TS99/20: Der Tuttlinger Landrat Stefan Bär, der Spaichinger Teppich und die eigene Haut

Derweil ich mir hier noch das Hirn verknote, wie sich die vollkommen verfahrene Situation im Gemeinderat Spaichingen irgendwie irgendwann klären soll, kommentiert die Redaktionsleiterin Regina Braungart des Heuberger Boten die Lage dermaßen punktgenau und konstruktiv, dass ich meinen Hut ziehen muss.

Warum die SchwäZ-Redaktion Spaichingen sich so krass und positiv von ihren Schwester-Redaktionen im übrigen Land unterscheidet, kann ich bis dato nicht erklären. Aber nachfolgend besenfter Kommentar von Regina Braungart enthält in positiver Hinsicht das Wichtigste, was dieser Blog und viele Leser als abwesend und fehlend in anderen SchwäZ-Redaktionen kritisieren: eine vernünftige Einordnung und Bewertung der Fakten! Dabei und damit erweitert sich der Wahrnehmungskreis auch endlich auf die Institutionen und Personen, die das Spaichinger Katastrophen-Kompott mit zu verantworten haben: Landratsamt Tuttlingen und Landrat Stefan Bär.

Mehr als fadenscheinig ist der brandheiße „Tipp“ des Tuttlinger Landrats Stefan Bär, den Teppich des Vergessens über die jahrelangen Missstände im Spaichinger Rathaus auszubreiten. Denn als Dienstherr der Kommunalaufsicht gerät er möglicherweise selbst ins Visier? Die vollständig de-legitimierten Spaichinger Gemeinderäte der FDP und der Freien Wähler, welche die Missstände mit zu verantworten haben, greifen diesen fadenscheinigen Rat nur allzu gern auf!
Foto: geralt/pixabay

 

Was allein letzte Woche geschah
In der vergangenen Woche ging es wieder hoch her in Spaichingen. Erst gab der Fraktionsvorsitzende der Freien Wähler, Heinrich Staudenmayer, gegenüber der SchwäZ im Namen seiner Fraktion eine Erklärung ab: hier.

Dank kritischer Presse-Nachfrage stellte sich dann aber heraus, dass diese Erklärung eben nicht in Abstimmung mit anderen Fraktionsmitgliedern erfolgt war. Peinlich.

Um diese Peinlichkeit vergessen zu machen, attackierte daraufhin der Freie Wähler Gemeinderat Richard Wagner die Presse: hier.

Presseschelte ist immer ein – und besonders von den Rechten gern genutztes – Instrument, um von den Fakten und Sachverhalten abzulenken. Ich möchte mit Redaktionsleiterin Regina Braungart nicht tauschen. Sie gerät in die vertrackte Rolle, diese unfaire Attacke öffentlich zu machen: Sie muss über die Kritik an ihrer Redaktion, genauer noch: an ihrer Person, berichten, ohne dazu Stellung nehmen zu können. Bitter! Aber das sind die bekannten Schattenseiten des undemokratischen Phänomens, wenn eine Zeitung am Ort Monopolstellung einnimmt. Auch wenn das nicht das persönliche Verschulden von Regina Braungart ist.
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Haare spaltend ablenken
Leichter ist dabei schon die fadenscheinige Kommunikationsstrategie der Freien Wähler aufzudecken: Bei der verlinkten Presseattacke spaltet Wagner Haare! Denn es geht nicht um Meinungsvielfalt innerhalb einer Fraktion und den liberalen oder herr(!)ischen Umgang mit solcher. Es geht darum, dass ein Fraktionsvorsitzender faktenwidrig eine Erklärung seiner Einheit abgibt, die ganz offensichtlich mit dieser Einheit gar nicht abgesprochen wurde. Oder kurz: Es geht um wahrheitswidrige Behauptungen, im Volksmund auch als Lügen bekannt.

