungültige Bausatzung exerziere.


Nix „Einzelfall“ Ummendorf: Massenphänomen!
Ummendorf ist in keiner Hinsicht ein Einzelfall. All das, was dort jetzt und aus dem berufenen Munde eines Verwaltungsgerichts kritisiert wird, treibt Bürgerrechtler in vielen anderen Gemeinden der Region seit Jahren um. Und die Rechtsaufsichten bei den Landratsämtern schnarchen weiterhin vor sich hin.

Auffallend auch: In vielen dieser „Einzelfälle“, bei denen Bürger und/oder Betroffene die Gerichte anrufen, üben die Richter scharfe Kritik an den Bürgermeistern und ihrer Amtsausübung. Das war schon im Fall Langenargen und dem ebenfalls aufsehenerregenden Urteil des Verwaltungsgerichtshofes  Mannheim zur Kurtaxe-Satzung so. Solche wichtigen Bewertungen durch die Gerichte, ein wesentlicher Bestandteil unserer Verfassung und der dort festgeschriebenen Gewaltenteilung, gehen aber offensichtlich den verantwortlichen Gemeinderäten drei Fußballfelder weit an der Sitzfläche vorbei. In einem persönlichen Gespräch mit einem Langenargener Gemeinderat vor einigen Wochen gestand der mir, er habe dieses Urteil noch nicht einmal gelesen! Danke, Anke!

Scharfe Kritik am Bürgermeister und dessen Demokratieverständnis übte auch das Landgericht Ravensburg im Februar 2019 im Fall Stadt Ochsenhausen gegen den Kritiker und Blogger Franz Wohnhaas.

Mit dem aktuellen Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen zu den Vorgängen in Ummendorf liegt jetzt innerhalb weniger Monate das dritte Richtervotum zum Gebaren von Bürgermeistern in einem relativ eng gezogenen Radius vor, das gravierende Demokratiedefizite und Verstöße gegen die Gemeindeordnung Baden-Württemberg kritisiert.

Lob und Preis verdient haben die Verfügungskläger im Fall Ummendorf, gegen die die SZ mit ihrem Januar-Artikel so ganz offensichtlich Stimmung zu machen trachtet.  Denn einen Gewinn für die Demokratie auf Kommunalebene wird sich auf Dauer nur dann erzielen lassen, wenn wieder und wieder Verwaltungsgerichte die selbstherrlichen und – wie in diesem Fall – möglicherweise einzelne Gemeinderäte begünstigenden Praktiken in den Kommunalparlamenten nicht nur öffentlich machen, sondern vor allem juristisch bewerten.

Die Gemeinde Ummendorf will nun gegen diesen Beschluss vorgehen, wie die SZ berichtet. Der ist ohnehin nur im einstweiligen Verfügungsverfahren (einstweiliger Rechtsschutz) erfolgt. Der Ummendorfer Bürgermeister kann einem  möglichen Hauptsacheverfahren gelassen entgegensehen – er muss ihn ja nicht bezahlen!
Mein naiver Vorschlag für solche drastischen Fälle: Sollte die Gemeinde das Verfahren auch noch in der Hauptsache verlieren, sollte Bürgermeister Klaus Reichert persönlich für die nicht unerheblichen Kosten des Verfahrens aufkommen müssen.
Und hoffentlich nehmen die Geschädigten aus dem SZ-Stimmungsartikel Januar 2019 die Gemeinde Ummendorf dann auch noch in Regress.

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