TS114/20: Correctiv: „Sexismus und Männerdominanz: Was Frauen in der Kommunalpolitik erleben“

Dieselbe Botschaft, von anderer Stelle. Aber sie bestätigt, was SaSe wieder und wieder berichtet. Die Kollegen vom Rechercheverbund Correctiv haben anlässlich der bevorstehenden Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen nachgefragt, warum der Frauenanteil in den Parlamenten dort mit 24 Prozent so derart niedrig ist. 600 Politikerinnen und Politiker hätten sich in dem Crowd-Newsroom beteiligt.

Die Ergebnisse in Zahlen und Zitaten sind die nämlichen: In den nordrhein-westfälischen Kommunalparlamenten herrschen Sexismus und Männerdominanz. Ich ergänze: ebenso wie in den baden-württembergischen. Und der für unsere Region spektakulärste Fall von Sexismus und Männerdominanz, die Gemeinde Wain und dessen zündelnder Chef Bürgermeister Stephan Mantz, ist natürlich im obigen Rechercheergebnis gar nicht enthalten.
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Männerdominanz
Zitat unter der Überschrift „Kein Stadtrat paritätisch besetzt“:

CORRECTIV.Lokal hat für jede Stadt und Gemeinde in NRW ausgewertet, wie hoch der Anteil an Frauen in den Kommunalparlamenten ist: Den größten Frauenanteil hatte nach den Wahlen 2014/15 der Stadtrat Halle mit 44 Prozent. Trauriges Schlusslicht ist Sassenberg. In der Kleinstadt im Münsterland sitzt keine einzige Frau im Stadtrat. Wie kommt die Gemeinde auf ausreichend Kitaplätze? Welche Sport- und Kultureinrichtungen werden gefördert? Wo soll eine Windanlage gebaut werden? Wie können Unternehmen angesiedelt werden? Das entscheiden in Sassenberg ausschließlich Männer.
(Correctiv 21.08.2020: „Sexismus und Männerdominanz: Was Frauen in der Kommunalpolitik erleben“)

In den Artikel eingebunden ist eine interaktive Landkreis-Karte. So kann jeder Leser für jede Kommune in NRW mit einer Cursorbewegung den jeweiligen Frauenanteil abrufen. Und weinen!

Können wir so eine Karte bitte auch für Baden-Württemberg haben?

Die Beobachtungserkenntnisse sind über die Ländergrenzen hinweg dieselben: Zum Beispiel die, dass der Frauenanteil umso geringer ist, desto kleiner die Gemeinde. Mit Ausnahmen.

Folgendes Ergebnis ist alarmierend:
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„Parlamente sind kein Abbild der Gesellschaft“
Das scheint mir ein verheerender Befund für die Demokratie auf Kommunalebene, wo ja bitte die Entscheidungen getroffen werden, die den Menschen am nahesten kommen und am unmittelbarsten in ihre Lebenswirklichkeit eingreifen (Flächenverbrauch, Infrastruktur, „Wachstum“).

Die kommunalen Parlamente spiegeln die Zusammensetzung der Gesellschaft in vielerlei Hinsicht nicht wider. Wenige Kommunalpolitikerinnen und -politiker haben einen Migrationshintergrund und auch die Repräsentanz anderer gesellschaftlicher Gruppen ist für viele nicht selbstverständlich: In Mülheim an der Ruhr etwa wird die 19-jährige Transfrau Laura Patricia Kasprowski, die für die CDU antritt, für ihre Kandidatur für die Bezirksversammlung angefeindet.
(ibid.)

Die nächste Zwischenüberschrift des Correctiv-Artikels beinhaltet zwei der drei häufigsten Berichterstattungsanlässe auf diesem Blog:
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„Intransparenz, Klüngel und Sexismus“
Das folgende Zitat bedarf keiner weiteren Einführung:

Über 70 Prozent der Teilnehmenden sind Frauen. Von ihnen berichtet mehr als jede Zweite (60 Prozent), im Rahmen der politischen Arbeit schon einmal Diskriminierung aufgrund des Geschlechts oder Sexismus erlebt zu haben. Etwa jede Fünfte findet es schwierig, Amt und Familie miteinander zu vereinbaren. Viele beklagen Intransparenz, Klüngel und Seilschaften unter Männern.
(ibid.)