Dieser primitiven Freie-Wähler-Attacke gegen die Presse, die in ihrer Argumentation und Diktion erschreckende Parallelen zu den Übergriffen des (nicht rechtskräftig) wegen Volksverhetzung verurteilten Bloggers Jochen Kastilan aufweist und schon allein deshalb emetisch wirkt, tritt nun wieder der Grünen-Gemeinderat Zdenko Merkt entgegen: hier.

Bei aller notwendigen Richtigstellerei: Die Politik-Müdigkeit der Bürger ist kein Wunder. Seit Wochen geht es in Spaichingen nur noch um den Gemeinderat selbst und dessen Historie. Die aktuellen und in dieser Brisanz noch nie dagewesenen Probleme der Stadt durch Corona und dessen Begleiterscheinungen kommen gar nicht mehr vor.

Inzwischen drohen auch die den Ärger produzierenden Strukturen, die hinter all dem Kleinklein arbeiten, aus dem Blick zu geraten. Der von Freien Wählern und FDP provozierte Haarwuchs zum Zwecke der Spaltung täuscht nebenbei auch darüber hinweg, dass hier bestimmte Gemeinderäte eine politisch gefährliche Nähe zu den Rechten und ihrer verfassungsfeindlichen Ideologie unterhalten. Die ganze Republik diskutiert über Rechtsextremismus und dessen Einsickern in alle möglichen staatlichen Strukturen (Polizei, KSK etc.). In Spaichingen spreizen sich Räte in ihrer Selbstgerechtigkeit, die genau zu diesen Strukturen bekennende und zwischen Gemeinderatssitzungen aufgeführte persönliche Nähe unterhalten.
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Landrat Stefan Bär gibt vollen Bullshit-Rat
Mit einem durchaus konstruktiven Ansatz bietet der Heuberger Bote den immer mehr ins Abseits geratenden Freien Wählern dann die Möglichkeit, ihr Konzept für die Zukunft vorzustellen: Spaichinger Freie Wähler entwickeln Konzept für die Zukunft.

Die nutzen die Gelegenheit neuerlich, sich grandios ins Knie zu schießen. Dabei behilflich ist ihnen die Blitzbirne Stefan Bär, seines Zeichens Landrat von Tuttlingen. Dem fällt zu dem ganzen Spaichingen-Desaster kein saublöderer Rat ein als der, der sich schon in der deutschen Geschichte nicht bewährt hat: Vergangenes ruhen zu lassen. Schwamm drüber. Ein Teppich über den ganzen verheerenden Dreck.

Was für ein Bullshit!

Alle anderen SchwäZ-Redaktionen würden sich allerdings – und dieser Blog hat das hinreichend dokumentiert – wieder damit begnügen, diese moralische und politische Bankrotterklärung eines Landrats einfach nur zu berichten. Aber der Heuberger Bote ist – wohltuend! – anders.

In ihrem journalistischen Muster-Kommentar „Sachliches Erforschen kommt vor dem Urteil“ vom 18. Juli 2020 ordnet Braungart diesen Landrat-Rat dort ein, wo er hingehört. Ohne den Locus zu benennen. [Aktulisierung vom 19.07.2020 / 23.23 Uhr: Kommentar ist inzwischen online verfügbar.] Und wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass dieser Kommentar für SchwäZ-Online-Abonnenten (bis jetzt?) nicht verfügbar ist und ich ihn deshalb auch nicht verlinken kann?
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Der neue Spaichinger Bürgermeister Markus Hugger (CDU) und ein Teil des Gemeinderates sind durchaus bereit, die nur euphemistisch als „Missstände“ zu bezeichnenden Vorgänge im Rathaus unter der Aegide von Ex-Bürgermeister Hans Georg Schuhmacher aufzuarbeiten. Und dann kommt Landrat Stefan Bär daher und will von den wunderbaren Reinigungswerkzeugen so gar nichts wissen.
Foto: AnneliseArt / pixabay

 

Brillanter Kommentar mit glasklarer Situationsanalyse
Doch Braungart kommentiert nicht nur. Sie analysiert die spezielle Situation in Spaichingen nüchtern und ohne Wertungen: Sie zeigt noch einmal und ganz unpolemisch auf, welche Fraktion seit wann wo steht. Also quasi der Frontverlauf! Natürlich kann Braungart sich als SchwäZ-Redakteurin nicht so ungehemmter Etiketten für den fatalen Landrat-Rat wie „Bullshit“ bedienen. Solche Freiheiten sind nur Bloggerinnen vergönnt (*ellebäh*). Deshalb rechnet sie ihm entlastend Unkenntnis besonders auch der zwischenmenschlichen Kriegsschäden in Spaichingen zu.

Von mir aus. Bei mir käme/kommt der Dummschwätzer Bär nicht so einfach davon. Denn gerade diese seine mangelnde soziale Kompetenz disqualifiziert ihn für den viel zu gut bezahlten Job als Landrat.

Bedeutungsschwanger ist Braungarts Beobachtung, dass die geforderte und angekündigte „Aufarbeitung“ der Spaichinger Unregelmäßigkeiten viele „nervös“ gemacht habe. Ja, klar. Und diese Nervosität dürfte sicherlich auch das Landratsamt Tuttlingen als zuständige Kommunalaufsicht erfasst haben. Denn dort müsste man eigentlich schon seit Jahren mitbekommen haben, dass es in Spaichingen brutal schiefläuft!

Aus dieser Perspektive wird der dümmliche Landrat-Rat „Schwamm drüber!“ mehr als verständlich … Denn kommt der Schwamm zum Einsatz, was der Heuberger Bote und die Spaichinger Opposition sowie der Staatsanwalt verhüten möge, ist auch Bärs Hals gerettet! Des Landrats Schwamm-drüber-Empfehlung hat offensichtlich unmittelbaren Eigennutz.
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Schwamm-drüber-Rat derjenigen, die etwas zu verbergen haben?
Als nächstes widmet sich Braungart den Möglichkeiten eines Untersuchungsausschusses auf kommunaler Ebene und grenzt diesen in seiner Reichweite klar von einem parlamentarischen ab. Dennoch habe er Möglichkeiten und biete Spaichingen Chancen.

Souveräner kann man Kastilan nicht vor das rechte Schienbein treten.

Braungarts brillante Situationsanalyse gipfelt in diesem furiosen Schlussabsatz:

Dann erst [nach Etablierung eines kommunalen Untersuchungsausschusses und dessen Arbeit und Bericht – Ergänzung K. B.] ist ein Schlussstrich gezogen, die Stachel herausgezogen und Wunden können verheilen.
Menschen können rehabilitiert werden, auf beiden Seiten. Oder müssen sich zumindest der moralischen Verantwortung stellen, weil vorhersehbar ist, dass vieles Vorgefallene unterhalb des justiziablen Radars liegt, nichtsdestotrotz aber gegen das Rechts- und Gerechtigkeitsempfinden verstößt – so oder so. Sachlich und systematisches Erforschen kommt vor dem Urteil – und es hindert nicht daran, die Zukunft frisch zu gestalten. „Schwamm drüber“ ist eine Angelegenheit der Bequemen oder jener, die etwas zu verbergen haben, und hat immer in der Geschichte Verlierer zurückgelassen, die sich das gut gemerkt haben – und merken werden.
(Schwäbische Zeitung 18.07.2020 Kommentar Regina Braungart: „Sachliches Erforschen kommt vor dem Urteil“; Hervorhebg. K. B.)

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Wow! Mehr solcher sachgerechten Einordnungen und ich fange an, die SchwäZ zu lieben! Braungart scheidet sorgsam Illegitimes von Illegalem und nimmt die massiven menschlichen Schäden ins Visier, die Landrat Bär so gern unter Schwamm und Teppich verschwinden sähe.