Für Baden-Württemberg sehe man nur in die Gemeinde Wain im Landkreis Biberach (hier und hier)! Dort wurden drei engagierte Gemeinderätinnen, deren Arbeit durch Sachverstand, kritische Begleitung der Verwaltungsarbeit und Widerstand gegen die im Correctiv-Artikel genannten männlichen Netzwerke gekennzeichnet war, mit buchstäblich kriminellen Methoden aus ihrem Mandat gemobbt. Höhepunkt war eine in der Mai-Nacht mit Puppen installierte Hinrichtungsszene auf dem früher tatsächlich für Hinrichtungen genutzten Reinhardsberg.

Konkrete Hilfe erhielten die männlichen Netzwerke im Landkreis Biberach durch die Berichterstattung der Lokalpresse (z. B. Schwäbische Zeitung und Südwestpresse sowie mit besonders üblem Nachtreten noch durch die Bildschirmzeitung Blix). Alle Druck-Erzeugnisse (im wahrsten Sinne des Wortes …) zusammen verbreiteten etwa nachhaltig die Lüge, die drei Rätinnen hätte eine „Dienstaufsichtsbeschwerde“ gegen Bürgermeister Stephan Mantz eingereicht. Das wäre den Damen rund um Julia Freifrau von Herman schon deshalb gar nicht eingefallen, weil die so klug sind zu wissen, dass es keine „Dienstaufsichtsbeschwerde“ gegen baden-württembergische Bürgermeister gibt (hier)! Möglich ist allenfalls eine Fachaufsichtsbeschwerde.

Dass Fälle von Sexismus auf diesem Blog bisher kaum vorkommen, liegt auch daran, dass sich unter den Informanten und Kontaktpersonen dieser Redaktion ebenfalls kaum Frauen finden.

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

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Mein #Metoo in Neuhausen ob Eck
Dafür hatte ich selbst – und trotz meines unattraktiven Alters – während meiner Arbeit für den Südkurier in der Gemeinde Neuhausen ob Eck 2016 ein irritierendes Erlebnis eines körperlichen Übergriffs eines mir vollkommen fremden Mannes. Buchstäblich aus dem Hinterhalt. Sonst nicht auf den Mund gefallen, war ich so dermaßen geschockt, dass ich erst nach der Sitzung der Betreibergesellschaft eines Gewerbegebietes reagieren konnte. Der Täter – ein honoriger Kommunalpolitiker – stritt alles ab; die Intervention von Bürgermeister Hans-Jürgen Osswald war schlapp. Damals noch in publizistischen Abhängigkeiten stehend (Südkurier!), habe ich den Vorfall nicht veröffentlicht.

Das würde mir heute nicht mehr passieren …
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Und immer wieder: Wain, Wain, Wain
Allerdings werde ich den Correctiv-Artikel zum Anlass nehmen, den Wain-Skandal noch weiter zu vertiefen. Was in dem Bericht der Kollegen verständlicherweise nicht differenziert und namentlich identifiziert wird, ist der Verweis auf die fatale Rolle der Landratsämter in ihrer Funktion als Kommunalaufsicht. Auch hier sind es wieder die Männer-Netzwerke, die gegen die Frauen arbeiten. Am Beispiel Wain lässt sich (durch neuere Rechercheergebnisse) belegen, welche verheerende Rolle das Landratsamt Biberach bei der Eskalation der Zustände in Wain bis hin zur Mandatsaufgabe der drei übelst gemobbten Frauen gespielt hat.

Der Correctiv-Artikel beleuchtet aber alle Formen der Missachtung und Herabwürdigung von Frauen. Dazu gehört natürlich auch, dass Kommunalpolitikerinnen mit ihren Einwänden, Vorschlägen und sonstigen Äußerungen einfach nicht ernstgenommen werden.

Weiter geht die strukturelle Männerdominanz über die Tatsache, dass es zwar bei einigen Parteien Quoten gibt, aber keine Sanktionen, wenn diese nicht erfüllt werden.
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Die Themen Männer-Netzwerke und Sexismus auf diesem Blog
SaSe wird sich bemühen, das Thema Frauen-Diskriminierung und Männer-Netzwerke in den Kommunalparlamenten künftig noch mehr in den Mittelpunkt zu rücken. Außerdem rufe ich alle Kommunalpolitikerinnen im SaSe-Berichtsgebiet ausdrücklich dazu auf, sich bei Fällen von Diskriminierung, Sexismus und Mobbing im Rahmen ihrer politischen Arbeit an diese Redaktion zu wenden. Informantenschutz, Vertraulichkeit und eine auf die Opfer Rücksicht nehmende Berichterstattung werden ausdrücklich zugesichert.
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Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

 

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