Die weitreichende Leidenslandschaft hinter dem jahrelangen Spaichinger Unrecht und des Landrats Ferne zu Bürger und Zeit dokumentiert auch dieser treffende Leser-Kommentar unter dem SchwäZ-Artikel:

18.07.2020 (19:37 Uhr)
„Lasst Vergangenes ruhen“, meines Erachtens ein schlechter Rat. Auf Deutsch:“Teppich hoch, Dreck darunter kehren, Schwamm drüber“! Das kann nicht ernst gemeint sein. Haben wir vergessen, wie unter der Herrschaft von BM Schuhmacher mit Billigung der Gemeinderatsmehrheit Menschen gelitten haben, frühzeitig in Ruhestand gegangen sind, Unrecht getan wurde, Prozesse gegen die eigenen Bürger geführt wurden und zudem noch ohne Beauftragung durch den GR. Man könnte die Liste fortführen. Haben wir vergessen, wie Gemeinderäte erniedrigt, verspottet wurden in Sitzungen vom BM und einigen Miträten, sodass jemand das nicht mehr aushalten konnte und eine Sitzung verlassen hat. Haben wir vergessen, dass Bedienstete der Stadt unter dieser Herrschaft gelitten haben und ärztliche Hilfe beanspruchen mussten oder gekündigt haben? Das alles muss aufgearbeitet werden, schonungslos und offen und die Täter und die Dulder sollten in sich gehen und das Gespräch suchen, oder die Konsequenzen ziehen. Nur so gibt es wieder Frieden in der geteilten Stadt…… -……. auch ohne Teppich.
(Schwäbische Zeitung 18.07.2020 Leserkommentar unter Artikel „Spaichinger Freie Wähler entwickeln Ideen für die Zukunft“)

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Genügend Gründe für Mandatsniederlegung

Und noch eine frohe Botschaft erreichte mich diese Woche. Im Grundsatz ist es ja gar nicht so einfach, ein Gemeinderatsmandat wieder loszuwerden. Und bringen wir es doch mal auf den Punkt: Mit den beiden ewigen Brandstiftern Leo Grimm (FDP), gegen den jetzt noch dazu der Staatsanwalt ermittelt, und Herbert Staudenmayer (Freie Wähler) wird es keinen Neuanfang in Spaichingen geben. Aber nach zehn Jahren Gemeinderatsarbeit können gewählte „Irrologen“ (Copyright by SCHROEDER) ihr Mandat auch ohne Angabe von Gründen niederlegen … Diese Regelung in der Gemeindeordnung Baden-Württemberg scheint mir wie gemacht für … Spaichingen? Schließlich hat das gegenüber Mai 2019 aktualisierte Wählervotum bei der Bürgermeisterwahl im März 2020 auch die entsprechende demokratische Legitimation für einen solchen Schritt geliefert! (Um in Spaichingen nicht auf Wainer Verhältnisse zu kommen!)
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Nicht nur „alte geile Böcke“ wünschen Aufklärung zu den ‚MeeToo“s
Und auch wenn man die Gründe nicht benennt, sie sind für beide Mandatsträger zahlreich vorhanden. Ein FDP-Gemeinderat Leo Grimm, der sich erstens nicht klar von einem potentiellen Volksverhetzer distanziert und sich überdies noch zu Tätlichkeiten gegen den politischen Gegner hinreißen lässt, ist als Gemeinderat vollständig de-legitimiert und nicht mehr tragbar. Ebenso verhält es sich mit einem Freie-Wähler-Fraktionsvorsitzenden, der in einer E-Mail an einen verdienten Bürger diesen als „alten geilen Bock“ bezeichnet. Und damit und nebenbei versucht, dessen auch durch das Strafrecht legitimierte Frage nach den im Raume stehenden #MeToos im Keller des Rathauses (oder andernorts) aus der Welt zu schaffen.

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